Wie früher bei Tante Emma: Daten-Management-Lösungen für personalisierte Werbung
„Guten Tag Herr Müller. Reichen Sie mir Ihren Beutel? Das Gleiche wie immer? Und darf ich Ihnen das hier noch empfehlen?“ So war das früher, im Laden von Tante Emma. Doch Tante Emma ist tot. Die Idee aber lebt weiter. Es geht auch heute darum, die Bedürfnisse des Kunden so gut wie möglich zu kennen und ihm die Dinge zu verkaufen, die er benötigt – oder von denen er noch nicht weiß, dass er sie benötigt. Heute heißt das „360-Grad-Sicht auf den Kunden“ – eine große Spielwiese für das Marketing. Vor allem die rasante technische Entwicklung kommt den Werbestrategen entgegen. Die digitalen Medien ermöglichen es, eine Vielzahl von Daten zu sammeln, auszuwerten und sie für die Aussteuerung digitaler Werbung heranzuziehen. Während früher das Umfeld darüber entschied, ob Werbung auf einer Website gebucht wird, rückt jetzt der Nutzer in den Fokus.
Wenn Herr Müller und Frau Meier heute dieselbe Website ansurfen, sehen sie zwar die gleichen Inhalte, aber unterschiedliche Werbung. Während Herr Müller zum Beispiel daran erinnert wird, seinen Einkauf im Autozubehör-Shop abzuschließen, informiert die Seite Frau Meier stattdessen über die neuesten Sommer-Stylingtrends. Auch Stammkunden und Interessenten können Werbetreibende unterschiedlich ansprechen: So könnte beispielsweise ein Grill-Hersteller potenzielle Neukunden mit einem Sonderangebot locken, während er seine Bestandskunden auf der gleichen Website mit ergänzendem Grillzubehör umwirbt. Die Zeiten, in denen Werbung nach dem Gießkannen-Prinzip verbreitet wurde, sind im Netz endgültig vorbei.
Die Daten organisieren
Um in der wachsenden Informationsflut beim Nutzer positive Aufmerksamkeit zu erzeugen, ist es für Werbetreibende wichtiger denn je, potenzielle Kunden im richtigen Moment mit der richtigen Botschaft zu erreichen. Wer einen Campingurlaub plant, sollte nicht mit Anzeigen eines Wellnessressorts konfrontiert werden. Und wer Reisen ausschließlich auf dem Desktop-Computer online abschließt, braucht keine „Jetzt sofort buchen“-Werbung auf seinem Smartphone. Die Voraussetzung für eine gezielte Ansprache ist, dass Unternehmen einen umfassenden Blick auf den Kunden erhalten. Dazu müssen sie Nutzerdaten aus den verschiedenen Kanälen sammeln, analysieren und vereinheitlichen. Darum setzt die digitale Werbeindustrie zunehmend auf Data Management Platforms (DMP). Mit einer DMP können Daten unterschiedlichster Quellen aggregiert, vereinheitlicht und auf anonyme IDs gematcht werden. In der Regel sind es Daten, die den Nutzer beschreiben, also soziodemografische Daten, Interessen oder Kaufabsichten. Stammen die Daten aus unternehmenseigenen Quellen, beispielsweise von der eigenen Website oder dem CRM-System, spricht man von „First Party Data“. Hinzu kommen Kampagnendaten (Second Party Data) und Daten von Drittanbietern (Third Party Data).
Im Unterschied zu einem klassischen Datawarehouse verarbeitet eine DMP ihre Daten in Millisekunden – eine wichtige Voraussetzung für das weit verbreitete Realtime-Advertising, im Web. Durch angekoppelte Werbe-Auslieferungssysteme werden die Datenplattformen direkt und automatisiert in die Kampagnenaussteuerung einbezogen. Eine Anzeige kann ein Unternehmen beispielsweise passend zu dem auf der DMP hinterlegten Surf- und Kaufverhalten des Nutzers, seinen Interessen und seiner Soziodemografie ausspielen. Basiert die Kampagne auf einem Bestandskunden-Segment, kann der Anzeigenschalter dem Nutzer Cross- und Upselling-Angebote unterbreiten.
Bestands- und Neukunden besser erreichen
Einer Studie von Exchangewire und Weborama zufolge sind die Onlinenutzung von CRM-Daten, der Schutz vor Datenverlusten und eine konsistente Kommunikationsstrategie über alle Kanäle hinweg für Werbetreibende und Händler die wichtigsten Gründe, eine DMP einzusetzen. Mehr als zwei Drittel der Befragten äußerten sich so. Knapp die Hälfte der Befragten (48 Prozent) nutzt eine DMP, um neue Kunden durch Daten von Drittanbietern zu gewinnen. Denn werden Daten von Drittanbietern in die eigene Kampagne aufgenommen, können Unternehmen eine Zielgruppe um neue Nutzerprofile – und somit um potenzielle Neukunden – erweitern.
Ebenso können Firmen sie mit Hilfe spezieller Zielgruppensegmente ansprechen. Beispielsweise lassen sich aus den Profilen tatsächlicher Kunden statistische Zwillinge ableiten. Mit einem solchen Zwillings-Zielgruppensegment können Werbetreibende dann jene Nutzer erreichen, die bisher die Website des Anbieters noch nicht angesurft haben, aber deren Profil dem der Käufer ähnelt. Das erhöht die Kaufwahrscheinlichkeit.
Viele Unternehmen greifen auch deshalb zu einer Datenplattform, weil sie sehr spitze Zielgruppen ansprechen und nicht die breite Streuung in Kauf nehmen wollen, die ihnen ein klassisches Umfeld – zum Beispiel eine Nachrichtenwebsite – normalerweise bieten würde. Außerdem lassen sich verschiedenste Zielgruppen mit der jeweils passenden Botschaft erreichen, ohne dass es zu Überschneidungen kommt. Tui Fly setzt im Onlinemarketing beispielsweise auf eine so genannte Fullstack-Lösung von Adform und damit auf ein integriertes Zusammenspiel von DMP, Demand-Side-Platform (DSP) und Adserver des Marketingtechnologie-Anbieters. Einzelne Zielgruppensegmente lassen sich nun mit spezifischen Werbebotschaften über zahlreiche digitale Kanäle hinweg ansprechen. Mittels Business Rules kann man bei Tui Fly über die DMP steuern, welcher Rezipient welche Werbebotschaft erhält. Das Unternehmen erhofft sich so, das Werbebudget nicht nur planbarer, sondern auch effizienter einsetzen zu können.
Marketing-Clouds mit integrierten DMPS
Auch die großen Marketingcloud-Anbieter haben das Potenzial erkannt und ergänzen ihre Toolsets mit DMPs. Beispielsweise hat Ende vergangenen Jahres Salesforce die Datenmanagementplattform von Krux in seine Marketingcloud integriert. Auch andere Anbieter wie Adobe, Google oder Oracle haben DMPs im Portfolio.
Data-Management-Plattformen sollen als zentrale Stelle fungieren, um Erst-, Zweit- und Dritt-Daten miteinander zu verbinden. Unternehmen können laut den Anbietern die Informationen aus all ihren Datenquellen zusammenführen und daraus belastbare Erkenntnisse über die Kunden generieren. So sollen DMPs zu einer Art Steuerpult für alle datengetriebenen Marketing-Maßnahmen entlang des Kundenkontakts werden. Das gehe von der ersten Einblendung eines Banners an einen „Unbekannten“ über die Begleitung der Kaufentscheidung durch Retargeting bis zum eigentlichen Kauf.
Die Oracle DMP können Werbetreibende beispielsweise in drei Stufen einsetzen: Auf der ersten Ebene aggregieren die Unternehmen mit der Plattform Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Dazu gehören Websites, Analytics-Plattformen, Adserver, mobile Daten aus dem Web oder aus Apps sowie Offlinedaten aus CRM- oder BI-Lösungen, Callcentern und weitere.
In der zweiten Stufe strukturieren und vereinheitlichen die Firmen die Daten. Dafür bietet die Oracle DMP eine spezielle Technologie. Der so genannte Oracle ID-Graph verbindet Daten aus allen Kanälen sowie von allen Geräten und ermöglicht dadurch einen 360-Grad-Blick auf den Kunden. Mit den Daten lassen sich darüber hinaus Zielkunden-Modelle, so genannte Look-alike-Models, entwickeln, um das Targeting weiter zu verfeinern. In Stufe drei werden die konsolidierten Daten angewendet, um Maßnahmen in allen Kanälen und auf allen Geräten zu steuern. Die Oracle DMP kommuniziert dabei mit 400 individuellen Schnittstellen zu den verschiedensten Adtech- und Marketingtech-Ökosystemen.
Neue Plattformen für Erstdaten
Doch nicht nur die Ad- und Marketing-Technologien verändern sich, auch die Mediennutzung ist weiter im Wandel. Konsumenten nutzen immer mehr interaktive Plattformen und neue Endgeräte. Das führt dazu, dass auch die Anzahl der Kontaktpunkte zwischen Marken und Konsumenten zunimmt. Somit werden zwangsläufig immer mehr First-Party-Daten generiert. Dieser Entwicklung wird eine vergleichsweise junge Form von Datenplattformen gerecht, die Customer Data Platforms (CDP). Im Gegensatz zu den DMPs dreht sich bei einer CDP alles ausschließlich um die selbst erhobenen Kundendaten, die First-Party-Daten. Eigene Daten gelten als die wertvollsten Daten. Ihre Qualität ist in der Regel hoch, denn die Informationen hat man schließlich selbst generiert und kein unbekannter Dritter. Da die Anzahl der direkten Kontaktpunkte zwischen Marke und Nutzer zunimmt, gelten CDPs als eine gute Möglichkeit, diesen Informationsfluss zu verbessern. Welcher Kanal bringt beim jeweiligen Nutzer den höchsten Impact? Wofür interessiert sich ein Nutzer im Moment? Über sämtliche Touchpoints hinweg werden die Daten aus verschiedensten Systemen des Unternehmens in Echtzeit erfasst, den jeweiligen Nutzerprofilen zugeordnet und gespeichert. Die hinterlegten Informationen können von anderen Systemen genutzt werden, beispielsweise, um Kunden gezielt anzusprechen beziehungsweise um für eine kanalübergreifende, einheitliche Nutzererfahrung zu sorgen.
Auch Offlinequellen wie Mailings, Kataloge oder Callcenter lassen sich als Datenquellen anschließen. Eine CDP soll auf diese Weise eine einheitliche Basis für Kundendaten schaffen. Auf der anderen Seite können die Werbeauslieferungssysteme direkt an die junge Technologie andocken. Somit fungiert eine CDP letztlich wie eine Schaltzentrale für die bestehende Marketing-Infrastruktur und ist beispielsweise auch in der Lage, Kanalpräferenzen eines Nutzers zu erkennen. Erst kürzlich hat zum Beispiel die DB Vertrieb GmbH eine Zusammenarbeit mit Crossengage im digitalen Marketing bekanntgegeben. Mit der Lösung des CDP-Anbieters sollen Botschaften individualisiert und die zur Ansprache genutzten Marketingkanäle automatisch ausgewählt und kombiniert werden. Auch will der Vertriebsarm der Bahn die Kommunikationsaktivitäten im Onlinemarketing auf diese Weise gezielter aufeinander abstimmen.
Best-of-Breed versus integrierte Lösung
Customer Data Platforms sind momentan auf einem guten Weg, sich als Segment in der Marketingtechnologie zu etablieren. Im Herbst 2016 wurden sie erstmals in Gartners „Hype Cycle for Digital Marketing and Advertising“ berücksichtigt. Demnach befinden sie sich in einem sehr frühen Stadium des Hype-Zyklus. Das Plateau der Produktivität wird Gartner zufolge in zwei bis fünf Jahren erreicht. Laut eines Reports des Customer Data Platform Institute erzielten die Anbieter im Jahr 2016 einen Umsatz von 300 Millionen US-Dollar. Doch bereits für das Jahr 2019 erwartet das Institut, dass die Umsatzgrenze von einer Milliarde US-Dollar erreicht wird.
Sollen Daten-Plattformen eingesetzt werden, stellt sich schnell die Frage, ob es sich lohnt, eine separate Lösung einzubinden oder ein Komplettpaket zu wählen. Fullstack bietet den Vorteil, dass es Lösungen aus einer Hand sind, was das Zusammenspiel der Komponenten in der Regel vereinfacht. Doch wenn Agenturen, Advertiser oder Publisher bereits mehrere Ad- und Marketingtechnologie-Plattformen nutzen – und mit ihnen auch zufrieden sind –, benötigen sie eher eine separate Datenmanagement- Lösung, die in die bestehende Marketingtechnologie- Landschaft integriert wird. Allerdings können an den Systemschnittstellen Reibungsverluste auftreten. Die klassische Frage „Best-of-Breed versus integrierte Lösung“ stellt sich für Anwender damit auch im Bereich der Marketingtechnologie und muss individuell entschieden werden.
Fazit
Dem Online-Werbeverdruss will die Industrie bessere und relevantere Werbung entgegensetzen. Dafür sind Daten nötig und Plattformen, auf denen das Marketing Informationen und Zielgruppensegmente verwalten kann. Die kampagnenfokussierten DMPs sind aus der Onlinewerbung kaum noch wegzudenken, da sie verschiedenste Daten sammeln, verarbeiten und für die Werbeauslieferung verfügbar machen. Aber auch die aufstrebenden CDPs finden ihren Markt, mit denen sich speziell die eigenen Daten besser verstehen und managen lassen. Der Run auf Datenplattformen wird weitergehen. Big Data ist im Marketing noch lange nicht am Ende. Ob dies der richtige Weg ist, darüber wird am Ende jedoch der Nutzer entscheiden.