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Arbeitswelt
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Work-Life-Balance: Arbeit und Leben im Gleichgewicht

Der Begriff könnte aus der Akrobatik stammen: Work-Life-Balance. Gemeint ist tatsächlich die Kunst, wie mit einer Balancierstange über ein Hochseil zu schreiten und die beiden Stockenden „Arbeit“ und „Leben“ immer wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Gründer entscheiden sich oft lieber für den Absturz.

8 Min. Lesezeit
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Tipps zum Thema Work-Life-Balance gibt es reichlich: sich Zeit fürs Essen nehmen, regelmäßig an die frische Luft gehen, sich mit sich selbst verabreden sind nur einige davon. Während viele Unternehmen auf den Zug aufspringen und ihren Angestellten Stressmanagement-Seminare, flexible Arbeitszeiten, Sabbaticals oder – gesehen bei Porsche – mehrtägige Erholungs-Klinikaufenthalte zusammen mit den PartnerInnen anbieten, bleibt eine Berufsgruppe von diesen Präventivmaßnahmen ausgeschlossen: Selbständige.

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Wer für sich selbst verantwortlich ist, wird von niemandem auf Anti-Stress-Seminare geschickt und bekommt keine zusätzlichen Urlaubswochen geschenkt. Deshalb gleicht das Leben vieler Gründer dem einer Kuh in Massentierhaltung: ganztägig Milch geben, kaum Auslauf und ein verkümmertes Sozialleben. Doch wie steuern Gründer und Selbständige dieser Entwicklung entgegen und bringen die vier Bereiche Arbeit, Körper/Gesundheit, soziale Kontakte und Sinnhaftigkeit/persönliche Entwicklung in Einklang? Statt eines Ratgebers einige persönliche Einblicke.

Evsan: „Wenn ich keine Liebe für meine Tätigkeit habe, wird es schwierig.“

Ibrahim Evsan, der mit 30 Jahren die erfolgreiche Videoplattform sevenload gründete, kennt die Probleme der Selbständigkeit. Der heute 35-jährige ist am Anfang seiner Gründerkarriere selbst ins Burnout geschlittert. Was damals einem Sturz vom Hochseil gleichkam, hat im Nachhinein Positives bewirkt: Der leidenschaftliche Unternehmer weiß heute, worauf er bei sich und den Angestellten seines neuen Start-ups Fliplife achten muss. Das Wichtigste sei, dass man in seiner Tätigkeit selbstzufrieden und selbstbewusst ist: „Liebe ich das, was ich tue, wirklich? Liebe ist eine besondere Kraft, um Balance ins Leben zu bringen. Wenn ich keine Liebe für meine Tätigkeit habe, wird es schwierig.“ Diese grundsätzliche Zufriedenheit müsse man immer wieder erfragen.

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Darüber hinaus komme Zufriedenheit ins Leben, wenn man sich auf das, was man gerade tut, hundertprozentig konzentriere und nicht ständig Berufliches und Privates mische. Evsan befürwortet eine klare Abgrenzung. Während der Arbeit Urlaubsrecherchen durchführen oder bei Facebook chatten mache nur ein schlechtes Gefühl und verhindere, dass man das Anstehende mit vollem Genuss und Hingabe tue. Tatsächlich sprechen verschiedene Studien davon, dass unsere ständige Erreichbarkeit und die Möglichkeit, immer und überall ins Internet zu gehen, zum Stressfaktor Nummer eins geworden sind.

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Home Office – Reiz oder Einsamkeit?

Evsan haut nicht in diese Kerbe sondern findet, das gehöre nun mal zum „neuen Menschen“ dazu. Grundsätzlich genießt er die Möglichkeit, überall online zu sein, denn es bewahrt ihn vor dem psychischen Stress, etwas Wichtiges nicht gleich erledigen zu können. „Das hat mich früher oft unter Druck gesetzt. Heute kann ich mit meiner Kombination aus Desktop und Handy von überall aus arbeiten und muss nicht nach dem nächsten W-Lan suchen.“ Allerdings bräuchten wir entsprechende Filter, um mit der Fülle an Informationen und Möglichkeiten klar zu kommen: „Ich habe zum Beispiel die Funktion abgestellt, dass ich jedes Mal per Mail benachrichtigt werde, wenn bei Facebook etwas passiert. Ich schaue lieber in regelmäßigen Abständen gezielt nach.“

Ein Problem vieler Selbständiger und Gründer ist die Arbeit im Home Office. Was für den einen den besonderen Reiz ausmacht, führt andere in Einsamkeit, Ideenlosigeit und Depressivität. Hilfe bieten die zahlreichen Coworking-Spaces, die derzeit in vielen deutschen Städten aus dem Boden sprießen. Doch egal, ob man vom Büro nach Hause kommt oder vom Arbeitszimmer ins Wohnzimmer wechselt: Wichtig sei es, etwas zu tun, was einen sofort ablenke. „Kochen, Liebe machen, zum Sport gehen: Hauptsache es hat nichts mit der Arbeit zu tun. Ansonsten verschwimmt alles zu einem Einheitsbrei und stört die Zufriedenheit.“ Um abends nicht doch wieder bei geschäftlichen Themen zu landen, vermeidet der Seriengründer nach 21.00 Uhr Social-Media-Tätigkeiten und sucht sich lieber Offline-Entspannung. „Wenn meine Gedanken dann nicht aufhören, um berufliche Dinge zu kreisen, rufe ich einen von zwei Ansprechpartnern an und spreche die Sache mit ihm durch. Solche Gesprächspartner, die etwas vom eigenen Business verstehen, sind wichtig für die Seelenheilung und viel effektiver, als wenn man sämtlichen Leuten ein bisschen was erzählt. Fehlende Gesprächspartner sind oft ein großer Faktor, wenn die Work-Life-Balance nicht stimmt.“

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Zwischen Zeiten des Powerns und Zeiten, in denen man das Pensum zurückfährt

Ein großes Problem der Selbständigkeit sei es auch, gar nicht erst in den Tag hineinzufinden. Evsan erinnert sich an Zeiten, in denen er den Morgen zu sehr vertrödelt hat – dabei seien die frühen Tagesstunden bestens dazu geeignet, Dinge wegzuschaffen. „Genügend Schlaf und ein genüssliches Frühstück sind unerlässlich, um gut in den Tag zu starten. Allerdings sollte man nicht zu lange reden und Kaffee trinken, sonst bekommt man die Kurve nicht.“ Der Kölner vertritt die gewagte These, dass jeder Gründer mit einem Acht-bis-neun-Stunden-Tag auskommen könne, was ein wichtiger Faktor für die Balance von Arbeit und Privatleben sei. „Leider vertrauen viele ihren Mitarbeitern nicht genug und halten sich für unabkömmlich.“ Wichtig sei dabei, entsprechende Werkzeuge zu nutzen, mit denen man Aufgaben gut verteilen und schnell an alle wichtigen Tasks kommen kann. „In den ersten 15 Monaten seines Gründerdaseins muss man natürlich voll reinpowern – was nicht heißt, auf einen Urlaub zu verzichten. Im zweiten Jahr sollte man sich dann bereits in Richtung eines Acht-bis-neun-Stunden-Tages bewegen. Ob es klappt oder nicht ist reine Kopfsache.“ Wobei Evsan nicht zu den Verfechtern einer Vier-Tage-Woche gehört: Dies sei unrealistisch. Auch jeden Tag nach acht Stunden den Hammer fallen zu lassen, entspricht nicht seiner Arbeitsauffassung. Wenn die Pflicht vor einem liege, müsse sie auch getan werden. Wichtig sei aber, dass nach Zeiten des Powerns auch wieder Zeiten kommen, in denen man das Arbeitspensum zurückfährt. Aber diese Kopfentscheidung müsse jeder selbst treffen.

Wer jetzt inneren Widerspruch verspürt, sollte sich umso dringender mit dem Thema „Work-Life-Balance“ beschäftigen. Als Selbständiger gibt es tausend Gründe, warum die Ratschläge grundsätzlich richtig sind, nur für die eigene Situation leider nicht umsetzbar. In diesem Fall bleibt nur zu hoffen, dass auf der anderen Seite des Hochseils – oder unten im Fallnetz – nicht das Burnout wartet. In einem anderen Bild gesprochen: Dauerhaft an der Milchmaschine zu hängen anstatt draußen Gras zu fressen, führt auf Dauer eben zu Euterentzündungen.

Gründererfahrungen mit der Work-Life-Balance

Burn
out klingt wie eine Modekrankheit. Aber wer schon lange im
Internetbusiness zu Hause ist, weiß, dass es jeden mal erwischt. Der
Computer kennt keine Zweifel, der Mensch schon. Deshalb ist der
Wettbewerb mit der Maschine so hart. Ich benötige den Weltenwechsel.
Raus hier, weg aus der Arbeitsstadt. Zwanzig Minuten noch. Dann bin ich
in dem kleinen Dorf mit seinen 15 Höfen und 42 Bewohnern. In der anderen
Welt. Dem 300 Jahre alten Bauernhaus mit seinem großen Garten, wo vier
Katzen auf mich warten. Wo das Handy trotzdem klingelt und ich auch
rangehe – das gehört zu meiner Verantwortung als Unternehmerin. Was
andere vielleicht als Belastung empfinden, ist ein Teil meiner
Kreativität. Das ist wie bei einer Serpentinenfahrt im Hochgebirge. Wenn
man am Steuer sitzt, wird einem meist nicht schlecht. Man hat
die Sache in der Hand, kommt voran und kann dabei trotzdem die Aussicht
genießen. Der Weg ist das Ziel. Und vieles lässt sich auch beim Gang
durch den Bauerngarten klären.
Kerstin Schilling, Gründerin von Andasa
Für mich ist es wichtig, eine Harmonie zwischen mir und meinem
inneren „ICH“ zu schaffen. Ich versuche, Herr über meine „Zeit“ zu werden
und genieße die Stunden, die ich nicht im Büro verbringe. Dann hole ich
zum Beispiel meine Tochter von der Schule ab und verbringe schöne
Stunden mit ihr, um gezielt Freude zu erleben. Ich versuche Sport zu
treiben, um Gutes für meinen Körper zu tun und dies auch zu spüren. Ein
langer Spaziergang oder Nordic Walking im Wald kann Wunder bewirken und
den Geist richtig erfrischen. Wichtig ist es herauszufinden, was einen
glücklich macht und Freude bereitet. Dann geht es darum, die Zeit
richtig aufzuteilen und bewusst zu „konsumieren“. Insgesamt betrachte
ich die Arbeit aber nicht als „Stressfaktor“ sondern assoziiere und
verknüpfe soziale Ziele damit, die ich mit meiner Arbeit erreichen
möchte. Es ist wichtig, einer Beschäftigung nachzugehen, mit der man
sich identifizieren kann und die für einen die „Sinn-Frage“ klärt. Die
beste Work-Life-Balance-Strategie ist die, die mit dem Sinn des Lebens
kongruent ist.
Ediz Bökli, Gründer von turkvita
Die Selbständigkeit bedeutet viel Spaß und Arbeit (man kann immer
noch was tun). Ich mache mir eigentlich ständig Gedanken, wie man
NetMoms und Fambooks weiterentwickeln kann. Richtig abschalten fällt da
sehr schwer. Ich versuche aber, einen Ausgleich zwischen NetMoms und
meiner Familie zu schaffen, indem ich mich an feste Strukturen im Alltag
halte. Das ist vor allem für meine drei Kinder wichtig. Das Frühstück
und das Abendessen mit anschließendem Ins-Bett-bringen sind unsere
Klammer im Alltag, die ich nur in größter Not verpassen will. Ich
genieße diese Stunden. Gerne arbeite ich dann auch nachdem ich die
Kinder ins Bett gebracht habe noch ein paar Stunden oder mal am
Wochenende, wenn mein Mann mit den beiden Großen unterwegs ist. Das
gehört dazu und lässt sich nicht vermeiden. Dafür arbeite ich an zwei
Tagen in der Woche nur bis 15.30 Uhr. Die Zeit danach gehört auch voll
den Kindern. Da versuche ich auch bis abends möglichst wenig Mails zu
lesen und unser Team weiß, dass es dann nur bei wirklich wichtigen
Dingen anrufen soll. So können wir dann gezielt etwas unternehmen. Ich
weiß aber auch, dass ein solches Arrangement fast nur in der
Selbständigkeit zu realisieren ist und bin sehr dankbar, dass ich so
privilegiert bin, dass ich eine spannende Aufgabe mit einer großen
Familie kombinieren kann.
Tanja zu Waldeck, Gründerin von netmoms
Als Top-Versagerin in Sachen Work-Life-Balance fällt mir zuallererst meine eigene Person ein. Dann mein Mitgründer Sebastian, dann gefühlte 97% aller anderen Gründer. Machen wir uns nichts vor: Zumindest in der heißen Startphase kann man es doch schlicht vergessen mit der Balance. Wer klappt schon um fünf den Rechner zu, wenn der eigene soeben gestartete Service auf Hackernews trendet und hunderte User mit Fragen auf der Matte stehen? Und trotzdem: Wir könnten uns nicht wohler fühlen. Denn es geht ja gar nicht um diese ominöse Balance, um den Ausgleich zwischen aufzehrender Arbeit und lustigem Leben. Sondern um Zufriedenheit im Alltag und eine nachhaltig befriedigende Marschrichtung. Beides ermöglicht Arbeit – wenn man Arbeit, Umfeld und Team so gestaltet, wie man sie sich herbeiwünscht. Für uns bedeutet das, Gewinnmaximierung als Top-Prio zu streichen und durch unternehmerische Unabhängigkeit, persönliche Freiheiten im Alltag, inhaltlichen Anspruch und ein faires Miteinander – im Team wie mit unseren Kunden – zu ersetzen. Und zack! – verstehen die Zwei sich ziemlich prima, die Arbeit und das Leben. Auch wenn sie einmal den Sonntag miteinander verbringen.
Julia Soergel, Gründerin von mite

(Foto: mohit_k / flickr.com, Lizenz: CC-BY-SA)

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