Hangouts on Air nur mit Rundfunklizenz, das Ausland lacht [Kolumne]
Hangouts waren schon zum Start von Google+ eines der besten Features des damals noch jungen sozialen Netzwerks. Typisch Google: Während Facebook seine Nutzer überzeugt, da sie dort auf ihre Freunde treffen, will Google seine Nutzer mit Technik faszinieren. Aber erst der Start von Hangouts on Air hat bei mir große Begeisterung ausgelöst: ich kann einen Hangout starten, weltweit Gäste einladen und die gesamte Videokonferenz bei YouTube übertragen – live. Mit einem Mausklick wird ein neues Video in meinem YouTube-Channel angelegt. Das Live-Video lässt sich wie jedes andere YouTube-Video auf externen Webseiten einbetten. Nach dem Ende der Übertragung tauscht YouTube den Live-Feed direkt gegen die Aufzeichnung aus. Dieser simple Workflow lässt keine Ausreden mehr zu: wer etwas zu sagen hat, kann jetzt, ohne die bisherigen technischen Hürden, im Netz senden, was das Zeug hält.
Neue Möglichkeiten
Die Formel „Hangout plus YouTube“ ist für mich als Journalist die technische Innovation des Jahres. Im Grunde sehen wir eine Fortentwicklung des Podcast-Prinzips – ergänzt um die Ebene live, so dass echte partizipative und interaktive Formate entstehen können. Wäre da nicht die Sache mit der Rundfunklizenz.
Wer in Deutschland einem breiten Publikum ein lineares und durchgeplantes Videoformat im Netz anbietet, benötigt eine Rundfunklizenz. Das sind die gleichen Lizenzen, die auch RTL, ProSieben und Co für den Betrieb ihrer Fernsehkanäle benötigen.
Google zieht sich in der Diskussion darum auf das Plattform-Argument zurück. Die Lizenz-Verantwortung liegt nicht bei YouTube, sondern bei den Nutzern, die den Hangout on Air starten, erklärte Google-Sprecher Stefan Keuchel mir in einem Test-Hangout-on-Air, der von Medienberater Thomas Knüwer initialisiert wurde. Keuchel: „Hangouts on Air sind klassischer User-Generated-Content, die Nutzer entscheiden selbst, was sie streamen und was sie zeigen wollen.“
Knüwer ist trotz dieser Einschränkung begeistert und sieht in den Hangouts on Air auch eine kleine Revolution für die Unternehmenskommunikation: „Nun können ohne größeren Aufwand Vorstandsstatements übertragen werden, gesponserte Stars können vor Publikum mit Fans reden, Online-Schulungen werden möglich, Produktvorführungen, Krisenkommunikation, Talkshows…“. Für mich liegt die Revolution vor allem darin, dass jetzt jeder in Deutschland live auf YouTube senden kann.
Doch auch dies nur mit einer Einschränkung: Auf YouTube können in Deutschland zunächst nur die Hangout-Videokonferenzen übertragen werden, keine freien Video-Formate oder Web-TV-Sendungen. Diese Entscheidung hat zwei praktische Nebenaspekte: YouTube zieht nicht den Zorn der Fernsehanbieter auf sich, da Videokonferenzen praktisch keine Konkurrenz darstellen. Zweiter Aspekt: Wenn die Nutzer sich schon selbst verantworten müssen, fällt YouTube mit der Übertragung einer Videokonferenz die Argumentation leichter, dass man ja eigentlich gar kein Rundfunk machen will, sondern nur User-Generated-Content, der in der Regel gar nicht lizensiert werden muss.
Das Web spottet
„They don‘t only have the Verpixelungsrecht and the Leistungsschutzrecht, now they have to get a brodcast licence for their Hangouts on Air“, spottete kürzlich US-Medienprofessor Jeff Jarvis im Podcast „This Week in Google“. Der Spott ist nicht unbegründet, zumal Hangouts on Air in Deutschland auch noch deutlich später als in anderen Ländern gestartet sind.
Das Thema Rundfunklizenz und Livestream im Netz ist dabei nicht neu: Michael Preatorius hat für seine regelmässige Talkshows „Isarrunde“ und „Spreerunde“ bei der bayerischen Landesmedienanstalt eine Rundfunklizenz beantragt. Er wollte mit dem Projekt auf der sicheren Seite sein und scheute den Aufwand nicht: „Rundfunk ist durch das Grundgesetz reguliert, die Verbreitung von Live-Video über das Web nur unzureichend. Um in der Diskussion auf Augenhöhe mitreden zu können, haben wir für die Isarrunde und Spreerunde eine Rundfunklizenz beantragt, die dem Videoblog-Format vor dem Gesetz diesselben Rechte wie den großen TV- und Radiosendern einräumt.“
Landesmedienanstalten im Kreuzfeuer
Das Thema Rundfunklizenz und Google Hangouts On Air wird sehr hitzig diskutiert. Die zuständigen Landesmedienanstalten geraten dabei häufig zu sehr in das Fadenkreuz der Kritik. Denn sie wollen Web-TV in Deutschland nicht verhindern, müssen aber auf die bestehende Gesetzgebung achtgeben. Die stammt nun mal aus einer Zeit, in der die heutigen Möglichkeiten noch nicht absehbar waren. Im Kern geht es um die Frage, auf welcher Grundlage Netzangebote juristisch betrachtet werden müssen: Sind sie Telemedien oder Rundfunk? Die Medienanstalten haben sogar eine Checkliste mit den folgenden Fragen veröffentlicht, die Hangout-on-Air-Veranstalter durchgehen können:
- Richtet sich Ihr Angebot an mindestens 500 potenzielle Nutzer gleichzeitig?
- Ist Ihr Angebot journalistisch-redaktionell gestaltet?
- Sind die Inhalte in ihrer Ausstrahlung zeitlich vorhersehbar, weil es z. B. einen Sendeplan dafür gibt?
- Verbreiten Sie Ihr Angebot live?
Wer die Fragen mit „ja“ beantwortet, sollte die entsprechende Medienanstalt kontaktieren und sich kostenlos beraten lassen [1].
Einfach experimentieren
Trotz oder gerade wegen der Diskussion sollte niemand vor Experimenten mit Googles Hangouts on Air zurückschrecken. Wir brauchen mehr Innovation im Netz und Hangouts on Air ist genau so eine, die es zu nutzen gilt. Und sollte jemand so viele Zuschauer erreichen, dass er in die Lizenzsierungspflicht gerät, hat er drei Monate Zeit, die Formalitäten zu klären. Beim Thema Webradio sind die gesetzlichen Grundlagen bereits angepasst worden. Seit 2009 können Webradios auf das Lizenzsierungsverfahren verzichten – es reicht eine einfache Anmeldung bei der zuständigen Medienanstalt. Dieser Weg ist Hangouts On Air und dem gesamten Web-TV-Bereich in Deutschland aus Machersicht dringend zu empfehlen.
Ich denke, die Situation wird sich ändern, wenn sogar schon Frau Merkel Hangout benutzt :D
Aber das ist vielleicht auch verboten, da es sich möglicherweise um verbotenes Staatsfernsehen handelt oO: http://meedia.de/internet/merkel-hangout-rechtlich-problematisch/2013/04/05.html
Naja, ist wohl berechtigt. Wenn die Diskussion und der Ablauf sehr offen gestaltet wird, hätte ich persönlich aber keine Probleme damit. Als Lösung könnte sich ja, wie bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten, der Rundfunkrat um die Kontrolle kümmern.
Also Deutschland macht sich wirklich mehr und mehr lächerlich, was technischen Fortschritt angeht. Überall springt eine Behörde/Einrichtung davor und will Geld abziehen für etwas, dass sie nicht einmal geschaffen haben. Wie gut, dass ich nicht mehr in DE wohne.
In diesem Zusammenhang ist die heutige Livesendung des Bloggercamps mit Dr. Jürgen Brautmeier, dem Vorsitzender der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) aller 14 Landesmedienanstalten sicher interessant.
goo.gl/FYcIG
Die Presseanfrage von meinem Bloggercamp Kollegen Gunnar Sohn an die MABB und an die Bundesregierung vor einer Woche bezüglich einer Sendelizenz für den geplanten Merkel Hangout hat wieder Bewegung in die Diskussion gebracht.
Damit ist die im Artikel geschilderte schwierige Rechtslage endlich wieder auf der politischen Agenda. Hoffen wir das es diesmal eine Entscheidung im Sinne der Nutzer von Google Hangout on Air gibt.
Der Link nochmal zum Anklicken: http://goo.gl/FYcIG
Eine Anmerkung zum Digitalen Quartett: Diesen Beitrag hat Daniel Fiene vor mehr als vier Monaten geschrieben. Inzwischen moderieren nicht nur Daniel und Thomas Knüwer, sondern wir sind inzwischen mit Franziska Bluhm, Richard Gutjahr und mir fünf Gastgeber in wechselnden Kombinationen.
Herr Dr. Brautmeier ist mir echt sympatisch. Der ist ja ziemlich pragmatisch :)
Typisch Deutschland, Land der Unnovationen.
Hallo. Das mit dem experimentieren ist zwar nett gemeint, und privat sicher möglich. Im Moment prüfen wir aber gerade einen HangoutOnAir mit Vorstandsvorsitzenden eines großen Unternehmens. Da kann man nicht experimentieren, sondern das muss absolut wasserdicht sein. Von daher finde ich es auch etwas billig von Google sich da einfach rauszuziehen. Ich dachte eigentlich, die hätten Vereinbarung mit den Landesmedienanstalten. Offenbar nicht so. Naja, sehe mein Projekt schon scheitern…
Sehe es auch kritisch, dass solch eine tolle neue Möglichkeit im Netz gleich wieder durch bürokratische Hürden versaubeutelt wird.
Ich – Inhaber einer hyperlokalen Online-Zeitung – möchte zum Bürgermeisterwahlkampf eine Podiumsdiskussion veranstalten, online als Hangout on Air. Über 500 Zuschauer live sind wohl unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Und nun? Risiko eingehen und einfach machen oder kostenlos beraten lassen und ggf. Lizenz einholen müssen? Ich weiß es (noch) nicht…