Tiktok, Fortnite, Instagram: Warum die Tech-Industrie zur Spaß-Industrie wird
Im Foyer des Berliner Coworking-Anbieters Rent24 ist Falco Punch leicht zu erkennen: Mit seinen symmetrischen Gesichtszügen, sorgfältig verwuschelten Haaren, löchrigen Jeans und einem fingernagelgroßen silbernen Kreuz am linken Ohr sieht er nicht nach „Startup“ aus, sondern nach „Boyband“. Was schon in den 1990ern in der Bravo zog, zieht auch heute in der Welt der sozialen Medien: Der 24-Jährige ist Deutschlands reichweitenstärkster Tiktoker. Neun Millionen Menschen folgen ihm auf der chinesischen Plattform. Zudem hat er 280.000 Follower auf Instagram, 84.000 auf Youtube und etwas mehr als 3.000 bei Facebook.
Seine Videos drehen sich in erster Linie um ihn selbst. Mithilfe von verdeckten Schnitten – sogenannten Transitions – inszeniert er sich. In einem Moment trägt Falco ein T-Shirt, im nächsten ein weißes Hemd mit Fliege. Die wenige Sekunden dauernden Clips erreichen zahlenmäßig ein größeres Publikum als „Wer wird Millionär“ und nur knapp weniger als die Tagesschau. An Orten wie dem Alexanderplatz, wo viele Teenager herumhängen, dauere es nur zwei Minuten, bis ihn jemand anspreche, sagt er. Im Coworking-Space in Berlin-Mitte reagiert erst mal niemand auf ihn.
Menschen über 20 haben in der Regel noch nie von ihm gehört. Es sei denn, sie arbeiten für die Werbeindustrie. Haargel von L’Oréal taucht neuerdings in Falcos Videos unter dem Hashtag #Stylelikeanexpert auf. Der Kosmetikhersteller bezeichnet das als „innovatives Kampagnenkonzept“. Auf dem Weg ins Büro seines Managers Andre „Brix“ Buchmann erzählt Falco, dass er vor Kurzem auch für BMW einen Clip in Dänemark produziert habe.
Tiktok und sein deutscher Star sagen, dass sie vor allem eins wollen: Spaß verbreiten. Und damit treffen sie offensichtlich die Gemütslage von Menschen weltweit, die in Zeiten von Pandemie, Ausgangssperre und Existenzangst nach Zerstreuung suchen. So wie das chinesische Videonetzwerk und Falcos Kanäle boomen, boomt die ganze digitale Unterhaltungsindustrie: Im Frühling 2020 machten Videos, Social Media und Gaming rund 80 Prozent des weltweiten Datenverkehrs aus, wie eine Analyse des Unternehmens Sandvine vom Mai 2020 zeigt. Allein auf Youtube entfielen 15 Prozent des weltweiten Traffics, elf Prozent auf Netflix. So mancher EU-Politiker fürchtete, dass während des Corona-Lockdowns das Internet vor lauter Dauerstreaming in die Knie gehen könnte. Daraufhin drosselten die Anbieter zeitweise die Bildqualität.
25 Jahre später ist der Cyberspace ein Vergnügungspark
Was das Internet den Menschen bringen soll, dazu gab es schon viele Ideen. Spaß stand dabei nicht unbedingt ganz oben auf der Liste. 1996 schrieb der Internet-Bürgerrechtler John Perry Barlow in seiner „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspaces“, dieser sei die „neue Heimat des Geistes“ und bestehe aus „Beziehungen, Transaktionen und dem Denken selbst, positioniert wie eine stehende Welle im Netz der Kommunikation“. Wer sich mehr als 20 Jahre später den Cyberspace anschaut, findet sich eher in einem riesigen Vergnügungspark wieder. Auf dem Informations-Superhighway wird vor allem blitzschnell maßgeschneiderte Unterhaltung transportiert.
Was für eine wichtige Rolle Unterhaltung, Spaß und Meme-Kultur im Internet für viele Menschen spielen, wurde im Frühjahr 2019 deutlich, als 100.000 Menschen in Deutschland auf die Straße gingen, um gegen Artikel 13 und geplante Uploadfilter zu demonstrieren – zusammen mit Youtubern wie LeFloid, Hand of Blood oder den Space Frogs. Es verwundert wenig, dass der Widerstand so groß war: Spaß, Humor und Witz sind essenzielle Elemente der globalen Internetkultur. Vor allem für jüngere Nutzer ist Kommunikation gar nicht anders vorstellbar: Sie kopieren und remixen Memes, Bilder, Videos tagtäglich millionenfach. Je lustiger, desto besser und viraler.
Welche Pizza bist du?
Zwar wurden Spaß und Unterhaltung von den Vordenkern des Internets nicht unbedingt als primäre Ziele ausgegeben, aber sie waren schon immer ein wesentlicher Teil der Netzkultur. Schon seit Mitte der 1980er – also noch bevor Tim Berners-Lee 1989 ein Hypertext-System namens World Wide Web baute – wurden im Internet Drachen von Zauberern und Rittern gejagt. Über das frühe Onlineportal Compuserve ließen sich Onlinerollenspiele wie „Island of Kesmai“ oder das von der Games-Tochter von Lucasfilm entwickelte „Habitat“ spielen. Und 1993 streamte eine Band namens „Severe Tire Damage“ – soweit bekannt – das erste Konzert im Internet.
Aus diesen einst nischigen Unterhaltungsangeboten sind inzwischen globale Geschäftsmodelle, aus dem kulturellen Kern des Netzes ein Milliardengeschäft geworden. Unter den größten Techkonzernen im Silicon Valley gibt es aktuell keinen mehr, der nicht auf Entertainment setzt: Microsoft hat die Spielkonsole Xbox, zum Google-Mutterkonzern Alphabet gehören Youtube und die Cloudgaming-Plattform Stadia. Apple und Amazon – ursprünglich mal ein Hardware-Konzern und ein Online-Marktplatz – verkaufen Musik-Abos und produzieren Serien. Amazon hat zudem die Game-Streaming-Plattform Twitch geschluckt.
Entertainment boomt aber nicht nur im Silicon Valley, sondern auch im Reich der Mitte. Der chinesische Techkonzern Tencent hat sich über die vergangenen Jahre in einige Game-Studios eingekauft und verdient dadurch an Hits wie „League of Legends“ oder „Fortnite“. Selbst bei großen Hollywood-Produktionen wie „Terminator: Dark Fate“, „Men in Black International“ oder „Top Gun: Maverick“ mischt der Konzern mit. Es zeigt sich: Im digitalen Vergnügungspark, der gerade im Netz wächst, dreht sich alles wie in jedem anderen Geschäft ums Geld.
Allerdings müsste etwa Amazon, der größte Marktplatz der Welt, keine eigenen Serien verkaufen, um Geld zu verdienen. Vielmehr geht es hier um die eigentliche, harte Währung des Netzes: Aufmerksamkeit, die zu Klicks, Views, Watchtime, Engagement und Followern führt – und bei Amazon im besten Fall zu Produktkäufen.
Das globale Milliardengeschäft mit dem Spaß
Techkonzerne werden so zu Unterhaltungskonzernen, Unterhaltungskonzerne zu Techkonzernen. Bei keiner anderen Plattform ist diese Vermischung so gut zu beobachten wie bei Tiktok. Als der Gründer der Vorgänger-App Musical.ly, Alex Zhu, bei einer Techkonferenz 2016 seine Gründungsidee erklärt, wird das deutlich. Er habe auf einer Zugfahrt zwischen Mountain View und San Francisco Jugendliche dabei beobachtet, was sie mit ihren Telefonen machen – und festgestellt: „Die jungen Leute nutzen ihre Smartphones hauptsächlich für Kommunikation, Entertainment und Games.“ Da habe er verstanden, dass eine neue soziale Plattform auf Entertainment setzen müsse, um abzuheben – und auf die junge Generation als Early Adopters. Ursprünglich hatte Zhu eine Bildungs-App entwickelt, die aber nur wenig genutzt wurde.
Dabei spielt künstliche Intelligenz bei den neuen Entertainment-Plattformen eine Schlüsselrolle. So setzt Tiktok auf einen Content-Graph: Die Inhalte werden von einem lernenden Algorithmus kuratiert, der im Unterschied zum klassichen Follower-Prinzip von Instagram oder Twitter unabhängig von Reichweite agiert. So können auch Creators mit nur wenigen Followern innerhalb kurzer Zeit virale Hits landen.
Auch klassische Entertainmentkonzerne nutzen verstärkt KI. Seit Disney etwa ein eigenes Streaming-Angebot hat, analysiert eine KI das Verhalten der Nutzer, um ihnen neue Filme vorzuschlagen und die Nutzeroberfläche zu personalisieren. Mit Spracherkennungsprogrammen durchleuchtet das Filmstudio gleichzeitig die eigenen Filme, um zu verstehen, warum manche Menschen sich immer und immer wieder „Frozen“ anschauen.
„Für die großen Techunternehmen wie Amazon, Microsoft und Google ist Entertainment ein Weg, sich weiter in das Leben der Kunden auszudehnen“, sagt Stefanie Lüdecke, seit Anfang des Jahres 2020 Geschäftsführerin der Digitalagentur TLGG. Die Frage laute ja immer: Wie halte ich als Marke oder Unternehmen den Kontakt zu den Nutzern und Kunden?
Für die Generation Z muss jede Szene krass sein.
Entertainment bringe in dieser Hinsicht als Geschäftsmodell einige Vorteile mit sich: Es gehe um die Zeit, die Nutzer gerne verbringen, etwa nach der Arbeit. „Über das jeweilige Entertainment-Verhalten erfahre ich mehr über Interessen und kann auch andere Geschäftsmodelle leichter andocken. Ich kenne das Informationsinteresse, den Tagesablauf und habe sowohl über die Hardware als auch über den Inhalt Kontaktpunkte – und weiß entsprechend, wann ich als Marke den nächsten Service am besten anbiete“, führt Lüdecke aus, die bereits als Mitglied der Geschäftsführung von Prosiebensat.1 Digital und in leitenden Positionen bei Axel Springer und Tui tätig war. Kurzum: Geschäftstüchtige Unternehmen gingen in die Bereiche, in denen sie mehr Zeit mit den Nutzern gewinnen, mehr Emotionalität und mehr Datenpunkte. All das biete das Unterhaltungsgeschäft.
Und je digitaler Unterhaltung wird, desto besser können Unternehmen ihre Werbebotschaften in digitale Erlebnisse einbauen: 2018, zum Kinostart von Marvels „Avengers: Infinity War“, konnten Spieler in Fortnite bestimmte Steine sammeln und damit zum Marvel-Bösewicht Thanos werden. Seit 2019 können Spieler dort dank einer Nike-Kooperation Air Jordans tragen. Die digitale Welt wird so zum Spielplatz für Marken. Und die Konsumenten interagieren spielerisch mit den gebrandeten Inhalten.
Man muss allerdings kein milliardenschwerer Tech- oder Entertainmentkonzern mit großer Entwicklungsabteilung sein, um Spaßformate für das eigene Branding einsetzen zu können. Dafür haben zum Beispiel Snapchat und Instagram gesorgt: Drittanbieter, also auch Unternehmen, können schon länger eigene AR-Filter basteln – und damit ihre Marken auf den Plattformen spielerisch ins Gespräch bringen.
Für Instagram hat der Mutterkonzern Facebook eine kostenlose Software auf den Markt gebracht, die auch Laien die Erstellung von AR-Filtern ermöglicht – den Spark AR Hub. Und die Unternehmen nutzen ihn fleißig: Die Sneakermarke Adidas hat sich etwa einen Retro-Filter ausgedacht, der Storys einen nostalgischen VHS-Look verpasst, der polnische Ableger von Coca-Cola hat zu Weihnachten einen Eisbären in die vier Wände der Nutzer gezaubert und Lipgloss-Queen Kylie Jenner nutzt das Feature, damit ihre Follower sich virtuell mit ihren Produkten schminken können. Seit Anfang des Jahres hilft der Lebensmittelkonzern Dr. Oetker per AR-Filter, folgende Frage zu beantworten: „Welche Pizza bist du?“
Wenn auch noch reichenweitenstarke Influencer dazu gebracht werden, den AR-Filter einer Marke zu nutzen, ist Aufmerksamkeit garantiert. Manche Influencer wie die Kölnerin Carmen Kroll alias Carmushka haben das Erstellen von AR-Filtern sogar zu einem eigenen Geschäftsmodell gemacht und verkaufen sogenannte „Presets“ für Fotos und Videos, die sich auch außerhalb von Instagram verwenden lassen. Ihre kostenlosen Filter erzielten nach eigenen Angaben bis Mai 2020 über 15 Milliarden Impressions und wurden über 100 Millonen Mal genutzt.
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Zwischen Projektionsfläche und Werbefläche
Auch Falco Punch lässt sich seine Reichweite mit viel Geld – genauer gesagt: Werbegeld – bezahlen. „Meine Views, meine Impressionen sind höher als jede Fernsehsendung“, sagt er. Und das seien nun mal die Kennzahlen, die auch Marken und Werbepartner interessierten. Wie viel er mit einem Anzeigen-Post verdient, will er nicht verraten. Nur, dass er gut davon leben kann.
In Zukunft könnte das Geldverdienen auf Tiktok noch leichter werden. Jedenfalls in den USA. Im Juli hat Tiktok verkündet, einen „Creator Fund“ mit einem Volumen von zunächst 200 Millionen US-Dollar ins Leben zu rufen. Aus diesem Fonds sollen Tiktoker für das Posten ihrer Videos bezahlt werden.
Instagram und Tiktok liefern sich einen regelrechten Schlagabtausch, um Creators wie Falco auf ihrer Plattform zu halten. Zuletzt hat Instagram sich bei Tiktok bedient und das neue Kurzvideo-Feature Reels eingeführt. Zudem versucht die Facebook-Plattform laut einem Bericht des Wall Street Journals, junge Tiktok-Creators abzuwerben. Der Konzern ist offenbar bereit, mehrere Hunderttausend Dollar zu bezahlen. Tiktok hat derweil Gefallen an Instagrams AR-Werbeformaten gefunden und will laut Medienberichten hier demnächst nachziehen.
Marken, die auf Tiktok präsent sein wollen, versuchen bisher wie L’Oréal mit #Stylelikeanexpert eigene Hashtags mit eigenen Songs zu etablieren – in der Hoffnung, dass die junge Zielgruppe sie aufgreift und dazu eigene Videos produziert. Bei dem Clip, den Falco für BMW gedreht hat, um ein neues Auto zu präsentieren, merkt man jedoch, dass eine Agentur die Musik dazu ausgesucht hat. Tiktok klingt normalerweise nach dem elektronisch-poppigen Musikgeschmack von Teenagern oder nach sehr speziellen, einprägsamen Songs mit Meme-Potenzial. Die Gitarren und das Schlagzeug des BMW-Songs erinnern eher an einen Bier-Werbespot aus dem Fernsehen.
„Es ist schwer, Millennials zu erreichen, wenn ich nicht einen bestimmten Unterhaltungswert mitliefere“, sagt TLGG-Geschäftsführerin Stefanie Lüdecke. Und erzählt von ihrer 14-jährigen Tochter, die plötzlich Nachrichten schaut, seit die Tagesschau auf Tiktok ist. Für die Münchener Professorin Diana Rieger hängt der Siegeszug der Spaßformate im Netz genau damit zusammen, dass sich digitale Unterhaltung zum Geschichtenerzählen besonders gut eignet. Bei interaktiven Medien gebe es ein „höheres Potenzial für den Effekt der Transportation“ – die Möglichkeit, sich in die jeweilige Geschichte hineinzuversetzen. Sie macht dabei folgende Schlüsselpunkte aus: „Erstens: aktive Kontrolle, was ich wann gucke; zweitens: wechselseitige Kommunikation, der Austausch mit anderen; drittens: Synchronität. Ich gebe etwas ein, das Medium liefert etwas zurück.“
Bei sozialen Medien wie Tiktok stehen die Nutzer über die Kommentarfunktion in Kontakt mit den Stars und der Community. Bei Fortnite (und sogar einigen Netflix-Filmen wie „Black Mirror: Bandersnatch“) können die Spieler beziehungsweise Zuschauer eigene Entscheidungen fällen und identifizieren sich so stärker mit den Protagonisten der jeweiligen Geschichte.
Weil immer mehr Bereiche des Lebens von digitaler Unterhaltung durchdrungen werden, gibt es auch schlicht mehr gemessene Aufmerksamkeit: Bei Teenagern, so Rieger, könne man beobachten, dass sie sich nicht mehr nur zum Spielen bei Fortnite einloggen, sondern auch, um ihre Freunde dort zu treffen. Kinder auf einem realen Fußballplatz werden nicht getrackt. Fortnite zählt seine Spieler sehr wohl.
Im April 2020, mitten im Corona-Lockdown, hatte der US-Rapper Travis Scott ein Konzert auf Fortnite gegeben. Zwölf Millionen Spieler waren digital live dabei. Aber: „Zwölf Millionen, die ein Konzert auf Fortnite sehen, sind etwas anderes, als zwölf Millionen, die sich eine Konzertkarte kaufen“, meint die Forscherin. Denn Aufmerksamkeit sei nicht gleich Aufmerksamkeit, gibt Rieger zu bedenken. „In der kognitiven Psychologie geht man davon aus, dass Aufmerksamkeit eine begrenzte Ressource ist“, betont sie. Die wissenschaftliche Theorie dazu kommt von Annie Lang und trägt den sperrigen Titel „Limited Capacity Model of motivated mediated Message Processing (LC4MP)“.
Zusammengefasst besagt sie, dass die Aufmerksamkeit, die ich einem von Hunderten Tiktoks in der Stunde widmen kann, eben nur ein
Bruchteil der Aufmerksamkeit ist, die ich etwa einem 60-minütigen Film widmen kann. Man könnte auch sagen: Ungeachtet der besten Entertainment-Angebote hat der Tag nur 24 Stunden.
Ohne Arbeit kein Spaß
Spricht man mit dem Tiktoker Falco Punch, hat man das Gefühl, die junge Generation hat die Bedeutung von Aufmerksamkeit und Reichweite verinnerlicht wie keine vor ihr. Genauso wird aber klar: Aufmerksamkeit und Spaß bedeuten harte Arbeit.
Seit er zehn ist, beschäftigt sich Falco mit Videos, erzählt er. Mit 13 Jahren habe er sich Geld für eine Kamera zusammengespart und mit Effekten und Schnitten experimentiert und für andere Musiker Videos aufgenommen. Seit er 19 ist, lädt er Videos in der App Musical.ly hoch. Die erste Million Follower hatte er im Alter von 21 Jahren. Im Dezember 2017 wurde Musical.ly für rund eine Milliarde Dollar vom chinesischen Unternehmen Bytedance gekauft und ging in dessen App Tiktok auf.
Heute arbeitet Falco tagsüber als Mediengestalter in einer Hamburger Agentur. Nach der Arbeit und an den Wochenenden arbeitet er an seinem Tiktok-Kanal. 40 Stunden sei er in der Agentur und dann noch mal 40 Stunden auf Tiktok, schätzt er. Sein Leben ist durchgetaktet: „Ich stell mir 20 Wecker auf dem iPhone für die verschiedenen Postings.“
Je lustiger, desto viraler.
Auf Tiktok wirkt Falco wie ein Zauberer, der in 15 Sekunden 20 Kaninchen aus dem Zylinder zieht. Zwischen einem verdeckten Schnitt und dem nächsten vergeht selten mehr als eine Sekunde. Dazu spielt er Musik ein – seine eigene oder einen Song, der auf der Plattform gerade trendet. „Bei der Generation Z muss in 15 Sekunden jede Szene, die man filmt, krass sein“, sagt er. Nur dann blieben die Leute dran, steige die Watchtime und Reichweite. Was aber, wenn ein Video mal nicht abhebt?
Er messe sich schon sehr an den Zahlen, räumt Punch ein. Manchmal ertappe er sich dabei, wie er enttäuscht sei, dass innerhalb von 24 Stunden nur 200.000 Leute sein Video gesehen haben: „Dann könnte ich mich selbst an die Wand klatschen.“ Er müsse sich dann daran erinnern, dass das doch schon viele seien.
Wenn das Angebot zu groß ist, wenn die Aufmerksamkeitsspannen immer kürzer werden, und die Inhalte nicht perfekt auf die Zielgruppe angepasst sind, dann betritt schnell der größte Gegner aller Entertainer die Bühne: die Langeweile. Denn: „Spaß ist niemals von Dauer, sondern nutzt sich mit der Zeit ab“, erklärt der Neurowissenschaftler Henning Beck (siehe Interview Seite 37) „Spaß spüren wir immer erst dann, wenn das Level an Dopamin, das ausgeschüttet wird, das aktuelle übersteigt.“
Am Ende geht es vielleicht weniger um die Plattform oder darum, ob Influencer wie Falco nun Likes, Shares oder Follower sammeln. Das eigentlich knappe Gut im Netz ist Aufmerksamkeit. Und aktuell wird die am liebsten gegen die beste Unterhaltung eingetauscht.