Kolumne: Zurück zum Blog: Meins!
Früher, so um 2005 herum, war alles ganz anders. Früher nämlich hatte jeder Webworker, der etwas auf sich hielt und mit dem Schreiben nicht gerade auf Kriegsfuß stand, sein eigenes Blog. Wahrscheinlich hat er dem Blog nicht so viel Zeit gewidmet wie er ursprünglich wollte. Und vermutlich gab es genug Gründe, mit dem Design zu hadern. Aber immerhin: Ein eigenes Blog, mühsam mit Inhalten gefüllt, gehegt und gepflegt, sodass wir stolz sagen konnten: Meine Visitenkarte! Meine Website! Mein Blog!
Der Verfall kam langsam, klein und unscheinbar. Was konnten 140 Zeichen schon anrichten? Auf Twitter waren einige Inhalte schließlich viel besser aufgehoben. Wer will für einen Linktipp oder einen Termin schon einen kompletten Blogbeitrag schreiben? Gewiss, das ist nachvollziehbar. Und statt ein paar Bilder über schlechte Usability für einen Artikel zu sammeln, reicht ja auch ein Bild mit knapper Beschwerde auf Twitter und Facebook. Gewiss. Und irgendwann kam Google+. Dort lassen sich sogar längere Texte in die Öffentlichkeit tragen. Gewiss, auch das.
Und so starben sie, die vielen kleinen Blogs unzähliger Webworker. In manchen Fällen blieb einfach keine Zeit dafür. Einige Autoren sind mittlerweile mit Fachartikeln, Fachbüchern oder Vorträgen beschäftigt. Kann ja vorkommen. Natürlich sind auch nicht alle Blogs verschwunden. Einige Webworker kümmern sich nach wie vor liebevoll um ihre kleinen Oasen. Andere Blogs sind neu hinzugekommen. Aber ach, wie seltsam mutiert kamen einige von ihnen in die Welt? Das Blog eines Kollegen bietet zum Beispiel keine Kommentar-Funktion. Stattdessen steht im Fuß ein „Feedback und so am liebsten bei Twitter.“ Huh, wie meinen? Wem nützt eine Diskussion auf Twitter? Wer bekommt das mit? Mit einem Kommentar können Leser auf Fehler im Artikel hinweisen, Inhalte ergänzen oder in Frage stellen. Ein Kommentar könnte wertvollen Mehrwert bieten. Warum sollten wir das outsourcen und für andere unauffindbar machen?
Die User Experience des Kommentierens
Bei mashable.com ist es so, dass man sich zuerst mit Facebook oder Twitter einloggen muss, um einen Kommentar zu hinterlassen. Und wenn ein Leser etwas Sinnvolles beitragen möchte, aber dort gar keinen Account hat? Oder wenn ein Leser tatsächlich anonym kommentieren möchte? Das mag ja selbst bei der technikaffinen Zielgruppe von mashable.com vorkommen. Zumal Trolle sich schnell einen Fake-Account anlegen können. Der Login mag für Facebook- oder Twitter-Nutzer einen minimalen Vorteil bieten, aber andere grenzt das System aus. Mittlerweile lassen einige ihre Kommentare sogar komplett über Facebook Comment laufen, so etwa usatoday.com: „USA TODAY is now using Facebook Comments on our stories and blog posts to provide an enhanced user experience.“ Diese verbesserte User Experience äußert sich so, dass sich ein Kommentator erst bei Facebook anmelden, ein Foto hochladen und vier Freunde haben muss, bevor sein Kommentar öffentlich auf der Seite erscheint. Das ist ein Versuch, bessere Kommentare zu erreichen, aber benutzerfreundlicher ist es sicher nicht. Und überhaupt: Warum macht sich eine Zeitung, die von Content lebt, technisch von Facebook abhängig?
Vom Unsinn des verschenkten Contents
Ebenso abwegig sind umfangreiche Artikel auf Google+. Da schreibt jemand zum Beispiel 4.856 Zeichen über Klout. Wohlgemerkt, nur auf Google+! Es ist kein doppelter Beitrag. Und dessen Umfang ist etwa mit dem dieser Kolumne zu vergleichen. Warum gönnt jemand einer fremden Plattform soviel Content mit so gut wie keinen Möglichkeiten zur Gestaltung? Vor allem aber auch ohne Kontrolle über die Inhalte! Nach den letzten Monaten zu urteilen, kümmert sich Google zwar um die Plattform, aber von liebevoller Fürsorge kann man nicht gerade sprechen.
Zumal wir hier von Leuten reden, die selbst mal eben zumindest ein Blog mit WordPress aufsetzen könnten. Für die sozialen Netzwerke sollte doch ein einfacher Link reichen. Und zwar auf unser Blog! Es ist ja nun nicht so, dass wir uns verpflichten müssten, ein Designpreis-würdiges Blog einzurichten, das wir zweimal die Woche mit neuen Inhalten füttern. Es geht um den eigenen Schrebergarten. Die eigene Spielwiese. Den eigenen Container für unsere Gedanken.
Ein Plädoyer für das eigene Blog
Stattdessen gibt es Webworker, deren Website nur noch aus einer Sammlung von Links besteht. Diese führen dann zu Twitter, LinkedIn, Flickr oder Google+. Ansonsten gibt es keine Inhalte. Sobald jedoch einer dieser Dienste strauchelt (oder sich wie Twitter immer unbeliebter macht), versuchen sie hektisch ihre Inhalte irgendwie auf den eigenen Server zu bekommen. Kurzum: Die Dienste haben alle ihre Vorteile und erfüllen ihren Zweck, aber wir sollten die Prioritäten anders setzen. Wir sollten uns (wieder) auf unsere eigenen Websites und Blogs konzentrieren und darauf verlinken. Holt zurück, was euch gehört! Bis es irgendwann wieder heißen kann: Meine Visitenkarte! Meine Website! Mein Blog! Meine Inhalte!
Divers diskutiert und zur gleichen Überzeugung gelangt… ein selbstbetriebener Blog ist für mich ein wichtiger Teil meiner digitalen Identität.