Von Hackern, Geeks und CTOs: Sei kein Business-Kasper!
Technologie als Erfolgsrezept
Fangen wir bei Google an. Das Unternehmen steckt aktuell von allen Seiten Prügel ein: Da werden Zweifel am Datenschutz geäußert, Anfragen an die Objektivität der Suchergebnisse gestellt, die Produktqualität und das Innovationsvermögen hinterfragt – glaubt man den Innenansichten prominenter Ex-Googler, ist all dies das Ergebnis einer Entwicklung vom technologieorientierten Innovationsmonster hin zum marktfixierten Werbekonzern: „The Google I was passionate about was a technology company that empowered its employees to innovate. The Google I left was an advertising company with a single
corporate-mandated focus“, schreibt zum Beispiel James Whittaker,
vormals Test Director bei Google, im März in seinem Blog [1].
Mittelfristige Geschäftsmaximierung statt nachhaltige Innovationsförderung, Marktmacht statt Erfindungsreichtum: Kann das gutgehen? Oder mutiert Google vom Technologie-Messias („What Would Google Do?“) etwa zum Microsoft des 21. Jahrhunderts?
Dabei war Googles Erfolgsrezept stets seine Engineering Culture. Und die ist gar nicht so weit von dem entfernt, was der Konkurrent verkörpert, gegen den Google sich gerade zu wappnen versucht: Facebooks Hacker-Kultur bewegt sich schneller, nutzt leichtgewichtigere Technologien und kontert veritable Herausforderungen wie Google+ durch rasante Feature-Entwicklung. Im Kern aber sind beide Kulturen vor allem eines: Techniker-Kulturen. Auch die Konkurrenz von Apple oder Microsoft ist (oder war) in erster Linie erfolgreich, weil Entwickler und Produktmenschen an der Spitze stehen (oder standen), keine Manager. Der CEO hätte oft auch auch ein „T“ im Titel tragen können.
Neu ist das nicht: Ob Page und Brin oder Edison – Innovation kam schon immer von den Erfindern, den Technikern, den Nerds. Eine Suchtechnologie wie PageRank ist, genauso wie die Erfindung der Glühlampe, disruptiv, weil sie existierende Produkte oder Prozesse nicht verbessert, sondern überflüssig macht und durch neue ersetzt. Und genau deshalb wird das Potenzial zuerst von demjenigen erkannt und verstanden, der die Technik begreift, der Phantasie und Vorstellungsvermögen genug hat, um derart Neues unabhängig von bestehenden Strukturen zu denken.
Technologie treibt Innovation, nicht Marktanalyse und Businessplan: Nicht zuletzt dieser Einsicht wegen richten sich Inkubatoren wie HackFwd ausschließlich an Geek-Startups. Wer keine Zeile Code schreiben kann, hat dort keine Chance. Innovators‘ Paradise! MBA-freie Zone! Yay!
Auch Organisations-Innovation kann funktionieren
Aber Innovation geht auch anders: wie bei der Teekampagne [2] zum Beispiel, die einen ineffizienten Prozess identifiziert (Teehandel über zentralisierte und hierarchische Strukturen), diesen durch neue Handelstrukturen (kein Händlernetz, Einkauf direkt bei den Plantagen) und organisatorische Modularisierung (Logistik macht der spezialisierte Dienstleister) ersetzt – und damit binnen kurzer Zeit zum größten (und profitabelsten) Darjeeling-Importeur Deutschlands aufsteigt. Marktanalyse und Organisations-Innovation statt Raketenwissenschaft: funktioniert auch – und kann ebenfalls sympathisch sein. Nach ähnlich technikunabhängigen Prinzipien arbeiten auch Airbnb und all die anderen P2P-Plattformen („cut out the middleman“) oder Groupon & Co. (Herdentrieb plus Schnäppchenjagd). Auch wenn dabei natürlich Technik im Einsatz ist, so macht diese doch nicht den Kern der Idee aus. Innovation funktioniert eben auch marktgetrieben und optimierungsorientiert. Und zwar am besten da, wo die Marktanalyse primär Selbstbeobachtung ist, wo man für ein Bedürfnis entwickelt, das man selbst kennt und teilt: „Scratch your own itch“, bekannt und beliebt spätestens seit Basecamp und 37signals und auch der Treiber hinter Airbnb sowie Instapaper. Was aber all diese Beispiele darüber hinaus eint: Sie sind keine Businessplan-Konstruktionen, keine Management-Kopfgeburten – sondern smarte Produkte mit einem verifizierbaren Bedürfnis als Produktkern.
Kasper oder Nicht-Kasper?
Viel mehr steckt im Grunde auch nicht hinter dem Hype ums „Lean Startup“: Lieber erstmal einen Tumblr-Blog mit einem Sonderangebot als Testballon aufsetzen (und die verkauften Pizzen dann selber ausfahren), wie bei Groupon, statt gleich Software zu bauen. So lange iterieren, bis das Produkt stimmig ist, und dabei „zäh wie Kakerlaken“ sein (Paul Graham über die Airbnb-Gründer). Und erst ganz am Ende das Geld für die Skalierung besorgen.
Deshalb ist es am Ende gar nicht die Opposition Business vs. Technik, die das interessante vom lahmen Startup unterscheidet – sondern die zwischen Kasper und Nicht-Kasper.
Natürlich – man muss das Internet schon mögen, um dafür zu entwickeln. Wer Twitter und Foursquare (immer noch) „irgendwie nicht verstanden“ hat, wer das Internet für ein „Neues Medium“ hält und bei Infrastruktur an Autobahnen denkt, wer sich darüber beklagt, dass die Leute auf Qype immer so negative Bewertungen schreiben – der sollte sich nicht an einem Internet-Startup versuchen. Technologiekompetenz kann man sich aneignen und/oder temporär dazuholen (full disclosure: damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt). Aber im Internet kein Trottel zu sein, heißt eben auch, ein Mindestmaß an Technologieverständnis mitzubringen.
Doch ganz unabhängig davon: Unternehmertum war schon immer mehr als ein Shortcut zum Upper Management, ein Entrepreneur hat noch nie „in residence“ funktioniert, und Produkte sind immer noch für Kunden und Benutzer da, nicht für Investoren. Und am Ende des Tages versteht auch das Google der Page-Ära immer noch mehr von Internet und Unternehmertum als das Gros der Business-Kasper, die bei Businessplänen so wenig kritisch sind wie bei Wurst, was die verarbeiteten Zutaten angeht, und die bei romantischen Gefühlen für Technologie zum Therapeuten raten.
Danke für den Artikel!!!
Prinzipiell ja, aber ich stimme nicht grundsätzlich zu.
Schön wäre es, wenn Geeks/Nerds, Hacker/Bastler, … Dinge zustande bringen würden, die wirklich von vorne bis hinten durchdacht und auf die Kunden zugeschnitten sind.
Für eine einfache Idee zu Beginn einer Unternehmensgründung mag das alles stimmen und ich befürworte es.
Befasst man sich aber mit Systemen wo viele Ressourcen, sei es Wissen, Menschen, Rohstoffe und Geld eine Rolle spielen, braucht man auch immer mehr die Business-Pläne. Ein kleines Startup kann auch mal scheitern, wenn sich jemand in seinen Träumen verrennt – aber wenn man nur durch Massenproduktion entsprechende Kosten niedrig halten kann, dann ist ein Scheitern ohne entsprechende wirtschaftliche Planung noch viel wahrscheinlicher.
Dann kann aber unter Umständen auch nicht jeder noch so schöne Teilaspekt perfekt umgesetzt werden und man schaut mehr auf das Geld.
Das finde ich zwar schade, aber es hat auch nicht immer geschadet.
Tüftler wollen oft das Beste aus allem rausholen, aber der Normalbenutzer ist schnell mit den Möglichkeiten überfordert und nutzt sie gar nicht.
Betriebswirte hingegen wollen oft die Kosten auf ein Mindestmaß drücken, dass Funktionen nicht vorhanden sind, die oft aber erst auf den zweiten Blick doch wichtig wären.
Deswegen hat Axel Hörnke auch Recht – 50/50 ist schon in der Regel ganz gut. Ob mit oder ohne dazugekauft.
Wie sieht es mit sozialer Kompetenz, Moral und Ethik aus? Sind alle nur noch scharf auf den schnellen Dollar? Besonders junge Unternehmer müssen hier oft noch viel lernen!