„Mehr Bürokratiefreiheit für Startups“: Günter Faltin erklärt, was dem Standort Deutschland fehlt
t3n Magazin: Warum haben wir so ein desolates Gründerklima in Deutschland?
Gunter Faltin: Ach, ich teile diese Behauptung gar nicht. Die Zahlen der Gründer in Deutschland steigen doch schon.
t3n Magazin: Wirklich? Die Statistiken und Zahlen sprechen aber eine ganz andere Sprache.
Gunter Faltin: Die Zahlen sind irreführend. Die Gründerstatistik erfasst einfach alle neu angemeldeten Unternehmen und wirft damit zwei völlig unterschiedliche Dinge in einen Topf: Gründungen aus der Not heraus und Gründungen aus freiwilligem Antrieb. Bei der ersten Variante versuchen die Menschen einfach irgendwas, um der Arbeitslosigkeit zu entkommen – mit hohem Scheiter-Risiko. Diese Gründungen gehen seit einiger Zeit zurück, da sich der Arbeitsmarkt erholt hat. Die freiwilligen Gründungen dagegen, die Gründungen „aus Motivation“, nehmen nach meiner Beobachtung stark zu. Ich sehe das zum Beispiel an meinen Studenten: Früher wollten die zur Deutschen Bank, Daimler oder PricewaterhouseCoopers. Gründen war bei ihnen überhaupt nicht auf dem Radar. Das ist heute anders: Gründen ist populär.
t3n Magazin: Das heißt, die deutsche Startup-Szene ist auf einem glänzenden Kurs?
Gunter Faltin: Absolut gesehen gibt es auch für mich noch zu wenige Gründungen. Vor allem in dem Bereich, den ich unter den Begriff Entrepreneurship fasse: innovative, wachstums- und technologieorientierte Startups, nicht noch ein Frisör- oder Bäckerladen. Fragen Sie mal in den Industrie- und Handelskammern: Richtige Entrepreneure sind von den Leuten, die dort vorstellig werden, vielleicht zwei oder drei von hundert.
t3n Magazin: Wie kann man dieses Verhältnis verbessern?
Gunter Faltin: Wir brauchen deutlich bessere Rahmenbedingungen für Gründer. Es ist zum Beispiel wenig sinnvoll, Startups von Anfang an die Gewerbeaufsicht auf den Hals zu hetzen. Oder sie im ersten oder zweiten Jahr eine Steuererklärung machen zu lassen – da haben sie sowieso noch keine Gewinne. Ein Jahr Bürokratiefreiheit für Startups, so dass „Garagengründungen“ – dieser Begriff, den die Politiker so lieben – auch wirklich mal möglich wären, das wäre was. Getrennte Toiletten, Fenster-, Beleuchtungsvorschriften und so weiter: das ist nicht „Garage“. Lasst die Leute doch erst mal tüfteln!
t3n Magazin: Stichwort Rahmenbedingungen: Es wird ja auch häufig moniert, dass es in Deutschland zu wenig Risikokapital für Gründer gebe.
Gunter Faltin: Das erzählt inzwischen jeder Dorfbürgermeister, ja. Dabei ist das System hier einfach anders, vernetzter und nicht so vollgepumpt mit Cash. Das ist nicht unbedingt ein Nachteil. Richard Branson hat mal gesagt: „Wir hatten kein Geld, also mussten wir kreativ sein.“ Ein ausgezeichneter Satz! Daran sollten Gründer sich halten. Okay, ein bisschen Geld braucht man schon – aber mit einem guten unternehmerischen Konzept und den heutigen Möglichkeiten, beispielsweise dem Crowdfunding, ist das in Deutschland längst kein Problem mehr.
t3n Magazin: Ein gutes unternehmerisches Konzept zu entwickeln ist nicht leicht. Sie haben dazu die Methode des „Entrepreneurial Design“ entwickelt. Was genau bedeutet das?
Gunter Faltin: Entrepreneurial Design beschreibt den Prozess von der ersten Idee bis zum tragfähigen Geschäftskonzept. Anders als beim Businessplan frage ich dabei noch nicht nach Zielgruppen, Wettbewerb oder Monetarisierungsstrategien, sondern entwickle die Idee zunächst für sich genommen weiter, beleuchte sie aus ganz neuen Perspektiven. Wie kann ich etwa ein Café, eine Software, eine Dienstleistung ganz anders denken als die Unternehmer vor mir? Welche Bedürfnisse der Menschen will ich im Kern adressieren? Entrepreneurial Design öffnet gedanklich neue Türen, die es systematisch zu erforschen gilt. Am Ende dieses iterativen Prozesses steht quasi ein Gesamtkunstwerk aus Ideen, das zur Marktreife taugt.
t3n Magazin: Aber ist es nicht gerade in der Tech-Branche leichter als je zuvor, aus einer guten Idee schnell ein florierendes Geschäft zu machen?
Gunter Faltin: Naja, das ist wohl der Traum. Aber es ist nicht die Realität. Ich bin ja vertraut mit der Berliner Startup-Szene und ich bin erstaunt, wie ideenlos es da zuweilen zugeht. Ein Lieferdienst folgt auf den anderen – wenn das Kreativität ist, verstehe ich die Welt nicht mehr. Die hohen Bewertungen dieser Firmen finde ich erstaunlich und sie sind höchstwahrscheinlich auch nicht nachhaltig.
t3n Magazin: Firmen wie Rocket Internet versprechen ja, Märkte weltweit in Windeseile zu besetzen. Ist es nicht gerade das globale Potenzial, das die Investoren reizt?
Gunter Faltin: Lassen Sie uns in drei bis fünf Jahren noch mal darüber sprechen, ob diese hunderte von Millionen, die da eingesetzt werden, sich ausgezahlt haben. Leute wie ich, die schon länger dabei sind, erinnert die aktuelle Phase sehr peinlich an 1998 und 1999, als auf einmal jedermann ins Internet drängte und vom großen Geld träumte. Nur weil man zwei- oder dreimal erfolgreich gegründet hat, ist man nicht automatisch ein Midas, der alles per Berührung in Gold verwandelt. Der Proof of Concept für das System Rocket steht noch aus – in meinen Augen ist das ein Weg zum Misserfolg.
t3n Magazin: Und wie sieht der Weg zum Erfolg stattdessen aus?
Gunter Faltin: Guten Entrepreneuren geht es in der Regel nicht darum, besonders viel Geld zu scheffeln. Klar sind Gewinne lebensnotwendig für ein Unternehmen – aber stumpf auf die Maximierung dieser Gewinne zu setzen ist ziemlich einfallslos. Wenn ich nicht auf mein gesellschaftliches Umfeld achte und keine Ambitionen habe, bestimmte Probleme zu lösen, bin ich ein schlechter Entrepreneur.
Gunter Faltin: Gute Entrepreneure sind von ihrer Idee besessen, wie Henry Ford es war, oder auch Bill Gates und Steve Jobs. Ihnen ging es nicht um maximalen Gewinn, sondern darum, das beste mögliche Produkt zu erschaffen. Diese Leidenschaft hat sie erfolgreich gemacht – und letztlich auch reich.
t3n Magazin: Wie finde ich als Gründer eine Idee, von der ich derart besessen sein kann?
Gunter Faltin: Etwa durch die Methode „Funktion statt Konvention“, die hinter den vermeintlichen Zweck bestehender Geschäftsmodelle blickt. In ein Café beispielsweise gehen wir augenscheinlich, um Kaffee zu trinken. Das ist aber nur die Konvention. Die Funktion ist: um etwas Neues zu sehen, Menschen zu treffen, eine tolle Atmosphäre zu genießen. Vor diesem Hintergrund gibt es viel mehr Möglichkeiten als bloß die Qualität der Kaffeebohnen, um sich vom Wettbewerb abzuheben.
Gunter Faltin: Ich kann auch neue Perspektiven einnehmen. Beispiel Wearable Tech: Hier wird Kleidung auf einmal unter dem Aspekt der Beleuchtung und Bewegung interpretiert und es tun sich völlig neue Horizonte auf. Auch das Prinzip Mehrfachnutzung ist eine gute Methode, wie die Sharing-Economy zeigt. In der Natur finden Sie nichts, was nur eine einzige Funktion hat: Es gibt immer mehrere, miteinander verwobene Nutzungsmöglichkeiten. Die moderne BWL ignoriert dies völlig, denkt immer nur von einer Funktion her und versucht diese zu maximieren – mit zum Teil haarsträubenden Auswirkungen. Ein guter Entrepreneur dagegen denkt kreativ, berücksichtigt mehrere Perspektiven. So verschafft er sich auch einen Sympathiebonus gegenüber den großen, etablierten Anbietern.
t3n Magazin: Was müssen Gründer sonst noch beachten, um erfolgreich zu sein?
Gunter Faltin: Vor allem sollten sie frühzeitig den Markttest, den Proof of Concept, erbringen. Denn das Unternehmenskonzept ist ja erst einmal ein Bündel von Annahmen – zur Produktart, zum Design, zum Preis, zur Art des Vertriebs. Wir tun gut daran, diese Annahmen in der Praxis zu testen. Denn es ist keineswegs sicher, ob wir mit ihnen richtig liegen. Ein nicht geringer Teil aller in Businessplänen gemachten Vermutungen ist falsch, Schätzungen gehen von bis zu 70 Prozent aus. So etwas kann tödlich sein für den Auftritt im Markt. Wahrscheinlich trägt dieser Sachverhalt zur hohen Quote des Scheiterns von Neugründungen in den ersten fünf Jahren bei. Der Proof of Concept erspart Gründern viele auf falschen oder zumindest ungeprüften Annahmen basierende Irrwege. Am besten holt man schon vor der Gründung die ersten realen Bestellungen ein. Ein harter Test zwar, aber ein guter: Er zeigt, ob das Konzept wirklich das Vertrauen der Kunden gewinnt.
t3n Magazin: Viele Startups machen sich über den Proof of Concept allerdings erst nach der Gründung Gedanken …
Gunter Faltin: Das ist in meinen Augen dumm: Gründen à la Roulette – eine dreiste Selbstüberschätzung.
t3n Magazin: Aber stimmt es nicht, dass wir Deutschen zu zögerlich sind, was das Gründen angeht? Dass wir mehr Mut zum Risiko haben und öfter „einfach mal machen“ sollten?
Gunter Faltin: Nein. Ich finde es richtig, Unsicherheiten zu reflektieren, statt voran zu preschen – auch wenn viele selbst ernannte Experten heute das Gegenteil empfehlen. Ich frage dann immer gerne zurück: Haben Sie selbst denn schon einmal gegründet? Es ist doch so: Risikobereitschaft, Kultur des Scheiterns – das sind, genau wie „Garagengründung“ übrigens, Lieblingsworte von Politikern, wohlklingend und schnell dahin gesagt, mit denen ich im realen Leben sehr vorsichtig wäre. In Deutschland gibt es keine Kultur des Scheiterns, wer hier hinfällt, steht so schnell nicht wieder auf. Wer in den Strudel einer Insolvenz gerät, verwickelt sich leicht auch in Straftatbestände – hier können sich Gründer also richtig in Schwierigkeiten bringen, wenn sie diesem Gerede blind vertrauen. Als Gründer hängst du an der Eiger-Nordwand, da musst du genau wissen, welches Risiko du eingehen kannst und welches nicht.
t3n Magazin: Das klingt jetzt wiederum sehr pessimistisch.
Gunter Faltin: Daher mein Plädoyer für das Entrepreneurial Design: Wer gut vorbereitet ist, hat deutlich weniger zu befürchten als die, die es mit einem übermotivierten Schnellschuss probieren. Gründen war nie leichter als heute – wenn man nicht zu leichtfertig an die Sache rangeht.
Hallo …,
u. a. wg. dieser bürokratischen Hürden wandern Start-Ups, Forscher, Entwickler, usw. aus, zumeist in die USA.
Deswegen finden dort auch die nennenswerten Entwicklungen statt, darum müssen wir immer wieder über den ‚großen Teich‘ linsen; DE stellt sich (in diesem Zusammenhang) wie so oft, mal wieder selbst ein Bein.
Ciao, Sascha.