Strategisches SEO: Kennzahlen mit System
Noch vor wenigen Jahren konnte jeder erfahrene Suchmaschinenoptimierer recht schnell erkennen, wie ein Top-Ranking zustande kam: Die Verlinkung, die Seiteninhalte und die Struktur einer Website waren dabei die klassischen Größen. Viele Google-Updates später spielt vor allem das Nutzerverhalten eine entscheidende Rolle: Auf welche Suchergebnisse klicken Nutzer? Wie lange bleiben sie auf der angeklickten Website? Nach welchen Website-Namen suchen sie? Hinzu kommen weitere Datentöpfe, auf die Google neben der normalen Suche zurückgreifen kann. So beantwortet etwa Googles Name-Server jeden Tag rund 400 Milliarden Anfragen. Die Daten, die den SEO-Erfolg einer Website erheblichen beeinflussen, müssen sich aber auch im Kennzahlensystem widerspiegeln. Wer heute Absprungsraten oder Aufenthaltsdauer nicht berücksichtigt und wie früher nur Backlinks oder Rankings einzelner Keywords misst, wird die falschen Rückschlüsse für seine Optimierungsaktivitäten ziehen.
Erst die Ziele, dann die KPI
Einfach weitere Messwerte ins vorhandene Reporting einzufügen, ist aber keine Lösung. Bevor SEO-Verantwortliche ein KPI-System aufbauen können, sollten sie überhaupt erst einmal klären, welche Ziele die Website verfolgt. Denn ohne Ziele gibt es auch keine Key-Performance-Indicators (KPI), die messen, wie weit sich ein Unternehmen seinem strategischen Ziel bereits genähert hat. Onlineshops und – mit Abstrichen auch – Affiliate-Sites können etwa ihre Einnahmen direkt den jeweiligen Kanälen zuordnen. Für diese Websites ist der Online-Umsatz ein guter KPI. Beratungsintensive und hochpreisige Produkte werden hingegen selten nur online verkauft. Menschen, die sechsstellige Beträge für spezialisierte Maschinen ausgeben, erwarten auch einen Service und eine individuelle Beratung. Die Website ist da höchstens der erste Anlaufpunkt und der Geschäftsabschluss erfolgt erst nach vielen weiteren Kontakten. In solchen Fällen kann das Ziel sein, qualifizierte Leads zu generieren. Da aber etwa ein Hochbaukran weitaus teurer ist als ein Schüttcontainer, können Unternehmen ihre Leads nach Umsatzpotenzial gewichten und so den mutmaßlichen Erfolg besser abbilden. Letztlich geht es hier auch darum, die richtigen Eigenschaften zu finden und so zu erkennen, welchem Touchpoint im Verkaufsprozess sich welcher Anteil am Erfolg zuschreiben lässt. Ein ausgefeiltes CRM und Anruf-Tracking können helfen, die Zuordnung genauer zu fassen. Allerdings steigt der Aufwand dabei schnell erheblich an.
Die Tabelle auf der nächsten Seite zeigt für einige typische Arten von Websites mögliche Ziele und die dazugehörigen KPI. In der Praxis gibt es für eine Website meist mehrere Ziele und damit auch mehrere KPI. Schließlich kann auch für einen Shop-Betreiber die Steigerung der Newsletter-Anmeldungen ein erstrebenswertes Ziel sein.
Zu beachten ist, dass selbst vermeintlich einfache KPI in der Praxis viel komplexer sind, als dies auf den ersten Blick scheint. Wenn ein Shop zum Beispiel seinen Gewinn steigern möchte, ist der erzielte Umsatz nur dann ein guter KPI, wenn die prozentuale Marge für alle Produkte gleich ist und sich auch die Rückläuferquoten ähneln. Wer es ganz genau wissen möchte, müsste daher den tatsächlichen Deckungsbeitrag aller Verkäufe erheben. Ähnliche Schwierigkeiten treten bei anderen vermeintlichen KPI auf: Für Websites, die über Pay-per-View-Werbeanzeigen ihren Umsatz erzeugen, sind die Seitenaufrufe in erster Näherung eine gute Kennzahl. Wenn aber Werbepreise zwischen Desktop und Mobil erheblich variieren oder einzelne Bereiche der Website abweichende CPM-Preise erzielen können, ist es auch hier wieder nötig, die Daten genauer zu erheben.
Ein SEO-Kennzahlensystem muss deshalb einerseits den Beitrag abbilden, den SEO-Besucher zur Erreichung der strategischen Ziele leisten. Andererseits muss es dem SEO-Team Ansatzpunkte für die weiteren Optimierungsmaßnahmen liefern. Dafür sind die KPI eher ungeeignet. Denn ein KPI zeigt nur, wie gut die Optimierung gestern war. Er zeigt aber nicht, was ein Suchmaschinenoptimierer heute tun muss, damit er den Zielen morgen schon nähergekommen ist. Deshalb müssen weitere Kennzahlen, die näher am Geschehen sind, die strategischen KPI im Tagesgeschäft ergänzen.
Das im Folgenden vorgeschlagene System ist als Vorlage zu verstehen. SEO-Verantwortliche sollten es für den jeweiligen Einsatzzweck anpassen.
SEO-Kennzahlen und die passenden Maßnahmen
Kennzahl | Erläuterung und Maßnahmen |
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SEO-KPI | Misst den SEO-Erfolg, ist aber Nachfrageschwankungen unterworfen, die bei Vergleichen berücksichtigt werden müssen. |
Sichtbarkeit | Die einzige SEO-Kennzahl, die auch für Konkurrenten zur Verfügung steht und keine Saisonalität aufweist. Da die zugrundeliegenden Keywords allgemein gehalten sind, fehlt der Bezug zum eigenen Geschäftsmodell. Zentraler Anwendungsfall ist die Analyse von Google-Updates. |
Verlinkende Domains | Sinkt diese Zahl, so verschwinden mehr Links, als dass neue Links gesetzt werden. Wichtig ist auch der Konkurrenzvergleich: Haben Konkurrenten um Größenordnungen mehr Links, ist es immer noch schwierig, in der Breite ähnlich gute Platzierungen zu erreichen. |
Verweis-Traffic | Ein Rückgang zeigt, dass die vorhandenen Links weniger Besucher auf die Seite bringen, was für eine nachlassende Qualität der Links spricht. |
Seiten mit SEO-Traffic | Ein wachsender Anteil von Seiten, auf denen SEO-Besucher landen, zeigt, dass die Seiten ein Suchbedürfnis erfüllen und deshalb eine Existenzberechtigung besitzen. Sinkt dieser Anteil, so werden unnütze Seiten erstellt oder es gibt technische Probleme. |
Brand-Suchen | Ein Rückgang an Brand-Suchen zeugt von einem Rückgang an Nachfrage und wohl auch der Markenbekanntheit. Dies wird langfristig negative Auswirkungen auf den SEO-Erfolg haben und sollte Einfluss auf das gesamte Marketing des Unternehmens haben. |
CTR (Google) | Verschlechtern sich die CTR-Raten (bei gleichbleibender Platzierung) in den Google-Suchergebnissen, deutet dies darauf hin, dass die eigenen Snippets offenbar nicht die Erwartung der Nutzer treffen. |
Engagement-KPI | Sinkt der Anteil der Besucher, die aufgrund ihres Verhaltens mit der Website zufrieden sind, sind die Gründe zu ermitteln und die Seiten so zu ändern, dass sie für die Nutzer wieder ein besseres Ergebnis bieten. |
SEO-Erfolg
Der SEO-Anteil der eingangs definierten KPI wie Seitenaufrufe, Umsatz oder Newsletter-Anmeldungen ist die wohl wichtigste Kennzahl. Sie hilft einem Optimierer, den Erfolg seiner Arbeit zu erkennen und zu belegen. Damit steht ein SEO-KPI zur Verfügung, der sich direkt auf die Ziele des Unternehmens bezieht. Abhängig von der Markenbekanntheit kann es sinnvoll sein, die SEO-Besucher herauszurechnen, die über die Startseite gekommen sind. Denn dabei handelt es sich häufig um Nutzer, die den Markennamen gesucht haben – und solche Brand-Searches sagen wenig über den SEO-Erfolg aus.
Für eine Langzeitbetrachtung und vor allem zum Vergleich mit den Konkurrenten sind Anbieter von Sichtbarkeitswerten hilfreich. Diese aggregieren die erreichten Rankings für sehr viele Keywords und kondensieren so den SEO-Stand auf eine einzige Kennzahl. Da diese Tools aber alle erreichten Rankings summieren, entsteht häufig ein verzerrtes oder gar falsches Bild. Ein eigener Sichtbarkeitswert, der sich auf ausgewählte und für die Ziele wichtige Keywords beschränkt, ist deshalb meist deutlich aussagekräftiger und lässt sich bei vielen Anbietern erstellen.
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Verlinkung
Die verschiedenen Tool-Anbieter liefern unterschiedliche Metriken für die Verlinkung. Die Anzahl verlinkender Domains bietet eine gute Annäherung und ist für die eigenen Domains in der Google-Search- Console kostenlos zu finden.
Neben der puren Quantität der Links ist für Google auch die Qualität wichtig. Gute Links zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass Nutzer sie anklicken. Darum ist der Verweis-Traffic eine gute Kennzahl für die Qualität von Backlinks.
Website
Die Struktur einer Website hat indirekt einen erheblichen Einfluss auf den möglichen SEO-Erfolg. Eine Kennzahl, um sich diesem schwierigen Erfolgsfaktor zu nähern, ist der Anteil der indexierten Seiten, die SEO-Traffic erhalten.
Branding
Suchen nach Marken und dem Namen einer Website sind inzwischen ein wichtiger Faktor für das Vertrauen, das Google der Website entgegenbringt. Google versucht ja nicht, das objektiv beste Ergebnis für eine Suchanfrage auf Platz eins zu positionieren, sondern das, was die Nutzer erwarten.
Nutzerverhalten
Die Click-through-Rate (CTR) in den Suchergebnissen zeigt, wie gut Seitentitel und Snippet zur Suchanfrage passen und stellen so eine sinnvolle Metrik zur Nutzerzufriedenheit dar. Diese Größe hängt stark von der durchschnittlichen Platzierung ab und den sonstigen Elementen (wie zum Beispiel einem Bilderkarussell) auf der Google-Ergebnisseite.
Ist ein Besucher erst mal auf der Website angekommen, ist es wichtig zu ermitteln, ob er sein Suchbedürfnis dort befriedigen konnte. Es hängt von der Art der Website und der Zielsetzung ab, welche Kennzahl dazu am sinnvollsten ist. Häufig eignet sich dafür die Absprungrate. Aber auch die (über Javascript ermittelte) tatsächliche Aufenthaltsdauer lässt sich messen oder die Anzahl der pro Besuch aufgerufenen Seiten. Dies ist die Engagement-Kennzahl.
Diese acht Kennzahlen decken die wesentlichen SEO-Aspekte ab und stellen zugleich den Anschluss an die KPI eines Unternehmens her. Über Visualisierungslösungen – etwa das Google-Data-Studio – lassen sich die Zahlen schnell für alle Teammitglieder und die Geschäftsleitung übersichtlich darstellen.
Fallstricke fürs SEO
Ein System auf Basis dieser acht Kennzahlen liefert viele Ansatzpunkte, um Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten. Allerdings gibt es einige Fallstricke. Zwar ist die Sichtbarkeit keinen saisonalen Schwankungen unterworfen, was viele Analysen vereinfacht. Die Sichtbarkeitswerte basieren aber auf langen, von den Anbietern gepflegten (und geheim gehaltenen) Listen von Suchbegriffen, die möglichst breit gefasst sind. „Je spezifischer eine Website ist, umso kleiner ist die Anzahl an Begriffen in diesen Listen, die fürs eigene Geschäftsmodell relevant sind. Wer hier nach der Sichtbarkeit optimiert, tappt in die Sistrix-Falle: Änderungen verbessern nicht die vorgegebenen Ziele, sondern versuchen das Ranking der wenigen Begriffe zu optimieren, die den Sichtbarkeitswert beeinflussen.“
Einige SEO-Teams nehmen deshalb die Sichtbarkeit nicht mehr in ihre Berichte auf, sondern kommunizieren den oben definierten SEO-KPI als zentrale Erfolgskennzahl. Der große Nachteil der SEO-KPI sind aber die nachfragebedingten Schwankungen. Der Umsatz mit Zelten sinkt zum Beispiel im Winter – entsprechend geht auch der SEO-KPI zurück, ohne dass die Seite deshalb schlechter ranken würde. Vorjahresvergleiche können dabei helfen, diese saisonalen Effekte zu bereinigen. Das ist aber nur möglich, wenn die Vorjahreszahlen auch in vergleichbarer Qualität vorliegen. Wer neu startet, hat diese Vergleichsmöglichkeit noch nicht. Neben den saisonalen Schwankungen gibt es natürlich auch tagesaktuelle. Zum Beispiel beeinflusst auch das Wetter die Nachfrageseite. Hier hat es sich in diversen Projekten bewährt, zusätzlich einen relativen SEO-KPI zu bestimmen: Anstatt beispielsweise nur den absoluten SEO-Umsatz zu betrachten, wird das Verhältnis von SEO-Umsatz zum Umsatz mit direkten Besuchern ermittelt. Dahinter steht die Idee, dass sich die Nachfrageschwankungen auf organischen und direkten Traffic auf ähnliche Weise auswirken. Eine Annahme, die meist recht gut stimmt; hat ein Website-Betreiber aber im betrachteten Zeitraum eine besondere Werbemaßnahme – etwa einen Newsletter mit Sonderangeboten – an einen großen Kundenstamm versendet, so verzerrt dies das ansonsten eher konstante Verhältnis erheblich.
Ein weiterer Fallstrick ist, dass SEO-Verantwortliche häufig Größen als Kennzahlen nutzen, die eigentlich der Qualitätssicherung dienen. Die Anzahl der 404-Fehlermeldungen etwa oder der indexierten Seiten ist natürlich auch für SEO interessant. Trotzdem ist es in erster Linie die Aufgabe des Qualitätsmanagements, diese Zahlen im Blick zu haben. Ähnlich verhält es sich mit den Ladezeiten. Zwar weist Google seit langem darauf hin, wie wichtig kurze Ladezeiten sind – einen direkten Zusammenhang zwischen Ladezeit und SEO-Erfolg konnte aber noch niemand nachweisen. Deshalb sollte auch die Ladezeit primär im Qualitätsmanagement überwacht werden. Ansonsten droht die Gefahr einer klassischen Fehlsteuerung, denn Qualitätsprobleme lassen sich mit einer guten IT-Abteilung meist schnell beheben. Sind diese Zahlen als SEO-Kennzahlen im Unternehmen akzeptiert, liegt plötzlich das Augenmerk zunehmend auf diesen Größen, da sich ohne großen Abstimmungsaufwand schnell Erfolge erzielen lassen; die wirklich großen Hebel aber bleiben so außen vor.
Website-Typen, Ziele und KPI
Website-Typ | Typisches Ziel | KPI | Anmerkung |
---|---|---|---|
Infoseiten (werbefinanziert) | Werbeeinnahmen steigern | Seitenaufrufe | Werbepreise unterscheiden nach Seitentyp/Zugriffsart (Desktop vs. Mobil) |
Onlineshop | Gewinn steigern | Umsatz | Unterschiedliche Margen und Rücklaufquote beachten |
Affiliate-Site | Gewinn steigern | Umsatz | Unterschiedliche Conversionrate je nach Besuchertyp |
B2B-Sites (ohne Shop) | Qualifizierte Leads steigern | Leads | Leads nach Umsatzpotenzial gewichten |
Startup | Aktive Nutzer gewinnen | Neuregistrierung | Aktivität der registrierten Nutzer ist meist höchst unterschiedlich |
NGO | Kampagnenfähigkeit steigern | Newsletter-Anmeldungen | Unterschiedliche Öffnungsrate der Newsletter und Aktivierung der Nutzer beachten |
Fazit
Statt auf einzelne Rankings oder ominöse Sichtbarkeitswerte zu setzen, bildet ein modernes SEO-Kennzahlensystem die für den Erfolg bei Google wichtigen Aspekte in wenigen Zahlen ab.
Das SEO-Team hat so stets Zugriff auf die aktuellen Daten und kann daraus unmittelbar die wichtigsten Maßnahmen ableiten. Und da das System über den SEO-KPI an die Unternehmensziele angebunden ist, zeigt sich jederzeit der Anteil des SEO am Erfolg.