Virales Marketing: Wie aus einem Impuls ein Selbstläufer wird

Virales Marketing – ein Marketinginstrument mit großem Potenzial, wenn es denn richtig angewandt wird. Denn hinter diesem Begriff verbirgt sich keinesfalls nur ein Video, das auf YouTube massenhaft verbreitet und wie durch Zauberhand selbständig zum Gesprächsthema Nummer eins in der Zielgruppe wird. Viral beschreibt vielmehr lediglich die Verbreitungsweise: Jede Story, ganz gleich ob initial als Video, Bild, Link, Microsite, Event oder integrierte Kampagne realisiert, kann sich durch das Schneeballprinzip verbreiten und zu einer viralen Kampagne werden. Einmal eingeimpft, steckt der Virus in Form einer (Werbe-)Botschaft immer neue Rezipienten an, rollt als Kommunikationslawine weiter und weiter, löst Aufmerksamkeit und Mundpropaganda aus und begeistert schließlich Massen – vorausgesetzt, bestimmte Aspekte werden berücksichtigt.
Virales Marketing ist kein Empfehlungsmarketing
Das Erfolgsrezept des viralen Marketings: die Idee. Sie ist so ungewöhnlich, auffällig oder skurril, dass User diese an Freunde weiterempfehlen. Empfehlungsmarketing, möchte man meinen – falsch! Denn der große Unterschied zwischen viralem Marketing und Empfehlungsmarketing liegt in der Auseinandersetzung mit dem Produkt. Es geht dabei um dessen spektakuläre „Verpackung“, das Produkt selbst und das Unternehmen bleiben meist im Hintergrund, manchmal sogar ganz unsichtbar. Empfehlungsmarketing hingegen basiert auf einer konkreten Produkt-Auseinandersetzung, dem ausgiebigen Testen des Produkts oder der Dienstleistung und dem anschließenden Empfehlen im sozialen Umfeld. Die Verbreitung beschränkt sich hier auf das soziale Umfeld der Tester und geschieht, anders als beim viralen Prozess, weder automatisch noch lawinenartig.
Mini brachte es 2009 mit seinem Viral „MINImalism“ zu großem Erfolg. Das Besondere an dem mehrfach preisgekrönten Spot ist die ungewöhnliche und kreative Gestaltung eines Auto-Werbevideos, das die User mit Witz und simpler Umsetzung begeistern konnte. Das Viral wurde in kürzester Zeit zigtausend Mal angeklickt und in zahlreichen Blogs und Foren sowie in der Fachpresse zum Gesprächsthema.

Die One Million Dollar Website zeigt, wie auch Webseiten virale Erfolge feiern können.
Mit dem richtigen Anstoß eine Kommunikationslawine lostreten
Ob sich eine Aktion viral verbreitet, lässt sich nie garantieren. Aber man kann die Voraussetzungen dafür schaffen: Die Basis für erfolgreiches virales Marketing ist die außergewöhnliche Idee. Denn weitergeleitet wird nur, was man zuvor noch nicht gesehen hat, zum Beispiel ein „neuer“ Gag, eine neue technologische Umsetzung, ein Promi in einem neuen, ungewöhnlichen Sujet. Treiber einer viralen Verbreitung sind beispielsweise Skurrilität, Witz, Überraschung, Fake or Real oder Unglaubliches. Nur wenn ein Neuigkeitswert vorhanden ist, verbreitet der User das Gesehene, Gefundene oder Erlebte nach dem Motto „Guck mal, was ich gefunden habe.“ Ist der Inhalt und die Umsetzung der viral gestreuten Werbebotschaft nicht zündend, wird auch keine Weiterempfehlung stattfinden und sie verliert sich unbeachtet.
Erfolgreiches virales Marketing ist keinesfalls an Budget oder bekannte Marken geknüpft. Wenn die Idee begeistert, kann es selbst eine Microsite zur Kommunikationslawine schaffen: Mit der „One Million Dollar Homepage“ schrieb Alex Tew 2005 ein Stück Internetgeschichte – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn seine Idee war, jeden der insgesamt eine Million Pixel der Website für einen Dollar zu verkaufen, um sich mit dem Geld sein Studium zu finanzieren. Innerhalb von zwei Wochen verbreitete sich die Idee via Mundpropaganda zu einer viralen Kampagne und lockte über drei Millionen User auf die Website. Der Höhepunkt: Die letzten 1.000 Pixel versteigerte Tew für 38.100 US-Dollar bei Ebay.
Ein weiterer Erfolgsbaustein neben der Idee ist das Streuen der Botschaft (sog. Seeding = Säen der Botschaft). Denn nur mit einem professionellen Seeding, also der initialen Verbreitung in der Zielgruppe, kann die Kommunikationslawine angestoßen werden. Erfahrungsgemäß benötigt eine virale Kampagne als Anschub eine kritische Masse (bereits „infizierte“ User) von zehn bis 15 Prozent der Zielgruppe, die zum Start erreicht werden muss. Will man beispielsweise 1 Million Views mit einem Video erzielen, muss man mindesten 100 bis 150 Tausend initiale Views über das Seeding generieren. Die restlichen 850 Tausend Klicks würden dann, wenn das Video viral genug ist, über die automatische Weiterverbreitung gewonnen. Als Seedingbausteine eignen sich beispielsweise die Einbuchung eines Spots über Videoportale, Bloggeransprache, Public Relations oder Mailingaktionen.

Viral goes TV: Die Evian Roller Babies.
Virale Kampagnen profitieren vom Austausch der User untereinander und der daraus resultierenden Verbreitung. Aus diesem Grund sollte jede virale Kampagne Möglichkeiten zur Interaktion anbieten. Dies kann anhand von Weiterleiten-Buttons über die Einbindung einer Kommentarfunktion bis hin zur vollständigen Integration eines Blogs erreicht werden. Der Dialog mit Usern verstärkt das Involvement und fördert die virale Verbreitung.
Exemplarische Tools für eine starke Verbreitung | |
Launchrock (launchrock.com) | Möglichkeit, noch vor Launch einer Website Kontakte von interessierten Usern zu sammeln. |
Magpie (be-a-magpie.com/de) | Verbreitet Werbebotschaften mit 130 Zeichen Länge an ausgewählte, passende Twitter-User gegen Bezahlung. |
Pay with a tweet (paywithatweet.com) | Social-Media-Bezahlmodell: User erhalten gegen den Versand eines bestimmten Tweets ein gewünschtes Produkt/eine Dienstleistung. |
Personology (personology.de) | Dienstleister für personalisiertes Onlinemarketing (z. B. Videos, Banner, Newsletter). |
Share if you like (shareifyoulike.com) | Plattform zur Verbreitung von Inhalten durch relevante User, die für jeden Share bezahlt werden. |
TubeMogul (tubemogul.com) | Lädt Videos mit einem Schritt auf verschiedenen Plattformen hoch. |
Unruly (unrulymedia.com) | Verbreitet Videos in einem großen Netzwerk; Bezahlung pro Videoview. |
Viral Ad Network (viraladnetwork.net) | Verbreitet Inhalte in eigenem Netzwerk gegen Bezahlung. |
Eine Vorzeigekampagne, die eine lustige Idee hervorragend umgesetzt hat, sorgte im letzten Jahr für großes Aufsehen: Old Spice mit „The Man Your Man Could Smell Like“. Die sympathische Produktpräsentation durch einen sympathischen Darsteller, die witzige Geschichte und deren erstaunliche Umsetzung sorgte für Aufsehen. Bereits eine Woche nach Kampagnenstart wurde das Video über 34 Millionen Mal angesehen, die Reichweite stieg auf eine Milliarde.
Nutzerinteressen stehen vor werblichen Interessen
Bei der Kampagnenentwicklung muss zu jedem Zeitpunkt das Interesse des Nutzers und der Zielgruppe über den werblichen Interessen stehen. Denn wie heißt es so schön: Der Köder sollte dem Fisch schmecken, nicht dem Fischer. Das gilt auch für virales Marketing. Es empfiehlt sich aus diesem Grund, noch vor der Ideenentwicklung ein Monitoring durchzuführen. Dadurch lässt sich erkennen, welche Themen die Zielgruppe interessieren, wie ihr Mediennutzungsverhalten ist und durch welche Gestaltungselemente eine virale Verbreitung angeregt werden kann.
Virales Marketing sollte möglichst als integraler Kampagnenbaustein eingesetzt werden, um vielfältige Kanäle zur Verbreitung zu nutzen. Sofern die Zielgruppe über Social-Media-Kanäle erreichbar ist, bietet deren Nutzung ein großes Potenzial für die rasante Verbreitung der Botschaft: In sozialen Netzwerken kann die kritische Masse noch schneller erreicht werden, da die starke Vernetzung der Mitglieder untereinander und die damit verbundene Verbreitung der (Werbe-)Botschaft in einem kurzen Zeitintervall einen optimalen Nährboden für den Weiterempfehlungsprozess liefert.
Kreativität und neue Technologien sind gefragt
Der Trend des viralen Marketings liegt in der Nutzung neuer Technologien und Mechaniken für eine außergewöhnliche Umsetzung von Ideen. Aktuell werden so genannte YouTube-Takeovers besonders häufig eingesetzt: YouTube-Kanäle, die auf den ersten Blick wie gewöhnliche Channel wirken, dann jedoch durch verschiedene Features und Animationen den User überraschen. Auch interaktive Spots, in denen der User vermeintlich den Fortlauf der Geschichte bestimmen kann, sind eine gute Möglichkeit, den User zu überraschen, in den Bann zu ziehen und eine Verbreitung auszulösen.
Tipp-Ex konnte mit der Verbindung beider Elemente im letzten Jahr große Aufmerksamkeit erregen. Bei der viralen Kampagne „A Hunter Shoots A Bear“, umgesetzt durch einen YouTube-Takeover, hatte der User die Möglichkeit, durch die Eingabe verschiedener Anweisungen im Feld „Ein Jäger … einen Bär“ eine Fülle verschiedener Videos anzusehen, die situativ auf seine Eingabe angepasst waren.
Unternehmen erkennen vermehrt das Potenzial außergewöhnlicher Spots für einen positiven Imagetransfer. TV-Werbung hat von Spots im Internet gelernt. Der Trend geht dahin, dass immer mehr Virals bereits in TV-Qualität produziert und in einer Art „Test-Flight“ im Internet geseedet werden. Funktioniert ein Spot online, wird er dann im zweiten Schritt auch im TV geschaltet.
Virales Marketing macht Werbung lebendig, interaktiv und außergewöhnlich. Nicht nur den Ideen sind keine Grenzen gesetzt, auch im Einsatz neuer Technologien darf der Kreativität freien Lauf gelassen werden. Diese Freiheit macht es möglich, dass immer wieder neue, spannende und aufregende Kampagnen die Welt erobern.
Sehr ausführlich und gut gelungener Artikel! Viral Marketing ist etwas das jeder will aber niemand wirklich versprechen kann. Es ist schlicht faszinierend wenn es funktioniert! Gibt es auch Beispiele im deutsch-sprachigen Raum für gut gelungene virale Kampagnen!?
dem heilsversprechen des VM stehe ich nach wie vor skeptisch gegenüber. die erfolgreichsten viralen kampagnen beruhen auf einen enormen budget. die produktionskosten für professionelle videobotschaften sind hoch, die initialzündung ist aufwendig und kostenintensiv. dazu ist die messlatte sehr hoch. jede kampagne wird an dem gemessen, was erfolgreich ist, da ist man ganz schnell bei old spice. bei den aufmerksamkeitsspannen heutiger nutzer heißt das: begeistere genauso oder es gibt kein „like“.
mich würde daher interessieren: wie sieht VM abseits der großen, multi millionen klicks youtube videos aus? gibt es dafür gelungene beispiele?
Kleine Ergänzung: Im nächsten Artikel würde ich gerne noch die Dimensionen viraler Kampagnen lesen: lustig, sharable, schockierend, außerhalb der Norm…
Naja diese one million dollar webseite war wohl eher auf ein geschicktes Marketing zurückzuführen, welches vor allem offline betrieben worden ist.
Ich denke, als Unternehmen ist es extrem schwer eine „virale Marketingkampagne“ zu planen. Oft sind Unternehmen selbst überrascht, wenn eine bestimmte Aktion plötzlich zum Selbstläufer wird….
Netter Artikel. Besonders gut gelungen finde ich die Differenzierung zwischen „Empfehlungsmarketing“ und „viralem Marketing“