Wie uns Smartphones und Geodienste helfen, die Umwelt intensiver zu erfahren: Hier bin ich!
Bisher waren bei einem Anruf drei Dimensionen bekannt: Wer anruft, wie angerufen wird (Festnetz oder mobil) und was gesagt wird. Heute kommt eine vierte Dimension hinzu. Denn ein Smartphone weiß auch, wo es sich befindet. Per GPS (Global Positioning System) steht es dazu fast permanent mit einem Satelliten in Kontakt.
GPS wurde in den 1970ern für militärische Zwecke entwickelt. Noch vor wenigen Jahren wurde diese Technologie aufgrund der Handlichkeit der Geräte und aufgrund ihres Preises im zivilen Bereich vor allem in Autos eingesetzt. Heute trägt praktisch jedes Smartphone einen GPS-Chip in sich.
Mit der zunehmenden Verbreitung von GPS in mobilen Endgeräten entstehen auch neue Geschäftsmodelle. Längst sind die so genannten „Location Based Service“ (LBS) im Marketing zu einem ähnlich starken Trend geworden wie einst das „Web 2.0“.
Strukturierte Daten
Eine Onlinesuche vom Mobiltelefon aus verrät heute nicht mehr nur, welche Pizzeria in Berlin gut ist, sondern zeigt zusätzlich ein Foto, listet Rezensionen und das Wichtigste: Es zeigt, wie weit das Restaurant vom eigenen Standort weg und welcher Weg dorthin der schnellste ist.
Auch der Faktor Zeit fließt in die Daten mit ein: Eine Suche bringt übermorgen vermutlich ein anderes Ergebnis zutage als die gleiche Suche vorgestern. Dienste wie Twitter machen das besonders deutlich, denn heute fühlen sich bereits Nachrichten von vor 60 Minuten für viele Digitalnomaden an wie ein alter Hut. Und permanent strömen neue Nachrichten in Echtzeit über das Netz auf uns ein.
Ubiquitous Computing |
Mark Weiser, Xerox PARC, 1996: „Ubiquitous computing [auf deutsch etwa „allgegenwärtige EDV“; Anm. d. Red.] names the third wave in computing, just now beginning. First were mainframes, each shared by lots of people. Now we are in the personal computing era, person and machine staring uneasily at each other across the desktop. Next comes ubiquitous computing, or the age of calm technology, when technology recedes into the background of our lives.“ |
Diese Verknüpfungen zwischen Standort und Zeit verorten
Smartphone-Nutzer in einem örtlichen und zeitlichen Kontext. Über die
Strukturierung der Daten auf technologischer Ebene können diese
Informationen neu verknüpft werden. Und wo Datensätze miteinander
verwoben und in Relation gesetzt werden, entstehen neue Daten. Diese im
Kontext lukrativ nutzbar zu machen, ob als Spiel oder für
Marketingzwecke, danach streben die Spieler im Mobilmarkt.
Kontext ist alles
Google Maps ist derzeit vermutlich die nützlichste Anwendung auf jedem Smartphone, allerdings bei weitem nicht die einzige, die auf GPS zurückgreift. Neben den klassischen Location Based Services setzen etwa auch moderne Foto-Apps auf die Verortung. Dienste wie Flickr lesen Geodaten aus den Meta-Informationen einer Fotodatei aus und platzieren das Bild direkt auf einer Landkarte.
Doch viele Nutzer scharen sich derzeit um Dienste wie Foursquare und Gowalla. Beide setzen sehr stark auf eine spielerische Komponente, denn durch den so genannten „Check-in“ erfahren nicht nur die eigenen Freunde den Aufenthaltsort des Spielers, er kann auch Punkte, digitale Gegenstände und den Titel des „Bürgermeisters“ ergattern.
Diese spielerische Komponete ist sehr wichtig, um die ersten Hemmungen vor den neuen Diensten zu nehmen – einem guten Wettbewerb können die wenigsten widerstehen. Und diese Spieldynamik ist nicht nur für die Nutzer interessant: Cafés in den USA bieten ihren „Bürgermeistern“ gerne eine Kaffee-Flatrate an, eine interessante Kombination aus Kundentreueprogramm und Wettbewerbssteigerung (siehe auch Artikel ab Seite 64).

Das schweizer Unternehmen Lift lab visualisiert dynamisch Geo-Daten, die es über Schnittstellen aus Foursquare und Flickr ausliest. Helle Flecken stellen hohe Bilddichten auf Flickr dar, Markierungen zeigen beliebte Punkte in der Stadt.
Facebooks Dienst Places ist derzeit allein durch die gigantische Nutzerzahl von nahezu 600 Millionen der interessanteste Neuzugang auf dem Location-Based-Markt. Das soziale Netzwerk versteht es im Allgemeinen sehr gut, Daten für seine Nutzer aufzubereiten und zu gewichten. Es wird spannend, wie effektiv Facebook die Geodaten nutzen wird. Google tut dies bereits heute: Wer auf seinem Smartphone eine Google-Suche durchführt, bekommt nicht etwa die gleichen Suchergebnisse wie daheim am PC. Stattdessen wird jede Suche im Kontext, also beispielsweise für den aktuellen Aufenthaltsort, optimiert. Beide Unternehmen helfen auf diese Art einerseits ihren Werbepartnern, Kunden gezielter anzusprechen und somit Streuverlust im Marketing zu reduzieren, und andererseits ihren Nutzern, die jeweils relevantesten Informationen zu finden.
Digitale Zufälle
Vorteile ergeben sich daraus allerdings nicht nur für die Betreiber der Plattformen. Vor allem die Nutzer sind es, die davon profitieren. Denn wer heute bei Facebook nachschaut, was die eigenen Freunde machen, erfährt beiläufig auch, dass die gute Freundin gerade ganz in der Nähe in einem Café sitzt. Quasi eine Technologie-induzierte Form des Zufalls.
Was momentan mehr als spielerisches Experiment genutzt wird, setzt sich künftig umso stärker durch. Denn die Möglichkeiten, die diese Technologien eröffnen, scheinen endlos. Während Marketer davon träumen, potenziellen Kunden mobile Coupons zu senden, um sie auf rabattiertes Waschmittel hinzuweisen, könnten etwa Airlines Fluggäste beim Betreten des Terminals per App über Änderungen des Abflug-Gates informieren.
Schon heute berechnet Google die aktuelle Verkehrslage auf US-Straßen anhand von Bewegungen der Mobiltelefone [1]. Auch im Katastrophenschutz werden Berichte von freiwilligen Helfern mit GPS-Daten verknüpft, um stets aktuelle Karten vom Einsatzgebiet zu erstellen [2].
Schnittstellen für jedermann
Welche Arten von Nutzung hier noch möglich werden, ist heute kaum abzusehen. Die möglichen Anwendungsszenarien scheinen aber nahezu unerschöpflich, denn die Entwicklung von Apps ist so einfach wie noch nie. Tausende App-Entwickler können ihrer Kreativität freien Lauf lassen und verschiedenste Applikationen schreiben.
Die Daten hierfür müssen sie dabei gar nicht selbst erheben, denn viele Dienste arbeiten mit einer programmierbaren Schnittstelle, der sogenannten API (Application Programming Interface). Diese erlaubt den Diensten, auf schon vorhandene Daten wie den Aufenthaltsort zuzugreifen. So entsteht ein ganzes Ökosystem neuer Dienste, die sich gegenseitig befruchten.
Tablett der Zukunft
Trotz des großen Erfolgs des iPhones, der diversen Android-Geräte und der Blackberrys sind internetfähige Endgeräte noch nicht wirklich bei der breiten Masse angekommen. Vor allem die Kosten für Datentarife sind nach wie vor eine Hürde, die viele vom Smartphone abhält. Während die Preise für Datentarife aber sinken, werden die Geräte selbst auf absehbare Zeit nicht günstiger werden.
Nichtsdestotrotz: Die Zukunft unserer Kommunikation gehört den Gadgets. Tablet-PCs, eine Kreuzung aus Smartphone und Notebook, sind die neuen Lieblinge von Technologiebegeisterten weltweit. Apples iPad ist das am schnellsten verkaufte Gadget aller Zeiten [3] ; es löst damit sogar den DVD-Player ab [4]. Und die Konkurrenz schläft nicht: Neue Tablet-PCs mit Android, Chrome OS und Blackberry OS stehen teilweise schon in den Läden oder strömen künftig auf den Markt (siehe auch Artikel ab Seite 22).
GPS-Apps für Android, iPhone und Co |
Was mit kontextbezogenen Informationen und GPS heute möglich ist, zeigen die Apps layar (Android, iPhone) und wikitude (Android, Bada, iPhone, Symbian) auf eindrückliche Weise: Die so genannten Augmented-Reality-Apps erkennen über GPS, Kompass und Kamerabild Gebäude und blenden Restaurants in der Nähe ein, zeigen Informationen zu Sehenswürdigkeiten und bauen sogar die Berliner Mauer virtuell wieder auf.Für Liebhaber öffentlicher Verkehrsmittel stellt Öffi DE/AT/CH (Android) einen sehr angenehmen Reiseplaner dar. Insbesondere in Großstädten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz findet sich die App, die vom jeweils eigenen Standort aus navigiert, sehr gut zurecht. Und wenn der Nahverkehr doch einmal aussetzt, findet Cab4Me (Android, iPhone) Telefonnummern lokaler Taxiunternehmen sowie Taxistände in der Nähe.Wer viel in unbekannten Städten und Ländern unterwegs ist, hat mit Google Maps (Android, iPhone) einen guten Reiseführer, der allerdings im Ausland durch die permanente Internetverbindung Roaming-Gebühren kostet. Günstiger sind da MapDroyd (Android) und OffMaps (iPhone). Die beiden Apps beziehen das Kartenmaterial ausgewählter Länder vorab über OpenStreetMap und navigieren anschließend offline. Apropos offline: Apps wie MyTracks (Android) oder runtastic (Android, Foursquare (Android, Blackberry, iPhone, Symbian), Gowalla (Android, Etwas ungewöhnlichere Anwendungen stellen Immoscout24 (Android, |
Permanenter Zugang
Das Ergebnis sind eine stärkere Konnektivität und schnellerer Zugang zu Informationen. Verhaltensmuster brechen auf, weil Menschen anders durch ihre Städte wandeln. Arbeit ist nicht mehr an das Büro gebunden, die statistische Auswertung der eigenen Lebensweise wird Menschen einiges über sich selbst verraten.
Als Alvin Toffler in den 80er-Jahren sein Buch „Third Wave“ schrieb, meinte er damit die dritte Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, den Wandel der Gesellschaft von der Agrar- hin zur Industrie- und anschließend zur Informationsgesellschaft. Das 21. Jahrhundert, so Toffler, werde primär durch unlimitierten Zugang zu Informationen definiert, der gravierende gesellschaftliche Folgen mit sich bringe. Wie recht er hatte: Das Internet begann seine Revolution von stationären PCs in den Büros dieser Welt; heute tragen wir mit Smartphones und Tablet-PCs jederzeit ein Guckloch zum gesammelten und frei durchsuchbaren Wissen der Menschheit mit uns herum.
Dennoch stehen wir erst ganz am Anfang einer langen Reihe von Veränderungen. Immer mehr Objekte werden über die Anbindung an das stetig wachsende Netz ein „Bewusstsein“ erhalten und nicht nur mit uns, sondern auch untereinander kommunizieren. Die Minicomputer verschwinden aber nicht vollkommen im Hintergrund. Wir werden noch lange Zeit ein mobiles Endgerät – in welcher Form auch immer – mit uns herumtragen. Allerdings konsumieren wir damit nicht mehr nur Informationen, sondern interagieren auch mit der Umgebung um uns herum. Die trennende Schicht zwischen uns, unseren Smartphones und der Umwelt wird dünner.
Je mehr Gegenstände – ob Tisch, Kühlschrank oder Spülmaschine – vernetzt sind, desto stärker wird auch unsere Interaktion mit der Umwelt. Schon bald könnten unsere intelligenten Kühlschränke mit Smartphones kommunizieren, und uns im Supermarkt eigenständig und im richtigen Moment daran erinnern, frischen Joghurt mitzubringen.
Was als tragbares Telefon angefangen hat, wird sich schon bald zum persönlichen Assistenten entwickeln, der uns hilft, organisierter durch den Tag zu kommen. Der mobile Computer wird immer mehr zu einer Fernbedienung für die Welt um uns herum – zumindest solange der Akku hält.