Die Glücksökonomie: Warum Glück und Zufriedenheit in der Arbeitswelt immer wichtiger werden
„Wir sind nicht faul. Wir wollen arbeiten. Nur anders. Mehr im Einklang mit unseren Bedürfnissen. Wir lassen uns im Job nicht versklaven, doch wenn wir von einer Sache überzeugt sind (…), geben wir alles. Wir suchen Sinn, Selbstverwirklichung und fordern Zeit für Familie und Freunde.“ (Kerstin Bund)
Wir, die nachwachsende Generation, oftmals auch als Generation Y beschrieben, 20 bis Ende 30. Wir, das sind vor allem Wissensarbeiter, Webworker, Kreative, Digitalpioniere. Wir sind mit dem Netz aufgewachsen und haben eine enorme Erwartungshaltung an unsere berufliche Zukunft: Mobilität, Spaß an der Sache, stets bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen, Work-Life-Balance, mehr Freizeit, Mitbestimmung, Selbstverwirklichung. Arbeit soll nicht mehr das notwendige Übel zur Finanzierung des Alltagslebens sein, sondern ein fester Bestandteil eines ausgefüllten und glücklichen Lebens.
In unserer Welt spielen Status und Prestige eher eine untergeordnete Rolle. Das ergab auch eine Studie zu unserer Generation, bei der 72 Prozent der Befragten als wichtigstes Kriterium für eine Arbeitgeberwahl Entfaltungschancen angaben, 56 Prozent eine ausgeglichene Work-Life-Balance. Nur 35 Prozent sind Karriereoptionen wichtig.
Netz so wichtig wie die Luft zum Atmen
Das Netz hat einen prägenden Einfluss auf unsere Generation. Als Kind erstmals mit AOL-CD und Modem ins Internet, mit Facebook, YouTube und Co. groß geworden und heute wie selbstverständlich das Netz stets in der Hosentasche dabei: Wir sind mit der rasanten technologischen Entwicklung der vergangenen 20 Jahre aufgewachsen und haben die Welt vor allem als voll vernetzt und als Ort ohne Grenzen kennengelernt. Die enormen Entfaltungsmöglichkeiten nicht nur des Netzes zwingen unsere Generation zu einem ständigen „biografischen Selbstmanagement“, wie der Soziologe Klaus Hurrelmann es treffend beschreibt. Familie, Beruf, Karriere, Feierabend, Freunde, Spaß, Selbstverwirklichung – alles ist drin, vieles gewünscht, und zwar möglichst gleichzeitig.
Die rigorose Nutzung des Internets zeichnet uns im Besonderen aus. Das zeigt auch der Cisco Connected World Technology Report (CCWTR), der die Mitglieder unserer Generation einmal im Jahr befragt. Beim Report aus dem Jahr 2011 gaben ein Drittel der Befragten an, dass für sie die ständige Verbindung zum Netz so fundamental wichtig ist wie die Aufnahme von Nahrung, Wasser und Sauerstoff. Ein Jahr später sagten zwei Drittel der Befragten sogar aus, dass sie das Internet einem Auto vorziehen würden. Das Smartphone gilt laut der Studie in unserer Generation als das „single-most desired device“.
Was heißt Arbeit eigentlich?
Doch welche Auswirkungen hat die hohe Netzaffinität unserer Generation auf die Arbeitswelt? Welchen Einfluss hat sie auf das, was wir als Arbeit begreifen? Vor allem für uns Kreative, Webworker und Wissensarbeiter zeigt sich, dass die besten Ideen gar nicht am Schreibtisch entstehen, sondern meist dann, wenn wir entspannt sind und nicht im Büro sitzen – beim Spaziergang im Wald, bei der Konversation mit den eigenen Kindern, bei der Gartenarbeit. So schlägt der Mitgründer des Big-Data-Startup Datagravity John Joseph Kreativen etwa vor, das Büro regelmäßig zu verlassen, um beispielsweise Menschen im Café oder beim Ein- und Aussteigen in der U-Bahn zu beobachten. „Die Beobachtung menschlicher Interaktion, die dich umgibt, kann enorme Kreativität freisetzen. Du kommst auf die besten Ideen, wo und wann du es nicht erwartest“, so Joseph.
An diesem Beispiel wird klar, dass Arbeit heute immer schwieriger in enge Grenzen zu fassen ist: Ist es nicht auch Arbeit, wenn mir unter der Dusche plötzlich eine Lösung für ein Problem einfällt, ein Teilaspekt einer Unternehmensstrategie während eines Spaziergangs klar wird? Was im Büro vielleicht mühsam und Stunden gedauert hätte, kann außerhalb der üblichen Routinen manchmal wenige Minuten in Anspruch nehmen. Unterstützt wird diese Entwicklung eben vor allem durch die technologischen Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte. Das Internet sowie Smartphones und Tablets machen uns zwar nicht kreativer oder schlauer, sie unterstützen jedoch die Mobilität des Geistes, in dem sie uns Werkzeuge zur Verfügung stellen, die es uns in Echtzeit ermöglichen, zu kommunizieren oder etwas nachzuschlagen, zu vergleichen oder einzuordnen.
Wie sich die Avantgarde der Wissensarbeiter in Zukunft ihre Arbeit vorstellen, haben einige ihrer Vertreter kürzlich in einem von Microsoft initiierten Manifest zusammengetragen. So heißt es dort etwa: „Wir wollen keine 9to5-Jobs machen, aber auch nicht solche, bei denen wir unsere Lebenspartner und Kinder nicht zu Gesicht bekommen. Was spricht dagegen, Arbeit und Freizeit, Freizeit und Arbeit miteinander zu mischen und dann produktiv, kreativ und rekreativ zu sein, wenn es möglich oder nötig ist?“
Die neue Glücksökonomie
Diesen Wertewandel haben auch die Unternehmen längst erkannt und reagieren entsprechend. Wenn die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend verschwimmen, dann macht es als Unternehmen Sinn, auf das generelle Wohlergehen der Mitarbeiter zu achten und sie sogar auch im Alltag zu entlasten. Bei Evernote etwa können Mitarbeiter auf einen kostenlosen Putzservice zurückgreifen, der zwei mal im Monat die Häuser und Wohnungen sauber macht. Wäsche waschen, Fahrrad- und Autoreparatur, nervige bürokratische Angelegenheiten, Kindertagesstätten und Schulen auf dem Unternehmensgelände: Die eigenen Mitarbeiter sollen sich voll und ganz auf ihre Arbeit konzentrieren und nicht von lästigen Dingen des Alltags abgelenkt werden.
Vorzeige-Unternehmen wie Google gehen noch weiter und achten penibel auf das Stresslevel ihrer Mitarbeiter. So gab der Konzern nach einer firmeninternen Studie in seinem Dublin-Standort beispielsweise kurzzeitig die Devise „Google goes dark“ aus, die vorsah, dass Mitarbeiter ihre wichtigsten Geräte wie Notebooks, Tablets und Smartphones im Büro lassen. Der Konzern hatte nämlich in der Studie herausgefunden, dass lediglich 30 Prozent seiner Mitarbeiter es schaffen, nach Feierabend wirklich abzuschalten – die ständige Erreichbarkeit tritt hier als Schattenseite der schönen neuen Arbeitswelt zutage. Das Zuhause lassen der wichtigsten Arbeitsgeräte sollte für die nötige Entspannung sorgen. Auch wenn sich die Idee nicht durchgesetzt hat, zeigt sich, wie weit Unternehmen mittlerweile gehen, um die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter zu steigern.
Auch die Berliner Spiele-Schmiede Wooga verfolgt dieses Ziel und ist beispielsweise bei den typischen Anfangsschwierigkeiten ihrer ausländischen Mitarbeiter behilflich – mit Kollegen aus über 40 Nationen und einem ausländischen Belegschaftsanteil von über 55 Prozent verständlich. „Wir unterstützen nicht nur dabei, ein ‚Wooga‘ zu werden, sondern auch ein Berliner“, erklärt Gitta Blatt, Head of People bei Wooga. Dazu gehört es beispielsweise, Visa und Arbeitsgenehmigungen zu besorgen, eine Wohnung anzumieten und die ersten acht Wochen kostenlos zur Verfügung zu stellen sowie Unterstützung beim Einwohnermeldeamt, bei der Eröffnung des ersten Bankkontos oder der Suche nach einer geeigneten Kita für den Nachwuchs.
Happynomics
Wie wichtig mittlerweile diese neue Einstellung zur Arbeit in der Wirtschaftswelt genommen wird, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass sich unter dem Begriff „Happynomics“ inzwischen renommierte Ökonomen mit der Frage beschäftigen, wie die Glücksökonomie funktioniert und welche Faktoren die Zufriedenheit des Menschen beeinflussen. Welche Rolle spielen etwa die Höhe des Einkommens, Heirat, Kinder, Freundschaft, persönliche Freiheit, Glaube? Die Ergründung der wichtigsten Glücksfaktoren sind nicht nur eine Reaktion auf den Wertewandel, den unsere Generation vorantreibt – sie ist auch aus einer rein ökonomischen Perspektive naheliegend: Solche Arbeitnehmer, die glücklich und mit ihren Lebensumständen zufrieden sind, sind in der Regel auch produktiver.
Das bestätigt auch Lea Böhm, Team-Managerin beim Startup ezeep: „Glückliche Mitarbeiter sind das wertvollste, was uns als Unternehmen passieren kann. Wenn glückliche Menschen zusammentreffen und produktiv an gemeinsamen Zielen arbeiten, haben sie auch Spaß dabei.“ Den Begriff Spaß möchte Böhm aber nicht überstrapazieren: „Spaß bezieht sich für mich eher auf Momentaufnahmen, die nicht von Dauer geprägt sind. Spaß lässt sich nicht künstlich erzeugen, man kann lediglich Gelegenheiten schaffen, bei denen Menschen zusammenkommen, um beispielsweise gemeinsame Erfolge zu feiern. Mit dem Begriff Spaß möchte ich deshalb vorsichtig sein und lieber von Glück sprechen.“ Glück und Wohlergehen als Basis für Produktivität und gute Leistung? Gitta Blatt von Wooga sieht das ähnlich: „Nur Mitarbeiter, die sich wohlfühlen, bringen in einem technischen, schnellen und kreativen Umfeld gute Leistung. Denn das kostet Energie, braucht Ideen, permanente Lernbereitschaft und vor allem ein gutes Miteinander.“
Wo Licht ist, fällt bekanntlich auch Schatten: Kritische Stimmen sehen in der Einbettung des Mitarbeiters in ein Unternehmensökosystem eine Situation der Ausnutzung und beklagen, dass es am Ende nur darum gehe, die Mitarbeiter noch mehr zu schröpfen und an das Unternehmen zu binden. Was oberflächlich nach kreativen Entfaltungsmöglichkeiten und flexiblen Arbeitszeiten aussehe, sei in Wirklichkeit ein verschleiertes Ausbeutungssystem. Wer seinen gesamten Alltag auf dem Unternehmensgelände verbringt, könne wohl auch direkt neben seinem Arbeitsplatz schlafen, so der Vorwurf. Alles für die Firma?
Hinzu kommt, dass nicht jeder mit dem zunehmend fließenden Verlauf zwischen Arbeit und Freizeit umgehen kann. Fehlende Grenzen führen dann zu einem gegenteiligen Effekt, Überarbeitung und Überlastung drohen. Wenn das biographische Selbstmanagement zur penetranten Horror-Show wird, dann helfen die besten Absichten nichts und die schöne neue Arbeitswelt funktioniert nicht – Glück: Fehlanzeige.
Solopreneure: „Wir nennen es Arbeit“
Solche Digitalarbeiter, die jedoch die Grenzenlosigkeit lieben und Selbstverwirklichung aktiv suchen, die die vielfältigen Möglichkeiten als Chance begreifen, nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand: Das Netz selbst tritt als Karriereoption immer stärker in den Vordergrund. Solopreneure ziehen ihr eigenes Ding durch und nutzen die Netzstrukturen, vernetzen sich, arbeiten projektweise, wählen ihren Arbeitsort selbst und verzichten freiwillig auf lukrative Jobs bei Unternehmen (Seite 31). Sie genießen die Freiheit und reizen die Vorzüge der digitalen Arbeitszeit voll aus: Mobilität, Netzwerkpflege über die sozialen Medien, Selbstvermarktung im Netz.
Bereits 2006 schrieb Sascha Lobo mit Holm Friebe in seinem Erstlingswerk „Wir nennen es Arbeit“ über die Digitale Boheme: „Sie verzichten dankend auf einen Arbeitsvertrag und verwirklichen den alten Traum vom selbstbestimmten Leben. Mittels neuer Technologien kreieren sie ihre eigenen Projekte, Labels und Betätigungsfelder. Das Internet ist für sie nicht nur Werkzeug und Spielweise, sondern Einkommens- und Lebensader. Ihr Ideen erreichen (…) vor allem über das Web ein großes Publikum und finanzieren sich damit. Ein zeitgemäßer Lebensstil, der sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt.“
Fachkräftemangel
Ein weiterer Wirtschaftsfaktor, der infrastrukturell noch bedeutender sein dürfte, ist der Fachkräftemangel, der auf die deutsche Arbeitswelt zukommt. Bis zum Jahr 2030 werden hierzulande laut Experten rund drei Millionen qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Arbeitgeber müssen sich also auf unsere Generation zwangsweise einlassen und werden sogar in einen hart umkämpften Wettbewerb um die besten Köpfe einsteigen müssen.
„Headhunter werden regelmäßig bei gut ausgebildeten Fachkräften anrufen und Jobangebote unterbreiten. Es wird auch völlig normal sein, dass, wenn wir heute einen Job verlieren oder selbst kündigen, morgen zehn bis 20 neue Angebote bei uns eintreffen“, erklärt Zukunftsforscher Sven Gabor Jánszky die Arbeitswelt von morgen. Der klassische Lebenslauf wird sich also zunehmend verändern – von einem geradlinigen Weg ohne große Hindernisse, hin zu einer Wanderschaft mit Umwegen und spannenden Ausflügen. Fluktuation, kurzfristige Arbeitsperioden und Phasen mit Leerlauf werden also zunehmen und nicht unbedingt etwas über die Qualität eines Bewerbers aussagen.
Projektmanagement-Experte und Autor Ronald Hanisch bringt es auf den Punkt: „Die neuen High Potentials stellen die Frage nach dem Sinn: Warum mache ich das, was ich mache? Kann der Arbeitgeber das für das Unternehmen sinnvoll beantworten, bleiben sie. Entdecken sie aber in einem anderen Unternehmen spannendere Projekte, wechseln sie. Sie wissen, dass sie gefragt sind, und machen keine langfristigen Pläne.“
Die Frage nach dem Sinn – die stellt sich auch Annegret Hagen, wenn es um die Jobwahl geht. Als Sales Managerin für Mobile Advertising beim Werbetechnologie-Startup Fyber verantwortet sie das Direktkundengeschäft in EMEA. Hagen sagt: „Ich möchte in einem Unternehmen arbeiten, mit dem ich mich identifizieren kann und das ich gern vor Kunden und Partnern repräsentiere.“ Sie hat internationale Berufserfahrung, war schon während ihres Studiums im Ausland, spricht mehrere Fremdsprachen fließend und ist gerade mal 30 Jahre alt – ein High Potential, wie er im Buche steht. Was erwartet jemand wie Annegret Hagen von ihrer Arbeit? „Damit ein Job mich überzeugt, muss ich Möglichkeiten haben, mich zu beweisen, Verantwortung zu übernehmen und mich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln.“ Und welche Rolle spielt die Höhe des Gehalts? „Natürlich muss auch die Entlohnung stimmen. Dieses Thema wird aber erst relevant, wenn die anderen Punkte stimmig sind.“
Fazit
Auch wenn die Errungenschaften des Internets nicht für jede Berufsgruppe die gleichen Auswirkungen haben wie für uns Digitalarbeiter, sind einige Aspekte dieser neuen Arbeitswelt für nahezu jeden Berufstätigen von Interesse. So war es heute noch nie einfacher, den richtigen Job zu finden. Übers Netz lassen sich potenzielle Arbeitgeber ausfindig machen und erste Kontakte knüpfen. Auf der anderen Seite bietet das Internet Bewerbern vielerlei Möglichkeiten, via Website, Blog, Video, sozialer Medien auf sich aufmerksam zu machen.
Unternehmen müssen sich mit diesen neuen Spielregeln vertraut machen und auf die Bedürfnisse unserer Generation eingehen, sonst verlieren sie den Wettbewerb um die besten Köpfe. Forderungen nach mehr Freizeit, einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie mehr Eigenverantwortung, Mitbestimmung und Selbstverwirklichung sind für viele von uns immer wichtigere Kriterien für die Berufswahl.
Für Unternehmen und Mitarbeiter ergibt sich eine Win-Win-Situation, denn zufriedene Mitarbeiter zahlen sich langfristig für die Wirtschaftsleitung eines Unternehmens aus. Diese Zufriedenheit strahlt zudem auch auf die Unternehmensmarke ab, schließlich gibt es keine besseren Markenbotschafter als die eigenen Mitarbeiter. Und für die Mitarbeiter ist eine Arbeit, die zufriedenstellt, ein wichtiger Baustein für ein glückliches Leben. Und ist es nicht das, was wir alle suchen?
Wichtig war es immer!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
„Arbeit soll nicht mehr das notwendige Übel zur Finanzierung des Alltagslebens sein, sondern ein fester Bestandteil eines ausgefüllten und glücklichen Lebens.“ Finde ich gut. Nur, dann sollten aber auch die Gehaltswünsche bzw. der Lebensstandard dementsprechend angepasst werden, sonst bleibt bei dem Ganzen eine Seite auf der Strecke…