KI in der Suchmaschinenoptimierung: Das Ende von Backlinks?
Mit dem Forschungsprojekt „Google Brain“ und der Übernahme des KI-Spezialisten „Deepmind“ hat Google sich schon vor Jahren auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz positioniert. Spätestens seit CEO Sundar Pichai 2016 offiziell den Wechsel von „Mobile First“ zu „AI First“ verkündet hat, ist klar: KI wird in Zukunft alle Bereiche des Konzerns prägen.
Das betrifft auch die Suchmaschinenoptimierung, in der vor allem Machine Learning, eine Unterdisziplin der künstlichen Intelligenz, zunehmend einflussreicher wird. Algorithmen
werden zunehmend durch das KI-System „Rankbrain“ gesteuert und befähigen die Suchmaschine, auch selbst dazuzulernen. So wird Google stetig besser darin, auch unbekannte – also noch nie gestellte – Suchanfragen zu beantworten. Diese machen immerhin 15 Prozent des gesamten Suchvolumens aus.
Für SEO ergeben sich durch diese Entwicklung Paradigmenwechsel, die sich zum Teil schon länger andeuten. Dazu gehören, neben dem Fokus auf Content-Qualität – und der Art und Weise, wie Google diese misst –, die abnehmende Bedeutung von Backlinks und zunehmende Dominanz des User-Intents, also der Suchabsichten im Einzelfall.
Eine weiterentwickelte Form der Keyword-Dichte
Seit Googles massiver Offensive gegen Link-Spam und aktiven Linkaufbau wenden sich SEO-Verantwortliche mehr und mehr in Richtung Content und technisches SEO. Umso vielschichtiger sind die Anforderungen an gute Inhalte geworden. Während „Keyword-Stuffing“ lange Zeit zum festen Repertoire gehörte, führt diese Praxis 2018 höchstens zu einer manuellen Abstrafung. Künstliche Intelligenz erlaubt Google heute, die Content-Qualität mithilfe der sogenannten „Co-Occurence“, einer extrem weiterentwickelten Form der Keyword-Dichte, zu messen. Co-Occurence geht weit über die simple Frequenz eines Keywords hinaus. Sie beschreibt stattdessen die semantische Distanz zwischen zwei Wörtern, quantifiziert also, wie nah diese verwandt sind: je höher die Co-Occurrence, desto besser.
Mit mehr als 130 Billionen gefundenen Websites hat Google den nötigen Datensatz, um die semantische Distanz zwischen Wörtern sehr akkurat zu bestimmen. Zudem hilft Rankbrain der Suchmaschine dabei, die Bedeutung eines Wortes im Kontext der Suchanfrage zu verstehen, beispielsweise ob das Keyword „Apple“ die Frucht oder das Unternehmen meint. Das lernfähige System kann so auch Synonyme und bisher unbekannte Suchanfragen korrekt interpretieren – und das über mehrere Sprachen hinweg.
Sollen Inhalte für ein bestimmtes Thema ranken, müssen sie auch die relevanten Unterthemen aufgreifen, um eine hohe Co-Occurence zu erreichen. In der Computerlinguistik werden Unterthemen als „Entitäten“ bezeichnet. Das können Objekte aller Art sein, von Markennamen über Personen und Gegenstände bis hin zu Orten. Ein Text über Autos sollte beispielsweise auch die Entitäten „Reifen“, „Lackfarbe“ oder „km/h“ bedienen. Je relevanter die Entitäten und je vollständiger ihre Beschreibung innerhalb des Textes, desto hochwertiger ist der Content. In den letzten Jahren ist dafür die Bezeichnung „holistischer“, also ganzheitlicher Content aufgekommen.
Zwei Parameter entscheiden über den Grad der Holistik: Tiefe und Breite. Ersterer beschreibt, wie ausführlich jede Entität in einem Text behandelt wird, letzterer die Anzahl der Unterthemen. Die optimale Tiefe und Breite sind von Keyword zu Keyword unterschiedlich.
Für das Keyword „Möbel günstig online kaufen“ beispielsweise rankt die Unterseite www.poco.de/moebel seit über einem Jahr robust auf Position 1. Laut dem Analysetool Ahrefs rankt sie zudem für 2.755 weitere Keywords und bringt so massiven Traffic ein. Anhand der Rankinghistorie lässt sich rekonstruieren, dass Poco im August 2016 Änderungen an der Unterseite vorgenommen haben muss, die das Ranking nach oben gebracht und seitdem kontinuierlich dort gehalten haben. Und tatsächlich: Fand sich im August 2016 noch ein sehr kurzer, inhaltsschwacher Text am Ende der Unterseite, ist der heutige Text lang, hilfreich und bedient alle wichtigen Unterthemen.
Mancher SEO-Verantwortlicher wird jetzt argumentieren, dass in diesem Fall eventuell doch Backlinks der ausschlaggebende Faktor sein könnten. Das Backlinkprofil von poco.de/moebel liefert allerdings keinen Beleg für diese Annahme. Interessanter ist dagegen die Textanalyse mithilfe von Googles Natural-Language-Processing-API: Sie erkennt rund 230 Entitäten im Seitentext, darunter „Holz“, „Echtholz“, „Wohnwand“ oder „Arbeitsflächen“, aber auch Entitäten wie „Pflege“, „Microfasertuch“, „Gemüse“ oder „Topf“. Zum Vergleich: Der Text auf Ottos Möbelseite, die auf Position 2 für „Möbel günstig online kaufen“ rankt, bringt es nur auf 145 Entitäten.
Der neue Türsteher: Suchabsicht
Das im Beispiel verwendete Keyword „Möbel günstig online kaufen“ weist auf einen weiteren Bereich der Suchmaschinenoptimierung hin, der durch künstliche Intelligenz und Machine-Learning immer stärker in den Fokus rückt: der User-Intent, also die konkrete Absicht, die sich hinter einer Suchanfrage verbirgt. Traditionell wird hier zwischen drei Intentionen unterschieden: navigatorisch, transaktional und informativ. Der Nutzer benutzt Google entweder, um zu einer Seite zu navigieren („Herr der Ringe Amazon“), etwas zu kaufen („günstige Sneaker für Frauen“) oder etwas herauszufinden („Wann war der Dreißigjährige Krieg?“).
Diese klassische Unterteilung ist jedoch veraltet. Heutzutage werden Suchmaschinen für weitaus mehr genutzt: von lokalen Suchanfragen mit Navigationsabsicht wie etwa „Sushi Restaurant“ über Inspiration – „Halloween Kostüm Ideen“ –, Anleitungen, Rezepte, Videos oder kurze Informationsabfragen – „Wetter“, „Bundeskanzlerin“ – bis hin zu Listen und Rankings, beispielsweise „die besten Projektmanagement-Tools“. Künstliche Intelligenz versetzt Google in die Lage, die hinter den nackten Keywords stehenden Nutzerintentionen immer besser und differenzierter zu verstehen und sie direkt in den Suchergebnissen zu verankern. So liefert etwa das Keyword „Röbel Fröbel mit Schnörkranz“, das auf einen Sketch von Christian Ulmen und Nora Tschirner Bezug nimmt, explizit videobezogene Ergebnisse aus: Fünf von zehn Snippets sind Video-Snippets, vier der Suchergebnisse kommen direkt von Youtube. Bei Suchanfragen wie „Wohnzimmer Ideen“ ranken – zusätzlich zur konzerneigenen Google-Images-Galerie – auch sonst nur Seiten mit Bildergalerien. Denn: Googles Algorithmen haben gelernt, dass Nutzer in diesen Fällen visuelle Inspiration im Pinterest-Stil erwarten.
Ebenso sind transaktionale Suchanfragen klar für Google erkennbar, selbst ohne Indikatoren einer Kaufmotivation. Das Keyword „Autoreifen“ wird von Google beispielsweise in einem klaren Bezug zu „Autoreifen kaufen“ gesehen, wie die Suchergebnisseite zeigt: Neun von zehn Ergebnissen stammen von Shops, in denen man Autoreifen kaufen kann. Rankbrain versteht auch für neue Keywords die Nutzerintention in den meisten Fällen korrekt und gestaltet die SERPs entsprechend. Die Chancen, für ein Keyword zu ranken, dessen User-Intent nach einer anderen Form von Content verlangt, sind gering und werden kleiner.
Die Suchintention der Nutzer sollte nicht nur in die Keyword-Recherche einfließen, sondern auch bei der Planung und Kreation der Seiteninhalte berücksichtigt werden. Ist das Kaufangebot wirklich gut? Sind die Bilder wirklich inspirierend? Haben die Videos eine gute Qualität? Diesen Fragen können SEO-Manager nicht mehr ausweichen: Nur, wenn ihre Seite klar auf den User-Intent eingeht, besteht die Chance, dass Nutzer zufrieden sind und verweilen – und damit weitere Signale an Google senden, die das Seitenranking positiv beeinflussen.
Holistischer Content ist gefragt
In diesem Zusammenhang ist auch der Bedeutungswandel beim Thema Backlinks interessant. Holistischer Content drängt Backlinks als Rankingsignal schon seit geraumer Zeit zurück. Trotzdem sind sie noch längst nicht obsolet: Immerhin nutzt Google Links für das Crawling, findet also neue und alte Seiten, indem es Verweisen folgt. Auch einige Linkaufbau-Taktiken funktionieren Berichten zufolge immer noch gut. Sogar Linkkauf und -tausch scheinen eher wieder zu- als abzunehmen: Dies dürfte nicht zuletzt an Googles strategischer Entscheidung liegen, Spam-Links nicht mehr abzustrafen, sondern schlicht zu ignorieren. Wer keine Strafe fürchten muss, probiert es eben doch – in der Hoffnung, das eine oder andere Mal damit durchzukommen.
Tatsache ist dennoch: Genauso wie bei der Keyword-Dichte, ist die schiere Anzahl an Backlinks bei Weitem nicht mehr ausschlaggebend. Das belegt ein erneuter Blick auf die Keyword-Rankings. Schon heute haben die Top-Positionen in den organischen Suchergebnissen stark unterschiedliche Linkprofile. Für das Keyword „Möbel günstig online kaufen“ sehen wir beispielsweise die URLs mit den stärksten Links eher auf den hinteren Positionen. Selbst für stark umkämpfte Keywords wie „Kreditkartenvergleich“, mit einem monatlichen Suchvolumen von etwa 27.000, scheinen Backlinks nicht mehr der ausschlaggebende Faktor zu sein, wie Ahrefs zeigt: Während der Spitzenreiter gerade einmal 49 Backlinks und 23 Domains aufweist, schafft es die URL mit 199.238 Backlinks und 100 Domains lediglich auf Platz 6. Ähnlich sieht es beim Keyword „Ferienwohnung“ aus, das ein monatliches Suchvolumen von rund 247.000 aufweist. Für das äußerst wettbewerbsfähige Keyword haben die Top-Ten-Sites eine Vielzahl an Backlinks aufgebaut. Fewo-direkt.de bringt es beispielsweise auf mehr als 14 Millionen. Auf Position 1 rankt mit ferienwohnungen.de aber eine URL mit gerade einmal 34 Backlinks – und damit dem zweitschwächsten Linkprofil innerhalb der Top Ten überhaupt.
Andere Faktoren dagegen gewinnen an Bedeutung. Eine Semrush-Studie aus 2017 zeigt, dass Ranking-Signale wie die durchschnittliche Verweildauer, die Click-Through-Rate, die Bounce-Rate oder die Anzahl der während der Session besuchten Unterseiten immer wichtiger werden. Zudem haben die am besten rankenden Unterseiten zwar nicht mehr die besten Linkprofile, scheinen aber für viele Keywords gleichzeitig zu ranken – möglicherweise ein weiteres Zeichen für die steigende Bedeutung holistischer Inhalte.
Diese Beobachtungen legen nahe, dass die Ausdifferenzierung der Rankingfaktoren durch Machine-Learning deutlich beschleunigt wird. Je mehr Ranking-Signale Googles Algorithmen auswerten können und je genauer sie dadurch bestimmen können, ob eine Seite die Suchintention der Nutzer in zufriedenstellender Weise bedient, desto mehr verlieren „klassische“ Faktoren wie Backlinks an Bedeutung. Schon heute sind sie nur noch Teil eines Konglomerats aus mehr als 200 bekannten Faktoren – in Zukunft wird deren Zusammenspiel noch komplizierter zu entschlüsseln sein.
Das Ende der SEO-Branche?
Noch lernt Rankbrain an Offline-Daten und agiert nicht in Echtzeit. Von außen ist schwer einzuschätzen, wie viel Google noch „von Hand“ optimiert und wie viel maschinell. Klar ist aber: Die Transformation der Suchmaschinenoptimierung durch künstliche Intelligenz hat begonnen. Die wachsende Undurchsichtigkeit der bekannten Rankingfaktoren ist erst der Anfang.
In naher Zukunft wird Google neue Algorithmen nicht mehr ausrollen, sondern konstant hinzulernen und Ranking-Signale in Echtzeit gewichten. Das macht es, wie der Fall der Backlinks zeigt, schwieriger, einzelne Faktoren und ihren Einfluss genau zu identifizieren. Nur mit sehr großen Datensätzen und sorgfältig durchgeführten Tests kommt die Industrie noch an neue Erkenntnisse.
Was Endnutzern hilft, stellt die SEO-Branche vor neue Herausforderungen, denn das Verhalten der Suchmaschine wird weniger vorhersagbar. Selbst Google wird ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr hundertprozentig sagen können, welche Rankingfaktoren wie viel Einfluss haben.
Das ist aber kein Grund für Abgesänge auf den SEO-Beruf. Wenn Google und insbesondere Rankbrain die Zufriedenheit der Nutzer – die Bedienung des User-Intents, die hilfreichsten Inhalte
und Formate und eine gute User-Experience – immer weiter in den Mittelpunkt rücken, wird die Suchmaschinenoptimierung in verwandten Disziplinen neue Anregungen und Lösungen finden. Softe Faktoren wie Social Proof, Design, Trust oder Markenreputation sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Auch technisches SEO wird weiter an Bedeutung gewinnen. Zudem liegt es in der Natur der Suchmaschinenoptimierung, dass organische Suchergebnisse immer bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar sind. Das kann die Branche sich weiter zunutze machen – muss in Zukunft aber auf deutlich mehr Komponenten als auf Keywords und Backlinks schauen.
Bei mir hat ferienwohnung. de weit mehr als 34 Backlinks…
Ich habe zwar gerade kein Tool zur Prüfung zur Hand, bin mir aber ziemlich sicher, dass t3n die Anzahl der Links auf die URL ausgewertet hat und nicht die auf die Domain.
Der multifaktorelle Einfluss zeichnet sich ja schon länger ab. Wir habe vor ein paar Monaten die Wechselwirkung unterschiedlicher Faktoren mit Hilfe einer sog. Schwarmanalyse vermessen. Diese kann die in diesem Artikel beschriebenen Annahmen in jedem Fall untermauern: https://rankanalyst.de/der-schachtel-shop-wirkung-von-user-signals-auf-das-ranking-1112/
Steven Broschart
Wenn man in Betracht zieht, dass es immer noch mehrere Faktoren eine Rolle spielen, dann ist dieser Artikel wieder mal sehr Flach ausgefallen.
Das Ende der SEO Branche? Garantiert nicht. Eher wird der Aufbau von natürlichen Backlinkprofilen aufwendiger, wenn diese eine inhaltliche Relevanz zum Content im Onpage Bereich darstellen sollen.
Wenn man aktiv ein Backlinkprofil aufbaut, ist es kein natürliches. Ich bin der Ansicht, dass das beste SEO heute darin besteht, ein attraktives Geschäftsmodell auszuarbeiten und sich um die Bedürfnisse seiner Kunden zu kümmern, statt sich mit manipulativen Methoden wie Link Building zu beschäftigen.