Was wird aus Magento?
Verschieben sich die Prioritäten unter eBay? Steigt oder sinkt die Marktbedeutung von Magento? Oder kann Magento seinen Siegeszug im E-Commerce ungehindert fortsetzen? Dass sich sowohl die eBay-Führung um Geschäftsführer John Donahoe [1], als auch die Magento-Gründer um Roy Rubin von der Übernahme begeistert zeigen, liegt auf der Hand: eBay bekommt – vor allem durch das gehostete Magento Go – eine Systemlösung für kleine und mittlere Händler frei Haus, die perfekt ins eigene Portfolio passt. Dem Magento-Team hingegen dürften die kolportierten 180 Mio. US-Dollar den Verkauf an eBay sehr erleichtert haben.
Was wird aus der Community-Edition?
Schon weitaus zwiespältiger ist die Lage für das, was Magento sein Ökosystem nennt, also den Kreis der Magento-Entwickler und die Vielzahl von Agenturen, die in den letzten Jahren begonnen haben, auf Magento zu setzen – sei es, um E-Commerce-Projekte zu realisieren, Shops zu implementieren oder Erweiterungen für den Magento-Connect-Marktplatz zu entwickeln.
Denn Magento wird nach der Übernahme nicht wie in anderen Fällen als unabhängige Einheit weiter bestehen und seine eigenen Wege gehen können, sondern wird im eBay-Universum um Paypal aufgehen und dort zum kleinen Bruder der auf Intershop basierenden Plattform „GSI Commerce“, die eBay kürzlich ebenfalls übernommen hat. Entsprechend sind also alle Weiter-wie-bisher-Aussagen mit der gebührenden Vorsicht zu genießen. Magento wird Teil der eBay-Strategie. Und damit wird sich für Magento und seine Nutzer so einiges ändern. Nur was?
Während die lizenzierbare Enterprise-Version wohl am wenigsten zur Disposition stehen dürfte, weil sie für eBay und seine Händler genauso wertvoll ist wie für Magento, fragen sich viele im Open-Source-Umfeld, was aus der Community Edition wird?
Magento-Gründer Roy Rubin tritt allen Bedenken entgegen und unterstrich in den letzten Wochen gegenüber Exciting Commerce [2] und anderen E-Commerce-Publikationen eBays vollstes Commitment zur Community-Edition. Und wer, wenn nicht eBay, könnte sich eine Open-Source-Version leisten, die als eine Art Innovation-Lab neue Impulse für die eigenen E-Commerce-Aktivitäten bringt und zudem Entwickler an die Plattform bindet?
Das Magento-Phänomen
Magento hat in nur drei Jahren den E-Commerce-Markt aufgemischt wie kein anderer zuvor und mit geschicktem Marketing das Thema E-Commerce für viele attraktiver gemacht denn je. Seit die Community-Edition im März 2008 auf den Markt kam, ruhen enorme Hoffnungen auf der Open-Source-Alternative. Endlich eine zeitgemäße, erweiterbare E-Commerce-Plattform, die nicht nur die Entwickler begeistert, sondern auch bei den Händlern für Furore sorgt. Ohne Zweifel hat Magento damit frischen Wind in die beschauliche E-Commerce-Szene gebracht und mit Innovationen wie dem offenen Marktplatz für Extensions das E-Commerce-Verständnis erweitert.
Magento konnte als Underdog und Newcomer ohne Altlasten schneller auf Marktentwicklungen reagieren als andere und so in Lücken vorstoßen, mit denen sich die etablierten Systemhersteller schwer taten. So konnte Magento nicht nur mit einer Fülle von zeitgemäßen und professionellen Features und Funktionalitäten punkten, sondern auch sehr schnell auf neue Markttrends reagieren. Nicht ohne Grund war Magento das erste E-Commerce-System, das Private-Sales-Funktionalität anbot. Fast alle Shoppingclubs, die nach 2008 auf den Markt kamen, entschieden sich für eine Magento-Lösung. Und auch viele Groupon-Klone nutzen Magento als Kernsystem.
Erste Kurskorrekturen unter eBay
Schon vor anderthalb Jahren, als im März 2010 bekannt wurde, dass eBay 49 Prozent der Anteile an Magento hält, fragte man sich, was sich dadurch ändern wird. Wäre die Magento-Entwicklung ohne eBay anders verlaufen? Wohl anzunehmen, denn wenn man sich noch im Herbst 2009 mit Roy Rubin über die Zukunft von Magento unterhielt, schien es ganz so, als ob Branchenlösungen (Verticals) für spezielle Marktsegmente ganz oben auf der Magento-Prioritätenliste standen. Also zum Beispiel spezielle Lösungen für die Modebranche, die seit jeher besondere Anforderungen in Sachen Produkthandling und Produktdarstellung hat, oder aber Lösungen für den B2B-Markt, der nochmal mit ganz eigenen Restriktionen arbeitet.
Zwar war auch damals schon die Rede von einer gehosteten OnDemand-Lösung, mit der man sich gegen ein Demandware positionieren wollte, doch schien diese eher von nachrangiger Bedeutung. Zumindest diese Priorisierung hat sich spätestens mit dem Einstieg von eBay 2010 geändert. Und das Anfang Februar 2011 auf der Imagine-Konferenz vorgestellte Magento Go war dann zwar gehostet, erinnerte aber nur noch am Rande an eine gehostete Enterprise-Lösung im Stil von Demandware, sondern ist vor allem eine – wenn auch erweiterbare – Einsteigerlösung à la ePages (wie sie Strato und andere anbieten) – eine Lösung, die vor allem für die eBay-Klientel sehr sinnvoll erscheint.
Was bringt die Übernahme?
Von derlei Was-wäre-gewesen-wenn-Gedankenspielchen einmal abgesehen, hat der eBay-Einstieg für Magento sicherlich sein Gutes. Er gibt Magento als E-Commerce-Plattform eine langfristige Perspektive. Entwickler und Agenturen, die sich vornehmlich auf die Implementierung von Online-Shops für den Handel konzentrieren, werden sicherlich kaum Nachteile spüren, sondern im Gegenteil von der Professionalisierung profitieren, sei es beim Support, bei Schulungen oder bei den Dokumentationsunterlagen. Schon aufgrund der größeren Manpower werden ihre Anliegen künftig ein offeneres Ohr finden.
Wer in Magento also vor allem „das bessere Shopsystem“ für den Online-Handel sieht, dem kann egal sein, wer der Eigentümer ist. Schließlich hat auch eBay ein großes Interesse an zufriedenen Händlern.
Verschenktes Marktpotenzial
Aus Marktsicht ist der Verkauf an eBay dennoch ein herber Rückschlag, hatte Magento doch ohne eBay erheblich mehr Sprengkraft für einen Gesamtmarkt, der in den kommenden Jahren explodieren wird – alleine hierzulande soll der Markt von heute etwa 20 Milliarden Euro auf das drei- bis vierfache wachsen.
Vor allem bestand die berechtigte Hoffnung, dass sich mit Magento als unabhängiger Plattform ein grundsätzlich neues E-Commerce-Bewusstsein durchsetzen könnte, das dem Markt vollkommen neue Perspektiven eröffnet. So hätte man die unzähligen Magento-Shops über kurz oder lang untereinander koppeln können und Magento so zu einer dezentral vernetzbaren Shoppingplattform machen können, die eine Alternative bietet zu den zentralisierten und für die Händler sehr kostspieligen Marktplatz-Ansätzen, wie sie Amazon und eBay verfolgen.
Das ist nur eine der Perspektiven, die mit dem eBay-Einstieg flach fällt, das sich mehr denn je als zentrale Anlaufstelle für den Online-Einkauf („Mein Ein für Alles“) sieht. Indem sich Magento auf die Seite von eBay geschlagen hat, bleiben auch die Amazon-Services weitgehend verwehrt. Denn dass eBay und Amazon nicht miteinander können, ist kein großes Geheimnis. Als eBay-Tochter kann Magento also auch künftig, selbst wenn es wollte, nur sehr bedingt auf die (E-Commerce-)Innovationen von Amazon (Cloud Services, Checkout Lösungen, Datenbank-Lösungen etc.) zurückgreifen.
Dass Magento bei dem stürmischen Wachstum über kurz oder lang finanzkräftige Partner brauchte, um das Wachstum vorzufinanzieren, war absehbar. Langfristig denkende Startups holen sich in der Regel aber branchenerfahrene, aber unabhängige Finanzinvestoren an Bord, die das Unternehmen tragen, bis es entweder eigenständig überlebensfähig ist oder attraktiv genug für eine Übernahme.
Warum sich Magento statt eines unabhängigen Partners schon sehr frühzeitig ausgerechnet an einen etablierten, und damit vorbelasteten Player wie eBay gebunden hat, wird sich wohl nie so richtig klären lassen. So ein Bündnis bedeutet aber ein nicht zu unterschätzendes Handicap, wenn man den Markt ernsthaft gestalten will. Entsprechend verwundert es nicht, wenn speziell die Startup-Szene den Exit sehr kritisch beäugt und sich schon mal nach (unabhängigeren) Open-Source-Alternativen für die Post-Magento-Ära umsieht.