PaperC im Startup-Porträt: Auf dem Weg zur Fachbuch-Flatrate
PaperC ist ein Startup, das vielen vor Freude die Tränen in die Augen treibt: Keine in den USA geklaute Idee, kein in Windeseile hochgezogenes Projekt mit Wunsch nach einem schnellen Verkauf, kein schickes Büro, ja ursprünglich sogar nicht einmal eine Hauptstadt-Gründung. PaperC ist so entstanden, wie man es sich angesichts der beständigen Copycat-Debatte in Deutschland wünscht: als Ergebnis eines studentischen Einfalls, basierend auf einem nervigen Missstand.
Seit drei Jahren basteln Geschäftsführer Martin Fröhlich und sein Team schon an der Umsetzung von PaperC, einer Plattform zum legalen Download von Fachbüchern. Das junge Unternehmen sitzt eigentlich in Leipzig, hat seit einiger Zeit aber den Hauptsitz nach Berlin verlegt. Das Gebäude in der Nähe des S-Bahnhofs Ostkreuz gehört dem Bremssystem-Hersteller Knorr-Bremsen AG und ist ein herrschaftlicher Altbau mit Marmortreppen und dunkelroten Teppichen – niemand würde vermuten, dass im vierten Stock ein Startup sitzt. Tut es aber, und bei PaperC sieht es dann doch auch so aus, angefangen bei den bunten Retro-Möbeln bis hin zu fröhlich-chaotischen Schreibtischen. Zwischendrin stolziert die adlige Bürokatze Ophelia von Selkechal umher, die von ihrem Frauchen aus dem Tierheim geholt wurde und jeden Montag von Leipzig nach Berlin mitpendelt und am Freitag wieder zurück. Die Atmosphäre bei PaperC ist lustig und entspannt, Geschäftsführer Martin Fröhlich lässt sich nicht anmerken, dass ihm der Kopf raucht: Investorengespräche, technische Neuerungen, Umbrüche im gesamten Geschäftsmodell und die Suche nach neuen Räumen halten das Team auf Trab. Die Truppe ist im vergangenen Jahr auf sieben feste Mitarbeiter und drei Praktikanten angewachsen, von den drei Gründern ist hingegen nur noch Fröhlich übrig.
Bücher seitenweise kaufen
Den Anfang machte PaperC 2009 als eine Plattform, auf der sich Nutzer kostenpflichtig Fachbücher herunterladen können. Und zwar nicht nur als komplette Bücher, sondern kapitel- und seitenweise. Mitgründer Felix Hofmann kam auf die Idee, als er zwischen den beiden Studienstandorten Berlin und Sankt Gallen hin und her pendelte, ständig die schweren Bücher mit sich herumtragen musste und für das Übergepäck zur Kasse gebeten wurde. PaperC will das Herumschleppen von Büchern überflüssig machen, indem Studenten ihre Fachbücher online lesen, bearbeiten und herunterladen können. Mit diesem Ansatz ist PaperC nicht nur ein nettes Konzept, das Studenten körperliche und organisatorische Erleichterung verschafft, sondern könnte zu den zukunftsweisenden Lösungen für den gesamten Bücher- und Verlagsmarkt gehören. In gewisser Weise, erklärt Fröhlich, seien sie mit dem Konzept vor drei Jahren in Deutschland zu früh dran gewesen, damals habe das breite Verständnis für dieses Thema noch gefehlt, gerade aufseiten der Verlage. Auch die technischen Endgeräte wurden erst in den vergangenen zwei Jahren tauglich, um damit Bücher komfortabel lesen und bearbeiten zu können.
Und so besteht eine der Hauptaufgaben für PaperC darin, Verlage über die Chancen und Möglichkeiten des Modells aufzuklären und Überzeugungsarbeit zu leisten. Nach wie vor gibt es viele Vorbehalte, trotzdem konnte das Startup schon rund 100 deutsche und internationale Verlage für sein Konzept gewinnen und steckt in weiteren Gesprächen. Katja Splichal, die bei PaperC für Strategie, Social Media Marketing und den Kontakt mit den Verlagen zuständig ist, ist überzeugt davon, dass sich die Vorbehalte bezüglich der Digitalisierung in Akzeptanz und Gestaltungswillen auflösen. Um das Prinzip in der gesamten Startup-Welt bekannt zu machen und um kurzfristig ein paar neue Features umzusetzen, haben die Neu-Berliner im Juli ihr Modell auf der Crowdinvesting-Plattform Innovestment [1] präsentiert. Das Ziel: innerhalb von fünf Wochen mindestens 50.000 Euro, maximal 100.000 Euro einzusammeln. Dass sich ein technikgetriebenes Startup, das einen enormen Kapitalbedarf und bereits mehrere Investoren im Rücken hat, an Privatinvestoren wendet, hat nicht nur positives Echo gefunden und die Frage aufgeworfen, ob das Geld nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Doch dass PaperC genügend Privatinvestoren gefunden hat, die das Projekt unterstützen, zeigt auf, dass viele an das Konzept glauben. Die Berliner konnten im August das Geld einsammeln und werden es in die Entwicklung neuer Features investieren.
Eines ist jedenfalls deutlich: PaperC gehört nicht zu den Raketen in der Startup-Szene, die in kürzester Zeit den Markt erobern. Die technischen Entwicklungen sind zeit- und kostenintensiv und auch die Überzeugungsarbeit ist langwierig. Martin Fröhlich, ein durch und durch ungeduldiger Mensch, geht es auch manchmal zu langsam. „Dennoch ist eigentlich bei einem Geschäftsmodell wie unserem klar, dass es seine Zeit braucht, um angenommen zu werden“, erklärt Splichal. „Die Einsicht, dass sich Content-Angebote am Nutzer orientieren müssen, geschieht nicht über Nacht.“
Harter Tobak: das Flatrate-Modell
Als gelernte Verlagswirtschaftlerin kennt Katja Splichal die Verlagswelt von innen. In vielen Gesprächen bemerkt sie die Angst vor Veränderung und davor, die Hoheit über die Inhalte zu verlieren. Die Angst ist nicht unberechtigt, schließlich bedeutet PaperC: Nutzer kaufen keine ganzen Bücher mehr, sondern nur das, was sie wirklich brauchen. „Von Fachbüchern benötigen Leser oft nur zwei bis drei Prozent des Inhalts“, zieht Splichal eine Statistik heran. Bisher lebten Verlage davon, dass Leser sich die kompletten Bücher kaufen mussten, wenn sie Teile daraus benötigten. Die neue Orientierung am Nutzerbedürfnis krempelt dieses Prinzip um.
Seit Kurzem geht PaperC nun noch einen Schritt weiter und strebt eine Flatrate-Lösung an, die von vielen Nutzern gewünscht wird. Angedacht sind eine Zehn-Euro-Flatrate, mit der Käufer zehn Stunden im Monat unbegrenzt Fachbücher lesen können, und eine All-inclusive-Flatrate für 30 Euro im Monat. Harter Tobak für Verlage. Allerdings hat auch Amazon seit Ende letzten Jahres eine E-Book-Flatrate angekündigt; dass es in diese Richtung gehen wird, ist also klar. Zumal das Flatrate-Modell in anderen Bereichen wie der Musik- und Videobranche schon längst gang und gäbe ist, Anbieter wie Spotify, Simfy und Lovefilm machen es vor.
Neu: EPUB-Format und Web-App
Vielen Verlagen sei bewusst, sagt Splichal, dass sie ein echtes Problem haben werden, wenn Branchenriese Amazon Flatrates einführt und dann selbst die Konditionen bestimmt. Dem Diktat des Marktführers könne sich dann kein Verlag widersetzen. Dies mache PaperC in den Augen vieler Verlage sympathisch: „Da ist ein überschaubares, branchennahes Unternehmen aus Deutschland, das unabhängig von den Marktführern Amazon, Google und Apple als Aggregator agiert und eine Lösung für alle anbietet“, erklärt Splichal. Nur die Sache mit der Flatrate ist für viele eben noch kritisch. Das junge Team ist trotzdem davon überzeugt, dass dies der einzig richtige Weg ist, um langfristig eine große Leserschar zu gewinnen. Weil sich „Flatrate“ für Verlage zu bedrohlich anhört, sprechen sie lieber von „Premium Subscription“ oder „subscription-basiertem Abo-Modell“. Getestet wird das Konzept aktuell in einer geschlossenen Betaphase mit 1.000 Usern aus dem IT-Bereich auf der neuen Plattform PaperC.com, da diese spezielle Nutzerschar sehr technikaffin sei. Im kommenden Jahr sollen dann die anderen Wissenschaften folgen. Zusätzlich spinnt das Team an weiteren Ideen, die bekanntlich nicht sehr zahlungswillige Hauptzielgruppe der Studenten für das Modell zu gewinnen. Eine Idee ist, dass sich Studenten im Rahmen von „Scholarships“ bei Firmen um ein Flatrate-Sponsoring bewerben können. Für Firmen wiederum könnte diese Möglichkeit ein Recruitment-Kanal sein.
In manchen stillen Momenten fragt sich Fröhlich schon, ob sie mit dem Flatrate-Modell wieder etwas zu früh dran sind, ob die Verlagswelt schon reif dafür ist. Die Innovation des eigenen Produktes klar vor Augen zu haben, aber noch nicht richtig durchstarten zu können, ist für ihn nicht einfach. „Auch unsere Investoren brauchen einen langen Atem, wir sind ihnen sehr dankbar dafür. In diesem Bereich ist man in drei Jahren eben noch nicht durch“, seufzt Fröhlich. Zu den Unterstützern gehören der Technologiegründerfonds Sachsen, Estag Capital und verschiedene Privatinvestoren sowie Business-Angels.
Doch nicht nur in strategischer, auch in technischer Hinsicht hat PaperC in den letzten Monaten Gas gegeben. Bisher bot das Berliner Startup eBooks als PDF und basierend auf Flash an. „PDF und Flash: Da war das Leseerlebnis einfach nicht gut genug“, befindet Splichal. Nun steigt das IT-Team auf das EPUB-Format um, bei dem es keine starren Einzelseiten mehr geben wird, sondern das Buch samt Bildern im optisch ansprechenden Fließtext geboten wird. Außerdem passt sich das Layout automatisch an die Größe der verschiedenen Endgeräte an und macht somit auch auf dem Smartphone Spaß. Die zweite technische Neuheit ist die HTML5-Reader-Webapp, die sich wie eine native App verhält, allerdings komplett über das Web ausgeliefert wird. „Damit entfallen klassische Probleme von nativen Apps wie Endgeräte- und Betriebskompatibilität und die Auslieferung von Updates. Außerdem erhält der Nutzer leichteren Zugang zu seinen Inhalten, unabhängig vom Gerät, an dem er sich gerade befindet“, erklärt Moritz Grog, Entwickler bei PaperC. Dank einer Offline-Synchronisation bleiben die Daten auch nach dem Neustart der Browser (momentan Chrome, Safari und Firefox) erhalten. „Dies ist der Kern unserer technischen Innovation, denn traditionell erlaubt ein Browser dem Entwickler einer Web-App keinen Zugriff auf das Dateisystem eines Computers.“ Mit dieser App, sind Splichal und Fröhlich überzeugt, können sie es mit den Branchengrößen aufnehmen und möglicherweise auch Lizenzen und White-Label-Lösungen vergeben.
Interessante Zusatzfunktionen
Was PaperC ausmacht, ist aber nicht nur die Möglichkeit, Fachbücher und Ausschnitte daraus herunterzuladen. Interessant wird das Konzept erst durch die verschiedenen Zusatzfunktionen, mit denen sich die Bücher bearbeiten lassen. So können sich fleißige Studenten aus verschiedenen Fachbüchern wichtige Inhalte zusammensuchen und im eigenen E-Book zusammenbasteln. Auch Bilder und Videos lassen sich in das selbst zusammengestellte E-Book hineinposten. Worte und Passagen können mit anderen Passagen im Buch verlinkt werden und eine Schlagwortsuche zeigt auf, wo das gesuchte Wort überall vorkommt. Beim Kopieren von Zitaten gibt es eine automatische Fußnotenerkennung. „Insofern sehen wir uns eher als Arbeitsplattform und weniger als eine Downloadplattform“, sagt Fröhlich. Zur definierten Zielgruppe gehören dabei längst nicht nur Studenten, sondern auch Experten aus dem wissenschaftlichen Bereich. „Ingenieure holen sich schließlich keine illegalen E-Books auf den Firmenrechner“, glaubt Fröhlich.
Um auch die junge Gründergeneration mit E-Publishing vertraut zu machen, halten Fröhlich und Splichal regelmäßig Blogseminare zum Thema „digitale Publikationsmodelle“ an deutschen Universitäten. Finanziert wird das Ganze durch eine Kooperation mit dem Börsenverein des deutschen Buchhandels. Von den Inhalten der Studenten sind die beiden begeistert. „Es kommen so viele tolle Ideen, man muss die Studenten einfach nur spinnen lassen.“
Genau das haben sich die PaperC-Gründer auch selbst vorgenommen: herumspinnen, kreative Ideen entwickeln, die das Thema E-Publishing vorantreiben und eine etablierte Branche umwälzen. Und zwar so, dass vom Nutzer bis zu den Verlagen jeder etwas davon hat. Ob sie es schaffen werden? Dafür spricht, dass sich der Buchmarkt vor neuen Modellen nicht länger drücken kann, der Blick auf Amazon zeigt klar auf, in welche Richtung es geht. Das größte Problem ist momentan die Zeit. Vielleicht war PaperC wirklich einen Tick zu früh dran. Vielleicht ist auch die Bereitschaft, Geld in das Startup zu stecken, nach drei Jahren langsam ausgereizt. Vielleicht schaffen die Berliner es aber auch, die nächsten kritischen Monate zu überstehen und alle Zweifler zu überraschen. Egal, was am Ende dabei herauskommt: Der Fachbuchbereich hat sich durch PaperC schon jetzt verändert.