- Am Anfang war der Eisenbahnclub
- Hacker im Film: Outlaws mit dem gewissen Etwas
- Hacker oder nicht? Eine Frage der Selbsteinschätzung
- Was genau macht Hacker cool?
- Hacks sind immer effektiv
- Business-Hacking
- Software-Mods und Hardware-Hacks sind bereits Normalität
- Fazit: Arbeitest du noch oder hackst du schon?
Die Business-Hacker kommen: Vom Keller in die Chefetage
Hacker, das sind gefährliche Wesen: Öffentlichkeitsscheu, lichtempfindlich, nachtaktiv. Mit Maske und tief ins Gesicht gezogener Kapuze sitzen sie in abgedunkelten Kellerräumen, verschaffen sich Zugriff auf die Systeme anderer Internetnutzer und richten mit diebischer Freude wirtschaftlichen Schaden an.
So weit, so falsch. Denn hinter dem Begriff „Hacker“ verbirgt sich viel mehr – und viel mehr Gutes, als Mediendarstellung und der allgemeine Sprachgebrauch zuweilen vermuten lassen. Wir alle lieben intelligente „Hacks“, die unseren Alltag erleichtern, sei es Zuhause, wo wir Zeit durch die richtige T-Shirt-Falttechnik sparen, oder im Büro, wo wir mit einfachen Hilfsmitteln ärgerlichen Kabelsalat verhindern. Im Arbeitskontext erstreckt sich das Hacken auch auf neue, unkonventionelle Methoden bei der Erledigung unserer täglichen Aufgaben oder dem Ankurbeln eines digitalen Geschäftsmodells.
So etwa beim Growth-Hacking, einer neuen Marketing-Disziplin, unter der Branchenmedien das Fördern von Bekanntheit und Nutzerwachstum durch kreative, datengetriebene Ansätze verstehen. Growth-Hacking ist symptomatisch für eine Entwicklung, die sich im Laufe der letzten Jahre schleichend vollzogen hat. Hacker-Sein, das ist heute nicht nur gesellschaftsfähig, sondern sogar eine gefragte Qualifikation in einer immer stärker durch Technologien geprägten Wirtschaftswelt. Aber Hacker und Business – kann das überhaupt zusammenpassen?
Dass die Verbindung nicht mehr ganz so abwegig ist wie vielleicht zu den Anfangszeiten der Hacker-Bewegung, zeigen zahlreiche Persönlichkeiten der IT-Szene, die von Hackern zu Unternehmern wurden. Zu den bekanntesten gehören sicherlich Apple-Mitgründer Steve Wozniak und das Google-Führungstrio Larry Page, Sergey Brin und Eric Schmidt. Aber auch Amazon-Gründer Jeff Bezos, Yahoo-Chefin Marissa Mayer, Foursquare-Gründer Dennis Crowley und zwei der drei YouTube-Gründer sind Informatiker mit einem Sinn für’s Geschäft.
Keinen von ihnen würde man wohl im ersten Moment mit dem Begriff Hacker assoziieren und doch können sie als solche bezeichnet werden: Folgt man etwa Harper Reed (Seite 44), einem der derzeit einflussreichsten Hacker der USA, sind die Schnittstellen zwischen Programmierern und Hackern so groß, dass man die Begriffe durchaus synonym gebrauchen kann. Warum das so ist, wird beim Blick auf die Geschichte des Hacker-Begriffs und der dahinter stehenden Idee klar.
Am Anfang war der Eisenbahnclub
Die Hacker-Bewegung ist quasi so alt wie der Computer selbst: Seit es die Maschinen gibt, gibt es Menschen, die sie verstehen, zerlegen, ihre Mechanismen durchdringen und verbessern wollen.
Der Begriff „Hacker“ geht zurück auf eine Studentenbewegung am renommierten Massachusetts Institute of Technology. Genauer gesagt: Auf den Eisenbahnclub, der sich in die „normalen“ Eisenbahnliebhaber und die Elektro-Genies teilte. Letztere beschäftigten sich tage- und nächtelang damit, die Funksignale und die technische Infrastruktur des Systems zu optimieren.
Im Slang dieser Tüftler taucht das Wort „Hack“ zum ersten Mal im Zusammenhang mit einem technischen Coup auf. Der Technik-Journalist Steven Levy, der 1984 mit „Hackers: Heroes of the Computer Revolution“ [1] das inoffizielle Manifest der Hacker-Bewegung verfasste, beschreibt das so: „Ein Projekt oder ein Produkt, das nicht nur ein konstruktives Ziel erfüllen sollte, sondern mit dem man sich um des reinen, wilden Spaßes willen beschäftigte, wurde ‚Hack‘ genannt.“ Der Begriff sei von Anfang an mit großem Respekt genutzt worden, so Levy: „Um als ‚Hack‘ durchzugehen, musste die Tat durchtränkt sein von Innovation, Stil und technischer Virtuosität. Die produktivsten Menschen nannten sich selbst voller Stolz Hacker.“
Hacker im Film: Outlaws mit dem gewissen Etwas
In den folgenden Jahrzehnten rezipierten Medien und Öffentlichkeit den Begriff. Dabei ging es in der Regel immer auch um Gefahr aus dem Cyberspace: Etwa im Film „WarGames“ von 1983, in dem sich ein Teenager in den Computer der US-Luftstreitkräfte hackt und im Glauben, es handele sich um ein Spiel, beinahe einen Atomkrieg auslöst. Oder im Thriller „Das Netz“ von 1995, als böswillige „Prätorianer“ in die Computersysteme von Unternehmen und Behörden eindringen, um ihnen anschließend einen als Schutzprogramm getarnten Trojaner zu verkaufen. Matrix, Hackers, 23 – die Liste ließe sich beliebig erweitern.
Ihren Coolness-Faktor hat die Hacker-Bewegung in der kulturellen Auseinandersetzung aber nie eingebüßt. Im Gegenteil: Diese Nerds, die zusammenhalten und sogar Verfolgung und Strafen riskieren, um die Welt zu retten – irgendwie hat man sie immer bewundert.
Anders sieht das im realen Leben und vor allem in der Wirtschaft aus. Denn hier setzt man sich mit Hackern vor allem dann auseinander, wenn sie wirtschaftlichen Schaden angerichtet haben. Und die Fälle häufen sich: Die Crowdfunding-Plattform Kickstarter, Paypal oder Adobe – sie alle sind in den vergangenen Monaten Opfer von Cyberkriminellen geworden. Allein in Deutschland sind seit Jahresbeginn über 30 Millionen E-Mail-Accounts gehackt worden. Der durch Cyberkriminalität verursachte Schaden in der EU beläuft sich nach einem Bericht des Untersuchungsausschusses für organisiertes Verbrechen, Geldwäsche und Korruption in Europa [2] auf fast 300 Milliarden Euro.
Hacker oder nicht? Eine Frage der Selbsteinschätzung
Allerdings müssten diese Internetkriminellen eigentlich als Cracker bezeichnet werden. So nennen die meisten Hacker heute ihre kriminellen Counterparts. Eine weitere bekannte Unterscheidung zwischen Hackern in solche, die es mit dem Gesetz genau nehmen und welche, die das nicht tun, ist die in Black und White Hats.
Was illegal ist und was nicht, liegt dabei im Auge des Betrachters: So wie beim Hacktivism, bei dem politisch motivierte Hackergruppen gezielte Angriffe auf Regierungs- und Wirtschaftsinstitutionen ausüben, erklärtermaßen für einen guten Zweck: In den Augen der Geschädigten sind sie dennoch Kriminelle.
Spätestens jetzt dürfte klar sein: Unter dem Begriff „Hacker“ wird vieles in einen Topf geworfen, was nicht zusammen gehört. Und die momentan vorherrschende Deutung des Begriffs ist unzureichend, allein schon, weil sie der Vielfalt der Hacker-Bewegung nicht gerecht wird. Darüber hinaus versperrt sie den Blick auf spannende Arbeitsansätze und Methoden der Hacker, die nicht nur in kultureller Hinsicht eine Betrachtung wert sind, sondern auch handfeste Unternehmenswerte generieren.
Was genau macht Hacker cool?
Worin genau liegen diese Hacker-Qualitäten? Den „typischen Hacker“, also den gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen Subkulturen, beschreibt Wikipedia etwa mit den folgenden Attributen: Technikenthusiasmus, Experimentierfreudigkeit, genaue IT-Kenntnisse, Kreativität, Originalität. Das klingt nicht nach Steckbrief, sondern nach Stellenausschreibung – was letztlich auch kein Wunder ist: Denn je stärker Kommunikations- und Informationstechnologien unser Leben durchdringen, desto mehr wird die Beherrschung der technischen Klaviatur zu Grundlagenwissen.
Chefs, die sich komplett auf das technische Verständnis ihres CIOs oder CTOs verlassen, geben enorme Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand. Das Wall Street Journal hat vor Kurzem berichtet, dass immer mehr Manager programmieren lernen [3]. Coden sei vergleichbar mit der Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben, heißt es dort: Nicht jeder werde ein Shakespeare, aber im Beruf sei ein sicheres Grundverständnis zunehmend unverzichtbar.
Hacks sind immer effektiv
Schon heute
sind die Entwickler, die „Macher“, in vielen Unternehmen
Triebfeder für das Product und Business Development. Das liegt nicht nur daran, dass Hacker sich in der Welt der Nullen und Einsen heimisch fühlen und sie verstehen wie keine andere Berufsgruppe. Innovation, die Voraussetzung für Wachstum und unternehmerischen Erfolg, entsteht durch die Verbindung unterschiedlicher Disziplinen und neuartige Ansätze. Und genau das ist es, was Hacker tun: Querdenken, ohne Rücksicht auf Konventionen an der perfekten Lösung für ein Problem basteln. Ein „Hack“ ist kreativ, schnell und auch mal unelegant – aber immer effektiv.
So wie im Fall des internen Messengers bei Facebook: Einige Mitarbeiter hatten sich ein derartiges Tool schon lange gewünscht, doch immer wieder geriet die Debatte ins Stocken. Bis ein Team bei einem der regelmäßigen Hackathons einfach einen Prototyp erstellte: Rudimentär und gerade eben funktional – aber gut genug, um binnen kurzer Zeit das gesamte Team von der Notwendigkeit des Tools zu überzeugen. Aber nicht nur interne Tools haben ihre Anfänge bei Hackathons – auch handfeste Bestandteile der Plattform haben ihre Wurzeln bei den unkonventionellen Events: so etwa die Timeline und der Facebook-Chat. Oder der HipHop-Transpiler (siehe Artikel über die HipHop Virtual Machine der Seite 144), der in Sachen Code-Basis einen enormen Peformance-Gewinn für Facebook zur Folge hatte.
Business-Hacking
Manche Hacker interpretieren den Begriff „unelegant“ noch weitreichender. Um ihre Ziele oder die ihres Unternehmens zu erreichen, berühren sie die Grenze zur Illegalität oder bewegen sich zumindest in rechtlichen Graubereichen. Etwa durch die „kreative“ Beschaffung von Daten, die dann zu Kommunikations- und Werbezwecken genutzt werden, oder durch das Ausnutzen technischer Schlupflöcher, um den eigenen Marketing-Aktionen mehr Aufmerksamkeit zu verleihen. Das US-Startup Airbnb ist so ein Fall: Es ermöglichte seinen Mitgliedern durch eine nicht genehmigte Schnittstelle, ihre Zimmer parallel auf einem beliebten Anzeigenportal anzubieten. Ein typisches Beispiel für Growth-Hacking, den eingangs erwähnten Marketing-Trend, dem wir in einem eigenen Artikel (Seite 39) auf den Grund gehen.
Vor allem für erfolgshungrige junge Startups bieten solche Ansätze spannende Perspektiven. Airbnb hat von seiner grenzwertigen Aktion im Ergebnis profitiert: Während die Experten durchaus über das Vorgehen streiten, hat sich das Unternehmen in einer wichtigen Wachstumsphase enorme Aufmerksamkeit – und dadurch auch mehr Nutzer – verschafft. Daher gilt Airbnb gerade im Startup-Marketing oft als Vorbild für clevere, unkonventionelle Methoden. Dabei ist klar: Nicht jedes Unternehmen kann und wil diesem Beispiel folgen.
Doch auch wer das Risiko, sich bei solchen Aktionen die Finger zu verbrennen, nicht eingehen will, kann viel von Hackern lernen. Hacker können ausdauernd und mit Begeisterung über Problemen brüten. Agiles Vorgehen ist ihnen kein Fremdwort, zu ihrem Arbeitsethos gehört Open Knowledge, also die Weitergabe von erlerntem Wissen oder antrainierten Fähigkeiten, selbstverständlich dazu.
Software-Mods und Hardware-Hacks sind bereits Normalität
Der Computerspielbranche beispielsweise hat die Vermischung mit der Hacker-Szene von Beginn an genützt. Hacker sorgen immer wieder für neue Impulse, beispielsweise durch Software-Modifikationen – Mods – populärer Spiele, die zu neuen Leveln oder sogar zu ganz neuen Computerspielen führen. Bei Counterstrike oder DayZ war das etwa der Fall. Nicht wenige Hacker finden so den Weg in eines der Unternehmen, deren Produkte sie von klein auf konsumiert haben.
Auch Hardware-Hacking bringt die Szene weiter, wie bei der Gestensteuerung Kinect, die immer wieder zweckentfremdet wird, sei es, um Roboter zu steuern oder die ursprünglich für die Xbox entwickelte Steuerung in andere „Heimprojekte“ einzubauen. Die Computerspielindustrie hat sich diesen Tendenzen gegenüber immer relativ offen gezeigt. Und warum auch nicht? Von den Innovationen hat sie letztlich auch selbst, und auch finanziell, profitiert.
Weitere Beispiele, wie Wirtschaft und Industrie sich das Know-how und die Methoden von Hackern zu eigen machen und davon profitieren, haben wir in einem eigenen Artikel zusammengetragen (Seite 33).
Fazit: Arbeitest du noch oder hackst du schon?
Der negativ konnotierte Hacker-Begriff in der Medienöffentlichkeit hat sich also längst überholt. Oder besser: Er war nie wirklich passgenau, wie der Blick auf die optimistische, von Aufbruchsstimmung geprägte Frühphase der Hacker-Bewegung in den 1950er und 1960er Jahren gezeigt hat. Wer sich übrigens einmal in diese Phase zurückversetzen will, dem sei die Dokumentation „Hackers: Wizards of the Electronic Age“ von 1984 [4] empfohlen.
Seit dieser Zeit hat sich ein wichtiger Wandel vollzogen: Aus den liebenswert-merkwürdigen Nerds von damals sind ernstzunehmende, gefragte Experten und erfolgreiche Unternehmer geworden – in Zukunft werden die neuen Business-Hacker immer mehr von zentraler Bedeutung für die Wirtschaft sein. Neben ihren technischen Skills sind es manchmal auch ihre „grenzwertigen“ Qualitäten – die Lust am Risiko, die Indifferenz gegenüber Richtlinien und Konventionen, der Wille zum spielerischen Ausprobieren und das „Festbeißen“ an einem Problem, bis ein Lösungsweg gefunden ist – die sie so wertvoll machen.
Dies macht die Schaffung der richtigen Arbeitsbedingungen für Hacker nicht immer einfach. US-Hacker Harper Reed geht sogar so weit zu sagen, dass wir selbst zu Hackern werden müssen, wenn wir wollen, dass sie gerne mit uns zusammenarbeiten. Ein hoch gestecktes Ziel – und dennoch eines, das sich die Wirtschaft zu Herzen nehmen sollte. Hacker sind keine Gefahr, vor der man sich schützen muss. Sie sind wertvolle Mitarbeiter, vielleicht manchmal anstrengend, unbequem und doch unersetzlich für die Weiterentwicklung eines Unternehmens in einer zunehmend technologisch tickenden Wirtschaft. Wer beim Stichwort Hacker dagegen weiter an Strumpfmasken und Virenscanner denken will, düfte in puncto Zukunftsfähigkeit schon bald ziemlich abgeschlagen sein.