Wie du dein Startup wieder auf Erfolgskurs bringst: So gelingt der Strategiewechsel
Mit meinem ersten Startup Yamya, einem Bio-Stadt-Portal, bin ich langsam und qualvoll gescheitert. Heute kann ich darüber lachen, denn inzwischen weiß ich, was mir damals zum Verhängnis wurde: Ich konnte nicht Schluss machen. Mein Startup und ich waren wie eine Beziehung, die schon lange nicht mehr funktionierte. Aber anstelle rechtzeitig die Notbremse zu ziehen und zu überlegen, was anders laufen müsste, machten wir blind weiter, bis wir den Wagen an die Wand gefahren hatten. Heute weiß ich, dass ich früher hätte einlenken müssen oder betriebswirtschaftlich ausgedrückt: Ich hätte einen Pivot vollziehen müssen. Die folgenden Tipps sollen dabei helfen, dass eine solche strategische Kurskorrektur gelingt.
Viele Wege führen nach Rom
Als erstes solltest du dich als Startup-Gründer daran gewöhnen, dass es ganz natürlich ist, im unternehmerischen Leben einmal in eine Sackgasse zu geraten. Das ist noch lange kein Grund aufzugeben. Es ist wie im echten Leben: wenn die eine Straße nicht weiterführt, nimmst du eine andere. Das Schlüsselwort dafür lautet „Pivot“ und ist dank des Lean-Startup-Ansatzes von Eric Ries inzwischen ein vertrautes Konzept unter Gründern, ein strategisches Instrument im Unternehmensaufbau: Geh früh raus auf den Markt, validiere dein Produkt und ändere den Kurs, wenn dein Business-Modell oder Produkt nicht aufgeht.
Verstehen, planen, umsetzen
Auch wenn es rückblickend oft so aussieht – ein Pivot ist keine plötzliche Erleuchtung, sondern eine kalkulierte, planvolle Änderung des Kerngeschäfts auf Basis von Tests, Feedback und Erfahrungswerten. Der heutige Tech-Konzern Nokia stellte zum Beispiel ursprünglich Papierprodukte her, dann Gummistiefel und Radmäntel. Dem radikalsten Pivot unterzog sich Nokia schließlich durch den Zusammenschluss mit „Finnish Cable Works“, wodurch der heutige Technologie-Riese entstand. Starbucks baute anfangs Espresso-Maschinen, Twitter startete als Podcast-Plattform.
Es ist verlockend zu glauben, dass ein Ausbruch aus dem bisherigen Strategie-Plan mit einem radikalen Kurswechsel und ein bisschen Glück gelingen wird. Doch ein Pivot ist kein Geistesblitz eines fallenden Unternehmers, sondern eine langwierige Metamorphose, die dein Startup wahrscheinlich sogar mehrmals durchlaufen muss.
Priorisiere deine Kennzahlen
Bevor du wissen kannst, ob ein Pivot sinnvoll ist und in welche Richtung er gehen könnte, musst du deine Kennzahlen definieren. Frag dich, welche Faktoren für den langfristigen Erfolg deines Produkts am wichtigsten sind und priorisiere sie je nach Phase deines Startups.
Wichtige Kennzahlen sind zum Beispiel Umsatz, Marge, Downloads, Nutzeraktivität oder Click-Through-Rate (siehe Tabelle). Doch je nachdem, in welcher Phase sich dein Startup befindet und um welches Produkt es sich handelt, musst du diese Zahlen unterschiedlich bewerten. Befindest du dich zum Beispiel in der Startphase, ist es noch zu früh, um dich auf den Umsatz zu konzentrieren. Hier hat das Produkt Priorität. Genauso trügerisch kann die Kennzahl „Reichweite” oder „Traffic” sein, wenn du zum Beispiel einen Online-Shop betreibst. Der Traffic ist erst etwas wert, wenn auch die „Conversion-Rate” zufriedenstellend ist, da Einkäufe erst dann abgeschlossen werden.
Business-Kennzahlen |
Umsatz |
Marge |
Downloads |
Reichweite/Traffic |
Customer-Lifetime-Value |
Customer-Acquisition-Cost |
Produkt-Kennzahlen |
Registrierungen (Conversion) |
Aktive Nutzer |
Retention (Re-aktivierung) |
Click-Through-Rate (v. a. für Ads) |
Prozess-Kennzahlen |
Lead-Zeiten im Vertrieb |
Support-Zeiten pro Kunde |
Burn-Rate |
Ein gutes Pivot-Beispiel auf Basis einer erfolgreichen Definition von Kennzahlen ist das Startup CouchCommerce – eine mobile E-Commerce-Lösung für Marken-Online-Shops. Die Kennzahl „Support-Aufwand” hat dem Startup die richtige Richtung für die Zukunft gezeigt. „Es war eigentlich ganz einfach“, sagt Nadine Schmitt, Mitgründerin von CouchCommerce, „wir sahen, dass die Anzahl der Support-Tickets für kleinere Shops die für größere um ein Vielfaches überstieg.“ Seit dieser Einsicht konzentriert sich CouchCommerce fortan auf Enterprise-Kunden, darunter bekannte Marken wie Runtastic.com und Reno.de.
Setz dir Ziele und Meilensteine
Damit du deine Kennzahlen evaluieren kannst, brauchst du auch Idealwerte. Das heißt, dass du dir Ziele stecken musst. Frag dich, wie viel dir ein Abo-Abschluss wert ist, wie hoch der Warenkorb sein muss, damit du einen positiven Deckunsbeitrag fährst oder wie viel Zeit ein Deal maximal in Anspruch nehmen darf, damit dein Sales-Team sich finanziell trägt.
Manchmal kann deine Formel recht einfach aussehen – zum Beispiel: Ist mein Customer-Lifetime-Value höher oder niedriger als meine Customer-Acquisition-Cost? Aber wahrscheinlich ist dein Startup nicht ganz so einfach zu bewerten.
Die Recherche und die Definition von Branchenwerten und deinen Zielen kann aber leicht zur Raketenwissenschaft werden, denn solche Zahlen sind zu einem hohen Maße abhängig von deiner Industrie und Nische. Hierbei hilft eine ganz einfache Maßnahme: Nachfragen! Sei mutig und sprich die alten Hasen im Geschäft an. Hab keine Scheu, die wichtigen Fragen zu stellen, zum Beispiel: „Was ist eine gute Conversion-Rate für mein Produkt und wie habt ihr eure optimiert?” Unter Experten und Gründern herrscht ein reger persönlicher Austausch – man hilft sich gerne aus.
Auch Iversity hat sich von Branchenzahlen zum Pivot motivieren lassen. Das Unternehmen, das sich anfangs auf eine Dokumente-Kollaborations-Software spezialisierte, merkte anhand der Lead-Zeiten im Vertrieb schnell, dass die Idee vom Markt nicht angenommen wurde. Hannes Klöpper, Geschäftsführer von Iversity, erinnert sich: „Ein Vertriebskontakt begründete seine Absage mit den Worten: ,Sie lösen ein Nicht-Problem!‘“ Somit war klar, dass sich etwas ändern musste.
Während der Reevaluierung des Startups stieß man im amerikanischen Markt bei der relevanten Zielgruppe, Universitäten und Professoren, auf neue Entwicklungen: Das US-Startup Coursera spezialisierte sich auf ein Produkt, welches bei Iversity bis Dato ein Nebenfeature war, nämlich reichweitenstarke Video-Kurse von Professoren, sogenannte MOOC’s. Coursera und andere MOOC-Anbieter in den USA erhielten damals jeweils siebenstellige Finanzierungssummen. So kam Iversity auf die Idee, sich stärker auf sein eigenes Nebenprodukt zu fokussieren. „Wir haben den Spieß einfach umgedreht“, sagt Klöpper. „Heute besteht das ganze Geschäftsmodell aus diesem einstigen Nebenfeature, während unser Hauptfeature zum Nebenprodukt wurde.“
Pivot ist nicht gleich Pivot
Wenn deine Kennzahlen und deine Intuition Alarm schlagen, bist du reif für den Pivot. Mach nicht den gleichen Fehler wie ich und warte nicht zu lang. Verlass dich auf deine Metriken.
Wenn du deine Zahlen wirklich verstehst, weißt du auch, in welchem Bereich du den Pivot einleiten kannst. Gamewheel – eine Plattform, mit der Unternehmen und Agenturen einfach und unkompliziert eigene Games erstellen können – startete selbst als Spieleanbieter, damals noch unter dem Namen Toywheel. Die eigenen Metriken haben Gamewheel gezeigt, wo die Reise hingeht. Als die Gründer ein Advertising-Game erstellten, fanden sie heraus, dass die Click-Through-Rate bei Werbung mit mobilen Spielen um ein Vielfaches höher war als mit Standard-Formaten. Gleichzeitig stiegen die Anfragen von Werbetreibenden für interaktive Werbeformate für mobile Geräte. So entdeckten sie einen neuen lukrativen Markt für sich. Sie beschlossen, eine Plattform zu entwickeln, mit der Marken Spiele leicht selbst gestalten und in mobiler Werbung verwenden können. Heute ist diese Plattform das Kerngeschäft von Gamewheel.
Pivoting ist also kein Standardprozess. Analysiere deine Metriken und lass dir von ihnen zeigen, wo es lang geht, passend zur DNA deines Startups und deinen Erfahrungswerten. Die folgende Tabelle listet die wichtigsten Pivot-Arten:
Customer-Segment-Pivot | Gleiches Produkt – andere Zielgruppe |
Customer-Need-Pivot | Gleiche Zielgruppe – anderes Produkt |
Zoom-in-Pivot | Fokussierung auf ein Feature – volle Spezialisierung auf einen Anwendungsfall |
Zoom-out-Pivot | Generalisierung des Produkts zur Abdeckung weiterer Anwendungsfälle |
Technology-Pivot | Grundlegende technologische Veränderung |
Business-Model-Pivot | Veränderung der Monetarisierungsstrategie, der Positionierung oder des Preismodells |
To-dos für deinen Pivot
Mit der Entscheidung zum Pivot allein ist es jedoch noch nicht getan – jetzt geht es an die Umsetzung, die mit größter unternehmerischer Finesse zu vollziehen ist. Die richtige Planung und Durchführung sind für den Erfolg entscheidend. Dabei müssen alle Bereiche deines Startups berücksichtigt werden. Ein Pivot betrifft niemals nur die Gründer, sondern jeden Mitarbeiter, viele Prozesse und die Unternehmensstruktur.
Produkt und Business Model
Dass du dein Produkt anpassen, den Code säubern, dein Angebot neu beschreiben oder das Lager leeren musst, ist selbsterklärend. Was aber weniger intuitiv ist – und zum Teil sehr emotional werden kann – ist das Loslassen von Features, die an und für sich noch gut funktionieren und dir auch ans Herz gewachsen sind, die aber nicht in die neue Strategie passen. Im Falle von CouchCommerce musste man sich sogar von zahlenden Kunden trennen, was aus Unternehmersicht eine außerordentliche Stärke fordert.
Oft erkennst du den Sinn oder Unsinn solcher Features und Aktivitäten erst nach einer guten Portion strategischer Detailarbeit. Dabei solltest du dir unter anderem die folgenden Fragen stellen: Stimmen dein Pricing und dein Angebotskatalog noch? Sind die rechtlichen Grundvoraussetzungen noch gegeben? Vielleicht brauchst du neue Zulieferer? Spiele einmal die gesamte Wertkette deines Unternehmens durch und analysiere, welche Partner noch passen und was verändert werden muss.
Prozess und Team
Wenn das Produkt und oder das Business-Model wechseln, ändern sich oft auch die Prozesse. Und unterschiedliche Prozesse brauchen unterschiedliche Fähigkeiten, womit wir beim nächsten Punkt sind, der einen Pivot unter Umständen sehr schmerzlich machen kann: Du musst dein Team anpassen, neue Leute dazu holen – und andere gehen lassen.
Jetzt gilt es, die Veränderungen zu kommunizieren, und zwar nicht nur extern, sondern vor allem auch intern. Dein Team muss den Kurswechsel intellektuell und den prozessualen Wandel operativ mittragen. Dein Erfolg hängt auch davon ab, ob du dein Team überzeugen und begeistern kannst und dieses wiederrum die Fähigkeiten hat, deine neue Unternehmensvision umzusetzen. Je intensiver der Pivot, desto mehr Energie solltest du in dein „Change-Management“ investieren.
Finanzen
Nachdem du die Auswirkungen deines Pivots analysiert und verstanden hast, solltest du deine Finanzplanung anpassen. Vor allem die Liquiditätsplanung kann dir ein Verständnis verschaffen, wie lange du mit der aktuellen Version deines Startups experimentieren kannst, bis finanzieller Erfolg oder die nächste Finanzierungsrunde kommen muss.
Deine Investoren müssen den Pivot mittragen, wenn nicht sogar finanzieren. Aus deinem ursprünglichen „Startup-Pitch-Deck“ wird jetzt ein „Pivot-Pitch-Deck“. Für Evgeni Kouris, Mitgründer und Geschäftsführer von Gamewheel, hat sein Pivot hervorragende Ergebnisse mit sich gebracht: „Der Pivot war letztendlich entscheidend für die Aufnahme in das Londoner Accelerator-Seedcamp.“ Für Kouris schließt sich damit der Kreis: Der Pivot ist umgesetzt, neue Partner sind gewonnen, Kennzahlen wurden priorisiert, und Gamewheel geht in die nächste Runde.
Vorsicht: Falls du staatliche Fördermittel für dein Startup bekommen hast, gilt es ganz genau zu prüfen, ob du immer noch die Richtlinien des Programms erfüllst. In gewissen Fällen verlierst du deine Bewilligung oder musst ein Antragsupdate einreichen.
Fazit
Mach den Pivot zum Teil deiner Strategie. Bleib offen, lies deine Kennzahlen, höre dem Markt zu und sei jederzeit bereit, alles zu ändern. Oder wie der Urvater des Startup-Pivot Eric Ries sagen würde: „A startups runway is how often it can still pivot“. Und wenn das Herz doch stärker als der Verstand ist, mach es wie ich: Mein erstes gescheitertes Startup führe ich einfach weiter – als Hobby. Und als Pivot. Aus „Yamya“, einem Bio-Stadt-Portal, wurde thecitykind.com – ein Location- und Startup-Blog über Berlin.