Startup-Fieber in Ostwestfalen: Zu Besuch bei der Founders Foundation
Durch einen Nebeneingang geht es in das Fabrikgebäude aus Backstein. Dann durch weiß gestrichene Gänge, immer den Notausgangsschildern hinterher – und hinten links, hinter einer Feuerschutztür, da sitzt dann die Zukunft. Noch, zumindest. Torsten Bendlin, Ende 40, Kapuzenpullover, zieht mit seinem Team bald schon wieder aus dem karg eingerichteten Büro aus. Das von ihm gegründete Valuedesk, eine Art Salesforce für Einkaufsabteilungen, ist gerade ein Jahr alt und hat kaum noch Platz im Kreativzentrum Alte Bogefabrik in Bielefeld. Von acht auf 15 Leute soll das Team in diesem Jahr wachsen. „Wir suchen Entwickler, Web-Designer, UX-Designer und so weiter“, zählt Bendlin auf. Suche nach Raum, Suche nach Köpfen: übliche Startup-Probleme, eigentlich.
Fünfzehn Gehminuten von Bendlins Büro entfernt freut man sich, dass es diese Probleme überhaupt gibt. Wie in vielen anderen deutschen Regionen existieren hier erfolgreiche Unternehmensnetzwerke – aber der Sprung in ein digitales Zeitalter fand lange Zeit nur langsam und mühsam statt. „Wir haben hier vor zwei Jahren vier, vielleicht fünf Startup-Teams gezählt“, sagt Dominik Gross, Chief Financial Officer und Mitgründer der gemeinnützigen Initiative Founders Foundation. Auch er trägt Kapuzenpulli und hat am Konferenztisch Platz genommen. Ihm gegenüber sitzt Sebastian Borek, Digitalunternehmer und CEO der Foundation. Seit Sommer 2016 versucht die Initiative, ein wenig Gründergeist in Ostwestfalen zu säen. „Wir wollen zeigen, dass Gründen eine Option ist – und wir helfen dabei, diese Option auszuprobieren“, sagt Borek.
Die Founders Foundation hat sich nicht gerade im ökonomischen Niemandsland angesiedelt: 17 Milliarden Euro Umsatz generieren alleine die produzierenden Unternehmen in der Region Ostwestfalen, der allergrößte Teil davon stammt von Familienunternehmen, die nebenbei häufig noch Weltmarktführer sind. Namen wie Miele, Dr. Oetker und Claas prägen Region und Lebensläufe. Hervorragende Aussichten für Unternehmen, exzellente Karrieremöglichkeiten für Berufseinsteiger. „Der Region geht es total gut“, sagt Gross. „Aber wirtschaftlich stark, heißt immer auch bequem, was Innovationen angeht.“ Bevor die Mittelständler nach Berlin blicken, bevor die Absolventen der Hochschulen in Bielefeld, Paderborn oder Lemgo abwandern, will man ein Gegenangebot schaffen. Dafür hat die Bertelsmann-Stiftung für die ersten fünf Jahre 17,5 Millionen Euro locker gemacht. Anschub für den Aufbau eines Ökosystems. Aber klappt das?
Borek und Gross sind davon überzeugt. Die Founders Foundation, die sich selbst strikt nach Lean-Startup-Methoden ausrichtet, misst ständig ihren Einfluss. In harten Zahlen sieht das so aus: 5.000 Menschen aus der Region habe man bereits auf Events erreicht – bei lockeren Abendveranstaltungen mit Gründungsinteressierten oder auf der selbst organisierten Konferenz „Hinterland of Things“. Valuedesk-Gründer Bendlin, vormals Einkaufsverantwortlicher im Mittelstand, wurde bei frühen Präsentationen der Founders Foundation mit Programmierern und Mathematikern Mitte Zwanzig zusammengewürfelt. Aus Skepsis wurde Vertrauen – gegründet hat er gemeinsam mit zwei der dort entstandenen Kontakte. Auch ein erster Business Angel stammt aus dem Netzwerk der Founders Foundation. Die Mentalität bleibt. „Wir müssen stark darauf schauen, dass wir eine stabile Substanz haben. Da sind wir dann doch sehr ostwestfälisch“, sagt Bendlin.
Ostwestfälische Sturheit heißt auch: Verbindlichkeit
Auch wenn eine gemeinnützige Stiftung dahintersteht: Im Fokus der Foundation steht die Leistung – und damit auch die immer wiederkehrende Entscheidung, wer im Rahmen des Programms weitermachen darf. „Wir glauben, wir können der Gemeinschaft nur was Gutes tun, wenn wir die Besten fördern“, sagt Geschäftsführer Borek. 150 Ostwestfalen wurden im Acht-Wochen-Kurzprogramm „Academy“ mit Gründer-Grundlagenwissen ausgestattet, bald 14 Startups durch das mehrmonatige „Camp“ bis zur Marktreife geführt. Diese sind zurzeit bei einer Bewertung von 2,2 Millionen Euro und haben bereits 3,5 Millionen Euro von Investoren eingesammelt. „Die sind ein ganz wichtiger Treiber und ein Beispiel für andere“, sagt Borek.
Dreh- und Angelpunkt der Aktivitäten ist die Etage der Founders Foundation, aktuell noch im ersten Stock eines ehemaligen Einzelhandelgeschäfts untergebracht. Das Treppenhaus sieht nach Ärztehaus aus, hinter der Tür dann Sperrholz an den Wänden, Holztische, schicke Kaffeemaschine. Vier Startup-Teams sind gerade dabei, ihr Produkt Richtung Marktreife zu schleifen. Den Fokus immer auf Business-to-Business, fast immer auf das Internet der Dinge.
Doch auch außerhalb der Gründer- etage tut sich was. Zwei Mal um die Ecke von der Founders Foundation, immer noch in der Bielefelder Altstadt, wächst und gedeiht der „Pioneers Club“. Eine Coworking-Etage, privat finanziert, in der immer wieder Startups Schreibtische anmieten. In die 80 Arbeitsplätze haben sich jedoch auch Traditionsunternehmen wie die Deutsche Bank, Alpecin-Macher Dr. Wolff oder Textilunternehmer JAB Anstoetz mit Innovationsteams einquartiert. Zwischen Laptop, Drucker und Limo-Kühlschrank entstehen so neue Kontakte und manchmal auch neue Verträge, gerne per Handschlag. „Diese ostwestfälische Sturheit, dahinter steckt auch immer eine große Verbindlichkeit“, benennt Pionees-Club-Geschäftsführerin Britta Herbst eine regionale Stärke, die hier digital aufgeladen wird. Das Ökosystem, so berichten es die Initiatoren, ändert sich auch an anderen Stellen: Ostwestfälische Caterer stellen von Mettbrötchen auf Wraps um.
Noch bleibt all das ein zartes Pflänzchen. Über 100 Arbeitsplätze haben die Startups aus der Founders Foundation geschaffen. Die bestehenden Produktionsbetriebe kommen auf 80.000. Und bleiben mit digitalem Nachholbedarf und guten Gehältern auch weiter für viele Absolventen interessant. Zehn Jahre Zeit hat die Founders Foundation, bis sie sich selbst tragen muss – oder überflüssig werden darf. Reicht das, um Ostwestfalen 2.0 zu etablieren? Stolze 150 Startups will die Founders Foundation in der Region etablieren, heute habe man etwa 30 junge Firmen mit technologiegetriebenen und hochskalierenden Geschäftsmodellen. „Wir müssen uns die Zeit nehmen, das Ökosystem muss mitwachsen“, sagt Borek. „Das wird die Herausforderung.“ Die zweite Generation wächst langsam heran: Valuedesk-Gründer Bendlin tritt mittlerweile als erfolgreicher Alumni auch auf anderen Unternehmertagen und Startup-Events auf. Und wirbt gerne für einen neuen Hype im Hinterland: „Die Umstände, die sind nirgendwo zu diesem Zeitpunkt so gut wie hier.“
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