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Reportage

DM und Rossmann: So funktioniert der verrückte Wechat-Handel mit China

Luisa Cui und Alexander Sibert haben ein unkonventionelles Geschäftsmodell entwickelt: Sie kaufen Milchpulver oder Kosmetika in deutschen Geschäften ein und verschicken die Ware nach China.

8 Min.
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(Foto: BlurryMe / Shutterstock)


Ohne Wechat kann Luisa Cui nicht einkaufen gehen. Wenn die in Deutschland lebende Chinesin einen Outlet-Store für Taschen und Lederwaren betritt, dann macht sie zuerst Fotos von den Produkten und postet sie in dem chinesischen Messenger. Erst wenn sie dort eine Rückmeldung erhält, erwirbt sie die Waren auch. Denn Cui kauft meistens nicht für sich selbst ein – sondern für ihre Landsleute.

Gemeinsam mit ihrem Freund Alexander Sibert betreibt Cui einen Handel mit deutschen Produkten, die sie nach China exportieren. Zu ihren Kunden zählen sowohl chinesische Endkunden als auch Wiederverkäufer. „Chinesen haben grundsätzlich viel Vertrauen in Marken und Waren ‚Made in Germany‘“, sagt Sibert. „Sie verbinden damit Qualität und sind bereit, Aufpreise und Versandkosten zu zahlen.“ Aufbauend auf dieser Bereitschaft hat das Paar sein eher ungewöhnliches Geschäftsmodell entwickelt: Es kauft in deutschen Geschäften wie DM, Rossmann oder auch Outlet-Stores ein und versendet die Waren dann in die Volksrepublik.

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Denn die Chinesen lieben deutsche Produkte, neben Autos vor allem solche aus dem Handels- und Konsumgüterbereich. Auf chinesischen E-Commerce-Portalen finden sich lauter deutsche Waren: Pfannen und Kochtöpfe von WMF, Geschirr und Küchengeräte, aber auch Uhren, Lederwaren und Sportartikel sowie Schokolade, Kosmetika und Medizinprodukte. Einen weiteren großen Bereich bilden Nahrungsergänzungsmittel und Vitamine – und Babyprodukte wie Milchpulver und Babymilch. Die Vorliebe der Chinesen für westliche Waren steigt seit Jahren stetig. Beflügelt wurde der Trend durch Lebensmittelskandale, allen voran den Milchskandal, der das Land im Jahr 2008 erschütterte: Durch verunreinigtes Milchpulver, das Hersteller mit Melamin gestreckt hatten, erkrankten hunderttausende Babys an Nierensteinen, sechs von ihnen starben. Das Vertrauen in einheimische Produkte und Anbieter war dahin. Die Chinesen begannen, sich außerhalb der Landesgrenzen nach den täglichen Bedarfsgütern umzusehen – und ließen sich von in Europa lebenden Landsleuten die Produkte europäischer Marken zuschicken. Auch Luisa Cui gehörte dazu: der Beginn ihrer E-Commerce-Karriere. Es sind aber längst nicht mehr nur Privatleute unterwegs: Auch große Händler entdecken den Markt zunehmend für sich.

Einkaufen per Messenger

Statt auf die klassischen Marktplätze wie Alibabas Tmall Global oder JD.com setzen Händler wie Cui und Sibert auf die Messenger QQ und Wechat. Dort vernetzen sich Chinesen in Einkaufsgruppen und kaufen von oftmals ebenfalls chinesisch sprechenden Händlern, die in Europa angesiedelt sind. Meist kommt der Kontakt über Mundpropaganda oder Freunde und Bekannte, die bereits in der Gruppe sind, zustande.

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„Es ist nicht so, dass wir uns den chinesischen Markt bewusst ausgesucht haben.“

Dabei spielen Schlüsselwörter wie „deguo zhiyou daigou“, übersetzt etwa „deutscher Direktversand- Verkaufsagent“, eine wichtige Rolle. Luisa Cui postet die spannendsten Angebote in diese Gruppen, die Kunden bestellen und begleichen den Betrag im Voraus. Bezahlt wird vor allem per Alipay, einem mit Paypal vergleichbaren Payment-Service, der ebenfalls zum Alibaba-Konzern gehört, sowie direkt über den Messenger Wechat. Zahlungsausfälle gebe es dabei keine, berichtet Sibert.

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Deutsche Produkte auf chinesischen Plattformen: Selbst wenn die Hersteller nicht in der Volksrepublik verkaufen, preisen einige Chinesen auf Taobao Produkte an, die sie in Deutschland erworben haben. (Screenshot: Taobao)


Die Lieferung erfolgt über Logistikunternehmen, die von Chinesen in Deutschland betrieben werden und sich auf den schnellen und kostengünstigen Versand nach China spezialisiert haben. Diese Dienste sammeln die Pakete im Raum Frankfurt oder in Nordrhein-Westfalen und versenden sie per Schiff palettenweise in die Volksrepublik, wo die dortige Post sie weiterbefördert. Ein weiterer Weg führt über eine der chinesischen steuerfreien Handelszonen, von wo aus die Waren über Händler vor Ort an die Endkunden geliefert werden.

Das klingt zunächst einfacher als viele komplexe E-Commerce-Strategien großer Onlinehändler. Denn mit seiner Vorgehensweise stellt das Paar sicher, dass es nicht zu viel Ware auf Lager haben muss, und sichert seinen Cashflow, weil die Ware quasi erst nach Bestellung und Bezahlung gekauft und verschickt wird – eine Strategie, die im Umgang mit deutschen Kunden eher unüblich wäre.

Sibert empfindet auch chinesische Kunden als eher unkompliziert. „Wir haben beim Handel mit China keine Probleme mit Widerrufsrecht oder Reklamationen“, berichtet er. „Selbst wenn man zum Beispiel eine Kaffeemaschine, die in Rot abgebildet war, in der blauen Variante verschickt, gibt es keine Beanstandungen.“ Deutsche Kunden würden in so einem Fall durchaus von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen und auf Händlerkosten zurückschicken. Auch bei den Lieferzeiten sind chinesische Kunden weniger kritisch als die verwöhnte deutsche Klientel: Drei oder vier Wochen könne es schon einmal dauern, bis die Ware beim Kunden sei, so Sibert.

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Allerdings würden der chinesische Zoll und die Einfuhrbehörden von Jahr zu Jahr strenger, gerade bei größeren Paketen. Im chinesischen E-Commerce ist vieles im Fluss, und was heute gilt, kann in ein oder zwei Jahren schon wieder anders sein. Es ist offenbar diese Mentalität des Ausprobierens und Improvisierens, die das Geschäft mit China prägt. Diese Erfahrung teilt auch Konstantin Urban. Mit seinem Unternehmen Windeln.de verschifft er vor allem Babynahrung in die Volksrepublik. Der Gründer ist eher zufällig nach China geraten. Er stellte irgendwann fest, dass auffallend viele Bestellungen an Speditionen gingen, sogenannte Freight Forwarder: Chinesische Kunden kauften auf der Website ein, ließen die Ware zu diesen Firmen liefern und von ihnen nach China transportieren – ohne direktes Zutun von Windeln.de. Vor allem Babynahrung von Firmen wie Aptamil oder Alete gingen nach Fernost.

„Es ist nicht so, dass wir uns den chinesischen Markt bewusst ausgesucht haben“, sagt Urban rückblickend. Aber das Engagement dort hat sich gelohnt. Windeln.de gilt heute als deutsches Erfolgsbeispiel in China. Das Portal führte Alipay ein, übersetzte die Website in Mandarin, engagierte einen Mitarbeiter vor Ort. Ein Blick auf die Zahlen verrät, dass sich der Schritt durchaus gelohnt hat: 2016 machte der Markt 45 Prozent des Umsatzes von Windeln.de aus. Allein 2016 verdiente die Plattform in China 89,3 Millionen Euro.

Abhängig vom chinesischen Wohlwollen

Trotzdem leidet das Unternehmen unter regulatorischen Bedingungen. Im vergangenen Jahr änderte die chinesische Regierung ihre Import- und Zollregeln. Das habe „vorübergehend zu Verunsicherung bei unseren chinesischen Kunden geführt“, schreibt das Unternehmen im Jahresbericht. Während Pakete bisher nicht versteuert werden mussten, gibt es nun eine Abgabe auf Importe. Das sei einhergegangen mit Gerüchten, dass die Einfuhr von Milch aus dem Ausland verboten werde, so Urban. Die Folge: Die Chinesen kauften weniger.

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Es ist aber nicht nur die Regierung, die das Unternehmen vor Probleme stellt. 2016 eröffnete Windeln.de einen eigenen Shop auf Alibabas Marktplatz Tmall Global. Ein wichtiger Schritt: „Die Chinesen gucken nach Produkten nicht über eine Suchmaschine, sondern suchen direkt bei Alibaba“, so Urban. Ein „bedeutender Anteil“ der Bestellungen komme mittlerweile über die Plattform. Die klassische Suchmaschinenoptimierung fällt damit quasi weg – Tmall entscheidet, was für den Nutzer relevant ist.

Für Händler hat das nicht nur Vorteile. Sie leben in einem ständigen Zwiespalt: „Wir müssen auf Tmall stattfinden“, sagt Urban. Die Margen im eigenen Webshop lägen aber höher. Und um bei Tmall oben zu rangieren, müssen die Shops Rabatte anbieten. So forderte der Alibaba-Ableger Urban etwa dazu auf, massenweise Windeln anzubieten. Das deutsche Unternehmen gab dem Drängen nach, trotz Zweifeln. Doch das Interesse war kaum vorhanden, es verkaufte nicht so viele Windeln wie erhofft. Urban rät Unternehmen deshalb, durchaus auch mal Widerstand zu leisten und nicht alles mitzumachen – auch wenn es ganz ohne die Plattform nicht geht.

Genauso kompliziert wie der Umgang mit den Plattformen sind die technischen Rahmenbedingungen: Während es in Hongkong noch relativ einfach ist, Domains oder Serverplatz zu buchen, sieht das in Zentralchina ganz anders aus. „Server und Domains mit ICP-Lizenz sind dort ziemlich teuer und zumindest als Ausländer nur schwer zu bekommen“, sagt Alexander Sibert. Ohne die Hostinglizenz geht wiederum wenig. Erforderlich sei darüber hinaus auch eine ordentliche Anmeldung der chinesischen Firma mit chinesischem Gewerbeschein.

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Und auch wenn die Chinesen deutsche Produkte lieben: Das Label „Made in Germany“ reicht nicht aus, um sie zufriedenzustellen. „Wir haben kürzlich eine eigene Produktlinie für China auf den Markt gebracht“, sagt Gründer Urban. Windeln.de produziert die Eigenmarke selbst, in Deutschland. Doch das Interesse habe sich nicht so entwickelt wie erhofft. „Die Chinesen wollen lieber die lokalen Marken aus Deutschland, die auch die Deutschen kaufen“, so Urban. Extra für sie konzipierte Waren interessieren sie wenig.

Das ist am Ende auch eine Vertrauensfrage. „Vertrauen spielt eine entscheidende Rolle“, sagt Luisa Cui. „Die Kunden wollen sicher sein, dass die Ware tatsächlich aus Deutschland kommt und es sich nicht um asiatische Kopien handelt. Und sie wollen sichergehen, dass sie die Ware auch bekommen.“ Wichtig sei daher auch, dass chinesische Kunden jederzeit den aktuellen Status ihrer Bestellung abrufen können – gerade weil die Reise der Produkte so lange dauert.

Die Grossen kommen

Trotz der Hürden drängen mittlerweile nicht nur E-Commerce-Unternehmen und Privatleute in den chinesischen Raum, sondern auch klassiche Händler. Die Drogeriekette Rossmann ist – ebenso wie Markenartikler wie Henkel und Beiersdorf – schon mit Shops dort vertreten, in den meisten Fällen über Portale der Alibaba-Gruppe. Branchenriese Aldi vermeldete Anfang März, man wolle schon in wenigen Wochen einige beliebte Produkte über die große chinesische Plattform Tmall Global anbieten. Es ist das erste Mal, dass Aldi einen Markt ausschließlich aus der Onlineperspektive angeht. „Wir sind davon überzeugt, dass auch chinesische Kunden ein großes Interesse an der Qualität und den günstigen Preisen haben, die wir ihnen bieten können“, erklärte der für China zuständige Manager Christoph Schwaiger.

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Um den Verkauf in Fernost abzudecken, setzt Aldi auf seinen australischen Vertrieb. Die Drogeriekette DM, die auf Tmall seit einigen Wochen mit Eigenmarken wie Balea oder Das gesunde Plus vertreten ist, wickelt hingegen alle Bestellungen von Deutschland aus ab. Sie verspricht, dass chinesische Kunden ihre Waren innerhalb von fünf bis sieben Tagen erhalten.

Dass gerade DM einen solchen Schritt wagt, ist verwunderlich, galt die Karlsruher Drogeriekette doch in der Vergangenheit alsbesonders bodenständig und auf den europäischen Markt konzentriert. Nach den Worten von Christoph Werner, Marketing-Gesch.ftsführer bei DM, ist es in der Tat das erste Mal, dass die Drogeriekette Waren außerhalb Europas vertreibt. Lange hatte man nicht einmal hierzulande einen Webshop und riskierte, dass findige Händler die eigenen Waren über Amazon und Ebay vertrieben – oft zu höheren Preisen als in den eigenen Läden. Nun will das Unternehmen selbst in der digitalen Welt mitmischen.

Luisa Cui versteht sich als Personal Shopper für ihre Kunden in China: Neue Produkte postet sie im Wechat-Messenger, wenn sich Interessenten melden, kauft sie die Ware ein und schickt sie weiter. (Foto: Alexander Sibert)

Chinesische Kunden nehmen für westliche Waren hohe Versandkosten und lange Lieferzeiten in Kauf. Für Alexander Sibert eine willkommene Alternative zur anspruchsvollen deutschen Klientel. (Foto: Alexander Sibert)

Für Cui und Sibert erschweren die neuen Konkurrenten das einträgliche Geschäft mit deutschen Exporten. „Wenn die Drogerieketten das Geschäft mit bestimmten Artikeln, die bei uns bislang gut laufen, jetzt selber machen wollen, bedeutet das über kurz oder lang natürlich Einbußen und geringere Abverkäufe“, sagt Sibert. Aufgeben will das Paar aber nicht. „Wir probieren viele Angebote aus und es wird auch in Zukunft genügend Warengruppen geben, die für uns attraktiv bleiben.“ Der Markt ist ja groß genug.

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Kommentare (5)

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Martin_KonVis

Super Artikel! Tolle geschrieben und Einblick in mal ein ganz anderes Thema. Klasse!

Marcus

Neues Geschäftmodell? Das machen alle chinesischen Studenten, Hausfrauen die in Deutschland leben, seit Jahren ….

JulianM

Endlich mal ein wirklich guter und informativer Artikel über ein Thema, dass man sonst nicht so auf dem Schirm hat. Nicht vergleichbar mit dem Schrott, der hier in letzter Zeit sonst so als redaktioneller Artikel teilweise zu lesen ist.

Franz Josef

Das sind alles Schweizer Produkte, welche ihr auf dem screenshot mit folgendem Untertitel zeigt:
Deutsche Produkte auf chinesischen Plattformen: Selbst wenn die Hersteller nicht in der Volksrepublik verkaufen, preisen einige Chinesen auf Taobao Produkte an, die sie in Deutschland erworben haben. (Screenshot: Taobao)

Christian Go

Neu ist an diesem Geschäftsmodell nichts, dass machen Chinesen aus Deutschland heraus seit Jahren. Dafür werden wichtige Fragen nicht oder nur ungenügend beantwortet. Zum Beispiel
– Wie halten die beiden es mit der deutschen Steuer
– Wie stellen sie sicher, dass der chinesische Zoll die Ware nicht beschlagnahmt
-Wie kommt das über Ali pay erhaltene Geld aus China nach Deutschland? Das ist – umindest bei größeren Summen – nämlich nicht überweisbar

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