Crowdsourcing – mit der Weisheit der Vielen zu besseren Lösungen: Die Macher aus der Menge
Was haben Frank-Walter Steinmeier, Twitter und die Wikipedia gemeinsam? Alle setzen auf das Wissen der Vielen: Steinmeier ließ die Community sein persönliches Wahlkampf-Logo gestalten. Twitter erhielt seinen weltberühmten Vogel von Simon Oxley über einen Stock-Foto-Dienst. Und Wikipedia nimmt mit dem Wissen seiner Community etablierten Enzyklopädien die Butter vom Brot. Alles Beispiele, die sich unter den Stichwörtern „Wisdom of the Crowds“ oder „Crowdsourcing“ subsumieren lassen.
Wegweiser durchs Begriffswirrwarr
Der Begriff „Wisdom of the Crowds“ geht zurück auf das gleichnamige Buch von James Surowiecki [1] aus dem Jahr 2004. Die Grundidee: viele zusammen sind schlauer als einzelne – selbst dann, wenn es sich um Experten handelt.
Crowdsourcing ist eine Anwendung dieses Prinzips – und doch irgendwie anders [2]. Auch hier geht es darum, über die kollektive Kraft bessere Lösungen zu finden und von der Community bewerten zu lassen. Allerdings bleibt die Einzelleistung für sich stehen: Das Werk kann immer seinem Autor zugeordnet werden – oft ist es dann doch die geniale Idee eines Einzelnen, die die Community hinter sich bringt.
Crowdsourcing kann für alle Bereiche eingesetzt werden, in denen frische Ideen gewünscht sind. Ein typisches Beispiel neben dem Design dürften neue Produktideen sein. Bewährt hat sich das Konzept ebenfalls im Bereich der Übersetzung, wie Twitter und Facebook vorgemacht haben.
Im Gegensatz dazu bietet sich das „Wisdom of the Crowds“-Konzept für den Bereich der Organisation an: Dienste wie digg, StumbleUpon oder Rivva versuchen, über Empfehlungen oder Verlinkungen wichtige Inhalte festzustellen.
Crowdsourcing im Einsatz
Crowdsourcing hat eine ganze Reihe von Vorteilen:
- neue Ideen, auf die man sonst nie gekommen wäre
- Ideen direkt aus der Community, die betroffen ist
- Kostenersparnis durch eine größere Vielfalt an Ideen bei einem festgesetzten Preis
- Chance für Underdogs, die mit einer Idee ebenso punkten können wie die großen Namen
Nicht verschweigen darf man jedoch, dass beim Crowdsourcing nicht alles Gold ist, was glänzt. Professionelle Arbeit erfährt durch die Crowdsourcer eine Abwertung, die dazu geführt hat, dass sich einige Designer in der „No Spec!“-Kampagne zusammengeschlossen haben. Sie stellen sich gegen die Praxis, von Designern Arbeit zu verlangen, ohne ihnen die Sicherheit einer Bezahlung zu geben.
Ein weiteres Problem: Crowdsourcing ist nicht für alle Entscheidungen geeignet. Das gilt beispielsweise für Themen, bei denen ein Vorwissen nötig ist, das sich Teilnehmer erst aneignen müssten – ein Aufwand, der auf Spekulation hin kaum zu leisten ist. Zudem können die Ergebnisse eine gewisse Tendenz hin zu bereits vertrauten Lösungen haben, wenn sich die Teilnehmer zu sehr aneinander oder an Lösungen von Konkurrenzunternehmen orientieren.
Daher empfiehlt es sich, auch die Konzepte anzuschauen, die nur mittelmäßige oder gar schlechte Bewertungen erhalten haben. Man denke an eine Buchbewertung bei Amazon: Ein 3-Sterne-Buch muss nicht unbedingt mittelmäßig sein – oft ist es einfach polarisierend und gefällt einigen sehr gut, anderen überhaupt nicht.
Chancen von Crowdsourcing | Gefahren von Crowdsourcing |
Nähe zur Onlinegemeinde | nicht immer geeignet |
größere Meinungsvielfalt, neue Ideen | Gefahr der Durchschnittsmeinung |
Demokratisierung: jeder kann mitmachen | Vorschläge nicht immer konsequent ausgearbeitet |
für Unternehmer: mehr Ideen bei geringeren Kosten | für Teilnehmer: Abwertung der Arbeit und rapider Preisverfall |
Am Anfang steht ein klares Konzept
Die Planung eines Crowdsourcing-Prozesses beginnt schon, bevor die ersten Arbeiten eingereicht werden. Zunächst einmal ist es wichtig, die richtige Plattform zu wählen. Sollen die Teilnehmer die Arbeiten anderer sehen können oder würde sie das zu sehr beeinflussen? Soll die Community allein über die Vorschläge abstimmen? Oder soll das Crowdsourcing als Ideensammlung dienen, über die man selbst entscheiden möchte? Auch eine Jury ist denkbar.
Einige Plattformen, die man kennen sollte |
Bekannte Vertreter sind Crowdspring und 99designs. Beide bieten eine sehr große Community, dürften aber eher für internationale Projekte interessant sein. In Berlin sitzen die Macher von Jovoto. Ihre Crowdsourcing-Plattform ist sehr professionell aufgezogen und achtet auf die Qualität der Arbeiten, indem sie nur ausgewählte Teilnehmer in die Community einladen. Eine Alternative, besonders für kleinere Designprojekte, ist designenlassen. Bei 12designer kann man Design-Projekte als Wettbewerb ausschreiben, und wer auf der Suche nach dem richtigen Namen ist, wird bei NameThis fündig. |
|
Anstatt auf eine etablierte Plattform zu setzen, kann man auch selbst die Einreichungen per E-Mail oder in einem eigenen System annehmen. Das ermöglicht es zwar, alle Parameter selbst zu kontrollieren, setzt jedoch ein gehöriges Maß an Mehrarbeit voraus, da man nicht auf eine Community oder die Erfahrung der Betreiber setzen kann. Man muss also einen größeren Aufwand betreiben, die Ausschreibung bekannt machen und zudem Ressourcen zur Verwaltung und Betreuung der Teilnehmer aufbringen.
Die nächste Entscheidung betrifft die Frage, wer überhaupt teilnehmen darf. Typisch wäre es, alle teilnehmen zu lassen. Es könnte jedoch auch sein, nur Bewohner einer bestimmten Region anzusprechen, um beispielsweise einen regionalen Bezug hervorzuheben.
Wichtig zudem: auf eine faire Vergütung achten! Das sorgt für bessere Arbeiten und verhindert, dass man im Wust der Angebote untergeht. Außerdem sollte man sich überlegen, wer alles belohnt werden soll. Ideal ist ein größerer Preis für den Gewinner und kleinere für die Nächstplatzierten. Das erhöht die Motivation, mitzumachen – und wenn ein weiteres Crowdsourcing anstehen sollte, denkt man gerne an die Großzügigkeit zurück.
Was tun, wenn man keine großen finanziellen Mittel hat? Man kann einen Sponsor an Bord holen, der Preise stiftet und dafür Publicity bekommt. Alternativ gilt: Überlegen, was man den Teilnehmern sonst anbieten könnte. Eine freie Mitgliedschaft im eigenen Angebot? Oder vielleicht Reputation, wenn die Teilnehmer auf sich aufmerksam machen können?
Das beste Crowdsourcing nützt nichts, wenn es nicht ausgiebig publik gemacht wird. Etablierte Plattformen kümmern sich darum meist selbst. Ergänzend kann man weitere Kanäle aktivieren.
Empfehlenswert: Nach Blogs zum Thema suchen und nachfragen, ob die Autoren einen Hinweis platzieren möchten. Bei einem derartigen Vorgehen können viele aus der Crowdsourcing-Community gut erreicht werden. Bei der Ausschreibung ist ein Briefing mit dem genauen Prozedere des Wettbewerbs wichtig. Besonders wenn es um Projekte kleinerer, eher unbekannter Unternehmen geht, ist zudem eine Beschreibung der eigenen Geschäftsphilosophie unerlässlich.
Crowdsourcing heißt Präsenz zeigen
Gute Crowdsourcer sind auch während der Ausschreibung erreichbar. Denn immer wieder kommen Nachfragen von Interessenten. Wichtig bei der Betreuung der Teilnehmenden: Meinungsvielfalt anregen.
Wenn das Ergebnis feststeht, sollte es in gegebenem Rahmen öffentlich gemacht werden. Denn die Teilnehmer und Beobachter interessiert es, wer warum gewonnen hat: Eine Begründung der Entscheidung ist unerlässlich. Der Gewinner-Vorschlag sollte auf jeden Fall gezeigt werden – positiv kommt an, wenn auch andere Arbeiten gezeigt werden. Das kann beispielsweise online oder in einer Ausstellung geschehen.
Gerade, wenn zukünftig weitere Crowdsourcing-Projekte anstehen, sollte man zudem nach Feedback fragen: Was war gut, was nicht? Feedback der Teilnehmer ist eine unerlässliche Quelle, aus erster Hand Anregungen für Verbesserungen zu bekommen.
Einen Aspekt sollte man beim Crowdsourcing immer im Hinterkopf behalten: Man erhält zwar eine ganze Reihe guter Vorschläge. Manchmal fehlt ihnen jedoch der letzte Schliff – das liegt in der Natur der Sache, denn wenn man nicht sicher sein kann, dass man für seine Arbeit entlohnt wird, kann man eben nur einen gewissen Zeitaufwand hineinstecken.
Deshalb gilt: Nach dem Wettbewerb überlegen, ob die Vorschläge noch einmal angefasst werden müssen, um sie zur Reife zu bringen. Wichtig dabei ist, dass der Gewinner oder die Gewinnerin bei den Entscheidungen dabei ist oder die Ausarbeitung übernimmt – nichts ist frustrierender als zu sehen, wie die eigene Idee von anderen ausgearbeitet wird.