Klartext-Kolumne zur gründerunfreundlichen Politik in Deutschland: Knapp verfehlt, ist auch daneben
Ein einfacher Zahlenvergleich unter EU-Ländern zeigt, dass Deutschland Schlusslicht ist bei der „KMU-Dichte“. In Tschechien, Portugal, Griechenland, Italien, Spanien, Schweden, Ungarn und Norwegen beträgt die Anzahl der Unternehmer pro 1.000 Einwohner das 3- bis 5-fache des Werts von Deutschland. Jeder zwölfte Tscheche ist selbstständig – aber nur jeder fünfzigste Deutsche. Das entspricht der Hälfte des Durchschnitts der 27 EU-Länder. Nur Rumänien und die Slowakei haben noch weniger Unternehmungsgeist vorzuweisen. Doch warum ist das so? Ist die Bevölkerung andernorts um soviel aktiver? Oder sind dort einfach die Bedingungen günstiger?
Die deutsche Politik gibt sich offiziell gründerfreundlich. Man verweist im Brustton der Überzeugung auf die vielen Förderprogramme und Errungenschaften wie die „Mini-GmbH“. Man schwadroniert breit über die Bedeutung des Mittelstands. Woran aber liegt es dann, wenn es jenseits der Festtagsreden trotzdem nicht funktioniert mit ernst zu nehmender wirtschaftlicher Dynamik im Land der Dichter und Denker?
Zusammenhänge
Verfolgt man die Politik der letzten Dekaden, erkennt man rasch Zusammenhänge. Wer am lautesten schreit und am meisten Wählerpotenzial stellt, bekommt auch die freundlichsten Gesetze. Was gibt es da nicht alles für umjubelte „Meilensteine“: Verbraucherschutz, Arbeitnehmerschutz, Umweltschutz, Datenschutz, Gläubigerschutz – alles und jeder wird geschützt. Nicht, dass die Ideen hinter all diesen Erbaulichkeiten grundsätzlich des Teufels wären. Die Kehrseite allerdings ist, dass all diese Boni für die Wählermassen im Regelfall so gestrickt sind, dass sie klammheimlich erkauft werden mit immer neuen Belastungen für die Unternehmen.
Die öffentliche Hand selbst kann die verteilten Goodies nicht finanzieren und der ängstliche deutsche Durchschnitts-Michel will trotzdem gepampert werden. Er plärrt laut nach seiner Milch. Der Mittelstand hingegen hat keine starke Lobby. Also lädt man ihn ungefragt ein, „seine gesellschaftlichen Beiträge zu leisten“. Bedauerlicherweise resultiert das in einem anwachsenden Berg immer neuer Forderungen an Selbstständige. Die Heerschar behördlicher Nervensägen, die gestrengen Blickes mit irgendwelchen Verordnungen, Formularen und Gebührenbescheiden wedeln, wird immer größer.
Rockzipfel der Nation
Unternehmer werden für alles verantwortlich gemacht. Der Selbstständige hat für all das geradezustehen, was Parteien den großen Wählergruppen und den Lobbyisten schenken. Das ist praktisch für Regierungen und Beamtenschaft, denn es erspart härtere Widerstände bei der Lösung der eigentlichen und tieferliegenden Probleme.
Und so kommt es eben, dass es kaum möglich ist, eine Steuererklärung ohne Steuerberater zu erstellen, dass Bilanzierungsvorschriften in erster Linie das Geschäft der ehrenwerten Gilde der Steuerberater schützen, dass man ohne Anwalt kein Unternehmen gründen und keinen Vertrag abschließen kann, dass man mit irrwitzigen Beträgen und Auflagen ein marodes Sozialsystem finanzieren muss, das Unternehmer nicht mal selbst in Anspruch nehmen können, und dass man Steuern sogar für Gewinne zahlen muss, die man gar nicht realisiert hat.
Die Tausender rauschen gleichzeitig nur so hinaus in die Hände von allerlei Steuer-, Rechts- und sonstigen Beratern, in die Schlünde gieriger öffentlicher Institutionen und Versicherungen und in die Taschen sonstiger Profiteure – und ebenso geht natürlich wertvolle Zeit drauf, um auch der letzten Verordnung oder Richtlinie zu entsprechen. Zeit, die die Selbstständigen der „Creative Class“ eigentlich dringend bräuchten, um sich um den Aufbau ihres Unternehmens, um Marketing und Technologie zu kümmern. Das also sollen die so hochgelobten deutschen Rahmenbedingungen für Gründer sein?
Was das Unternehmertum attraktiver machen würde – massiver Bürokratieabbau, drastisch reduzierte Steuern und Abgaben und vielleicht zur Abwechslung auch mal ein wenig Unternehmerschutz – daran scheiterten schon ganze Generationen von Politikern. Ändern wird daran auch die neue Bundesregierung nichts. Die Zusammenhänge bestehen fort. Die Globalisierung geht weiter. Und das noch immer ungelöste Demografieproblem wird die Lage außerdem noch verschärfen: Immer weniger (die Jungen und die Selbstständigen) haben für immer mehr (die Älteren und die Arbeitnehmer) zu zahlen. Und natürlich traut sich keine Partei, unpopuläre Strukturentscheidungen zu treffen. „Augen zu und durch“ lautet offenbar die Maxime. Opportunismus funktioniert halt besser. Also geht es weiter wie bisher: zäh und klebrig.
Manch Selbstständiger kommt nun vielleicht auf die Idee, sich dem immer stärker werdenden (aber weithin totgeschwiegenen) Brain Drain [1] derer anzuschließen, die die Nase schon voll haben und sich dünne machen: günstigere Rahmenbedingungen durch Sitzverlagerung ins Ausland. Doch selbstverständlich gibt es schon seit Jahren eine Art faktisches Ausreiseverbot für Selbstständige namens „Außensteuergesetz“. Man entlässt seine Melkkühe nicht so ohne Weiteres aus der eingeforderten Verantwortung. Wer raus will, wird als nationales Besitztum vorher möglichst noch geschröpft und muss sich freikaufen wie ein Leibeigener. Eintritt ins Unternehmertum kostenlos – Austritt teuer. Es geht zu wie bei Neppern, Schleppern, Bauernfängern.
KISS – Keep It Simple, Stupid
Was aber kann man den Hartgesottenen raten, die sich auch weiterhin exponieren wollen? Paradoxerweise geht die Empfehlung dahin, Wachstum und Investitionen nur maßvoll zu forcieren. Small is beautiful bedeutet hier, die eigene Exponiertheit zu begrenzen und Angriffsflächen „aerodynamisch“ zu gestalten.
Fixkostenvermeidung, Flexibilisierung und Risikoverteilung durch eine Mehrzahl an Produkten und Zielgruppen sind die Stichworte. Systematische „Projektwirtschaft“ mit einem Netz aus Partnern und Freiberuflern hilft, die Last einer größeren Belegschaft zu vermeiden. Spezialisierung und längerfristige Kundenverträge stabilisieren Umsätze besser als Main-Stream-Business und Ad-Hoc-Aufträge. Konzentration auf Kernkompetenzen ist angezeigt. Haftungsbegrenzung durch Verträge ist günstiger als der Unterhalt einer Kapitalgesellschaft. Vorausschauende Gewinnsteuerung reduziert Steuerlasten. Förderprogramme sind meist eher Last und Limitierung. Und Liquiditätsreserven können essenziell sein.
Aber ist dieser Minimalismus nicht einfach nur „Feigheit vor dem Feind“? Oder gar „unsozial“? Mitnichten. Er ist ein Gebot notwendiger Besonnenheit, und zwar sowohl aus aktuellem wie auch aus vorausschauendem Anlass. Oberste Prämisse ist schließlich, das Unternehmen dauerhaft zu erhalten. Schade, dass man den Deutschen keine progressiveren Empfehlungen geben kann.
Thomas Schlichtherles Klartext-Kolumne im t3n Magazin befasst sich mit Strategie- und Businessthemen aus dem Themenkomplex Internet, Telekommunikation und Medien. Weitere Kolumnenbeiträge sind in der t3n-Onlineausgabe unter http://t3n.yeebase.com/?s=schlichtherle zu finden. Weitere Artikel sind zudem im Blog des Autors unter http://time-warp.tssf.biz verfügbar. |
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