Porträt: Sneaker satt – zu Besuch bei Overkill.de
Wer die U-Bahnstation Schlesisches Tor verlässt, findet sich mitten in Berlin Kreuzberg wieder. Auf der Straße drängeln sich Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern, in Autos, Lastern und Bussen. Touristen mit Stadtplänen in der Hand versuchen sich zu orientieren. Hippe Berliner mit riesigen Sonnenbrillen und feschen Frisuren können nur zum Teil verbergen, dass sie gesehen werden wollen. Ein Fahrradkurier huscht vorbei. Ein paar ursprüngliche Kreuzberger ignorieren alles um sich herum, als seien sie grantige Rentner, die plötzlich in eine Kindergartengruppe geraten sind.
Turnschuhe als Kultgegenstände
Ein paar Meter weiter steht man schon davor: Ein Laden, der Turnschuhe nicht einfach verkauft, sondern sie zelebriert. In einem verspiegelten und in sich verschränkten Regal füllen sie die gesamte Schaufensterfront: Sneaker in zahlreichen Farben, unterschiedlichsten Materialien, von verschiedensten Marken.
Ist man drinnen, sind die Wände im Erdgeschoss schwarz und das verspiegelte Schuhregal wirkt durch das Tageslicht blendend hell. Das Wort „Turnschuhe“ mag man nicht mehr benutzen. „Kultgegenstände“ trifft es wohl besser. Gegenüber diesem Sneaker-Altar, hinter dem Verkaufsthresen, sind zahllose Sprühdosen aufgereit bis hoch unter die Decke. Geht man die schwarze Metalltreppe nach oben, landet man in einer komplett anderen Welt: Hier scheint es, als habe der Shop eine Altbauwohnung erobert. Hier gibt es Shirts und allerlei weitere Kleidung zu kaufen – zwischen Kommoden, Lampen und Stühlen.
Als Robert Schultz und Thomas Peiser das „Overkill“-Ladengeschäft 2003 eröffnet haben, war vieles noch ganz anders. Kreuzberg war alles andere als ein „In-Stadtteil“, sondern vielmehr ein „Problemkiez“. Touristen gab’s hier keine, dafür waren die Mieten spottbillig. Und die geringe finanzielle Hürde war erst einmal am wichtigsten. Inzwischen ist „Overkill“ über Berlins und Deutschlands Grenzen hinaus bekannt. Das verdanken die Gründer nicht zuletzt ihrem Onlineshop.
In der Szene verwurzelt
Dass sie heute überhaupt Inhaber eines Sneaker- und Graffiti-Ladens samt Onlineshop sind, kommt dabei nicht von ungefähr. Beide hatten sich vorher bereits einen Namen in dem Bereich gemacht: Thomas Peiser mit seinem „Overkill“-Magazin aus und für die Graffiti-Szene, das 1992 erstmals erschienen ist, und Robert Schultz als Event-Veranstalter und DJ. „Der Laden war so eine fixe Idee von uns. Thomas und ich haben schon länger Turnschuhe gesammelt und waren in der Graffiti-Szene involviert und dachten uns: Daraus muss man doch etwas machen“, erklärt Robert Schultz. Den Anstoß, diese Idee wirklich umzusetzen, gab es dann im Görlitzer Park. Beide saßen beim Grillhähnchen zusammen, „wie das damals so üblich war“ und sagten sich: „Wenn wir das mit dem Laden nicht machen, machen es andere.“ Gesagt, getan: Jeder sammelte 5.000 Euro Startkapital ein und es ging los.
Auf der Wunschliste: Magento
Der Onlineshop unter overkill.de sollte eigentlich von Anfang an dabei sein, aber das klappte letztlich doch nicht. „Hätte es damals schon Magento gegeben, hätte das vielleicht anders ausgesehen“, sagt Robert Schultz. So kam der Verkauf per Website schließlich ab Anfang 2005 dazu, umgesetzt auf Basis von xt:Commerce.
Von Anfang an ist die Seite auch auf Englisch verfügbar und dementsprechend ist die Kundschaft international. Inzwischen hat das Onlinegeschäft den Laden in Kreuzberg beim Umsatz sogar überholt. Aber natürlich gehört der physische Laden zur „Marke Overkill“ einfach dazu. Manchmal kommen Kunden von weit her, nur um sich einmal das Geschäft anzusehen. 2008 konnte es zur heutigen Größe ausgebaut werden. Dabei haben die beiden Macher lange Zeit nicht davon leben können, sondern die Gewinne immer wieder reinvestiert.
Hier und in einem Laden nebenan findet sich das komplette Lager. Trotz Wachstum lohnt es sich für die Sneaker-Spezialisten noch nicht, auf einen externen Dienstleister zu setzen, der die Waren lagert und versendet. Das also passiert heute noch ganz ähnlich wie zum Start.
Durstrecke Wirtschaftskrise
Auch andere Dinge sind noch so, wie sie von Beginn an waren – manchmal zum Leidwesen von Robert Schultz. An xt:Commerce beispielsweise hat er wenig Freude. Denn der Onlineshop läuft zwar, aber Veränderungen oder Erweiterungen sind nur schwer umzusetzen. Am liebsten hätte er schon längst auf Magento gewechselt. Aber das bedeutet natürlich auch wiederum viel Arbeit. „Andererseits war es gut, nicht sofort auf Magento zu setzen. So sind uns da auch einige Kinderkrankheiten erspart geblieben.“ Langfristig soll das Shopsystem jedenfalls gewechselt werden. „Da muss ich aber erst einmal Urlaub nehmen, um dafür auch die Nerven zu haben“, sagt Rober Schultz und meint das nur halb im Scherz.
Auch anderes Lehrgeld haben die beiden Gründer inzwischen gezahlt: Anfangs gab es Stress mit dem Zahlungsanbieter, mit Fake-Bestellungen und Kreditkartenbetrug. Jetzt ist das ausgestanden, ebenso wie die Wirtschaftskrise 2008. Die erwischte Overkill gerade in einer Expansionsphase: Mit einem Mal halbierten sich die Umsätze. Nach einer Durststrecke ging es Mitte 2009 wieder bergauf. „Das hätte uns beinahe den Kopf gekostet“, sagt Robert Schultz. Auch andere äußere Einflüsse wie Währungsschwankungen beeinflussen ihr Geschäft: Hatten sie 2005 noch viele Kunden aus Großbritannien, hatte sich das mit dem starken Euro einige Zeit später erledigt: Die bisherigen Käufer bekamen die Schuhe im eigenen Land praktisch zum Einkaufspreis des deutschen Händlers.
Kein Wunder also, was Robert Schultz antwortet, als ich ihn danach frage, was an der gesamten Geschäftsgründung der schwierigste Punkt gewesen ist: „Die Rechnungen bezahlen können.“ Aber da beide vorher schon selbstständig gearbeitet hatten, kannten sie sich mit den Anforderungen an die Buchführung aus und wussten, dass das Finanzamt auch einmal mit überraschenden Geldforderungen vor der Tür steht. Robert Schultz bilanziert nüchtern: „Ohne die Vorerfahrungen wäre es wohl schiefgegangen.“
Neben dem Ladengeschäft in Kreuzberg und dem Onlineshop gibt es weitere Standbeine und Einnahmequellen. Beispielsweise ist eBay hier über die Jahre immer wichtiger geworden. Viele Händler fluchen zwar über den Quasi-Monopolisten in Sachen Online-Auktionen. „Aber über eBay erreichst du so viele Leute, dass du einfach nicht darauf verzichten kannst“, sagt Robert Schultz. Zwischenzeitlich hat der Umsatz hier sogar den Onlineshop ausstechen können. Hauptnachteil: Es ist betreuungsintensiver, denn auf der eigenen Website lässt sich mehr automatisieren. Die zahlreiche Konkurrenz auf so einer Plattform sehen die Sneaker-Profis aus Berlin hingegen nicht als problematisch an. Dafür ist ihr Sortiment einfach zu speziell.
Ähnlich gilt das auf Amazon. Auch zu dieser Plattform hat Robert Schultz, wie sicher viele Händler, ein zwiegespaltenes Verhältnis. Auf der einen Seite ist das der Ort, an dem sich viele potenzielle Kunden finden. Auf der anderen Seite schmälern Amazons Gebühren natürlich den erzielbaren Gewinn.
Ohne eBay, Amazon, Google geht nichts
Einen über eBay oder Amazon gewonnenen Kunden zum Overkill-Kunden zu machen, ist dabei gar nicht so einfach. Trotzdem sagen sich Robert Schultz und Thomas Peiser: Hauptsache, derjenige bekommt sein Paket von Overkill. Und vielleicht geht er ja nächstes Mal gleich auf die Website.
Wobei sie schon festgestellt haben, dass das nicht einmal bei Stammkunden unbedingt der Fall sein muss. Denn selbst wer overkill.de schon kennt, geht manchmal erst über Google – womit der nächste Quasi-Monopolist genannt wäre, mit dem sich ein Online-Händler auseinandersetzen muss. „Zum Glück waren wir ziemlich bald gut gelistet“, erklärt Robert Schultz. Für die Suchmaschinen-Optimierung hätte er am liebsten bald einen eigenen Mitarbeiter. Auch bei der Werbung mit Google AdWords wollen sie noch gezielter vorgehen.
Zukunftsfrage: In der Nische bleiben?
Und über die Zukunft gesprochen, haben die Overkill-Inhaber noch mehr, was ihnen im Kopf herumgeht. Eine Frage dabei ist: Wollen sie in ihrer Nische bleiben? Sie haben sich dort ganz gut eingerichtet und sich ihre Fans und Kunden erarbeitet. Die Konkurrenz schlafe aber nicht und Stillstand sei bekanntlich Rückschritt, sagt Robert Schultz. Auf der anderen Seite müsse man aufpassen, die bisherigen Kunden nicht zu verprellen. „Damen-Lederschuhe würden beispielsweise vielleicht sogar funktionieren, aber es würde eben nicht zu uns passen.“ Deshalb sollte man lieber zwei Mal nachdenken, bevor man sich zu einem Schnellschuss hinreißen lasse.
Stattdessen treiben sie die Internationalisierung weiter voran. Als nächstes steht die Schnittstelle zum französischen Amazon auf dem Plan. „Und dann wollen wir künftig natürlich noch die Weltherrschaft an uns reißen“, sagt Robert Schultz und lacht.
Das aber kommt definitiv erst nach dem Wechsel zu Magento.
Eckdaten von overkill.de | |
Shopsystem | selbst angepasstes xt:Commerce |
Payment-Anbieter | Wirecard AG |
Hosting | 1&1 Root-Server XXL64 |
SEO | externe Mitarbeiter |
Warenwirtschaft | Pixi |
Logistik | DHL, UPS |
Mitarbeiterzahl | 10 (+1 Auszubildender) |
Kaffeemaschine | Keine. Wir trinken Club Mate. |
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Sehr guter Artikel. Sehr interessante Geschäftsidee und auch gut umgesetzt, toller Laden, kenne ich auch persönlich schon. Kann mich Matze nur anschließen, MEHR SOLCHER ARTIKEL!
Mach wirklich Spaß diesen zu lesen.