Es war einmal, vor langer Zeit, da brachten neue Konsolen ungeahnte Möglichkeiten mit sich: 3D-Grafik, filmähnliche Zwischensequenzen, innovative Steuerungsmöglichkeiten. Neue Spielerlebnisse. Und heute? Sony und Microsoft fahren die modernste Technik auf: Festplatten, die fast ganz ohne Ladezeiten auskommen. Grafikprozessoren, die mit Raytracing hoch komplexe und beeindruckende Lichtverhältnisse und Beleuchtung in Spielen erlauben. 4K-Auflösung und 60 Frames per Second werden zum Standard. Mit der Playstation 5 und Xbox Series X sind Ende 2020 Plattformen auf den Markt gekommen, die durch ihre technischen Leistungen ganz neue Spielerlebnisse bieten könnten.
Könnten. Ein Blick auf die ersten Blockbuster-Spiele für diese neuen Konsolen zeigt aber: wenig Neues. Fortsetzungen von Spielereihen mit besserer Grafik und geringeren Ladezeiten. Remakes von Spielen, die über zehn Jahre alt sind. Isoliert betrachtet, könnte das ein Zeugnis dafür sein, dass die Games-Branche längst keine neuen Ideen mehr hervorbringt. Dass die Zeit der großen Innovationen vorbei ist. Und zu Teilen mag das auch stimmen. Doch wer einen genaueren Blick wagt, kann erkennen, dass es in der Stagnation doch noch neue Impulse gibt.
Lange Zeit war es die Technik selbst, die für Innovationen beim Spielen gesorgt hat. Etwa das Nintendo 64. Die Konsole erschien 1996 und ermöglichte dank solider 3D-Grafik und dem seriellen Analogstick am Controller die Entwicklung des Spiels „Super Mario 64“, das erstmals eine ausgereifte Steuerung in 3D-Umgebung mit justierbarer Kamera erlaubte. Ein Gerüst, das bis heute Verwendung findet. Ab 2005 stellte die Xbox 360 Spielern eine robuste Online-Umgebung zur Verfügung und mit Xbox Live einen Service, der Online-Games zum neuen Standard machte. 2006 erreichte Bewegungssteuerung mit der Nintendo Wii den Massenmarkt. 2016 erschien mit der Oculus Rift das erste massentaugliche Gaming-VR-Headset, im gleichen Jahr legte Sony mit der Playstation VR nach, die auf der Playstation 4 einige wirklich neuartige Spielerfahrungen ermöglichte. Und zwischen all diesen Meilensteinen gab es immer wieder kleine Hardware-Innovationen, die dem Spielen neue Nuancen gab.
Die Zeiten, in denen die Hardware selbst neue Spielerfahrungen brachte, scheinen aber vorbei. Zwar hat die Playstation 5 mit ihrem Dualsense-Controller neue Features wie Schulter-Trigger, die in ihrem Widerstand adaptierbar sind. Doch mehr als Nuancen sind auch da nicht zu erwarten. Woher können also noch Innovationen kommen? Und braucht es das überhaupt unbedingt, neue Ideen?
Mehr als Nazis abknallen
„Die Games-Branche hat heute sicherlich weniger innovatives Potenzial als vor 20 Jahren. Aber es ist immer noch sehr viel da, das ausgelotet werden kann“, sagt Jörg Friedrich, Mitbegründer und Game-Designer des Berliner Studios Paintbucket Games. Die größten Schübe sieht er derzeit in dem, was erzählt wird – und wie. Lange Zeit sei das Medium sehr selbstreferenziell gewesen, habe auf ältere Spiele rekurriert, selten außerhalb des eigenen Kreises nach Stoffen gesucht. „Das hat sich geändert und ändert sich immer noch“, sagt Friedrich.
„Through the Darkest of Times“ aus seinem Studio will ein solches Beispiel sein. Das Spiel ist seit Anfang 2020 auf dem Markt und setzt sich mit dem Widerstand gegen das sogenannte Dritte Reich auseinander. Zwar wurde das nationalsozialistische Deutschland bereits oft in Videospielen als Schauplatz genutzt. Aber in erster Linie nur als Kulisse, um Nazis zu erschießen oder den Helden im Zweiten Weltkrieg zu spielen. Der Shooter war das klassische Format, in den dieser Stoff gepresst wurde. Heute werden historische Vorlagen oft anders spielbar gemacht – ungewohnt, neu. Eine besonders leistungsstarke Hardware ist dafür in der Regel nicht nötig.
„Wir haben unser Spiel auch entwickelt, weil wir das Gefühl hatten, dass es so etwas noch nicht gibt – und dass es so was aber geben sollte“, sagt Game-Designer Friedrich. Das Spiel setzt kurz nach der Machtübernahme der Nazis ein; die Spieler müssen sich organisieren. Sie müssen Geld auftreiben, neue Mitglieder gewinnen, Proteste planen – und jederzeit damit rechnen, von der Gestapo entdeckt zu werden. Das Besondere an dem Spiel ist, dass es zwar Entscheidungsmöglichkeiten gibt, doch zu keinem Zeitpunkt vorgaukelt, dass die Spielenden wirklich etwas verändern können. Die Geschichte ist geschrieben. Genau durch diese Diskrepanz zwischen der eigenen Spielagenda und dem, was tatsächlich vorgefallen ist, entsteht eine Reibung, die in Videospielen selten ist.
Mit Blick auf den Games-Markt sieht Friedrich nicht nur in den Themen der Spiele Neues. „Auch die Abomodelle, die gerade durch die Decke gehen, werden die Games-Industrie verändern“, sagt er. Der Xbox-Game-Pass etwa, der über 15 Millionen Abonnenten hat, bietet für um die zehn Euro im Monat Zugang zu einer Vielzahl an Spielen. Das „Netflix des Gamings“, das seit Jahren herbeigeredet wird – der Game Pass kommt dem schon sehr nahe. „Es werden bald Spiele erscheinen, die extra für diese Services entwickelt wurden“, sagt Friedrich. Und das werde auch die Spiele selbst verändern. So seien noch mehr „Games as a Service“-Modelle denkbar, die über viele Monate laufen und die Spieler immer wieder mit neuen Inhalten versorgen. Oder auch Spiele, die in Episoden erscheinen und die Spielenden so dazu bringen sollen, Mitglied des Aboservices zu bleiben. Im „Free 2 Play“-Bereich gibt es dieses Geschäftsmodell bereits seit geraumer Zeit; wenn nun weitere finanzstarke Aboservices wie der Xbox-Game-Pass hinzukommen, könnte das die Game-Produktionen quantitativ und qualitativ ein gutes Stück nach vorne bringen.
Künstliche Intelligenz als Game-Changer?
Stichwort „künstliche Intelligenz“. Im Jahr 2017 sind mit „Hello Neighbour“ und „Echo“ zwei Stealth-Spiele erschienen, die ganz auf lernende KI setzen. Durch das Verhalten der Spielenden lernen die computergesteuerten Charaktere, sich anzupassen. Ein offensives Spielen sorgt für ebenso aggressive Gegner – der eigene Spielstil wird gegen einen selbst eingesetzt. Auf diese Wechselwirkung setzt auch das 2020 veröffentlichte „Phasmophobia“ – ein Multiplayer-Horrorspiel, dessen KI auf die Unterhaltungen der Spieler reagiert. Geben sie ihren Aufenthaltsort preis? Sind sie besonders verängstigt? Auf solche Audioimpulse springen die Geistergegner im Spiel an.
Es sind erste Ansätze, die zeigen, wie viel noch mit künstlicher Intelligenz in Videospielen geschaffen werden kann: Wirklich responsive Spiele, die auf individuellen Input reagieren und das Spielen so einzigartig und interaktiv machen. „Noch sind wir an dem Punkt aber nicht. Auf dem Papier klingt das total faszinierend für Entwickler und Entwicklerinnen. In der Realität sind das oft aber noch recht mediokre Spiele“, sagt Friedrich. Die Reaktionsfähigkeit sei eher auf Feinheiten begrenzt, die auch nicht immer erkennbar für die Spielenden sei.
Doch KI könne schon jetzt für Veränderung sorgen, indem es die Entwicklung schneller mache, nämlich durch prozedurale Mechanismen. Game-Engines, die mit KI ein Grundgerüst erstellen, das die Entwickelnden dann noch händisch verbessern. Speedtree etwa ist so ein Tool, das automatisiert Bäume modelliert und in der Umgebung platziert. „Mit solchen durch KI getriebenen Methoden haben wir weniger Arbeitsaufwand und können uns um andere Prozesse kümmern, in denen wirklich neue Spielideen entstehen können“, sagt Friedrich.
„Spiele zugänglicher zu machen, ihnen die Einstiegshürde zu nehmen, darin steckt noch viel innovatives Potenzial.“
Lea Schönfelder, Gründerin des Studios Fein Games in Berlin, sieht noch andere Triebfedern: „Spiele zugänglicher zu machen, ihnen die Einstiegshürde zu nehmen, darin steckt noch viel innovatives Potenzial.“ Sie hat als Project Lead am 2019 erschienen „Assemble with Care“ des britischen Studios Ustwo Games mitgearbeitet. Ein Puzzlespiel, in dem es darum geht, Gegenstände zu reparieren. Spielende schlüpfen in die Rolle der um die Welt reisenden Restauratorin Maria und müssen verstehen, wie jeder einzelne Gegenstand funktioniert, wo der jeweilige Defekt liegt und wie sich dieser beheben lässt. Dabei erfahren sie die Geschichten hinter diesen Objekten, die Geschichte der Menschen, denen sie gehören. Solche Spiele mit im Grunde einfachen Gameplay-Mechaniken können so doch zu einem komplexen Spielerlebnis führen. Schönfelder zeigt sich auch begeistert vom VR-Game „The Climb“, in dem es darum geht, einen Berg zu erklimmen. Die eigenen Hände müssen dabei richtig platziert werden, um so Stück für Stück nach oben zukommen. „Die Belohnung war dann die Aussicht da oben, das war wichtiger als irgendwelche abstrakten Scores.“
Zugänglichkeit könne aber ganz unterschiedlich aussehen, betont sie. Als Beispiel nennt sie Fortnite, das auf so gut wie jeder Plattform spielbar ist, egal ob Smartphone, PC oder Nintendo Switch. Quasi von überall aus können Spieler so auf Fortnite zugreifen und losspielen. Auch die Hardware an sich kann laut Schönberger das Spielen zugänglicher machen. Switch, die Hybrid-Konsole von Nintendo, hält sie auch für einen großen Schritt in der Zugänglichkeit. „Sie haben es geschafft, eine wirklich portable Konsole zu schaffen“, sagt sie und erzählt von ihrer kleinen Tochter, die sehr gerne damit spiele. „Eine schnelle Runde zwischendurch – egal ob vor dem Fernseher oder unterwegs.“
Die Vorstellung, dass es einer gewissen Literacy, also Vorwissen, bedarf, um Videospiele spielen zu können, gehe langsam verloren. Heute würden die Hürden eher abgebaut. So erhielten nicht nur mehr Menschen Zugang, sondern es könnten auch ganz neue Spielideen entstehen. „Je zugänglicher ein Spiel, desto intuitiver ist es zu bedienen. Und daraus können wiederum neue Erfahrungen in Spielen erwachsen, die viel unmittelbarer sind“, sagt sie.
Innovation bedeutet Risiko
Die Ideen sind also da, warum aber ist davon bisher wenig in den Blockbuster-Spielen zu sehen? „Heute kommen Fortsetzungen mit kleinen Veränderungen, aber die Spielideen bleiben gleich, das würde sonst das Publikum verschrecken“, sagt Linda Breitlauch, Professorin für Intermedia Games an der Hochschule Trier. Die „Anno“- oder die „Assassin’s Creed“-Reihen seien beispielsweise einst innovative Formate gewesen und hätten die Open World oder das Strategiespiel neu definiert. Das Risiko werde in den Blockbuster-Produktionen jedoch immer größer. Herstellungskosten nähmen zu und daher würden die großen Publisher lieber auf bewährte Ideen setzen, die sie, mit besserer Grafik, immer wieder veröffentlichen können. Sogenannte AAA-Spiele haben heute oft ein Budget von über 100 Millionen US-Dollar. Hinzu kommen hohe Beträge für Werbekampagnen.
Früher wollten viele junge Game-Designer ein zweites „World of Warcraft“ produzieren, das hat sich geändert.
Innovationskraft kommt für sie aus einer anderen Ecke: „Aber dann ist da ja noch der Indie-Markt. Auf der Spielemesse Gamescom hat die „Indie Arena Booth“ immer den größten Bereich – und da findet man auch viele der neuen Ideen“, sagt Breitlauch. Etwa das Spiel „The Longing“, in dem der Spielcharakter sehnlichst darauf wartet, seinen König zu wecken. 400 Tage kann es dauern, bis es so weit ist, und die Spieler müssen sich solange die Zeit vertreiben. Oder „Untitled Goose Game“, in dem es gilt, als Gans Unruhe zu stiften und Gegenstände aus Gärten oder von Fensterläden zu klauen. Da es sich dabei um keine hochpreisigen Produktionen handelt, ist damit auch weniger Risiko mit der Veröffentlichung verbunden. Aber hier entstehen Innovationen, die wiederum von Blockbuster-Studios aufgegriffen und massenmarktkompatibel gemacht werden können.
Bei ihren Studierenden hat Linda Breitlauch in den vergangenen Jahren einen Wandel erkennen können. „Früher wollten die meisten ein zweites „World of Warcraft“ produzieren“, sagt sie. Also den großen Erfolg eines Blockbuster-Spiels reproduzieren und damit selbst zu anerkannten Entwicklern und Entwicklerinnen werden. „Inzwischen sind viele Studierende eher daran interessiert, ein kleineres Publikum anzusprechen, das dafür aber ganz besonders.“ Die Studierenden sähen in dem Medium eine künstlerische Ausdrucksform, sie würden ausprobieren wollen, was alles möglich ist – innovativ sein. So habe etwa ein Student an einer Augensteuerung gearbeitet, mit der 3D-Voxel-Modelle gebaut werden können. „Das ist wie ein „Minecraft“-Modellerstellungsprogramm, das nur mit den Augen funktioniert“, erklärt Breitlauch. Auch hier sei es die höhere Zugänglichkeit, die neue Spielideen aufkommen lasse. Denn mit einer Augensteuerung ließe sich noch viel mehr vorstellen: Ein Spiel etwa, das trackt, wohin die Spieler schauen, und darauf reagiert. „So kann eine ganz andere Immersion entstehen.“
So ist es nicht mehr unbedingt die brandneue Technik, die neue Spielideen hervorbringt. Vielmehr ist die Games-Industrie an einem Punkt angelangt, an dem die Hardware schon fast jede Einschränkung aufgehoben hat. Und nun entdecken immer mehr Studios, welches Potenzial darin liegt, einzigartige Erfahrungen zu bieten, unbekannte Geschichten zu erzählen. Und damit noch viel mehr Menschen anzusprechen. Innovation ist heute nicht mehr der Sprung von der zweiten in die dritte Dimension. Es ist eine Gameplay-Mechanik, die jeden Spielenden genau fühlen lässt, was im Spiel, in der Geschichte gerade passiert. Das klingt nicht ganz so imposant wie die hardware-getriebenen Innovationen der Vergangenheit, lässt sich auch weniger gut vermarkten. Aber es ist doch: anders.
Ich war 22 Jahre lang Gamer und bin seit 2012 raus aus dem Thema Gaming. Schlicht weil ich das Gefühl hatte, bereits alles schonmal gesehen zu haben. Habe vor Weihnachten nochmal Interesse daran gehabt, das Thema nochmal aufzugreifen, kann aber besten Gewissens sagen, dass ich in den vergangenen zehn Jahren rein gar nichts verpasst habe. Gaming steht immernoch da, wo es 2012 schon war, nur eben hübscher. That’s it. Von Innovation keine Spur.