Silicon Valley der Ostküste: Was New York als Startup-Hotspot zu bieten hat
Sommer 2014. Gerade zwei Wochen in der großen Stadt und um anfängliche Eindrücke aus einem französischen Co-Working-Space reicher, finde ich mich auf einer erstaunlich schicken Abendveranstaltung wieder. Scheinbar hat jeder außer mir gewusst, dass dieses Startup-Panel mit anschließendem Networking eine recht förmliche Angelegenheit ist. Ich dagegen habe mich erst einmal an den Gedanken gewöhnen müssen, dass es überhaupt ein Event für Startups in New York City gibt. Die US-Startups sitzen schließlich alle im Valley, oder nicht? So finde ich mich in meinem kragenlosen – und wie ich noch wenige Minuten zuvor fand: sehr modischen – H&M-Hemd und mäßig gebügelter Jeans in einem viel zu großen Raum wieder. Während ich noch überlege, wie zuverlässig man über Google auf die Schnelle einen Herrenausstatter findet, wird mir der Rückweg schon durch ein freundliches „Hallo“ versperrt. Trotz meines unkonventionellen Äußeren werde ich sofort zu einem Bier eingeladen. Immerhin: Er trägt auch „nur“ Hemd und Jeans.
„Die Ostküste hat mehr zu bieten, als die Medien Glauben machen“
Mein Gesprächspartner an diesem Abend im German House in Manhattan heißt Urs Cete und ist Managing Director bei Bertelsmann Digital Media Investments (BDMI). Er bestätigt, was ich spätestens seit der Einladung zum heutigen Event ahne: die Startup-Kultur an der US-Ostküste hat weitaus mehr zu bieten, als die Medienberichterstattung uns in Deutschland häufig glauben lässt. Kickstarter, Etsy, Makerbot, MongoDB oder Tumblr – sie alle hat das lokale Startup-Ökosystem hervorgebracht. Man muss nicht einmal besonders gut zwischen den Zeilen lesen können, um zu erkennen, dass der Big Apple das Valley längst ins Visier genommen hat. Die New Yorker Startups faszinieren mich. Denn auch wenn New York in puncto Lifestyle, Kultur und Kunst schon seit jeher als weltweiter Magnet gilt: Zumindest in Deutschland wird kaum jemals über Startups außerhalb des Silicon Valley gesprochen. Dabei hat auch die US-Ostküste Startup-Hubs zu bieten: Florida oder Boston etwa, und eben auch New York. Ausgehend von der Summe des in die Szene fließenden Risikokapitals zeigt Investor Nick Beim bei TechCrunch, dass die Metropole seit zehn Jahren der am schnellsten wachsende Startup-Hub des Landes ist und sich im nationalen Vergleich längst an Platz zwei hinter das Silicon Valley gesetzt hat. Für 2015 verzeichnet die Startup-Datenbank Crunchbase mehr als 100 Neugründungen allein im Stadtgebiet.
Ich treffe Urs von BDMI ein weiteres Mal, um mehr über die New Yorker Szene zu erfahren. Urs ist kein Investor, wie man ihn sich typischerweise vorstellt. In Converse-Schuhen sitzt er relaxt an seinem Schreibtisch. Wir sprechen über die Gründe für ein Unternehmen, nach New York City zu kommen. Diese liegen vor allem in der hohen Konzentration an Geschäftspartnern, Lieferanten und potenziellen Käufern, die man unter den 18 Millionen Menschen, die hier leben, zuhauf findet, so Urs.
„Der Vergleich zum Valley fällt immer noch sehr eindeutig aus“
Auch Geld gibt es in NYC ausreichend. Einer der Vorteile für Startups liegt dabei laut Urs im bunten Mix der hier ansässigen Geldgeber: Von Angel-Investoren über Seedfunds, Early- und Late-Stage-VCs bis hin zu Hedgefunds sind sie alle in New York vertreten.
Vergleicht man die Stadt mit dem Valley, fällt allerdings auf, dass der Fokus der Investoren ein anderer ist: Während in Kalifornien die „Big Picture Vision“ stimmen muss, wird in NYC mehr auf Umsatz und Profitabilität geachtet. Und auch die unterschiedlichen Relationen sind unübersehbar: In Kalifornien gibt es eine signifikant höhere Anzahl an Investoren – Urs schätzt, dass es etwa 15 Mal so viele sind wie am Big Apple.
Immerhin kommt es somit eher selten vor, dass die Tech-Szene es sich zu sehr in der eigenen Filter-Bubble gemütlich macht. Das findet zumindest der überzeugte New Yorker Fred Wilson, der mit seiner Firma Union Square Ventures unter anderem schon in Twitter, Soundcloud oder Twilio investiert hat: „Wenn du in der Bay Area am Wochenende zu einem Fußballspiel deiner Kinder gehst, triffst du höchstwahrscheinlich ein paar weitere VCs und Unternehmer – und jeder arbeitet in irgendeiner Tech-Company. Hier in New York dagegen bin ich mit Sicherheit der einzige VC an der Seitenlinie.“ Gruppendenken und ein einseitiger Fokus auf neue Trends seien daher deutlich seltener.
Valley oder NYC – Wohin mit meinem Startup?
Für Startups aus Deutschland, die sich nach einer geeigneten US-Dependance umsehen, hat New York laut Urs Cete noch einen Standortvorteil gegenüber Kalifornien: Die geringere Zeitverschiebung und die in der Regel kürzere Flugdauer erleichtern die Zusammenarbeit mit Teams in Europa.
Und New York bietet weitere Vorteile. Millionen von Menschen aus der ganzen Welt leben hier – ein Melting-Pot der Kulturen, der auch die Kreativwirtschaft der Stadt beflügelt. Das weiß auch Dr. Christian Fahrenbach. Er befasst sich neben seinen Engagements für die Deutsche Presseagentur und die Krautreporter viel mit neuen Entwicklungen in den Medien, hält Vorträge in Europa und den USA und kennt sich gut mit der lokalen Medienwelt aus.„Dass viel über das Valley geschrieben wird, ist selbstverständlich“, findet er. Dort poppten schließlich Online-Giganten im Vierteljahresrhythmus auf. Trotzdem sei auch die Szene in NYC äußerst lebhaft und extrem gut vernetzt, mehrere spannende Events bringe die Community pro Woche hervor. Buzzfeed, Oyster, Parse.ly und Shutterstock: Viele der aktuell angesagtesten Medien-Startups haben hier, zumeist entlang der Linien 5 und L, ihr Zuhause. Daneben Branchen-Schwergewichte wie Vice, Bloomberg oder Vox Media: perfekte Gesellschaft für ehrgeizige Gründer.
Und nicht nur für Medien-Startups sei die Metropole an der Ostküste längst der viel wichtigere Standort als die Bay Area: Auch Gründer aus den Bereichen Finanzen, AdTech, Fashion oder Medizin ziehe es viel eher nach New York City. Kein Wunder, denn genau diese Industrien sind in der Stadt schon lange vertreten. Expertise, Talent und potenzielle Partner gibt es also zuhauf. Mit Birchbox, Bonobos oder Warby Parker haben einige der erfolgreichsten Mode- und Lifestyle-Startups der letzten Jahre auf New York als Standort gesetzt. Christian begründet das so: „Versuch mal, im Valley so mir nichts dir nichts einen fähigen Fashion-Designer aufzutreiben.“ Für bestimmte Branchen gebe es weltweit einfach keinen besseren Ort als New York.
New York: Ein weiter Weg zum Startup-Magneten
Dass New York lange Zeit alles andere als ein goldenes Pflaster für Gründer gewesen ist, erzählt mir Teddy Goldstein. 2005 hat Teddy mit „Broadtexter“ sein erstes Startup am Big Apple gegründet, heute ist er Head of Operations beim German Accelerator New York und wir sitzen bei einem After-Work-Bier in SoHo zusammen. Auch wenn er mit funkelnden Augen über die damalige Zeit berichtet – schnell wird mir klar: Vor zehn Jahren war es deutlich schwerer für junge Unternehmen, in der Metropole am Hudson River Fuß zu fassen.
Teddy und sein Co-Gründer haben Broadtexter, einen SMS-Marketing-Provider, den er 2013 verkauft hat, aus einem Apartment in der Upper West Side heraus gegründet. Ein Apartment – ist das für NYC, was die Garage für das Silicon Valley ist?, will ich wissen. Teddy lacht: „Klar, hier gibt es ja kaum klassische Garagen. Wer sollte die auch bezahlen?“ Also gründe man eben in den Wohnungen selbst.
Aber auch sonst sei es 2005, mit den äußerst überschaubaren finanziellen Ressourcen eines Gründers, nicht gerade einfach gewesen, in New York einen Wachstumskurs einzuschlagen. Gute Mitarbeiter für das Startup etwa waren alles andere als leicht zu bekommen, so Teddy: „Wer wollte schon für ein unbekanntes Zwei-Mann-Unternehmen arbeiten, mit JPMorgan Chase oder McKinsey direkt um die Ecke?“
Die Finanzkrise zwang zum Umdenken
Dann aber kam die Finanzkrise, die traditionellen Karriere-Schmieden verloren an Prestige und die Stadt New York begann, technologie-orientierte Unternehmen explizit zu fördern, um den lokalen Wirtschaftsstandort breiter und stärker aufzustellen. Neben dem 2008 ins Leben gerufenen öffentlich-privaten Seed-Stage-Investor NYC Seed zeigt
sich das Engagement der lokalen Regierung heute auch in steuerlichen Anreizen, finanziellen Förderungen, Seminaren oder Arbeitsräumen, die allesamt dazu gedacht sind, ehrgeizigen Gründern den Start zu erleichtern.
Ein Startup im Wert von 10 Milliarden US-Dollar
Auch an Tech-Talent, das in New York lange Zeit durch das Fehlen einer eigenen Technischen Universität rar war, mangelt es heute nicht mehr: Die großen Unternehmen und Anbieter haben sie mittlerweile längst mit attraktiven Konditionen in die Stadt gelockt. Und natürlich gibt es heute auch Coworking-Spaces wie Sand am Meer. Der bekannteste Anbieter von ihnen ist derzeit wohl WeWork. Selbst noch als Startup gehandelt, schreiben Investoren dem Unternehmen einen Wert von etwa zehn Milliarden US-Dollar zu. Allein in New York bietet WeWork 17 verschiedene Coworking-Spaces an, in Szene-Vierteln wie Soho, dem Meatpacking District oder am Broadway. Für Büroräume zahlen Startups hier im Schnitt etwa 700 US-Dollar im Monat, einzelne Schreibtische gibt es für deutlich günstigere Raten.
Alle Kooperationspartner vor Ort
Auch Manuel Mörbach, Chief Marketing Officer und Managing Director bei Statista New York, blickt auf den Broadway – allerdings aus seinem eigenen Büro heraus, in dem er mir deutsches Bier und Brezeln serviert. Der 2007 in Hamburg gegründete Statistik-Dienstleister hat 2011 den Schritt in die USA gewagt und unterhält seitdem ein zweites Headquarter in New York City.
Manuel betreut hier größtenteils B2B-Kunden: Universitäten, Werbeagenturen und Medienhäuser. Vor dem Hintergrund dieser Zielbranchen ist New York City für Statista eine nahe liegende Entscheidung gewesen, erzählt er. Mit Business Insider, dem Wall Street Journal, Forbes und Mashable sitzen alle vier der Medien-Kooperationspartner ebenfalls direkt hier in der Stadt.
Gibt es Voraussetzungen für Startups aus dem Ausland, um erfolgreich in New York Fuß zu fassen?, frage ich. Manuel ist überzeugt, dass es nicht mehr und nicht weniger braucht als ein gutes Produkt. Dann könne man es eben nicht nur in Hamburg oder im Valley schaffen, sondern auch in New York.
New York: Eine lohnende Alternative für Startups
Einige Wochen später treffe ich Urs Cete auf einer – dieses Mal vom BDMI selbst organisierten – Pitch-Veranstaltung wieder. Urs trägt auch heute kein Sakko und ist trotzdem voll in seinem Element: Viele deutsche Medienhäuser haben sich auf den Weg nach Manhattan gemacht, um die vielversprechendsten Jungunternehmer der US-Ostküste in Augenschein zu nehmen.
Nicht nur zu Events wie diesem wird klar: Die New Yorker Startup-Szene nimmt weiter an Fahrt auf. Zwar ist man am Big Apple noch im Hintertreffen, wenn es um Investoren geht, dafür ist die Stadt schon jetzt in speziellen Branchen wie Medien, Werbung, Finanzen und Fashion das Zentrum der Startup-Welt. Ob das reicht, um in näherer Zukunft am Valley vorbei zu ziehen? Eher nicht. Aber ein Land wie die USA kann sich ja durchaus zwei ebenbürtige Startup-Hotspots leisten.