„Digital Natives“, die neue Netz-Generation: Digitale Eingeborene
Die meisten Jugendlichen von heute sind „digital“ aufgewachsen. Ob man sie nun „Millenials“, „Generation Y“, „Generation Internet“, „Google-Generation“ oder eben „Digital Native“ nennt – alles das beschreibt dasselbe Phänomen: den Wandel in der Mediennutzung durch jene, die nach 1980 geboren wurden. Für sie ist das Internet etwas, das da ist, sobald sie ihre Rechner hochfahren.
Den Begriff „Digital Native“ prägte der Berater und Autor Marc Prensky 2001 in einem Papier, in dem er auch Beispiele nennt. Demnach haben College-Abgänger beispielsweise 5.000 Stunden gelesen, aber 10.000 Stunden vor der Videokonsole verbracht. Weitere Zahlen verdeutlichen die Unterschiede: 93 Prozent der befragten Jugendlichen weltweit ziehen einer Online-Umfrage des Sydney Morning Herald zufolge das Internet dem Fernsehen vor. Laut einer Studie von MTV haben Digital Natives im Durchschnitt 53 Freunde online, jedoch nur 35 im realen Leben. 96 Prozent der Jugendlichen sind mindestens ein Mal einem Social Network beigetreten.
Für Marc Prensky unterscheiden sich die sogenannten „Digital Immigrants“ – also diejenigen, die zwar nicht mit den neuen Technologien aufwuchsen, sie aber dennoch verstehen und einsetzen – in vielen Punkten von den Digital Natives: Sie drucken E-Mails aus, holen Leute ins Büro, um sich einen Link anzuschauen oder rufen an, um den Eingang einer E-Mail zu bestätigen. Die meisten Digital Natives benutzen E-Mails nur, um mit „alten Leuten“ zu kommunizieren oder um sich bei Social Networks zu registrieren. Untereinander schicken sie sich StudiVZ- oder Instant-Messenger-Nachrichten.
Dass Digital Natives ein verändertes Bild von den Dingen haben, macht sich auch in ihrem Verständnis des Urheberrechts bemerkbar. Sie sind in einer Umgebung aufgewachsen, in der es für sie selbstverständlich scheint, Wissen anderen zugänglich zu machen. Sie können deshalb schwer nachvollziehen, weshalb sie Kinofilme oder Musikstücke nicht mit ihren Freunden teilen dürfen. Hinzu kommt, dass sie als Schüler oder Studenten weniger Geld zur Verfügung haben, um sich beispielsweise Filme auf DVD zu kaufen. Eine Studie jedenfalls hat herausgefunden, dass Digital Natives im Schnitt 800 illegale Songs auf ihren MP3-Playern haben.
Über verschiedenste Kanäle – etwa Social Networks, Messenger oder Handys – sind Digital Natives jederzeit mit ihren Freunden vernetzt und auch allzeit erreichbar. Sie mögen es nicht, abgeschnitten zu sein. Beim Handy ist das Telefonieren nur ein Angebot unter vielen, das man neben SMS-Versand, mobilem Internet oder MP3-Player nutzen kann. Es ist für sie also ein Allzweckgerät, das Armbanduhren, Wecker oder Taschenrechner verdrängen kann.
Das Beratungsunternehmen Capgemini hat das Kommunikations-, Unterhaltungs- und Sozialverhalten von 15- bis 24-jährigen Briten untersucht. Dabei kam heraus, dass sich das Konsumverhalten der Digital Natives stark von dem älterer Generationen unterscheidet. Sie bevorzugen es, nicht-lineare Formate zu schauen und wollen sich aktiv einbringen. Zwei Drittel ignorieren Fernsehwerbung größtenteils. Stattdessen kaufen sie Produkte, die in ihrem Freundeskreis angesagt sind und von deren Qualität sie sich überzeugen konnten.
„Sie benutzen die Oberfläche, wissen aber nicht, was darunter steckt“
Doch es gibt auch Kritiker: Einer davon ist Prof. Dr. Rolf Schulmeister von der Universität Hamburg. Er schrieb eine Arbeit mit dem Titel: „Gibt es eine Net Generation?“. Unter anderem ist er der Ansicht, die „klassischen Medien Musik und Film“ würden am Computer wieder auftauchen. Den Begriff „Digital Native“ findet er in vielerlei Hinsicht falsch: Erstens signalisiere er eine Analogie zu den „Language Natives“, die nicht bestehe. „Niemand spricht ‚Digital‘ als Sprache“, sagt er. Außerdem impliziere der Begriff, dass die Jugendlichen von heute die digitale Welt verstünden. So sei es jedoch nicht: „Sie benutzen die Oberfläche, wissen aber nicht, was darunter steckt.“
Prof. Dr. Schulmeister kritisiert darüber hinaus die Untersuchungsmethoden der populärwissenschaftlichen Autoren wie Marc Prensky oder Don Trapscott. Diese seien nicht repräsentativ, da die befragten Jugendlichen allesamt bereits im Internet sind. Außerdem bezögen sich diese nur auf den Umgang der Jugendlichen mit dem Computer. Das Hauptziel der Digital Natives sei zudem dasselbe, wie auch das von Jugendlichen früherer Generationen: eine Peergroup bilden.
„Das gesamte Medienverhalten hat sich eigentlich nicht geändert“, sagt Prof. Dr. Schulmeister. Bei Über-10-jährigen ist ihr Wunsch nach Kommunikation der Anreiz des Internetkomsums – dieses Kommunikationsbedürfnis gab es auch schon früher außerhalb des Netzes.
„DNAdigital“ in Berlin: Wirtschaft trifft Jugend
Vielleicht hätte Prof. Rolf Schulmeister auf der „DNAdigital“ ein anderes Bild gewonnen. IT-Unternehmen hatten hier Vertreter der Internet-Generation zum Diskurs nach Berlin geladen. Rund 40 Digital Natives hatten sich hier in der Nähe des Potsdamer Platzes versammelt, um Themen wie ein „Ideenhaus“ oder „Web-2.0-Tools in Unternehmen“ zu besprechen.
Die Idee des Ideenhauses stammt von Jonathan Imme, der in der Musikbranche tätig ist. Die Idee kennt Imme bereits aus dem Musikgeschäft: Dort gibt es ein Projekt, bei dem Musiker für mehrere Wochen zusammen in einem Haus leben, um dort neue Musikstücke zu erarbeiten. Imme stellt sich vor, dass man etwas Ähnliches auch für andere junge Kreative machen könnte. Während der Digital-Natives-Veranstaltung in Berlin nimmt das Ideenhaus Formen an – bis hin zum Businessmodell und konkreten Plänen für die Zukunft.
„Die Welt verändert sich so schnell, dass wir schneller gemeinschaftlich lernen müssen“, sagt Sören Stamer, Gründer und Vorstandsvorsitzender des CMS-Herstellers CoreMedia, der das Projekt DNAdigital [1] initiiert hat. „Ich habe bemerkt, dass diejenigen, die darüber reden, nur mit sich selbst reden: also etwa Politiker mit anderen Politikern. Die haben alle nicht so viele Erlebnisse in der digitalen Welt.“ Experten in den Technologien der Zukunft hingegen seien die Digital Natives. Wenn die Zukunftstechnologie von den Digital Natives gegenwärtig besser verstanden werde als von den Etablierten, sollte man mit ihnen reden und sie ernst nehmen, so Sören Stamers Schlussfolgerung. Auf dem vergangenen IT-Gipfel der Bundesregierung habe er ebenfalls den Vorschlag gemacht, dass man mit den Digital Natives als die „wirklichen Experten“ reden und diese mit den Unternehmensführern auf Augenhöhe zusammenbringen sollte. Er sieht die neue Generation überaus positiv: „Die Zukunftstechnologie ist in den Händen der Jugend – das ist eine schöne Situation für die Welt."
Buchempfehlung: „Generation Internet“
Die Professoren John Palfrey und Urs Gasser forschen gemeinsam am
Berkman Center der Harvard-Universität über Digital Natives. Die
Autoren sind zwar den Digital Natives nicht mehr zuzurechnen (beide
sind 1972 geboren), sie sind jedoch Väter und haben auf diese Weise entsprechende Erfahrungen. Das Werk bietet
einen Einblick in die Welt der „Generation Internet“. Ungewöhnlich: Das
letzte Kapitel des Buches besteht aus E-Mail-Konversationen, die sie
meist von Flughäfen oder aus dem Flugzeug führten.
Titel: | Generation Internet |
Autor: | John Palfrey, Urs Gasser |
Erscheinungsdatum: | Oktober 2008 |
Verlag/ISBN: | Hanser-Verlag/978-3-446-41484-6 |
Preis/Umfang: | 19,90 Euro/440 Seiten |
Schöner treffender Artikel…. :-)