Social Commerce: Neue soziale und mobile Kanäle verändern den Online-Handel

Die Zeiten des anonymen Handels gehören anscheinend endgültig der Vergagenheit an. Was auf den Wochenmärkten seinen Anfang nahm und in den Tupperware-Parties der sechziger und siebziger Jahre seine Fortsetzung fand, ist mit der Industrialisierung des Handels in den Achtzigern und Neunzigern fast in Vergessenheit geraten: Der soziale Kontakt zwischen Händlern und Käufern, der Kontakt zwischen den Käufern untereinander und der Kunde als eigentlicher Botschafter für die Marke.
Social ist nicht gleich social
Der Distanzhandel präsentierte sich zu Zeiten des Katalogs und den Anfängen des E-Commerce als reine Verkaufsmaschine im Sinne eines one-to-many-Konzepts. Ein unglaublich großes Angebot stand allen Kunden gleichermaßen zur Verfügung, ohne Präferenzen. Der Kunde stand allein auf weiter Flur zwischen den virtuellen oder papierenen Regalen – es schien, als lautete die Devise: „Kauf oder verpiss Dich“. Der Kunde stand mit seinem Kaufentscheid nicht nur physisch, sondern auch funktional alleine da.
Das Web 2.0 läutete die Wende ein – technologische Neuerungen verbreiteten sich rasant und User-Generated-Content übernahm das Feld. Fortan fand man auch in Onlineshops Möglichkeiten, seine Meinung kund zu tun. Sei es, mit Sternchen Produkte zu bewerten oder über Kommentare Rezensionen zu hinterlassen.
Neben den schnell wachsenden Portalen für Videos (YouTube), Bilder (Flickr) und mehr etablierten sich neue Onlineshopping-Konzepte. Liveshopping, Private-Sales, Mass-Customizing, Crowd-Sourcing und andere gehörten vor einigen Jahren zu den aufstrebenden Konzepten und förderten hochgradig profitable Namen wie woot.com, venteprivee.com, threadless.com, spreadshirt.com zu Tage – einige davon haben sich zwischenzeitlich Major-Player wie Amazon & Co. unter den Nagel gerissen.
Der soziale Aspekt manifestierte sich anfänglich bei diesen Konzepten in der Verbindung der Anwender, ohne dass sich diese kannten oder zu kennen brauchten. Erst soziale Netzwerke ermöglichten die nächste Stufe des Social Commerce. Nicht die Verbindung von Nutzern untereinander war entscheidend, sondern die Verbindung von mir bekannten Personen. Personen also, deren Meinung man einschätzen kann.

Lockerz ist ein aufstrebender Dienst, der seine Nutzer für das, was man ohnehin online macht, mit Preisnachlässen für Produkte belohnt.
Seit Plattformen wie Facebook sind auch im E-Commerce neue Konzepte möglich. Dies fängt bei eigentlichen Single-Signon-Konzepten an, bei denen man sich nicht mehr bei jeder Plattform seine Zugangsdaten merken muss, sondern über Facebook-Connect bequem seinen Login auch an anderer Stelle zur Identifikation verwenden kann.
Das Anzapfen des persönlichen Beziehungsnetzes, dem sogenannten Social Graphen, verdrängt die anfängliche Anonymität im Social Commerce. Die fünf Buch-Rezensionen bei Amazon von Leuten, die man kennt und einschätzen kann, bekommen um ein Vielfaches mehr an Gewicht als diejenigen von 50 unbekannten Personen. Das erkannte auch Amazon ziemlich schnell und lässt seit vergangenem Sommer auch Informationen aus dem Facebook-Umfeld in die Produktempfehlungen einfließen.
Social Commerce Reloaded
Der Onlinehandel wird sozialer und vertrauter. Was auf der einen Seite neue Konzepte, Player und Mitbewerber ermöglicht, fordert auf der anderen Seite aber auch Verlierer. Vor allem im extremen Schnäppchenbereich ist nicht mehr viel vom alten Glanz geblieben. Swoopoo musste Insolvenz anmelden und auch rabattschlacht.de vermeldet auf seiner Seite, dass das Konzept vom Publikum nicht so angenommen wurde, wie erwartet. Man könnte nun die Hypothese aufstellen, dass sich diese Modelle so schnell zu Tode liefen, weil es bei der neuen Persönlichkeit im E-Commerce keinen Bedarf mehr an derartigen Billigplattformen gibt. Nicht weil die Nachfrage nach Schnäppchen plötzlich abebbt, sondern vielmehr weil man dort nicht erkannt werden möchte. Eine andere Hypothese wäre, dass es im Social Commerce nicht um Verkaufen um jeden Preis geht, sondern eben um das Soziale.
Nicht mehr Verkaufen um jeden Preis
Was für Social Media gilt, gilt für einzelne Social-Commerce-Konzepte noch viel mehr. Der reine Abverkauf steht nicht primär im Fokus, sondern der Dialog. Der Verkauf ergibt sich, wenn das Konzept richtig aufgebaut ist, von selbst. Mit einem transparenten Dialog erzielt man Vertrauen und steigert die Loyalität. Kunden werden zu Fans und damit auch zu Botschaftern für den eigenen Brand, für den eigenen Shop. Der Preisdruck rückt in den Hintergrund, weil die Identifikation zur Marke stärker wird, was im Gegenzug leicht höhere Margen erlaubt, die wiederum die Finanzierung aktiver sozialer Tätigkeiten ermöglicht – wenn das Konzept stringent und glaubwürdig umgesetzt wird.
Die Krux an der ganzen Sache liegt bei etablierten Unternehmen oft darin, das Management von diesen Komponenten überzeugen zu können. Denn diese Aktivitäten stehen herkömmlichen Konzepten diametral gegenüber, die den Umsatz im primären Fokus haben. Social-Commerce-Konzepte sind aber nachhaltiger, weil man zuerst sät und die Ernte erst später, dafür aber ergiebiger, einfährt. Diese Konzepte skalieren einfach wesentlich effizienter, weil die Kunden die Saat weitertragen. Jeder eingesetzte Euro mutiert nicht nur zu einem möglichen unmittelbaren Verkauf, sondern zu zahlreichen mittelbaren Zusatzverkäufen. Frei nach dem Motto; „zuerst Geben, dann Nehmen“.
Erleben, Spielen und Gewinnen
Einen Schritt weiter geht die Plattform lockerz.com. Als reine Social-Shopping-Plattform aufgebaut, verbindet sie sämtliche Ingredienzen des Social Commerce. Zwar ist sie als geschlossene Plattform konzipiert, konnte jedoch seit ihrem Launch Ende 2009 ihren Mitgliederbestand auf
bald zwanzig Millionen vergrößern. Lockerz stellt das tägliche Online- wie auch Konsumverhalten in den Vordergrund. Sich mit Freunden Austauschen, Fotos teilen, an Umfragen teilnehmen, Videos anschauen und vieles mehr. Nur wird das bei Lockerz zusätzlich mit Punkten belohnt, sogenannten PTZ (sprich „Points“). Diese PTZ wiederum kann man für teilweise saftige Discounts bei den angebotenen Produkten verwenden.
Bei Lockerz steht nicht der Verkauf im Fokus, sondern das Erlebnis. Die Mitglieder identifizieren sich mit der Plattform, die zum eigentlichen Shopping-Umfeld wird. Auch hier verfolgt der Betreiber mutmaßlich das Ziel, die Loyalität so zu steigern, dass andere Angebote aus dem Web in den Hintergrund rücken. Der Kaufimpuls erfolgt direkt auf der Plattform selbst – ein mögliches Online-Recherchieren oder gar einen Preisvergleich soll das Konzept möglichst vermeiden. Lockerz ist denn auch laut Eigenwerbung die neue Startseite im Web. Das Modell nennt Lockerz selber „friends with benefits“ und bringt damit das gesamte Social-Commerce-Konzept ziemlich gut auf den Punkt.
Die Rechnung dürfte nicht nur für alle aufgehen, sondern auch mächtig skalieren. Es verwundert daher nicht, dass Experten Lockerz als einen ganz heißen Vertreter unter den neuen Social-Shopping-Plattformen handeln und sich Investoren beinahe die Türklinke in die Hand geben.
Social Commerce macht mobil
Während die oben genannten Modelle und Business-Cases rein im Web stattfinden, ermöglichen erst mobile Konzepte, sich im sozialen Umfeld zu verankern. Mobile schlägt die Brücke und bringt Social Commerce in das soziale Umfeld – in den Alltag, denn das Smartphone ist ständiger Begleiter. Es ist nicht nur allzeit griffbereit, es weiß auch um die Position des Nutzers und die Tageszeit, was wiederum Rückschlüsse auf momentane Bedürfnisse erlaubt.
Auch in diesem Bereich haben primär spielerische Anwendungen den Weg zum Social Commerce geebnet, die nicht den primären Verkauf anpeilen, sondern an das Ego des Anwenders appellieren. Sei es, immer und überall Bewertungen von Anbietern wie Shops, Restaurants und anderen Dienstleistern kundzutun oder einfach seine Freunde wissen zu lassen, wo man sich gerade befindet.
Ein Vertreter der mobilen Bewertungsanwendungen ist Qype. Nicht nur im Web, sondern auch unterwegs hat man Zugriff auf Tausende von Empfehlungen und Bewertungen. Personalisiert man sein Profil, hat man kontinuierlichen Zugriff auf persönliche Empfehlungen aus seinem sozialen Umfeld. Lokalisierungsdienste wie Gowalla oder Foursquare haben dagegen das Feld vorbereitet, das zwischenzeitlich auch Facebook mit Places aktiv bewirtschaftet.
Lokalisierung und Personalisierung
Ganz nach dem Motto „vom Spiel zum Deal“ war auch hier der Weg relativ naheliegend, Informationen wie Ort, Präferenzen oder soziales Umfeld kommerziell zu nutzen. Einerseits mit spielerischen Elementen, anderseits mit veritablen Gutschein-Aktionen: Anbieter wie auch Freunde aus dem sozialen Umfeld bedienen einen aktiv mit Vergünstigungen, abhängig vom aktuellen Standort und den Präferenzen. Vergünstigungen, empfohlen von mir bekannten und geschätzten Personen, haben im Gegensatz zu „Gutschein-Spam“ ein Vielfaches an Relevanz.
Aus diesem Grund pflegen sämtliche Groupon-Plattformen eine so enge Integration mit Social Networks und gewährleisten so die soziale Relevanz in den immer stärker lokalisierten Rabattschlachten. Umso erstaunlicher, dass die Groupon-Modelle noch nicht (ganz) im mobilen Kanal angekommen sind. Dies wird sich in den kommenden Monaten aber dramatisch ändern. Sie müssen handeln, sehen sie doch mit Facebook Places und Deals ihre Felle davon schwimmen.
Offline Shoppingparty
Während sich Social-Commerce-Konzepte im Web etablieren und zunehmend auch mobil ausbreiten, ist eine regelrechte „Back-to-the-Roots-Bewegung“ zu beobachten. Social Shopping findet wieder – oder vielmehr immer noch – offline statt. Die Mutter aller stationären Social-Shopping-Konzepte, die Tupperware-Party, steht Pate für die Shoppingparties der heutigen Zeit. Organisiert werden diese Shoppingparties über soziale Netzwerke.
Entweder bieten sich dort Partyexperten an, die über ein umfassendes
Onlineprofil und entsprechende Ratings verfügen, oder Marken stellen die
Partyutensilien direkt zu Verfügung.
Anbieter wie houseparty.com oder facebook.com/ShoppingParty tragen das Verkaufs-Event-Modell im privaten Rahmen in die Community. Aber aufgepasst! Nicht mehr der reine Abverkauf der meist auf Provisionsbasis agierenden Verkaufsexperten steht im Vordergrund, sondern das Erlebnis an sich. Veranstalter derartiger Events profilieren sich über Produkt- und Marktkenntnisse und sind keine Verkaufsmaschinen als solche. Es wird also auch hier an das Ego appelliert und nicht an das Portemonnaie.
Ist ein externer Berater vor Ort, darf der Verkauf keinesfalls im Vordergrund stehen. Social Shopping verliert die Magie, wenn der Kommerz im Vordergrund steht. Shopping-Parties haben einen reinen Event-Charakter und sind für die Hersteller keine Verkaufsveranstaltungen, vielmehr ein Brandingevent, bei dem man die Marke stärkt oder den Kontakt aufbaut. Wie im Social Commerce allgemein, zählt nicht der unmittelbare Umsatz, sondern der mittelbare Erfolg.
„Lockerz ist ein aufstrebender Dienst, der seine Nutzer für das, was man ohnehin online macht, mit Preisnachlässen für Produkte belohnt.“
Anstatt Lockerz, hätte man auch die deutsche Seite Dshini.net einmal erwähnen können. Ähnliches Prinzip, funktioniert nur wesentlich besser.