Coliving – Zusammen arbeiten und leben: Alles unter einem Dach
Zweieinhalb Jahre lang war Leon Hoffmann auf Weltreise – die Arbeit immer im Gepäck. Das Büro des Digitalarbeiters bestand aus seinem Laptop. Der wurde überall aufgeklappt, wo es sich ergab. Aber das Ideal des Mit-dem-Notebook-am-Strand-liegen sollte sich als wenig praxistauglich herausstellen: „Der Traum vom Arbeiten in der Hängematte war schnell ausgeträumt“, erinnert sich der Gründer der Agentur Click your ads, „man hat keinen Strom und die Sonne blendet ständig.“
Die passende Mischung aus Fernreise und Telearbeit fand er dabei in Coliving-Häusern. So nennt sich das Phänomen, das seit einigen Jahren immer häufiger von Digitalarbeitern gelebt wird – und langsam auch nach Deutschland kommt. Dahinter versteckt sich eine Weiterentwicklung des Coworking-Gedankens: Dort sitzen verschiedene Jungunternehmer eng zusammen und profitieren vom Austausch in der Kaffeeküche. Im Coliving ist die Küche die eigene, und an den Projekten wird nebenan im Wohnzimmer gebastelt. Leben und arbeiten unter einem Dach, mit dem Startup-Spirit als ständigem Mitbewohner.
Auf den ersten Blick passt das Konzept nicht in die Zeit. Heute bemühen sich insbesondere große Konzerne immer stärker, eine klare Trennung von Arbeit und Privatleben zu ermöglichen: Einige Autobauer kappen nach Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub die Verbindung zum Firmen-Mailserver und erwarten ausdrücklich keine Antwort nach Dienstschluss. In Frankreich sind größere Firmen seit dem vergangenen Jahr sogar per Gesetz dazu verpflichtet, den Feierabend der Angestellten zu respektieren und sie nicht mehr zu kontaktieren. Und eine nach und nach wachsende Schar von jungen Unternehmern macht sich nun auf den Weg, genau diesen Trend wieder umkehren zu wollen: Aus dem Schlafzimmer stolpert man gewissermaßen ins Büro, aus dem Bad in das Besprechungszimmer.
Arbeit als Teil der Persönlichkeit
Die Arbeits-WG-Pioniere lieben ihr Modell. So kann man zum Beispiel eine Hamburger Festnetznummer anrufen, dann klingelt ein Telefon im trendigen Schanzenviertel und man hat Manuel Dingemann und Nathalie Richter am Telefon. Er produziert Videos für nachhaltig wirtschaftende Unternehmen, sie vertreibt mit ihrem Startup Leev regional produzierte Säfte. In der Arbeits-WG wohnen außerdem noch eine PR-Beraterin für Startups und eine Beraterin für Digitalprojekte. Jeder hat sein Zimmer, Richter noch ein zusätzliches Büro, dazu kommen eine Diele mit großem Tisch, ein Wohnzimmer und eine geräumige Küche. An insgesamt zehn Arbeitsplätzen könnte man so in der Wohnung arbeiten. Zwei Mitarbeiter von Richter kommen morgens dazu und arbeiten mit ihr zusammen dort, wo es gerade passt.
Über gemeinsame Freunde und die Hamburger Gründerszene hat sich die aktuelle Besetzung gefunden – zwischen Arbeit und Privat will man hier nicht trennen: „Unsere Startups sind ein ganz fester Teil unserer Persönlichkeit, also sind sie auch ein Teil unseres Privatlebens“, sagt Nathalie Richter. Als sie eine Veranstaltung plante, entstand am Küchentisch die Idee, ein Video dazu zu drehen – für das Dingemann einsprang. Eine Rechnung schreibe man sich für solche Unterstützungen nicht: „Es ist ein freiwilliges Geben. Wir freuen uns, den Erfolg des anderen zu sehen“, sagt der Videospezialist. Ihre unterschiedlichen Projekte befruchten sich gegenseitig, sind die Mitbewohner überzeugt. „Es ist noch mal ein krasser Unterschied zum Coworking“, sagt Richter, „hier tauscht man sich mit weniger Leuten aus, aber dafür viel intensiver und auf einer ganz anderen Ebene.“
Die Hamburger berichten auf einer eigenen Website von ihren Zielen und Ideen [1], in Düsseldorf vermarktet ein Immobilienunternehmen „Business-WGs“, die sich junge globale Fachkräfte teilen, und in Berlin entstehen aktuell mehrere Immobilienprojekte, die Wohnen und Arbeiten zusammenrücken lassen. Selbst das Berliner Digital-Mekka, das Café Sankt Oberholz, vermietet Apartments und zusätzliche Räume in der Nähe der bisherigen Standorte. Weltweit findet man zahlreiche Angebote zu dem Stichwort – die sich in der Ausgestaltung allerdings selten gleichen [2].
Die große Herausforderung: Der Begriff Coliving bietet viel Platz zum Träumen. Am Ende ist die Vorstellung vom Wohnen jedoch wieder sehr persönlich und individuell. In Deutschland steht das Modell aktuell daher vor einer wichtigen Schwelle. Zufällig finden sich immer mal wieder Freiberufler-WGs zusammen, in denen beim Abendessen spannende neue Ideen entstehen. Um das Konzept größer zu machen, muss jedoch die Infrastruktur stimmen – und das kostet Zeit, Geld und das richtige Händchen beim Mitbewohner-Casting.
Denn elementar für das erfolgreiche Zusammenleben und -arbeiten ist etwa die passende Mischung aus Typen und Professionen. Die einen schwören auf einen bunten Mix von Berufen, die anderen wollen eher mit Kollegen am Küchentisch sitzen. Leon Hoffmann etwa stellte bei seinen verschiedenen Aufenthalten schnell fest: Mit Sales-Managern will er nie wieder unter einem Dach wohnen. „Wenn ich programmiere und der andere telefoniert, stört mich die Lautstärke – da habe ich viel Ohropax verschlissen.“ Und in Hamburg spürt die Coliving-WG gerade, dass es gar nicht so leicht ist, den passenden Mitbewohner für ein freies Zimmer zu finden: Wer zu jung und unerfahren dazu kommt, könnte die Gemeinschaft ausbremsen, wer schon weiter ist mit seinem Startup, der fühlt sich vielleicht selbst nicht mehr wohl unter den flexiblen Jungunternehmern. „Mit der Anfangskonstellation hatten wir einfach richtig Glück“, sagt Richter, „es ist gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der sich so einbringen möchte.“
In Deutschland und in den USA machen sich daneben Anbieter auf den Weg, die an verschiedenen Standorten möblierte Apartments mit Anschluss an gemeinsame Arbeitsmöglichkeiten anbieten. Sie sehen das Coliving-Konzept als eine Nische auf dem Immobilienmarkt, die es professionell zu entwickeln gilt: „Wenn man zu ideologisch an die Sache herangeht, wird es problematisch“, sagt Bruno Haid, CEO und Mitgründer von Roam [3]. Wichtig ist Haid bei seinen Projekten daher eine klare Trennung von Privat und Gemeinschaftsräumen – jeder findet Platz zum Arbeiten, kann sich aber genauso gut in sein Zimmer oder Apartment zurückziehen. „Solange mir keiner den Jogurt klaut, kann ich mir gut die Küche mit anderen teilen.“
Das Unternehmen bietet bald an sechs Standorten weltweit Häuser an, in denen die Mitglieder gemeinsam leben und arbeiten können – von Miami über Bali bis Madrid und London. Rund um die Welt sichtet man dafür aktuell Immobilien, besonders leerstehende Hotels mit 30 bis 60 Zimmern stehen im Fokus. Die Idee: Die Bewohner erwartet nach der Übernahme durch Roam eine Art Luxus-Hostel mit Netzwerkbonus. Als Zielgruppe sieht Haid vor allem jüngere Selbstständige, die immer mal wieder an anderen Orten leben wollen – um ein Projekt zu verwirklichen oder sich selbst zu finden. „Wir kommen aus der Freiheitsecke“, sagt Haid, „man hat die Möglichkeit hin und her zu pendeln, bekommt einen Mehrwert und spart dadurch.“ Berlin steht ganz oben auf der Liste der möglichen neuen Ziele.
Einen Schritt weiter ist hierzulande der Anbieter Rent24 [4]. Seit 2015 betreibt das Unternehmen Coworking-Flächen in verschiedenen deutschen Städten, im Herbst sollen in Berlin die ersten Apartments und Wohngemeinschaften im selben Haus eröffnet werden – einmal über den Flur und schon ist man auf der Arbeit. An die richtige Einrichtung und Größe der Einheiten will man sich Schritt für Schritt herantasten. „Es muss eine Umgebung sein, in der sich Startups wohlfühlen“, sagt Mitgründer und CEO Robert Bukvic, „es soll kein Fünfsterne-Haus werden, aber wir wollen auch kein verranztes Sofa.“ Als wichtigste Aufgabe sieht auch Bukvic an, die richtigen Leute in den Räumen zusammenzubringen. „Wir haben jetzt schon mehr Anfragen, als wir Platz haben – und müssen so auswählen, dass es einen gesunden Branchenmix gibt“, sagt Bukvic.
Das Problem: Für Gründer oder Freiberufler mit extrem knappem Budget sind solche Coliving-Arrangements nicht immer bezahlbar. Roam etwa kalkuliert für die Wohn-Mitgliedschaft mit 500 US-Dollar pro Woche – plus einem „Ortszuschlag“ an teuren Standorten wie der neu eröffneten Dependance im hippen Londoner Stadtteil Chelsea. Die günstigsten Zimmer des amerikanischen Anbieters Welive [5], der vor allem für seinen Coworking-Space Wework bekannt ist, starten in New York bei 1.900 US-Dollar pro Monat. Auf den extrem knappen Wohnungsmärkten in den amerikanischen Digitalzentren kann sich die Investition durchaus rechnen, in Deutschland dürften Digitalarbeiter aber meist eine sparsamere Kombination aus Wohnungs- und Büromiete finden können.
Gemeinschaft mit hohen Nebenkosten
Die Unternehmer verteidigen den Preisaufschlag: „Auf den ersten Blick mag es nicht immer günstig sein“, sagt Bukvic, „aber dafür entstehen Netzwerke und Synergien, die man mit Geld schlecht beziffern kann.“ Roam-Gründer Haider will seinen Gästen vor allem auch Zeit beim Einleben sparen – um effizient am neuen Ort loslegen zu können, ohne erst die Internetverbindung beantragen oder Einkaufsmöglichkeiten suchen zu müssen. Dass das insbesondere vielreisende Digitalarbeiter ausbremsen kann, hat auch Leon Hoffmann auf seiner Weltreise erlebt: „Das Finden von geeigneten Plätzen war sehr aufwendig.“ Bei Roam beispielsweise kümmert sich deshalb jeweils ein lokaler Betreuer um die Gäste, er soll die Eingewöhnung erleichtern.
Private Initiativen haben es dagegen deutlich schwerer, das Konzept entschieden voranzutreiben. Eine der ersten gemeinsamen Arbeiten der Hamburger Coliving-WG war eine Präsentation, um das Konzept auch Investoren oder städtischen Förderern schmackhaft zu machen. In einer Zeit, in der sich in begehrten Lagen zuverlässig Geld mit Eigentumswohnungen verdienen lässt, sind jedoch viele private und öffentliche Immobilienbesitzer zurückhaltend gegenüber neuen Ideen. „Bei manchen älteren Generationen fehlt das Verständnis, was da für ein Mehrwert drinsteckt“, sagt Nathalie Richter.
Wohnungen und Häuser fernab der Gründer-Zentren wären zwar zu haben, stoßen aber bei möglichen Bewohnern oft auf wenig Interesse. Erst einmal haben die Hamburger die Suche daher hintenangestellt: „Aktuell wollen wir vor allem Erfahrung sammeln“, sagt Manuel Dingemann. Rent24 setzt darauf, dass die Besitzer der jeweiligen Immobilien mit am Unternehmen beteiligt werden und so ein langfristiges Interesse daran haben, Coliving zu realisieren.
Die Suche nach der Coliving-Formel
An der Coliving-Formel aus Lage, Einrichtung, zusätzlichen Dienstleistungen, Preis und Bewohnern werden in den kommenden Jahren wohl noch einige Digitalarbeiter und Immobilienunternehmer basteln. Entstehen könnten so neue Angebote in verschiedenen Preisklassen, vom Luxus-Apartment neben dem Coworking-Space bis zur Tüftler-WG in abgelegenen Dörfern. Verschwinden könnte dagegen der allgegenwärtige Oberbegriff: der Ausdruck „Coliving“ selbst. Das meint zumindest Leon Hoffman. „Das Buzzword wird sterben, aber diese Art zu arbeiten und leben wird wachsen“, erklärt der Gründer.
Er kam von seiner Weltreise übrigens mit einem fertigen Geschäftsmodell zurück. Irgendwo zwischen Asien und Australien entstand Click your ads, seine digitale Agentur für die Vermittlung von freiberuflichen Designern oder Programmierern an Mittelständler. Hoffmann hätte irgendwann wieder Lust auf eine Umgebung, in der Wohnen und Arbeiten räumlich ganz nah beieinanderliegen. Erst einmal hat er sich aber in einer ganz normalen Berliner WG eingerichtet. Und arbeitet aus dem Home Office an seinem Unternehmen.
Das finde ich super, ich wohne in einem ähnlichen Haushalt. Wir sind alle kleine „Zocker“ und spielen gerne online mit- und gegeneinander. Das funktioniert super. Es ist einfach unser Hobby und wenn man dann auch zusammen wohnt, ist das super praktisch. Es gibt ja heutzutage auch so coole Online Spiele, die man zusammen spielen kann, wie Live Roulette / Poker (am besten ist das von Drück Glück)…oder einfach irgendwelche Rennspiele, Kampfspiele :-)