Flugtaxis und vernetzte Schienen: Startups gestalten die Mobilität von morgen
Auf die richtige Spur geschubst hat das Startup Konux ausgerechnet ein Dinosaurier der deutschen Wirtschaft – dazu ein Staatskonzern, dem nachgesagt wird, chronisch zu spät dran zu sein. Noch an der Uni hatten die drei Konux-Gründer eine Software entwickelt, die Sensordaten zusammenführt und so Rückschlüsse auf den Zustand von Maschinen erlaubt. Kurz nach der Gründung investierten Business-Angels zwei Millionen US-Dollar. „Wir haben geglaubt, dass wir mit unserer Lösung auf Industrieunternehmen in ganz verschiedenen Branchen zielen können“, sagt Konux-Mitgründer Andreas Kunze heute. „Tatsächlich waren wir auf dem besten Weg, uns zu übernehmen.“ Dann kam die Deutsche Bahn.
Konux gehörte 2015 zu den ersten Teilnehmern bei Mindbox, dem Startup-Förderprogramm des Konzerns. In Gesprächen mit Mitarbeitern der Bahn dämmerte dem Gründertrio, dass seine Technologie prädestiniert dafür ist, das Schienennetz zu überwachen. Sie entwickelten Prototypen für ein Sensorenkästchen an Weichen – anhand von Daten über Erschütterungen und Temperaturveränderungen versucht die Konux-Software vorherzusagen, wann die Weiche gewartet werden muss. „Wir haben gemerkt: Das Thema alleine ist schon so groß, dass man sich darauf konzentrieren muss“, so Kunze.
Der neue Fokus hat sich ausgezahlt. Aus einem Startup, das „irgendetwas mit Industrie 4.0“ macht, ist ein erfolgreicher Newcomer im Mobilitätssektor geworden. Das eingeworbene Wagniskapital stieg auf mehr als 30 Millionen Euro, Pilotprojekte stehen mit Bahnunternehmen in sechs Ländern an. Entscheidend für den steilen Aufstieg war Mindbox, ist sich Kunze sicher: „Das hat uns eine neue Perspektive eröffnet.“ Auch für die Deutsche Bahn ist die Zusammenarbeit ein Gewinn: Der Konzern will mit digitalen Hilfsmitteln zusätzliche Züge ins Schienennetz drücken und gleichzeitig die Zahl der Störungen reduzieren. Einen wichtigen Beitrag zum Projekt „Digitale Schiene“ sollen die Sensor-Analysen von Konux leisten.
Branche im Umbruch
Die Partnerschaft ist nicht nur wegen der Aussicht auf pünktlichere Züge beachtenswert: Sie zeugt auch von der Aufbruchsstimmung, die in Deutschland auf dem aus standortpolitischer Sicht so wichtigen Mobilitätssektor eingesetzt hat. US-Techunternehmen wie Tesla, Google und Uber mögen der Branche früh neue Impulse gegeben haben – doch zunehmend machen deutsche Unternehmen mit ihren Konzepten für den Personen- und Gütertransport auf sich aufmerksam. Die Digitalisierung der Infrastruktur ist dabei nur ein Puzzlestein, um den Verkehrskollaps in Ballungsgebieten abzuwenden und das Reisen bequemer zu machen.
Mit Lilium und Volocopter arbeiten beispielsweise gleich zwei Startups aus Deutschland an Flugtaxis, die verstopfte Straßen in Megacitys entlasten sollen. Und die deutschen Automobilkonzerne bereiten sich mit Hochdruck auf eine Zukunft vor, in der kaum noch jemand ein eigenes Fahrzeug besitzt. „Fest steht: Es wird massive Veränderungen auf dem Mobilitätsmarkt geben“, sagt Andreas Cornet, Leiter der Automobilberatung von McKinsey in Deutschland. „Umso wichtiger ist, dass Unternehmen hierzulande derzeit mit vielen neuen Geschäftsmodellen experimentieren.“ Im Rennen mit Tesla, Uber und anderen können sie zwei Stärken besonders ausspielen: Sie verstehen viel von Hardware – und sind auch zu ungewöhnlichen Kooperationen bereit.
Ein Software-Update als Weckruf
Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Autokonzerne. Noch immer haben die Schwergewichte der deutschen Industrie mit ihren Produkten immensen ESinfluss darauf, wie sich Menschen weltweit fortbewegen. Doch die Zeiten, in denen die mächtigen Konzernbosse Uber ignorieren und Elon Musk als Spinner abstempeln konnten, sind endgültig vorbei: „Ein Wachrüttler war der Moment, als Tesla seinen Kunden per Mobilfunkverbindung neue Funktionen in die Fahrzeuge gebracht hat“, sagt Cornet. Nicht nur auf Produktebene, auch im Kundenkontakt und bei internen Prozessen werde die Digitalisierung vorangetrieben. „Die Branche hat in den letzten Jahren einen Kulturwandel durchgemacht.“
Häufig wie nie zuvor knüpfen die Konzerne nun Bündnisse mit Startups und experimentieren mit neuen Angeboten. Volkswagen etwa lässt unter der neuen Konzernmarke Moia derzeit in Hannover Dutzende Bullis durch die Stadt kurven. Die Testkunden können per App einzelne Fahrten im Gemeinschaftstaxi buchen, feste Haltestellen gibt es nicht. Auch die 2016 getätigte, 300 Millionen US-Dollar schwere Beteiligung am israelischen Uber-Konkurrenten Gett ist Moia zugeordnet. VW lässt keine Zweifel daran, dass all das nur der Auftakt ist: Man strebe bis zum Jahr 2025 eine „führende Position als Mobilitätsdienstleister“ an.
Schon früher gestartet ist Konkurrent Daimler: Mit Car2go haben die Stuttgarter bereits 2010 einen eigenen Carsharing-Dienst aufgebaut. Parallel schaute man sich in der Startupszene um – und stieg kurz darauf bei der Hamburger Taxivermittlung Mytaxi ein. 2014 folgte die Komplettübernahme. Die beiden Dienste bringen es zusammen mit der Mobilitäts-App Moovel, mit der sich auch Bahntickets buchen lassen, nun auf über 21 Millionen Kunden weltweit. Darüber hinaus sind die Stuttgarter am Fahrtenvermittler Blacklane beteiligt. Andere Uber-Konkurrenten wie Chauffeur Privé in Frankreich oder Careem in Dubai wurden komplett übernommen.
Neuer Markt, neue Spielregeln
„Mobilität wird individueller und facettenreicher“, sagt Jörg Lamparter, im Unternehmensbereich Daimler Financial Services verantwortlich für die Mobilitätsdienste des Konzerns. „Der Markt ist permanent in Bewegung, es gelten andere Spielregeln als in den klassischen Segmenten.“ Die Investitionen sind eine Wette auf die Zukunft: „Wir wollen eine starke Marktposition erreicht haben, wenn autonome Fahrzeuge marktreif sind“, sagt der Daimler-Manager. Weil dann die Kosten für Fahrten im (geteilten) Taxi drastisch sinken, so die Erwartung von Branchenbeobachtern, wird der private Autobesitz immer unattraktiver.
Noch während Roboterautos die Straßen erobern, könnten sie Konkurrenz aus der Luft bekommen. Es ist auffällig, dass sich bei der Entwicklung von Flugtaxis gleich zwei deutsche Startups hervortun und stattliche Summen von Wagniskapitalgebern bekommen haben. An wendigen Multicoptern für die Stadt tüftelt Volocopter aus Bruchsal bei Karlsruhe. Auf senkrechtstartende Jets mit einer hohen Reichweite setzt dagegen Lilium aus München. Beide Unternehmen nutzen Elektroantriebe und arbeiten an Autopiloten.
Gemeinsam ist beiden Startups auch: Sie drängen von Beginn an auf den Weltmarkt – Lilium hat deswegen erst gar keine deutschsprachige Website. Trotzdem sehen sich die Gründer im Wettlauf mit anderen Flugtaxi-Startups wie Kitty Hawk aus Kalifornien im Vorteil. „Für ein Software-Unternehmen mag das Silicon Valley vielleicht immer noch der bessere Ort sein. Aber wenn du ein Hardware-Unternehmen baust, gibt es keinen besseren Standort als München“, sagt Lilium-Chef Daniel Wiegand. Er ist, wie auch Konux-CEO Kunze, Absolvent der TU München und hat sein Unternehmen zusammen mit Kommilitonen gegründet. „Es gibt sehr viele Weltmarktführer hier in der Region, was vor allem für unsere Zulieferbeziehungen extrem wichtig ist.“ Auch fähige Ingenieure seien in Deutschland vergleichsweise gut zu finden.
Zehnkampf um die Zukunft
Ein weiterer potenzieller Vorteil ist die Nähe zu großen Automobilkonzernen, die selbst Ambitionen im Luftverkehr entwickeln. Daimler hat sich bereits im vergangenen Sommer an Volocopter beteiligt. „Heute ist für niemanden absehbar, welche neuen Mobilitätsformen erfolgreich sein werden“, kommentiert Lamparter das Investment. „Das ist wie im Zehnkampf – man muss viele Bereiche beherrschen.“ Dabei geben sich Daimler, VW und Co. neuerdings trotz ihrer dicken Finanzpolster gerne als Underdogs aus: „Wir haben andere Voraussetzungen als die großen Tech-Unternehmen“, sagt Lamparter. „Ein wesentlicher Erfolgsfaktor im Bereich Mobilitätsdienstleistungen ist die Fähigkeit, schnell skalieren zu können. Kooperationen sind eine gute Möglichkeit, um die strategischen Ziele schneller zu erreichen.“ Auch drastische Schritte sind möglich. Kürzlich erst haben die eigentlich rivalisierenden Konzerne Daimler und BMW bekanntgegeben, ihre Carsharing- und Mobilitätsdienste zusammenlegen zu wollen.
Neben Kooperationen untereinander und mit Startups knüpfen die Autokonzerne auch Netzwerke mit kommunalen Unternehmen. Daimler etwa bietet über seine Moovel-App bereits ÖPNV-Tickets an. Und Viavan – ein Jointventure von Mercedes-Benz Van und dem New Yorker Startup Via – will noch im Sommer zusammen mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) einen Ridesharing-Dienst mit zunächst 50 Fahrzeugen starten.
Die zunehmende Kooperationsbereitschaft der Mobilitätsriesen, gepaart mit der Kompetenz bei der Entwicklung von hochkomplexen technischen Systemen, stimmen die Macher in der Branche positiv. „Darauf können wir stolz sein und wir müssen diesen Vorteil mehr nutzen“, sagt Lilium-Mitgründer Wiegand mit Blick auf das Hardware-Know-how. Die guten Startvoraussetzungen im Rennen um digitale Mobilitätskonzepte befeuern auch die Ambitionen von Konux-Chef Kunze: „Das ist das erste Mal seit langer Zeit, dass wieder große Player in Deutschland entstehen können.“
Guten Abend,
sehr interessanter und umfassender Artikel mal wieder auf meiner Lieblingsplattform. Ich bin sehr gespannt, wie sich das alles entwickeln wird. Allerdings sehe ich ein Problem in der Bürokratie Deutschlands. Nur mal angenommen wir würden nun wirklich Flugtaxis etablieren. Dann müssten ja etliche Gesetze umgeworfen werden und da sehe ich einfach das Problem. Wir sind zu unflexibel und noch nicht bereit für solche krassen Veränderungen.
Beste Grüße
Oliver von Firmenpartnerschaft.com