Was ist eigentlich Dokumentenmanagement?
Jedes Unternehmen ist einzigartig und mehr oder weniger komplex. Während es in einem für die Neue Wirtschaft typischen wissensbasierten Kleinst- und Kleinunternehmen eine überschaubare Zahl von verschiedenen Anwendungen gibt, die für die tägliche Arbeit benötigt werden, finden sich in einem größeren Betrieb, in dem geforscht, konstruiert und produziert wird, eine Vielzahl von Spezialanwendungen. Überall wo Computer im Einsatz sind, entstehen digitale Dokumente unterschiedlichster Art. Schon in einem mittleren Unternehmen kommt an einem einzigen Tag eine Menge „Papier“ zusammen.
Weil Papier als Trägermedium für Informationen teuer ist und es einer großen Lagerkapazität bedarf, über Jahre hinweg Papierdokumente aufzubewahren, lösen mehr und mehr elektronische Archive die traditionell mit Ordnern und Mappen voll gestopften und unüberschaubaren Kellerräume ab. Hinter der Überlegung, ein Dokumenten-Management-System einzuführen, steckt in der Regel die Absicht, Zeit und Kosten für das Suchen und Finden sowie das Verteilen von Informationen, aber auch für Lagerkapazitäten und Büromaterial einzusparen. Aber wo gespart werden soll, gilt es zunächst, richtig zu investieren. Dabei das Investitionsrisiko möglichst gering zu halten ist nur möglich, wenn IT-Entscheider und Lösungsanbieter von DMS die beiderseitigen Risiken erkennen, die sich aus einer nicht sorgfältig durchgeführten Analyse und Fachkonzeption zur Einführung von DMS ergeben.
Low Risk, more Fun!
Gehen wir davon aus, dass ein Unternehmen mehrere verschiedene Softwareanwendungen nutzt: für die Planung und das Controlling eine ERP-Lösung, für die Buchhaltung eine FIBU, für die Entwicklung und Konstruktion mehrere spezielle CAD-Programme, für die Kommunikation ein E-Mail-Managementsystem und diverse Grafikprogramme. Dazu kommen die Basics für Textverarbeitung, Präsentation und so weiter. Gehen wir weiterhin davon aus, dass es sich bei den im Einsatz befindlichen Anwendungen nicht um Open-Source-Produkte handelt, sondern um solche, die der noch immer gängigen Lizenzpolitik der Hersteller unterliegen.
Dann braucht es, um Dokumentenmanagement im professionellen Stil zu betreiben, zu all diesen Anwendungen Schnittstellen, damit sich das DMS und das im Einsatz befindliche ERP-System, beispielsweise SAP, gegenseitig verstehen. Dieses gegenseitige Verstehen bedeutet, dass Dokumente, die im ERP-System generiert werden, reibungslos ins DMS überführt werden und – das ist eine wesentliche Anforderung an das DMS – darüber hinaus aus dem DMS heraus auch von Anwendern genutzt werden sollen, die nichts mit der Hauptanwendung – dem ERP-System – zu tun haben. Die Schnittstelle braucht dafür sogenannte Viewer-Funktionalitäten, die es ermöglichen, Dokumente innerhalb der gewohnten Arbeitsumgebung aus dem DMS zu holen, ohne sich über „arbeitsplatzfremde” Oberflächen hangeln zu müssen.
Der Austausch zwischen den jeweiligen Systemen muss in jedem möglichen Fall vice versa und anwendungsübergreifend erfolgen können – aus dem ERP-System heraus in das DMS hinein und aus dem DMS heraus beispielsweise in ein CAD-Programm.
Erweiterte Schnittstellen, die über genau diese Funktionalitäten verfügen, sind für den Erfolg eines DMS-Projekts ebenso ausschlaggebend wie die rein organisatorische Vorbereitung auf Dokumentenmanagement. Dass ein DMS mit den vorhandenen Systemen im Unternehmen kommunizieren kann und umgekehrt, liegt zunächst im Interesse des Kunden. Deshalb gehören bereits Standard-Schnittstellen in DMS zu den kostenintensiven „Extras“ und die Anpassung der Schnittstellen – die Integration – zu den gefragtesten Dienstleistungen, mit denen sich gutes Geld verdienen lässt.
Üblicherweise wird zur Entwicklung von Schnittstellen dieser Weg gewählt: DMS-Hersteller kooperieren mit Dienstleistern wie IT-Systemhäusern oder auch mit freien Programmierern. Sie sorgen dafür, dass ihre Partner ihr DMS in- und auswendig kennen und sich so am Markt als Solutions-Partner ausweisen können. Die Partner, die über das notwendige Integrations-Know-how verfügen, also auch andere Anwendungen aus dem Effeff beherrschen, entwickeln dann die entsprechenden Schnittstellen, beispielsweise für eine bestimmte ERP-Lösung, und lassen sich diese vom DMS-Anbieter zertifizieren. Diese Zertifizierung ist für Kunden ein kaufentscheidendes Kriterium bei der Auswahl eines DMS. DMS-Anbieter, Schnittstellenentwickler und Kunde profitieren von der Arbeitsteilung, die in der Entwicklung eines DM-Projekts steckt.
Der DMS-Anbieter kann sich auf die Entwicklung des Funktionsumfangs seines Systems konzentrieren, der Schnittstellenentwickler auf die Integration und Kommunikation von Systemen und der Kunde auf die organisatorische Vorbereitung von Dokumenten – das eigentliche Dokumentenmanagement. Klarerweise verkauft sich ein DMS, das über möglichst viele zertifizierte Standard-Schnittstellen zu anderen Technologien verfügt, besser als eines, für das der Kunde nicht nur deren Entwicklung, sondern darüber hinaus auch das individuelle „Customizing“, also das Feintuning der Schnittstellen, und die planerisch-organisatorische Leistung bei der Vorbereitung von Dokumentenmanagement bezahlen muss.
Was DMS-Anbieter und DM-System können müssen.
Das Herz eines professionellen Dokumentenmanagements ist ein digitales Archiv, in dem sicher und langfristig aufbewahrt werden kann, was im laufenden Betrieb an Dokumenten nicht mehr oder selten benötigt wird. Weil ein Archiv, das gesetzlichen Vorschriften genügen will, nicht nur sicher, sondern sehr sicher sein muss, wird ein solches im Zusammenhang mit Dokumentenmanagement auch Tresor genannt. Das DMS dient dazu, diesen Tresor zu bewachen.
Im realen Leben, beispielsweise in einem Archiv, in dem geheime Dokumente lagern, übernimmt ein Archivar oder Bibliothekar die Aufgabe, darüber zu wachen, was aus dem Archiv raus geht und wem er die Herausgabe eines Dokuments verweigern muss. Der Archivar kennt sich in seinem Archiv aus wie in seiner Westentasche – weil es eine bestimmte Ordnung gibt, nach der die Dokumente abgelegt sind und weil der Bestand katalogisiert, kategorisiert, indiziert und verschlagwortet wurde, bevor er ins Archiv gewandert ist. Bevor der Archivar sich an den physikalischen Ort begibt, an dem sich das benötigte Dokument befindet, schaut er in seinen „elektronischen Zettelkasten“ – diesen Vorgang kennt jeder, der sich in einer Buchhandlung nach einem nicht zum Standardvorrat befindlichen Werk erkundigt.
Wurde bei der Erfassung der relevanten Informationen, die zum schnellen Suchen und Finden taugen, geschlampt, wird im DMS nichts gefunden und davon ausgegangen, dass sich das gesuchte Werk deshalb auch nicht im Archiv befinden kann. Eine Volltextsuche kann dann der rettende Anker sein, wobei hier im Suchergebnis mit dem üblichen „Google-Effekt" zu rechnen ist. Das Einsparpotenzial, das sich für den Zeitaufwand bei der Recherche durch ein DMS ergeben soll, ist hier schnell verpufft.
Wer sich als DMS-Anbieter wirklich profilieren will, braucht neben Technologie- und Integrationswissen vor allem auch ein umfassendes Branchenwissen und einen tiefen Einblick in die Arbeitsweisen und –vorgänge in unterschiedlichsten Organisationen. Exakte Verschlagwortung bleibt auch beim digitalen Archiv die zentrale Grundlage von späteren Sucherfolgen. Und wenn hier bereits im alten Papierarchiv nachlässig gehandelt wurde, kann ein DMS auch keine Wunder wirken. Und selbstredend muss im Vorfeld der Einführung von Dokumentenmanagement das Archiv und dessen Funktionalitäten bereits in die Planungen einbezogen werden. Denn irgendwann ist natürlich auch das digitale Archiv vom Zusammenbruch bedroht, wenn nicht von Zeit zu Zeit tabula rasa gemacht und Dokumente auf externe Speichermedien ausgelagert werden.
Die meisten DMS-Projekte scheitern daran, dass im Vorfeld der Einführung am falschen Platz gespart wird – bei der sorgfältigen IST-Analyse und bei der Erstellung von Fachkonzepten und Lastenheften, die ein tiefes und breites, also fachübergreifendendes Verständnis voraussetzen. Ohne exakte Klärung dessen, was ein DMS für den jeweiligen Betrieb können muss, ist das Risiko einer Fehlinvestition für Unternehmen enorm hoch. Ein DMS ohne sicheres (Langfrist-)Archiv, in dem Dokumente in zweifacher Form – strukturiert als Datei und unstrukturiert als Image (Faksimile) – langfristig aufbewahrt werden können, wird es schwer haben, sich auf dem Markt zu behaupten.
Fazit
Das Potenzial, mit DMS-Projekten gute Geschäfte zu machen, liegt darin, die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass konkrete Rationalisierungseffekte beim Kunden entstehen.
Ein technologischer Baustein in diesem Komplex sind, wie beschrieben, vernünftige Schnittstellen. Anbieter von Open-Source-DMS müssten demnach mit der Schar von Schnittstellen-Zertifikatsinhabern kuscheln, um in den Besitz derselben zu gelangen. Oder sie müssen viel Geld für die Nutzungsberechtigung auf den Tisch legen, um in der ersten DMS-Liga mitspielen zu können.
Für die Community heißt das, die Schnittstellen zu Hauptanwendungen, die in Unternehmen ab einer bestimmten Größenordnung zum Einsatz kommen, unter Einsatz aller verfügbaren Kräfte selbst zu entwickeln – Open-Source-Philosophie eben. Mit einer ideologiefreien, sachlich argumentierenden Öffentlichkeitsarbeit den Trend zu Open-Source-Lösungen zu stärken, kann auch hier nicht schaden.