Die große Übersicht für Deutschland: Online-Marktplätze

(Grafik: Shutterstock/ Pretty Vectors)
Wenn ein alteingesessener Laden zum letzten Mal seine Türen öffnet, ist es ein wenig wie bei einer Beerdigung. So auch im beschaulichen 4.000-Einwohner-Dörfchen Schönberg im bayerischen Wald, zu dessen Hauptattraktionen das dreitägige Dorffest und ein Maislabyrinth gehören. Als das Modehaus Scheuchenzuber seinen 250-Quadratmeter-Laden in Schönberg zum letzten Mal öffnet, kommt über den Tag verteilt die Trauergemeinde. Die treuen Stammkunden überreichen Blumensträuße und verabschieden sich von 32 Jahren Modegeschichte im Ort. Und trotzdem ist alles gut bei den Inhabern, der Familie Scheuchenzuber: Der Traditions-Einzelhändler hat sich nach einer sechsmonatigen Einstiegsphase bei Amazon dazu entschieden, sein Ladengeschäft zu schließen, um sich voll auf den Online-Marktplatz zu konzentrieren.
Der Begriff „Marktplatz“ ist für Händler heute zwiespältig belegt. Einerseits Freund und Umsatzlieferant wie beim Modehaus Scheuchenzuber, andererseits Feindbild und Kundenfänger. Während die einen voll auf Risiko gehen und sich auf einen einzelnen Marktplatz konzentrieren, agieren andere vorsichtig und setzen auf mehrere Pferde. Auswahl gibt es genug, in Deutschland tummeln sich laut der Studie „Marketplaces Across The World“ vom Bundesverband Onlinehandel e.V. (BVOH) und Pdigital die meisten Marktplätze. Sage und schreibe 71 B2C-Marktplätze und 17 B2B-Marktplätze hat der Verband gezählt. Welche lohnen sich, weil sie eine große Nachfrage bieten – und was macht die einzelnen Marktplätze aus?
Marktplatz: Risiko und Chance
Die Entscheidung, auf einem Marktplatz Produkte anzubieten, fällt manchen Händlern nicht leicht. Viele Sorgen bewegen die Händlerwelt: von der Furcht vor zu großer Abhängigkeit bis hin zu Ängsten, Topseller an Amazon zu verlieren. Trotzdem bleibt vielen keine Wahl: Marktplätze zu ignorieren geht an der Kundenrealität des Jahres 2017 vorbei.
Einer zu großen Abhängigkeit können Händler durch Diversifikation vorbeugen. Wer auf mehreren Verkaufskanälen präsent ist, kann sich im Fall einer Sperre oder Auslistung durch den Marktplatzbetreiber auf seine anderen Kanäle stützen. Manche Händler geben hier zu bedenken, dass dann spezifisches Know-how für mehrere Marktplätze nötig ist. Das erhöht den Aufwand, die Kosten und verteilt Umsätze auf mehrere Kanäle – dabei kann bei einem zusätzlichen Kanal nicht zwingend auch von einem Umsatzanstieg ausgegangen werden. Eine Kompromisslösung stellt der internationale Handel dar. Amazon zum Beispiel betreibt mehrere Marktplätze, für die Händler landesspezifische Händlerkonten haben. Eine Sperrung in Deutschland lässt die anderen internationalen Amazon-Konten meist unberührt.
Die führenden Marktplätze in Deutschland
Die BVOH-Studie hat mit Hilfe eines eigens entwickelten Algorithmus eine Rangliste der deutschen Marktplätze erstellt. Die Studie bediente sich verschiedener Datenquellen. Untersucht wurde dabei die Nachfrage auf den Marktplätzen, die mit der Reichweite gleichgesetzt wird – vermutlich der einzige Wert, der eine einigermaßen verlässliche Aussage über alle Marktplätze hinweg erlaubt, da die Marktplatzbetreiber Kennzahlen nur spärlich öffentlich zur Verfügung stellen. Aus den Top-24 der BVOH-Rangliste sind für diesen Artikel die führenden zehn Vollsortimenter unter den Marktplätzen ausgewählt worden. Diese sogenannten Generalisten verkaufen Produkte nahezu aller Produktkategorien.
Die Top-10 Generalisten
1. Amazon
2. Ebay
3. Otto.de
4. Idealo
5. Dawanda
6. Real
7. Rakuten
8. Hood.de
9. Plus.de
10. Allyouneed
Die Marktführer: Amazon und Ebay
Amazon und Ebay beherrschen den Markt. Sie vereinen jeweils 42 Prozent der Nachfrage in Deutschland auf sich, die restliche Nachfrage verteilt sich in jeweils einstelliger Prozenthöhe auf die übrigen Marktplätze in Deutschland. Im Gegensatz zu Ebay tritt Amazon auf seiner Plattform offen als Verkäufer in Erscheinung. Entweder treten Händler bei Amazon als Lieferanten (Vendoren) oder als Marktplatz-Händler auf.
Amazon und Ebay stellen unterschiedliche Marketingmodelle zur Verfügung, die Käufer mit verschiedenen Anzeigen auf die Produkte einzelner Händler bringen. Ansonsten hat sich für beide Marktplätze eine rege Analytics- und SEO-Szene mit entsprechenden Tools entwickelt, um Händler beim Umgang mit den sehr detaillierten Anforderungen der jeweiligen Plattformen zu unterstützen.
Der Start bei Amazon und Ebay ist heute nicht mehr so einfach wie vor einigen Jahren. Die Konkurrenz ist hart, die Marktplatzbetreiber sind resolut, was die Einhaltung der aufgestellten Spielregeln angeht. Für Neulinge gilt daher: Zunächst sorgfältig alle Marktplatzregeln studieren – und sie dann auch einhalten. Händler können mit ihren Listings gegen diverse Richtlinien verstoßen, was dann, zum Teil erst lange nachdem ein Artikel im Verkauf ist, zu dramatischen Folgen führen kann: Entfernung des Artikels, Sperre des Verkäufers für einen Artikel oder eine ganze Kategorie, komplette unwiderrufliche Sperre des Verkäuferaccounts. Maßgeblich ist immer, was die Verträge und Richtlinien sowie die Style Guides sagen – niemals, was andere Händler auf den Plattformen machen.
Otto Group und Otto.de
Als Unternehmensgruppe betrachtet, würde die Otto-Gruppe auf Platz zwei des Rankings in Deutschland stehen, Otto.de selbst findet sich auf Platz drei der Vollsortimenter. Die Hauptmarke der Otto Group hat ihre Strategie rigoros auf den Aufbau einer starken Plattform ausgerichtet. Der Ausbau von Otto.de zum Marktplatz ist in diesem Jahr mit dem Zuwachs von 100 neuen Händlern in vollem Gange. Und das soll erst der Anfang sein, der Marktplatz wird zukünftig in großen Schritten erweitert. Der Produktkatalog soll um ein Vielfaches anwachsen – hier eröffnen sich neue Chancen für Händler. Weitere Otto-Marktplätze finden sich auch bei der Mytoys-Gruppe bestehend aus den Shops Mytoys, Mirapodo, Ambellis und Yomonda sowie beim stark wachsenden Fashion-Startup Aboutyou.
Einen simplen Registrierungsprozess wie bei Amazon wird es für Händler hier aber nicht geben. Otto prüft für jede Marke und jeden Händler, ob der potenzielle Partner auch zu den eigenen Qualitätsstandards passt. Die führenden Kategorien auf dem Marktplatz sind Fashion sowie Möbel & Living. Die Kategorie Beauty wächst aktuell ebenfalls stark, wenn auch ein Großteil des Wachstums auf den neuen Partner L’Oréal zurückzuführen ist. Nach eigenen Angaben hat der Hamburger Marktplatz die Anzahl seiner Partner innerhalb eines Jahres nahezu verdoppelt und konnte einen Neukundenzuwachs von 15 Prozent verzeichnen.
Real
Nachdem die Handelskette Real das reichweitenstarke Shopping-Portal Hitmeister übernommen hat, wird der Marktplatz als Real.de weitergeführt. Durch die Integration der Hitmeister-Händler ist die Angebotsvielfalt enorm gewachsen, was sich laut verschiedener Analyse-Tools auch in einer stark erhöhten Reichweite niederschlägt. Laut eigenen Aussagen des Betreibers vermelden zudem ein Viertel der Händler auf Real.de ein Umsatzwachstum. Positiv hervorgehoben werden in Erfahrungsberichten die Marketingpakete, die zu humanen Preisen unmittelbare Reichweitensteigerungen beim Händler bewirken sollen. Auch wenn das erste Fazit des Unternehmens nur auf 100 Tage zurückblickt, dürfte der Start des neuen Marktplatzes gut gelungen sein. Ein Testlauf kann sich für Händler hier lohnen.

Zum Jahresende startet der japanische Anbieter Rakuten seinen Amazon-Prime-Konkurrenten „Club Rakuten“. Dieser lockt Kunden mit kostenlosem Hin- und Rückversand sowie weiteren Services, etwa Videostreaming, aus der Rakuten-Familie. (Screenshot: Rakuten)
Rakuten
Der aktuell auf Platz sieben liegende Anbieter Rakuten aus Japan will seinen Marktplatz zum Jahresende attraktiver machen: Dann startet sein Amazon-Prime-Konkurrent „Club Rakuten“. Die Ausgangsposition dafür ist nicht schlecht: Die Reichweite des Marktplatzes hat sich laut Hochrechnung von Similarweb im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Club Rakuten will Kunden mit kostenlosem Hin- und Rückversand, aber auch mit Mehrwert locken, der in den verschiedenen Rakuten-Diensten steckt: Der Streaming-Dienst Rakuten, der Instant-Messenger Viber und andere Angebote sind zukünftig über einen gemeinsamen Login erreichbar. Mitglieder erhalten monatlich Bonuspunkte, die in allen Diensten eingelöst werden können, zum Beispiel zum Streaming von 4K-Blockbustern. Club Rakuten soll 19,95 Euro im Jahr kosten, Händler nehmen automatisch und kostenfrei teil. Rakuten betreibt darüber hinaus einen eigenen Affiliate-Bereich, der gegen eine Provisionsbeteiligung am Umsatz des Händlers Werbekampagnen für das Sortiment des Händlers pflegt und schaltet. Eine der attraktivsten Produktkategorien ist der Bereich Elektronik, Handyzubehör gehört zu den Bestsellern auf Rakuten.de.
Hood / Karstadt
Hood.de ist kürzlich von Karstadt übernommen worden. Der Marktplatz wird eigenständig weiterbetrieben, soll aber voraussichtlich auch die Infrastruktur für den Karstadt-Marktplatz liefern. Dieser soll noch vor Ende des Jahres starten, wie aus einem Schreiben an Karstadt-Lieferanten hervorgegangen ist. Der Start des Marktplatzes könnte interessante Effekte zeigen, denn Karstadt hat angekündigt, die Sortimente seiner Lieferanten wiederum auf weiteren Marktplätzen wie Amazon und Ebay anzubieten. Die Lieferanten scheinen darauf keinen weiteren Einfluss zu haben. Marktplatz-Neueinsteiger könnten so über einen einzelnen Kanal Sichtbarkeit in vielen weiteren Kanälen erzielen. Wie sinnvoll diese Strategie ist und wie sich Karstadt auf den anderen Marktplätzen behaupten wird, muss die Zeit allerdings noch zeigen. Für Händler mit bereits bestehenden Präsenzen auf Amazon und Ebay gilt abzuwägen, ob ein Kannibalisierungseffekt auftreten könnte. Marken, die beispielsweise bei Amazon nur als Lieferant auftreten, könnten von Karstadt profitieren, falls der Marktplatzbetreiber auch aktiv Werbung für seine Angebote bei Amazon über deren eigenen Marketingdienst Amazon Marketing Services machen sollte.

Hood.de ist kürzlich von Karstadt übernommen worden, der Marktplatz wird eigenständig weiterbetrieben. Voraussichtlich wird er die Infrastruktur für den Karstadt-Marktplatz liefern, der noch Ende des Jahres starten soll. (Screenshot: Hood)
Wie es mit Hood weitergeht, ist schwierig zu prognostizieren. Der Marktplatz hat aktuell in einigen Sparten eine hohe Nachfrage, besonders Spielzeug wird immer wieder erwähnt. Allerdings dürfte für Händler langfristig das direkte Listing bei Karstadt sinnvoller sein, schließlich werden sie dann von Karstadt automatisch auch bei Hood geführt. Wenn Karstadt allerdings auf eine Zusammenarbeit verzichtet, bleibt Hood als einzelne Plattform weiterhin interessant.
Weitere Marktplätze in Deutschland
Die Preisvergleichsplattform Idealo ist in allen Produktkategorien präsent, aufgrund der noch recht jungen Direktkauf-Funktion wandelt sich Idealo aber in kleinen Schritten von der Preissuchmaschine zum Marktplatz. Mit dem Direktkauf wickelt der Kunde wie auf anderen Marktplätzen die Transaktion direkt beim Betreiber ab und durchläuft den Idealo-eigenen Checkout. Idealo wirbt für Listings in seiner Suchmaschine automatisch bei Google und betreibt vielfältige SEO-Maßnahmen.
Auch der Supermarkt Plus betreibt einen Marktplatz, der ausgewählten Partnern zur Verfügung steht, besonders Gartenbedarf sowie Möbel & Living sind attraktive Produktkategorien für Händler. Beim Marktplatz der Deutschen Post, Allyouneed, sind alle Produktkategorien vertreten. Eine Besonderheit: Der Marktplatz bietet eine eigene Paymentlösung und einen Fulfilmentdienst, der Lagerung und Versand für den Händler übernimmt. Ebenfalls in den Top-10 der deutschen Marktplätze vertreten ist ein Sonderling: Dawanda, ein Marktplatz für Handgefertigtes. Dabei muss es sich nicht buchstäblich um gehäkelte Mützen und Ähnliches handeln. Auch professionell in Serie produzierte Stücke dürfen vertrieben werden, solange sie maßgeblich von Hand montiert beziehungsweise gefertigt werden. Neben Dawanda existieren noch weitere Sparten-Marktplätze, wie beispielsweise Zalando speziell für Mode. Händler, die sich in einem einzigen Segment bewegen, sollten sich Sparten-Marktplätze genauer anschauen. Hier können unter Umständen höhere Konversionsraten oder Umsätze als bei den Vollsortimentern erreicht werden.
Die Kundenrealität im Jahr 2017 zeigt, dass Kunden heute überwiegend auf Marktplätzen einkaufen. Produktsuchmaschine Nummer eins in Deutschland ist längst nicht mehr Google: es ist Amazon. Sich Marktplätzen zu verweigern ist demnach nur in manchen Fällen strategisch sinnvoll. Ein Einstieg in die Marktplatzwelt sollte zunächst auf einem einzelnen Marktplatz erfolgen, damit Händler die Gesetzmäßigkeiten der Plattform kennenlernen können. Erst dann kann eine Expansion auf weitere Verkaufskanäle geplant werden. Auch das Modehaus Scheuchenzuber bedient sich dieser Strategie und konzentriert sich aktuell auf Amazon. Der Händler ist aber schon dabei, weitere Alternativen ins Auge zu fassen. Mehr Verkaufskanäle versprechen dem Modehaus mehr Umsatz – und weniger Abhängigkeit.