Networking für Introvertierte: So klappt es, berufliche Netzwerke aufzubauen
In Kristallgläsern schwimmt Himbeerbowle, bunt gemusterte Kleider schwingen durch den sonst grau-monochromen Raum. Vor den Fenstern der Dachterrasse liegt Hamburgs Innenstadt im violetten Licht der Dämmerung. „Change the System, not the Women!“ wird auf eine Leinwand projiziert. An diesem Abend feiert das Karrierenetzwerk Nushu seinen ersten Geburtstag. In kurzen Reden erzählen die Mitglieder, wie das Netzwerken ihr Leben verändert hat. Es sind Geschichten von Veränderung und Ermächtigung. Mit dabei: Christin Siegemund, eine große Frau mit blondiertem Bob, roter Designer-Handtasche und passendem Lippenstift. Sie sagt: „Nach den Abenden bin ich wie angeknipst.“
Eine Entwicklung, die sie selbst überrascht. „Hätte man mich früher auf eine Netzwerk-Veranstaltung geschleppt, ich wäre schreiend rausgelaufen.“ Damals graute ihr vor dem Small Talk: „Ich dachte immer, ich hätte nichts zu erzählen und wäre da nicht der Typ für.“ So vermied sie Netzwerk-Events lieber.
240 Euro pro Jahr kostet der Mitgliedsbeitrag
Das Ziel der Gründerinnen von Nushu ist es, Frauen branchen- und positionsübergreifend zu vernetzen. „Starke und nicht so starke, leise und laute Frauen“, so formuliert es Annelies Peiner, eine der beiden Geschäftsführerinnen. Zusammen mit Gründerin Melanie Schütze trifft sie alle Bewerberinnen persönlich. Sie klopfen ab, ob überhaupt die Chemie stimmt, ob die Erwartungen aneinander vereinbar sind und die Mischung der Mitglieder gegeben bleibt. Über 600 Frauen sind schon dabei und zahlen für diesen Service jährlich 240 Euro.
Auch Siegemunds Laufbahn nahm mit der Mitgliedschaft eine Wendung. Sie fasste den Mut, ihre Startup-Idee für ein „Foodlab“ in die Tat umzusetzen. Die Idee, eine Art Coworking-Space für Gastronomie- und Lebensmittel-Firmen zu gründen, schwelte schon länger – nun ging sie es gleich größer an als zunächst geplant. Auf 1.200 Quadratmetern gibt es heute ein Coworking-Büro mit Produktionsküche, Kaffeerösterei und Fotostudio, die man bei Bedarf dazu buchen kann. „Ohne das Netzwerk hätte die Idee niemals so schnell Fahrt aufgenommen“, sagt sie. Egal, ob die passende Location oder die Möbel – alles kam über Kontakte.
Nicht jedem ist bewusst, welche Vorteile berufliches Networking bietet. Nur ein Drittel der deutschen Arbeitnehmer netzwerkt aktiv, zeigt eine Umfrage des Büromöbelhändlers Viking. Die Karriere kann aber vom Netzwerken profitieren, das zeigt auch die Forschung. Einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zufolge werden in Deutschland rund 40 Prozent der offenen Stellen über Beziehungen vergeben. „Netzwerker werden häufiger befördert, sind in höheren Positionen, verdienen besser und sind erfolgreicher bei der Arbeitsplatzsuche“, erklärt Hans-Georg Wolff, Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Köln, der das Networkingverhalten im beruflichen Umfeld erforscht.
Das verwundert kaum: Im entscheidenden Moment über offene Stellen, neue Trends in der eigenen Branche oder Umstrukturierungspläne Bescheid zu wissen, weil man die richtigen Leute kennt, wiegt Fachwissen häufig auf. Wer sich dazu noch mit einflussreichen Leuten umgibt, an den wird bei der Vergabe neuer Aufgaben, Jobs und Herausforderungen eher gedacht. Lange Zeit profitierten von dem Prinzip allerdings nicht alle: Netzwerken war das Thema der Anzugmänner in Kaminzimmern und auf Golfplätzen. Auch Christin Siegemund sei das Netzwerken früher anrüchig vorgekommen, erzählt die 38-Jährige. Heute erinnert sie sich dagegen an einen Spruch ihres Vaters, der gern sagte: „Vitamin B schadet nur dem, der keins hat.“
Heute ist das Thema weitaus positiver besetzt als noch vor einigen Jahren. Die Digitalisierung hat dazu beigetragen: Wo Wissen schnell veraltet ist und stattdessen eher das Verständnis für neue Technologien über Erfolg im Job entscheidet, bröseln althergebrachte Hierarchien langsam. Karrierenetzwerke wie Xing und Linkedin oder Plattformen wie Meetup erleichtern den Aufbau eines eigenen Netzwerks. Für die jungen Generationen wird berufliches Networking immer selbstverständlicher: Fast 60 Prozent der Befragten zwischen 18 und 34 geben in der Umfrage von Viking an, aktive Netzwerker zu sein – doppelt so viele wie der Durchschnitt aller Altersklassen.
Zu den Vertreterinnen dieses neuen, digitalen Networkings gehört Tijen Onaran. Sie sagt: „Netzwerken bedeutet Emanzipation – sich frei zu machen von Hierarchien und Positionen.“ Die 34-Jährige ist eine Stimme mit Gewicht, wenn es in den sozialen Medien um das Thema geht. Wie viele Stunden sie wöchentlich ins Netzwerken steckt, kann sie nicht mehr zählen. „Leistung ohne Netzwerk ist nichts“, sagt Onaran. Das musste sie bitter erfahren. Mit 18 Jahren ging sie in die Politik und wurde dort zum ersten Mal mit der „Vetternwirtschaft“, wie sie es nennt, konfrontiert. Viele Informationen wurden bloß über Netzwerke geteilt. Seither versucht sie, die Dynamiken von Netzwerken zu verstehen und zu lernen, wie man sie für sich nutzen kann. Mit den Global Digital Women hat sie sogar ein eigenes Karriere-Netzwerk gegründet.
Ob Networking, wie es Onaran oder Nushu propagieren, allein das Mittel zur beruflichen Selbstverwirklichung ist, bezweifelt Organisationsforscher Hans-Georg Wolff: „Für Frauen hat Netzwerken bislang wenig bis nichts gebracht, so zeigen neuere Studien.“ So seien die „ressourcenreichen Positionen“, wie er die Chefpositionen nennt, noch immer von Männern besetzt – für Frauen sei es also nach wie vor kaum möglich, über Netzwerke aufzusteigen. Auch weil viele Männer gern unter sich blieben, sagt Wolff.
Onaran und die Nushu-Gründerinnen treten dafür ein, dass sich das künftig ändert. Und ohnehin geht es beim Networking nicht immer um Karriere im engeren Sinne. Die Hamburgerin Teresa Holfeld etwa ist Gründerin der Hamburg Coding School und arbeitet nebenbei freiberuflich als Softwareentwicklerin. Mindestens einmal im Monat ist sie bei einem Meetup. „Mir hilft es, wenn ich mich mit Gleichgesinnten über spezifische Probleme beim Programmieren austauschen kann“, sagt sie. Auch neue Aufträge bekommt sie über ihr Netzwerk: „Wenn ich bei Twitter poste, dass ich etwas suche, bekomme ich etwas.“ Holfeld beschreibt ihr Netzwerk als eine Art Sicherheitsnetz: Es ist ein natürlicher Bestandteil ihres Alltags.
Sozialkapital für Introvertierte
Beim Nushu-Event in der Hamburger Innenstadt treten die Frauen auffallend offen und selbstbewusst auf: „Hey na, was machst du eigentlich?“ – „Kennst du schon …?“ – „Was willst du trinken?“ – man wird herzlich empfangen, neuen Personen vorgestellt, keiner steht je allein am Buffet. Nicht jedem liegt es, sich so zu präsentieren und locker unter unbekannten Menschen zu bewegen. „Netzwerken fällt extrovertierten Menschen deutlich leichter, für Introvertierte ist es anstrengend“, sagt der Kölner Wissenschaftler Wolff. In einem Experiment hat er das gemeinsam mit seiner Kollegin Laura Wingender untersucht. Dazu versammelten sie Probanden mit dem Auftrag, zu netzwerken. Anschließend wurde ein vermeintlicher Produkttest durchgeführt. Jeder bekam eine Schale M&Ms in die Hand gedrückt: „Je erschöpfter jemand ist, desto geringer ist die Willenskraft, den Süßigkeiten zu widerstehen“, erklärt Wolff. Der Griff nach den Süßigkeiten als Gradmesser zeigte, dass das Netzwerken für die Introvertierten deutlich anstrengender war. „Für einen von ihnen war es so anstrengend, dass er die ganzen 140 Gramm M&Ms aufgegessen hat.“
Wolffs Fazit: Introvertierte können netzwerken, es raubt ihnen aber Kraft. „Möglicherweise gehen sie deshalb seltener auf Events und sind überhaupt weniger sichtbar.“ Die Macherinnen von Nushu reagieren darauf mit kleineren Formaten, bei denen sich Introvertierte wohler fühlen dürften, gemeinsame Frühstücke etwa. Wolff bietet an der Universität Trainings für Introvertierte an. Er rät ihnen, sich auf die Veranstaltungen vorzubereiten. Etwa, indem man sich Gesprächseinstiege und drei Themen überlege, über die man reden wolle. Und man solle sich kleine Pausen gönnen: „Ruhen Sie sich ruhig zwischendurch fünf Minuten vor der Tür aus.“
Auch Jens Hofmann geht so vor. Er ist selbstständig und entwickelt IT-Security-Strategien etwa für Banken. Nebenbei leitet er Workshops und organisiert seit mehreren Jahren eigene Networking-Meetups – auch speziell auf Introvertierte zugeschnitten. „Introvertierte Menschen entladen beim Netzwerken schneller ihre Batterien, sie sollten lernen, mit ihrer Energie zu haushalten“, sagt der 52-Jährige. Er beschreibt sich selbst als introvertiert und hat inzwischen gelernt, damit umzugehen. Das bedeutet für ihn auch, klare Grenzen zu ziehen: „Ich ziehe mich zurück, wenn mir der Trubel zu viel wird. Das kann auch mal heißen, dass ich ins Bett gehe, wenn die anderen an der Bar rumhängen“, sagt er.
Für Hofmann zahlt sich die Anstrengung des Netzwerkens aus. Viele Neukunden gewinnt er inzwischen über solche Events. Seine Erklärung dafür: „Ich bin keiner von diesen Selbstdarstellern, die man auf solchen Veranstaltungen häufig trifft, stattdessen will ich langfristige Beziehungen aufbauen und kann auch zuhören.“ Das, so glaubt er, schätzen viele – egal, ob introvertiert oder nicht.
5 Leitsätze zum Netzwerken
1. Sichtbar werden
„Nur wer selbst sichtbar wird, bietet anderen Menschen Anknüpfungspunkte für eine Kontaktaufnahme“, sagt Tijen Onaran. Für welche Themen steht man? Womit kann man als Experte wahrgenommen werden? Das seien die Fragen, die man sich stellen sollte, bevor man mit dem Netzwerken beginnt. Onaran nutzt dazu die sozialen Medien, gibt bei Instagram Einblicke in ihren Wanderurlaub in der Schweiz oder in die neueste Podcast-Aufnahme. Ihr Credo lautet dabei: persönlich sein, aber nicht privat. „Wer nur unpersönlich, unverfänglich schreibt, ist nicht angreifbar, aber auch uninteressant und ununterscheidbar.“ Sie kommuniziert auch ihre Ziele und Träume in das Netzwerk oder fragt um Rat: „Wenn es mein Traum ist, mal länger im Ausland zu leben, dann muss ich das auch erzählen.“
2. Geben und Nehmen
Onaran empfiehlt, sich die eigenen Stärken bewusst zu machen, um dem Gegenüber auch Hilfe anbieten zu können. Auch Annelies Peiner von Nushu spricht vom Karmakonto: „Wenn du Gutes tust, dann kommt es auch zu dir zurück“, daran glaube sie ganz fest. Langfristig funktionierten Netzwerke nur, wenn beide Seiten etwas einbrächten.
3. Verschiedenheit ist erstrebenswert
Häufig schare man vor allem Menschen um sich, die so seien wie man selbst – die etwa die gleichen Hobbys hätten, in ähnlichen Verhältnissen aufgewachsen seien oder in der gleichen Firma arbeiteten, sagt Herminia Ibarra, Professorin für Organisationsverhalten an der London Business School (LSE). Dabei seien Netzwerke vor allem dann effektiv, wenn sie möglichst vielfältig und breit aufgestellt seien: Nur so ermöglichten sie, Trends und Entwicklungen außerhalb der eigenen Komfortzone wahrzunehmen und diese für die persönliche Weiterentwicklung zu nutzen.
4. Inhalt vor Hierarchie, Qualität vor Quantität
Nicht zuletzt deswegen hält Tijen Onaran es auch für falsch, sich beim Netzwerken bloß an jene Menschen zu wenden, die hierarchisch auf derselben Stufe oder höher stehen. „Inhalte gehen vor Positionen“, sagt sie. Außerdem gelte: lieber wenige persönliche Kontakt als viele lose Linkedin-Freundschaften. „Wenn die Chemie zwischen Menschen stimmt, fällt Netzwerken leichter.“
5. Networking in den Alltag integrieren
„Never lunch alone“: Beschäftigt man sich mit dem Aufbau von Netzwerken, hört man diesen Ausspruch zwangsläufig. Onaran interpretiert ihn metaphorisch. Es gehe darum, das Netzwerken in den Joballtag zu integrieren und es zu ritualisieren. Ob ein Tag im Monat, einer in der Woche oder jeden Tag, das müsse jeder selbst entscheiden. Außerdem solle man Anknüpfungspunkte bieten, etwa einmal wöchentlich die Erkenntnisse aus einer Konferenz oder einen Artikel in den sozialen Medien teilen.
Worin geht’s denn jetzt? Introvertierte oder Schüchterne? Das eine hat mit dem anderen erst einmal gar nichts zu tun. Hier findet eine schlampige Vermischung statt.
Introvertierte, Schüchterne, Sensible, Hochbegabte, Underachiever und co alle in einen Topf zu werfen halte ich für sehr gefährlich.