Developer-Relations: Zwischen Beziehungspflege und Marketing

Devrels, also Angestellte,
die sich um den Kontakt zu Entwicklern bemühen, werden in einer digitalisierten Wirtschaft immer wichtiger. Es gibt sogar erste Devrel-Konferenzen wie die Devrelcon. (Abbildung: Hoopy, Organisator der Devrelcon)
Ein Developer-Evangelist zu sein, ist nicht immer einfach. Rouven Weßling hat dazu eine Anekdote parat: Seit gut drei Jahren arbeitet er bei Contentful, einem Berliner Software-Startup, das ein neuartiges Content-Management-System entwickelt. Weßlings Job ist es, Vertrauen zu gewinnen. Er muss also nichts verkaufen, nichts bewerben. Er soll sich mit Entwicklern aus anderen Firmen treffen, die Contentful potenziell nutzen könnten, und ihnen zuhören, technische Probleme erläutern, ehrlich sein. Das soll Gesprächspartnern klar machen: Contentful hat Ahnung von seinem Geschäft. Und wenn Weßling etwas empfiehlt, dann meint er das auch so. In seinen ersten Monaten also traf sich Weßling mit Vertretern einer großen Firma, die überlegten, Kunde bei Contentful zu werden – ein wichtiger, zukunftsweisender Deal für das Startup. Weßling hörte sich die Wünsche der Firmenvertreter genau an, verglich mit ihnen objektiv verschiedene Angebote auf dem Markt und resümierte dann: Contentful sei zwar eine sehr gute, aber wohl nicht die allerbeste Lösung für deren Problem. Ganz ehrlich und authentisch.
Kurz darauf rief ihn sein aufgebrachter Chef an. Was Rouven denn nur getan habe, wollte der wissen. Der Kunde habe gerade alle Termine mit der Verkaufsabteilung wieder abgesagt. Ein echter Schlag für das junge Unternehmen.
Weßling macht eine kurze Pause, um das Erzählte sacken zu lassen. Klar, ohne Gespür für gutes Storytelling wäre er wohl auch nicht der Richtige für seinen Job. Denn natürlich geht die Geschichte noch weiter. Sechs Monate später, erzählt Weßling, habe er den Kunden bei einer Konferenz getroffen. Man kam erneut ins Gespräch, sprach über dieses und jenes Projekt und siehe da: Plötzlich habe Contentful von der Firma einen anderen Großauftrag in der Tasche gehabt, der auch noch viel besser zu den Produkten des Startups passte. Denn der Kunde habe jetzt gewusst, dass Contentful ihm wirklich nur das Allerbeste verkaufe, sagt Weßling. „Devrel hat uns also kurzzeitig geschadet, langfristig aber enormes Vertrauen beim Kunden eingebracht.“
Wer jetzt nach dem Duden greift und sich fragt, ob er im Deutschunterricht in Sachen Wortkunde nicht gut genug aufgepasst hat, kann sich entspannen. Devrel steht für Developer -Relations und ist ein neuer Trend, der aus den USA nach Deutschland schwappt. Gemeint ist, dass immer mehr Firmen spezielle Techexperten oder -teams einsetzen, die eine enge Beziehung mit externen Entwicklern aufbauen sollen – einen direkten Draht von Nerd zu Nerd sozusagen. Für Firmen seien solche Beziehungen inzwischen spielentscheidend, sagt Carla Sofia Teixeira von der auf Devrel spezialisierten Unternehmensberatung Hoopy: „In der Vergangenheit wurden die Technologien, die von Entwicklern genutzt wurden, in der Regel von der Geschäftsführung bestimmt. Inzwischen haben Softwareentwickler viel mehr Freiheiten, die Technologien auszuwählen, die sie bevorzugen.“ Das mache sie zu einer wertvollen Zielgruppe von Verkäufern von API, Software-Infrastruktur und Werkzeugen.
Diese Erkenntnis hat sich bisher vor allem im englischsprachigen Raum durchgesetzt, wie der aktuelle State of Developer Relations Report von Hoopy zeigt: Demnach sitzt gut die Hälfte der Firmen mit mindestens einem Devrel-Angestellten in den USA; weitere 15 Prozent kommen aus Großbritannien. In der Regel handelt es sich dabei um Softwareanbieter, deren Produkte direkt für Entwickler bestimmt sind; vereinzelt aber sind auch Telekommunikations- und Elektronikkonzerne oder Finanzdienstleister darunter. Das dürfte künftig noch mehr werden, schreiben die Autoren. Denn weil auch klassische Industrieunternehmen wie in Deutschland Bosch oder die Lufthansa immer häufiger eigene Programmierschnittstellen haben, werde auch die Ansprache von Entwicklern für sie wichtiger.
Nichts als Marketing mit neuem Namen?
In IT-Kreisen ist Devrel daher zum absoluten Buzzword mutiert. Es gibt Devrel-Konferenzen, Devrel-Newsletter, Devrel-Meetups und Devrel-Awards. So viele, dass einige Menschen inzwischen genug davon haben. Anfang des Jahres startete auf Twitter eine breite Debatte, ob Devrel tatsächlich neu und sinnvoll sei oder nur Marketing mit neuem Namen. „Dieses ganze Developer-Advocacy-Ding macht mich verrückt“, schrieb etwa Abby Fuller, Entwicklerin bei Amazon Web Services im Januar. Und Google-Mitarbeiterin Laura J. Watkins antwortete: „Ich hasse es so sehr […]. Süßer Marketingflaum für einen Beruf (Devrel), der darum kämpft, eine Definition für sich zu finden und dabei nicht als [ … ] süßer Marketingflaum zu enden.“
Grund genug, einmal genauer hinzuschauen, was sich hinter dem kryptischen Begriff Devrel verbirgt. Warum etwa leistet sich eine junge Firma wie Contentful gleich drei solcher Experten? Und Konzerne wie Microsoft oder Google sogar mehrere Hundert?
Um seinen Job zu erklären, führt Rouven Weßling in den Veranstaltungsraum von Contentful. Das Startup sitzt in Berlin-Kreuzberg in einer ehemaligen Wasserhahnfabrik, die zu modernen Büros umgebaut ist. Die Eventfläche liegt im Souterrain, hat eine Bar mit tiefhängenden Glühbirnen und eine Sitztreppe mit bunten Kissen. „Hier organisieren wir regelmäßig Meetups, um herauszufinden, welche Themen gerade in der Branche diskutiert werden“, sagt Weßling. Auch auf externen Events ist er immer wieder als Speaker zu Gast. Und er sitzt viel am Computer: Schreibt Blogartikel, beantwortet Fragen aus der Community per Slack oder E-Mail und entwickelt kleine Demos, die Entwicklern zeigen, wie sie Contentful am besten einsetzen können: „Evangelists sind quasi das Gesicht der Firma für Entwickler.“
Richtig neu ist Weßlings Job allerdings tatsächlich nicht. Ein paar U-Bahn-Stationen entfernt, am Prachtboulevard „Unter den Linden“ hat Microsoft ein Café eingerichtet. An einer Backsteinwand im Inneren prangt dort in bunten Neonlettern das Wort „Inspiration“. Die jungen Menschen auf Loungestühlen wirken teils ähnlich dekorativ wie die vielen Topfpflanzen im Raum. Christian Heilmann arbeitet erst seit wenigen Monaten im Berliner Microsoft-Büro, vorher war er für Microsoft, Mozilla und Yahoo in den USA und London. Dort hat er schon 2009 ein Handbuch über Developer Relations geschrieben, inzwischen eine Art Standardwerk der jungen Szene.
Fragt man Heilmann nach den Ursprüngen von Devrel, verweist er auf die 1980er-Jahre – etwa auf Apple bei der Vermarktung des ersten Macintosh-Computers. Damals konnten Entwickler bei Apple den Computer unter Anleitung kostenfrei testen, um so die neue grafische Benutzerschnittstelle des Rechners kennenzulernen. Später hätten Unternehmen wie Yahoo, Google oder Facebook die Ansprache von Entwicklern dann systematisiert, erzählt Heilmann. Denn damals habe es häufig Kommunikationsprobleme zwischen Sales, Marketing und Entwicklern gegeben. Programmierer galten als Exoten in Kellerlöchern, die sich mit Daten, aber nicht mit Worten auskennen. Entsprechend holprig lief der Austausch über gewünschte Funktionen und Features. Das habe dazu geführt, dass Sales-Abteilungen Dinge verkauften, die Entwickler gar nicht wollten. „Daher war klar: Es braucht Vermittler.“
Awareness, Community-Building, Recruiting
Inzwischen sind aus einigen wenigen Vermittlern ganze Devrel-Teams entstanden. Deren Hauptjob ist vor allem Vernetzung und zwar auf zwei Ebenen: Zum einen sollen Devrels intern verschiedene Abteilungen ins Gespräch bringen, zum anderen zwischen Unternehmen und externen Entwicklern vermitteln. Welche Ziele Unternehmen dabei konkret verfolgen, ist unterschiedlich – und auch vom Entwicklungsstatus eine Firma abhängig. Contentful etwa habe als junges Startup anfangs vor allem darauf gesetzt, durch Devrel bekannter zu werden, also „Awareness“ zu schaffen, wie Weßling sagt. Daher sei er damals besonders häufig zu Konferenzen gefahren, habe sich persönlich vorgestellt und erklärt, was Contentful von anderen Content-Management-Systemen unterscheide.
Bei etablierten Unternehmen dagegen stehen meist andere Ziele stärker im Fokus. Thomas Grassl leitet das Devrel-Team bei SAP und will vor allem dafür sorgen, dass Entwickler SAP-Produkte so gut wie möglich verstehen und einsetzen können. „Vor 15 Jahren war das Technologieangebot für Entwickler noch recht überschaubar“, sagt Grassl. Inzwischen aber gebe es eine riesige Auswahl an so komplexen Produkten, dass selbst die besten Entwickler oft überfordert seien. Mit anderen Worten: Das Programm, das Entwicklern in der kürzesten Zeit den größten Mehrwert bietet, setzt sich durch. „Also müssen wir Nutzer so gut wie möglich an die Hand nehmen und ihnen zeigen, wann sie welche unserer Lösungen wie einsetzen können“, sagt Grassl.
Darüber hinaus ist ihm ein weiteres Ziel wichtig: der Aufbau einer aktiven Community rund um SAP. „Wenn Nutzer sich gegenseitig kennen, beraten und austauschen, bindet sie das viel stärker an unser Unternehmen, als wenn wir ihnen nur ein Produkt verkaufen“, sagt der Manager. Gleichzeitig bekomme SAP durch die Aktivitäten der Entwickler wichtiges Feedback: Welche Trial-Software etwa ist besonders beliebt? Welche Fragen werden immer wieder gestellt? Wie oft absolvieren Entwickler eine Übung, bis sie mit einem Produkt sicher umgehen können? Wo liegen typische Fehlerquellen? „Devrel ist ein Frühwarnsystem, ob man als Firma in die richtige Richtung läuft, und hilft, Produkte noch besser zu machen“, sagt daher auch Buchautor Heilmann.
Awareness, Aufklärung, Community-Building – das also sind zentrale Gründe, warum Firmen sich teure Devrel-Teams überhaupt leisten. Bei deutschen Unternehmen komme zudem eine Besonderheit dazu, sagt Unternehmensberaterin Teixeira: „Ich stelle fest, dass es in Deutschland bei DevRel oft weniger darum geht, Entwickler vom Gebrauch einer bestimmten Technologie zu überzeugen, sondern mehr darum, dass sie für ein bestimmtes Unternehmen als Arbeitgeber zu begeistern.“ Klar, schließlich sind Entwickler umkämpft, und wer heraussticht, bekommt die besten. Denis Rosa von Couchbase und Wahib Ul Haq von Payback haben kürzlich das erste Event ihrer Devrel Community München organisiert und bestätigen das: „Gute Entwickler wollen an State-of-the-Art-Technologien arbeiten“, sagt Rosa. „Je sichtbarer die Technologie eines Unternehmens wird, desto interessanter wird es für Entwickler.“ Und Haq ergänzt: „Viele deutsche Firmen bieten tolle Entwicklerjobs, werden aber überhaupt nicht als Tech-Companys wahrgenommen, weil sie zu wenig sichtbar sind.“ Eine Kultur von Devrel und Developer-Marketing sei eine Chance, das zu ändern.
Das zeigt: Devrel ist ein weites Feld –, und die Szene noch immer in der Selbstfindungsphase. „Es gibt keine einheitliche Herangehensweise, die für alle passt, bei Developer-Relations. Wie bei jeder Strategie hängt der konkrete Einsatz von Devrel immer davon ab, was ein Unternehmen erreichen möchte.“, sagt Teixeira. Dass die Abgrenzung zu klassischen Bereichen wie Marketing oder Sales dabei teils schwer falle, liege daran, dass es tatsächlich Schnittmengen gebe. Aber eben auch Unterschiede: Denn anders als Sales-Angestellte wird ein Devrel-Experte nicht an Verkaufszielen gemessen – und kann daher wie Rouven Weßling bei Contentful auch mal von einem Deal abraten. Und anders wiederum als eine Marketingabteilung braucht ein Devrel-Team große technische Expertise.
Wer Devrel einsetzt, braucht Geduld
Gerade in Deutschland seien solche Abgrenzungen und die Querschnittsfunktion von Devrel vielen Unternehmen und Entwicklern noch unklar, beobachten die Münchener Meetup-Organisatoren Denis Rosa und Wahib Ul Haq. „Viele, die jetzt bei unserem ersten Meetup dabei waren, konnten mit dem Begriff Devrel noch gar nicht wirklich etwas anfangen“, sagt Rosa. Er will daher bei künftigen Treffen erst einmal für Aufklärung und gegenseitigen Austausch sorgen: Wie etwa erreicht man Entwickler auf Blogs oder Slack-Kanälen? Und wie macht man messbar, dass das der eigenen Firma dann tatsächlich auch einen Mehrwert bringt? „In der deutschen Entwicklerszene gibt es noch nicht genug Austausch darüber, wie man eine Community aufbaut.“
Firmen, die ein Devrel-Team aufbauen wollen, müssen daher einiges beachten. Das hat auch Rouven Weßling bei Contentful erfahren. „Wir haben anfangs sehr viele Dinge ausprobiert, was lehrreich war, aber natürlich auch Zeit und Ressourcen gekostet hat“, sagt er. Besser sei es daher, sich vorab gezielt zu überlegen, welche Ziele man verfolge und wen man ansprechen wolle. Geht es einem Unternehmen etwa um Aufmerksamkeit und den Kontakt zu Tech-Influencern, macht die Teilnahme an Konferenzen durchaus Sinn. Ist das Ziel dagegen, Entwickler durch Aufklärung und Community-Building bei ihrer alltäglichen Arbeit zu unterstützen, sind Blogbeiträge, gute Demos und eine intensive Betreuung in Foren der bessere Weg.
Wichtig sei zudem, ein Devrel-Programm trotz des Hypes möglichst nachhaltig aufzusetzen, rät Heilmann. Seine Tipps: Nicht auf allen möglichen Kanälen unterwegs sein, sondern auf einigen wenigen, dort aber langfristig. Nicht nur der oder die Lauteste sein, sondern wirklich gute Infos liefern. Und dafür sorgen, dass die Devrel-Experten im eigenen Unternehmen gut vernetzt und anerkannt sind. Wichtig sei darüber hinaus, dem Ganzen Zeit zu geben, ergänzt Teixeira. Viele Unternehmen erwarteten schon nach Monaten oder gar Wochen erste Ergebnisse. Viel zu früh, sagt die Beraterin: „Devrel-Programme können wirklich einen Unterschied machen, aber dafür braucht es eine starke Basis und das braucht Zeit. Wenn man gerade neu beginnt, kann man schnell erste Erfolge sehen. Aber damit sich große Veränderungen zeigen, braucht es Monate, wenn nicht gar Jahre.“