Neue Maßstäbe für User Generated Video Content: Videos und Live-Streaming im Web 2.0
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, die Web-Enthusiasten bloggen es: Video 2.0 ist „The Next Big Thing“. Mit zunehmender Bandbreite und günstigen Flatrates lässt sich heute ein Massenmarkt mit hochauflösenden und in Echtzeit gestreamten Bewegtbildern bedienen. Bisher war dabei die Produktion und Distribution von Video-Content mit Ausnahme von kurzen Clips eher Unternehmen vorbehalten, die sich das Hosting und Streaming großer Datenmengen leisten können. Dank zahlreicher neuer Plattformen im Web 2.0 haben jetzt auch kreative Anwender ohne großen Geldbeutel die richtigen Werkzeuge zur Hand, um qualitativ hochwertige Videos und Live-Streams ins Netz zu bringen.
Hochglanz-Videos
Um die Nutzer auf ihre Seite zu locken, zeigen einige Anbieter, dass der 10-Minuten-Clip auf YouTube mit 320×240 Pixel Auflösung und Artefakten inzwischen etwas antiquiert daherkommt. Beim Webdienst Vimeo (vimeo.com) beispielsweise sieht nicht nur die Website, sondern auch der Inhalt wesentlich schicker aus: Die Plattform erlaubt den Upload von HD-Content. Bis zu 1280×720 Pixel dürfen die Clips scharf sein, die Länge für Videos ist unbegrenzt. Lediglich ein wöchentliches Upload-Limit von 500 MByte muss der Anwender verschmerzen. Damit nicht jeder Netzsurfer die Clips der privaten Abschlussparty oder des Betriebsausflugs zu Gesicht bekommt, können Videos auf Vimeo mit individuellen Passwörtern versehen werden.
Viddler (viddler.com) bietet einen ähnlichen Umfang an Features wie Vimeo, setzt dabei aber weniger auf High-Resolution-Content, sondern mehr auf eine aktive Community und finanzielle Anreize. Besonders ins Auge fällt die Kommentarfunktion: Registrierte Viddler-Nutzer können Bemerkungen als Text oder Video-Sequenz innerhalb von Clips mit einer Zeitmarke einfügen. Entscheidet sich ein Video-Produzent für Werbung in seinen Videos, erhält er 50 Prozent der Einnahmen, die andere Hälfte behält Viddler ein.
Home is where my channel is
Auch das deutschsprachige Bilder- und Video-Portal Sevenload (sevenload.de) stellt die Community ins Zentrum ihres Webdienstes. In seinem Profil legt sich der Anwender eine lose Sammlung hochgeladener Clips oder einen Video-Podcast an. Besonders gute oder bekannte Shows werden mit individualisierter Homepage prominent auf der Startseite oder in den Themen-Kanälen präsentiert, die beliebtesten Clips landen in den Sevenload-Charts. Die eigenen Videos dienen bei Sevenload als Ankerpunkte für Interaktion, man vernetzt sich mit Fans und Freunden, kommentiert und bewertet sich gegenseitig, erstellt Playlisten oder sammelt Videos und Bilder gemeinsam in Gruppen.
Seesmic (seesmic.com) geht in Sachen Networking einen anderen Weg und versucht sich als eine Art Twitter für Video. Ähnlich wie bei dem populären Micro-Blogging-Dienst setzt Seesmic auf die Konversation seiner Mitglieder, nur verschicken die Nutzer statt kurzen Textnachrichten Video-Clips. Um im Wusel der zeitgleich ablaufenden Konversationsstränge den Überblick zu behalten, kann man in Seesmic die Clips nach Diskussionen und Sprachen sortieren. Spannend für Anwender könnte die kürzlich von Seesmic-Gründer Loic Le Meur vollzogene Übernahme des deutschen Twitter-Clients Twhirl werden: Mit der lokal installierten Software soll man demnächst Twitter mit Seesmic kombinieren können.
Der eigene Fernsehsender
Einige Dienste im Web 2.0 setzen auf Live-Streaming statt Video-on-Demand. Auf der Plattform ustream.tv basteln sich sendebereite Hobby-Moderatoren ihr eigenes Ein-Mann-Fernsehen. Die angeschlossene Video- oder Webcam wird zur Fernsehkamera, das Mikro zum Sprachrohr für die Welt. Ein eigener öffentlicher oder passwortgeschützter Channel ist in wenigen Minuten eingerichtet. Zuschauer können per Chat Feedback geben, an Umfragen teilnehmen oder sich als Co-Moderatoren in den Stream einklinken. Wer seine ausgestrahlten Sendungen der Nachwelt erhalten möchte, nimmt den Live-Stream per Knopfdruck auf und kann den Clip später auf der Website veröffentlichen oder herunterladen.
Einer professionellen Fernsehproduktion am nächsten kommt aber der Webdienst Mogulus (mogulus.com). In einer Studio-Oberfläche können Hobby-Produzenten das Livebild von zugeschalteten Webcams mit vorher aufgenommenen Clips oder Videos zu einem eigenen Fernsehsender zusammenmixen. Um dem Ganzen einen professionellen Charakter zu verleihen, bindet der Nutzer ein eigenes Senderlogo, Bauchbinden, einen Live-Ticker und animierte Zwischensequenzen ein. Das klingt kompliziert, ist aber dank Vorlagen und übersichtlicher Bedienoberfläche denkbar einfach. Wie in ustream.tv lässt sich der Live-Stream aufnehmen und den Nutzern zur Verfügung stellen. Ein individuell angepasstes Widget erlaubt es, den eigenen Fernsehkanal auch außerhalb der Mogulus-Website, beispielsweise in einem Blog, auszustrahlen.
Seit kurzem bietet auch Yahoo mit Yahoo! Live einen Streaming-Dienst an, der den Fokus eher auf Video-Live-Chats zu legen scheint. Hier können sich neben dem Channel-Besitzer bis zu vier Personen mit Bild und Ton in einen Chatroom schalten, weitere Besucher müssen mit dem Text-Chat vorliebnehmen. Bisher findet man auf der Plattform allerdings nur wenig interessanten Content: Auf gefühlten 90 Prozent der Channels verraten weibliche Teenies männlichen Zuschauern intime Geheimnisse.
Beim Anbieter kyte (kyte.tv) vermischt sich Live-Content mit vorab produzierten Videos, Bildern und Audio-Beiträgen zu einem eigenen Multimedia-Channel. Dabei setzen die Anbieter vor allem auf eine einfache Einbettung des Content-Stream in Blogs, Social Networks und andere Websites über ein kyte-Widget. Besonders schick ist die Integration ins Handy über einen Mobil-Client: Per Internetverbindung können Anwender ihre Bilder und Videos von javafähigen Mobilgeräten hochladen oder die Channels anderer Nutzer anschauen.
Live-Bilder von unterwegs
Wer im Web über seine Webcam gedrehte Videos veröffentlicht, merkt spätestens nach dem dritten „Hallo Welt“-Video: Zwischen den eigenen vier Wänden passiert relativ wenig Berichtenswertes. Genau in diese Bresche schlagen Dienste wie Qik (qik.com), der moderne Nokia-Handys mit S60-Betriebssystem in eine mobile Fernsehkamera verwandelt. Per Internetverbindung streamt der Nutzer öffentlich oder privat über einen Handy-Client bis zu 14 Minuten am Stück live ins WWW. Bricht die Netzabdeckung einmal ab, läuft die Aufnahme weiter und Qik lädt den Stream zeitversetzt hoch, sobald der Empfang wieder hergestellt ist.
Live-Streams werden auf der Plattform automatisch als Video abgelegt. In Web-2.0-Manier lässt sich Qik mit anderen Webdiensten kombinieren: Video-Chatter können Videos direkt an Seesmic weiterleiten, rasende Reporter senden direkt in einen Mogulus-Fernsehkanal, der das laufende Programm für den Live-Stream automatisch unterbricht. Das bietet interessante Einsatz-Szenarien beispielsweise für Messereporter, die live vor Ort spontane Interviews führen wollen, oder für Bürger-Journalisten, die bei einer Katastrophe oder einem Ereignis direkt live gehen können. Qik befindet sich noch in einer geschlossenen Beta-Phase, in der Regel werden neue Nutzer aber innerhalb weniger Tage freigeschaltet. Wer mit Qik ins Netz streamt, sollte sich vorher einen günstigen Datentarif für sein Mobilgerät besorgen.
Bei der deutschen Handy-Community Viif (viif.com) gelingt die Videoübertragung vom Handy ins Netz auch ohne Internetverbindung. Statt einem Datenpaket nutzt der Webdienst die in vielen Handys verfügbare Video-Konferenzfunktion, benötigt dazu allerdings UMTS-Empfang. Viif speichert das aktuelle Bild der Videokonferenz auf dem Anbieter-Server ab und macht es später entweder als privates oder öffentliches Video verfügbar. Wer lieber konsumiert als produziert, kann sich über Viif aktuelle Kino-Trailer, lustige Videos, die aktuellen Nachrichten oder Clips von anderen Nutzern aufs Handy streamen lassen. Die Videokonferenz mit Viif kostet aus deutschen Handynetzen 39 Cent pro Minute, für o2-Nutzer ist der Dienst zurzeit kostenlos.
Von Cat Content und Copy Cats
Ein großer Teil der vorgestellten Webdienste hat derzeit noch Beta-Charakter, und man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass bei den meisten die Monetarisierung völlig ungewiss ist. Sie leben von der Gunst ihrer Geldgeber, die in ihren Konzepten ein zukünftiges Marktpotenzial sehen. Auch wenn Server-Space und Traffic heutzutage vergleichsweise billig sind: Das Hosten von Video-Communitys ist unheimlich teuer. Das führt wie im Beispiel der kürzlich geschlossenen Video-Plattform Stage6 zu einer paradoxen Situation: Je erfolgreicher der Dienst, desto roter die Zahlen.
Doch nicht nur die Anbieter, auch die Nutzer, so scheint es, befinden sich noch in der Experimentierphase. Nur wenige nutzen bisher das Potenzial, das Video 2.0 im Netz bietet, tatsächlich aus. Stattdessen sind die Server voll mit Clips à la „Ich beim Essen“, „Ich sitze am Computer“ oder „Ich philosophiere mal eine Runde“. Um Persönlichkeitsrechte anderer machen sich die meisten ebenso wenig Gedanken wie über die Urheberrechte von Videos. Das macht es für die Webdienste schwer, nicht zur Filmtauschbörse oder Plattform für banale Alltagsvideos zu degradieren.
Fazit
Dennoch: Das Potenzial der heute verfügbaren Video- und Streaming-Technologien im Web 2.0 ist riesig. Sie bieten ein vielfältiges Einsatzspektrum: Hobbyfilmer stellen mit ihnen ihre Urlaubs-Clips ins Netz, Jung-Regisseure können ihre Werke auch in Hochauflösung kostengünstig distribuieren, Laien-Journalisten bauen sich eigene Internet-Fernsehsender auf. Das Mitmach-Web stellt Werkzeuge für Live-Video-Chats ebenso wie für aufwendige Video-Podcasts zur Verfügung. Wer die Funktionsweise seines TV-Geräts im Wohnzimmer mit den Möglichkeiten von Webdiensten wie Mogulus oder Qik vergleicht, der kann sich ausmalen, wie sich unsere Kommunikation in Zukunft wesentlich verändern wird.