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Interview

Ex-Magic-Leap-Designerin Alysha Naples: „Die sozialen Medien haben versagt“

Alysha Naples hat beim Startup Magic Leap das UX- und Interaction-Design-Team geleitet. t3n sprach mit ihr über das Potenzial von VR und ihre Faszination für das Playstation-Spiel „Journey“.

8 Min.
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Als Alysha Naples bei der VR-Konferenz Digility im vergangenen September über das Playstation-Spiel „Journey“ spricht, hat sie Tränen in den Augen. Sie berichtet fasziniert über die sozialen Interaktionen mit einem ihr völlig unbekannten Mitspieler, den sie über den Online-Service der Spielplattform kennengelernt hat. Um so eindringlicher wirken ihre anschließenden Appelle, endlich das soziale Potenzial virtueller Welten anzuerkennen. Das mag nach romantischer Verklärung klingen. Aber Naples beweist einen enormen Realitätssinn. So spricht sie rund sechs Wochen nach der Digility – in der Zwischenzeit hat das amerikanische Volk Donald Trump ins Präsidentenamt gewählt – auf der VR Now in Potsdam von „Unintended Consequences“ neuer Technologien und thematisiert damit solche Folgen, die keiner der Erfinder, Akteure oder Nutzer auch nur im Entferntesten vorhergesehen oder intendiert hat. Dass etwa die sozialen Medien die Wahl von Trump begünstigt haben, die sozialen Plattformen aber einst mit einem klaren Freiheits- und Demokratieversprechen angetreten waren.

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Alysha Naples: Auch das gesamte VR/AR-Ökosystem bezeichnet sie als riesiges Gewirr aus Technologien, Chancen und schwer vorhersagbaren Nebeneffekten. In welche Richtung sich aus heutiger Sicht Virtual, Augmented und Mixed Reality entwickeln und welche gesellschaftlichen und politischen Folgen diese neue Technologien haben werden? Wir sollten sehr vorsichtig sein, wenn wir von „Fortschritt“ sprechen, sagt Naples. Bedrohungen und Belästigungen in VR oder auch die enorme Datenmenge, die in virtuellen Realitäten entsteht – VR-Applikationen erheben im Millisekunden-Bereich Daten, um die virtuelle Welt performant zu rendern – stehen den positiven Aspekten gegenüber.

t3n Magazin: Alysha, du sprichst immer wieder davon, dass Virtual Reality viel sozialer werden muss. Warum?

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Alysha Naples: Weil die sozialen Medien, wie wir sie heuten kennen, versagt haben. Sie sind mit dem Versprechen angetreten, uns Nutzer stärker zu verbinden und ein engeres Verhältnis zu unseren „Freunden“ aufzubauen. Sie haben aber als Nebeneffekt einen enormen Überfluss an Meinungen und einen Mangel an Tiefe verursacht. Unser Gehirn springt zwar auf die Funktionsweise sozialer Medien an, gleichzeitig sind sie in keinster Weise emotional. Social Media hat zwar dafür gesorgt, dass ich weiß, was meine Freunde tagtäglich tun und essen, aber wenig dafür getan, um die Hoffnungen, Träume und Ängste der Menschen zu vermitteln. Das ist aber der Bereich, in dem die Magie liegt, die Freude, die Liebe und das Menschliche.

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t3n Magazin: Magie? Das klingt aber sehr abstrakt. Was meinst du konkret damit?

„Virtual Reality bietet die einzigartige Chance, die Welt aus der Sicht einer anderen Person zu sehen.“


Alysha Naples: Ok, ich versuche es mal anders. Um als menschliche Spezies zu überleben, müssen wir damit beginnen, ziemlich viele von uns verursachten Probleme zu bewältigen. Beispiel Klimaveränderung – um dieses globale Herausforderung anzugehen, müssen wir als gesamte Menschheit zusammenarbeiten. Dafür braucht es deutlich mehr Mitgefühl. Empathie ist ein Schlüsselaspekt von Mitgefühl, und Virtual Reality bietet die einzigartige Chance, die Welt aus der Sicht einer anderen Person zu sehen.

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Das Playstation-Spiel „Journey“, das ursprünglich für die Playstation 3 erschienen ist, ist laut Alysha Naples ein sehr gutes Beispiel für die Gestaltung sozialer Interaktion in einem digitalen Medium. Es fördet und belohnt das kooperative Zusammenspiel und lässt wenig Raum für Belästigungen oder Bedrohungen. (Screenshot: ThatGamesCompany)


t3n Magazin: Kannst du ein Beispiel nennen?

Alysha Naples: In der VR-Erfahrung „Doghouse“ von Johan Knattrup Jensen and Mads Damsbo aus Dänemark spiele ich einen kleinen Jungen – eine Figur, die mir sehr unähnlich ist. Vor allem, weil ich in der Experience eine Perspektive aus der ersten Person einnehme, ist das Präsenzgefühl enorm hoch und wirkmächtiger als in 2D. Ich habe in „Doghouse“ wirklich das Gefühl, dieser kleine Junge zu sein. Und so bescheuert das auch klingt: Wenn er auf die Toilette geht, um zu pinkeln, habe ich mich gefühlt, als ob ich es selbst tun würde – obwohl ich als Frau nie eine Toilette auf diese Weise benutzt habe. Aufgrund des besonderen immersiven Charakters von Virtual Reality hat die Technologie ein riesiges Potenzial, tiefere und bedeutendere Verbindungen zwischen Menschen herzustellen, die nicht im gleichen Raum sind. Und wenn VR Distanzen – physikalisch und emotional – überwindet, wird es richtig interessant.

t3n Magazin: Mehr Gefühle und mehr Empathie – ist das denn mit digitalen Technologien überhaupt möglich?

Alysha Naples: Gute Frage, in der heutigen Zeit ein schwieriges Unterfangen.

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t3n Magazin: Warum?

Alysha Naples: Dafür muss ich kurz ausholen. Als User-Experience-Designer weiß ich, dass wir Menschen es mögen, wenn Nutzererfahrungen logischen Wegen folgen und Dinge so funktionieren, wie wir es erwarten. Allerdings ist diese Neigung in den vergangenen Jahren zu stark in den Vordergrund gerückt, weil Tech-Unternehmen Daten vor Gefühlen priorisieren. Sie haben den Menschen zum „Nutzer“ reduziert. Gefühle und Emotionen lassen sich aber schwer quantifizieren, deshalb sollten wir in Zukunft solche Gestaltungselemente nicht einfach Algorithmen überlassen.

t3n Magazin: Kannst du das genauer erklären?

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Wie können wir Neues kreieren, wenn wir den Leuten immer nur das vorsetzen, von dem wir denken, dass sie genau danach suchen?


Alysha Naples: Wenn wir beispielsweise Personas und Heat-Maps einsetzen wollen, helfen entsprechende Dienste dabei, meine Klicks auf einer Website oder einer App möglichst präzise vorherzusagen. Das hilft auch und spart Zeit, wenn ich etwas Bestimmtes herausfinden will. Diese Algorithmen haben aber ihre Grenzen, sie kennen nicht meine individuellen Bedürfnisse oder Besonderheiten, stattdessen vergleichen sie mich mit Nutzern, die ähnliche Verhaltensmuster aufweisen. Ein solches auf Effizienz gepoltes System kann sehr limitiert sein und zu Homogenität führen. Und die langfristigen Konsequenzen einer solchen Homogenität ist der Stoff, den wir aus dystopischen Science-Fiction-Erzählungen kennen. Als ich Design lehrte, habe ich mit meinen Studenten oft darüber diskutiert, wie sie es schaffen, immer wieder auch Überraschungen und Freude in ihre Arbeiten zu bringen – die Erwartungshaltungen auch mal zu überwinden und etwas völlig Unerwartetes zu schaffen. Wie können wir Neues kreieren, wenn wir den Leuten immer nur das vorsetzen, von dem wir denken, dass sie genau danach suchen?

t3n Magazin: Wie sieht denn eine virtuelle Erfahrung aus, die überrascht und die menschliche Gefühlswelt nicht reduziert, sondern ins Zentrum stellt?

Alysha Naples: Das ursprünglich für die Playstation 3 veröffentlichte Videospiel „Journey“ von Thatgamescompany ist ein gutes Beispiel, wie man es besser machen kann. Journey ist interessant, weil laut Game-Designer Chris Bell, der Kern der Spielmechanik darin liegt, Freundschaft zu fördern. Die Entwickler des Titels haben es verstanden, die Interaktion zwischen den realen Spielern so zu gestalten, dass erst gar keine für Online-Games oftmals von Beschimpfungen charakterisierte Kommunikation entsteht – etwa dadurch, dass keine Chat-Kommunikation möglich ist. Zudem belohnt der Titel solche Spieler, die bewusst auf Kooperation setzen: Wenn man beispielsweise zu zweit unterwegs ist, kommt man schneller voran. Soziale Interaktion zu priorisieren, Teamwork zu begünstigen und immer einen genauen Blick drauf zu haben, keine Lücken für Bedrohungen und Belästigungen zu lassen – das sind auch für VR die besten Design-Entscheidungen, die du treffen kannst.

t3n Magazin: Sind Bedrohungen und Belästigungen konkrete Probleme in der virtuellen Realität?

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Alysha Naples: Ja. Wichtig ist es eben, wie wir mit diesem Problem umgehen. Im Oktober beispielsweise hat Jordan Belamaire einen Artikel auf Medium verfasst, in dem sie beschrieb, wie sie in der virtuellen Realität von QuiVR belästigt wurde. In dem Spiel ist der Nutzer durch einen Helm und ein paar Hände repräsentiert, ihr Geschlecht allerdings offenbarte sich erst, als sie mit den Leuten in der VR über Voice-Chat sprach. Sie wurde dann von einem anderen Spieler verfolgt, der schließlich ihren Avatar zu belästigten versuchte. Sie beschreibt in den Medium-Artikel, wie sie diese Erfahrung tagelang beschäftigte. Und das ist kein Einzelfall.

t3n Magazin: Was lässt sich gegen solche Belästigungen ausrichten?

Alysha Naples: Die Entwickler der VR-Experience waren so aufgebracht darüber, dass sie sich sofort daran setzten, um das System für solche Fälle weniger anfällig zu gestalten. Kurze Zeit nach dem Medium-Artikel von Belamaire veröffentlichten die beiden Entwickler Henry Jackson and Jonathan Schenker ein Stück bei der größten VR-Newsite Upload VR und dokumentierten ihren Ansatz, solche Fälle in Zukunft zu vermeiden. Beispielsweise haben sie die Funktion der „Personal Hubble“ erweitert, die bis dato lediglich dafür sorgte, dass Hände anderer Avatare, die vor den eigenen Helm gehalten werden, sich in Luft auflösen. Diese Mechanik übertrugen sie auf den gesamten Körper, sodass die Gestalt anderer Avatare verschwinden, wenn sie dem eigenen Avatar zu nahe kommen. Wichtig war dabei vor allem auch ihr offener Umgang mit dem Problem und die Idee, solche Erkenntnisse mit der Community zu teilen – was dem neuen Medium förderlich ist.

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t3n Magazin: Worin siehst du die Zukunft von Social-VR? Einen virtuellen Facebook-Stream? Räume, in denen Menschen in der VR „abhängen“?

Alysha Naples: Klar, beides ist möglich. Aber ehrlich gesagt hoffe ich, dass es so viel mehr sein wird. Weder ein Social-Feed noch ein Chat-Room gewinnt dadurch, in VR erlebt zu werden. Unsere zweidimensionalen Bildschirme können diese Use-Cases fast perfekt abbilden. Ich persönlich glaube, dass VR die Möglichkeit bieten könnte, expressivere und intensivere Kommunikation zwischen Einzelmenschen und kleinen Gruppen zu schaffen.

t3n Magazin: Kannst du das noch konkretisieren?

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Alysha Naples: Viele Menschen können sich besser ausdrücken und kommunizieren, wenn sie als Person direkt vor Ort sind. So etwas wie Sarkasmus ist ja schwierig in Textform auszudrücken – deswegen sind ja auch Emojis so wichtig geworden. Videochat hingegen löst viele Dinge, bringt aber eigene Probleme mit sich. Nur die wenigsten sehen in niedriger Auflösung gut aus, und die Bedenken schlechter Lichtverhältnisse zerstören den charmanten und spontanen Aspekt des Internet-Chats. Ich glaube, dass es in Social-VR-Anwendungen möglich ist, diese Schwierigkeiten zu überwinden und den Nutzern die Möglichkeit zu eröffnen, sich als Person komplett so zu präsentieren, als wären sie persönlich vor Ort, und gleichzeitig Ängste zu schlechter persönlicher Erscheinung zu minimieren. Ich hoffe auf eine Social-VR-Zukunft, die es jedem erlaubt, sich selbst in seiner möglichst authentischsten Art aufzutreten und zu präsentieren.

t3n Magazin: Second-Life-Erfinder Philip Rosedale will ein neues „Second Life“ bauen, dieses Mal in VR.

Alysha Naples: Rosedale hat sehr faszinierende Visionen. Er sagt ja auch, dass die Komplexität des Kontrollschemas von Second Life ein großes Hindernis auf dem Weg zur Massenadaption war und ich stimme ihm absolut zu, dass die nächste Generation von Computer-Devices einfacher zu nutzen sein müssen. Wenn es zu kompliziert ist, besteht die Gefahr, dass die Nutzer frustriert sind und sich vom Medium abwenden. VR hat hier ein enormes Potenzial, weil ich glaube, dass das Bedürfnis nach Diensten wie Second Life nicht reine Wirklichkeitsflucht sind.

t3n Magazin: Was sonst?

Alysha Naples: Es geht um Zugehörigkeit, das ist ein Unterschied. Bei einer Flucht willst du etwas nicht wahrhaben. Menschen verbringen aber so viel Zeit in solchen virtuellen Communities, weil sie dort vor allem etwas bekommen, was ihnen in der „realen“ Welt fehlt. Das kann die Lust auf ein Abenteuer, die Suche nach Gesellschaft oder der Durst nach Wissen sein – am Ende geht es um ein Gefühl, ein Gefühl von Zugehörigkeit. Und Zugehörigkeit und solche Dienste, die solche Gefühle fördern, sind etwas, wonach wir uns in unserer digitalisierten und hochkomplexen Welt mehr denn je sehnen.

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