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Interview

Zukunftsforscherin Amy Webb: „Biotech ist das nächste große Ding“

Amy Webb gilt als die Grande Dame der Zukunftsforschung. ­Forbes hat sie zu einer der einflussreichsten Frauen in der ­internationalen Techwelt gekürt. Mit t3n spricht sie über das Potenzial von Biotechnologien, die ethischen ­Fallstricke bei künstlicher Intelligenz und darüber, wie sehr der Westen China unterschätzt hat.

Von Luca Caracciolo
8 Min.
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(Foto: Mary Gardella)

225 Tech-Trends auf 250 Seiten hat Amy Webb mit ihrem Team für den diesjährigen Tech Trend Report analysiert. Neben bekannteren Technologiebereichen wie Blockchain und künstlicher Intelligenz finden sich auch Tech-Trends, die nach Science-­Fiction klingen: „Smart Dust“ beispielsweise, mikroskopisch kleine ­Computersensoren, die über die Luft eingeatmet oder eingenommen werden könnten und anschließend Daten verarbeiten – für die Medizin etwa eine aussichtsreiche Technologie oder auch für die Umweltforschung, um beispielsweise die Luftqualität in Testgebieten zu messen.

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Webb, die ihre berufliche Karriere als Journalistin beim Wall Street Journal begonnen hat, gründete 2006 das Future Today Institute. Mit ihrem Team berät sie Unternehmen in Technologie­fragen und gibt seit 2007 jährlich den renommierten Tech Trend Report heraus. Sie ist Buchautorin (zuletzt: „The Big Nine: How the Tech Titans & their thinking Machines will change Humanity“) und spricht auf zahlreichen Konferenzen. Bei der diesjährigen SXSW war der Vortragssaal bis auf den letzten Platz gefüllt – und das, obwohl es der größte Veranstaltungsraum der gesamten Konferenz war. t3n hat sie am Rande der Veranstaltung getroffen.

t3n Magazin: Amy, lass uns mit einer kleinen Zeitreise beginnen. Stell dir vor, wir schreiben das Jahr 2040. Was wird sich im ­Alltag der Menschen fundamental verändert haben?

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Wir werden keine Smartphones mehr haben, sondern ­Brillen, die wir tragen. Und vermutlich werden wir keine großen, ­unhandlichen Laptops mehr herumschleppen. Eher Geräte, die mit einziehbaren oder faltbaren Screens ausgestattet sind. Das bedeutet, dass viele Geräte, die wir täglich nutzen, anders sein werden. Aber Technologie wird auch in unseren Körper wandern. Eines der wichtigsten Erkenntnisse unserer diesjährigen Studie ist, dass die Biologie sich zur wichtigsten Technologieplattform entwickeln könnte.

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t3n Magazin: Kannst du das erklären?

Es gibt zahlreiche Trends im Bereich des programmierbaren Biologischen: beispielsweise smarte Nähte, also Fäden, die mit ­Nanosensoren ausgestattet und mit dem Smartphone oder mit anderen medizinischen Geräten verbunden sind und entsprechende Daten an Patienten, Ärzte oder medizinisches Personal senden – ob etwa ein chemisches Ungleichgewicht im Körper vorhanden ist und eine Infektion droht. Oder Nanohardware zum Herunterschlucken, die eine kontinuierliche Versorgung mit ­Medikamenten gewährleistet, wichtige Daten über die körperliche Gesundheit bereitstellt oder das Gehirn stimuliert. Der Körper wird Daten in Echtzeit liefern, und künstliche Intelligenz den Körperstatus autonom beobachten und kontrollieren. Wenn etwas nicht stimmt, werden wir frühzeitig informiert.

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Wenn Amy Webb spricht, dann wird es voll: Die Zukunftsforscherin ist davon überzeugt, dass Biotechnologie der vielleicht wichtigste Zukunfts­trend wird. (Foto: Knight Foundation (CC BY-SA 2.0))

t3n Magazin: Wie werden diese biotechnologischen Entwicklungen die menschliche Gesundheit verändern?

Es ist ja bereits heute schon so, dass die Qualität der medizinischen Versorgung und der Zugriff auf präventive Maßnahmen davon abhängen, in welchem Teil der Welt du lebst. In den USA etwa haben wir eine hervorragende medizinische Versorgung, aber eine miserable Gesundheitsvorsorge. Wenn wir zunehmend Gesundheitstechnologie im Körper haben, werden wir in autonomer Weise eine bessere Vorsorge erreichen können. Gleichzeitig wird unser Körper eine Vielzahl an Daten generieren und diese Daten können von Forschern genutzt werden, um besser zu verstehen, wie der menschliche Körper funktioniert. Stell dir vor, dass all unsere Körper über unsere gemeinsamen Daten in einer Art gigantischem Organismus verbunden sind.

t3n Magazin: Klingt ein bisschen unheimlich.

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Ja, das stimmt. Aber es ist auch irgendwie spannend, oder? Ein gigantisches menschliches Netzwerk, verbunden über Daten.

t3n Magazin: Glaubst du denn daran, dass wir in 20 Jahren ein Gehirn-Computer-Interface haben werden, an dem im Silicon Valley unter anderem Facebook und Elon Musk arbeiten?

Das ist eine gute Frage. Bezüglich des Zeitrahmens ist die Frage sehr schwierig zu beantworten. Aber ich sehe jetzt schon vielversprechende Forschungsarbeit dazu, etwa an der Universität in Washington oder der Duke Universität. Und es gibt Fortschritte im Bereich der Optogenetik, ein relativ junges Forschungsfeld der Genetik und der Biologie, das die Kontrolle von genetisch modifizierten Zellen mittels Licht erforscht. Es gibt also extrem viele Aktivitäten rund um Gehirn-Computer-Interfaces. Nissan hat ein relativ neues Projekt gestartet, das erforschen soll, wie man das Gehirn an das Auto anschließen kann.

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t3n MagazinUnd das funktioniert?

Das weiß ich nicht, ich kenne das Projekt nicht gut genug. Aber ein Forscher namens Miguel Nicolelis vom Zentrum für Neuro­engineering der Duke Universität hat mit seinem Team eine ­Maschine gebaut, in der ein Affe sitzt, dessen Gehirn an die Steuerungseinheit des Vehikels angeschlossen wird und der nur mit seinen Gedanken das Fahrzeug fährt. Die Frage ist, was es braucht, damit diese Gehirn-Computer-Interfaces in 20 Jahren für uns Menschen wirklich funktionieren. Wir müssen noch so viel mehr über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns lernen. Die Technologie mag in der Theorie überzeugen, aber wir werden vermutlich noch immer zu wenig wissen und praktisch testen können – selbst in 20 Jahren. Deshalb wird es vermutlich länger dauern.

t3n Magazin: Apropos Autos. Wann glaubst du, werden autonom fahrende Autos auf unseren Straßen unterwegs sein?

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Schwierig. In den USA gibt es zwar einen großen Schub in Richtung Elektroautos. Aber nur, weil ein Auto elektrisch angetrieben wird, heißt das noch lange nicht, dass es autonom fährt. Das größte Problem ist die Regulierung. Also wie lange wird es zum Beispiel dauern, bis wir die Straßen soweit ausgebaut haben, dass sie fürs autonome Fahren ausgelegt sind? Deshalb glaube ich, dass 20 Jahre ein zu enger Zeitrahmen für echtes autonomes Fahren sein wird. Wenn es aber so weit ist, werden wir zwar keine futuristischen Vehikel wie bei den Jetsons in der Luft erleben, aber ein Großteil des Transportes wird dann tatsächlich komplett autonom erfolgen.

t3n Magazin: Du sprichst über Regulierung. Bei all diesen neuen Technologien: Müssen wir nicht viel früher über vernünftige Regulierung sprechen, um so etwas wie Fake News und Hassreden im Fall von Social Media zu vermeiden?

Um diese Frage zu beantworten, sollten wir vielleicht zunächst ­einen Schritt zurückgehen. Wie sind wir denn zum gegenwär­tigen Zustand gelangt? Niemand hat wirklich geplant und langfristig über die Konsequenzen nachgedacht. Und die DSGVO im Mai dieses Jahres war eine sehr harsche Reaktion der Euro­päer auf die Entwicklung der vergangenen Jahre. In den USA haben wir keine so harte Regulierung, aber das Problem ist ja das Gleiche. Die ­großen Plattformen weisen ihre Verantwortung ein Stück weit von sich und beharren darauf, dass sie lediglich die Technologie zur Verfügung stellen. Es gibt keine Rechenschaftspflicht.

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t3n Magazin: Aber was ist denn der beste Weg zur Regulierung der ­großen Plattformen?

Ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht. Was ich nur sagen kann: Aus europäischer Sicht vielleicht nicht unbedingt weitreichende Entscheidungen treffen, wenn man unter Angst und Stress steht. Bei uns in den USA wäre es ein Anfang, wenn Facebook und ­Twitter die richtigen Konsequenzen daraus ziehen würden, dass sie Mist gebaut haben. Es gibt sehr wohl Möglichkeiten, den ­Algorithmus so zu gewichten, dass Bots weniger bis gar nicht mehr im Stream auftauchen und dafür seriöse Nachrichtenquellen stärker in den Vordergrund treten. Das ist kein Hexenwerk. Unter den Nachrichtenquellen darf ja auch Fox News sein. Der Nutzer muss nicht immer mit der News-Quelle einer Meinung sein. Man könnte zum Beispiel Labels an die Nachrichten anbringen – bei Fox News etwa das Label „konservativ“. Das ­Problem aber ist, dass eine solche Veränderung natürlich Facebooks ­Geschäftsmodell tangiert. Das funktioniert nämlich vor allem dann, wenn alle durchdrehen. Das ist ein Konstruktionsfehler.

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t3n Magazin: Wenn wir bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz ähnliche Fehler machen wie bei Social Media, haben wir ein echtes Problem.

Wir sind ja schon längst dabei, künstliche Intelligenz zu vermasseln. Es ist so viel Bias (statistische Verzerrungen, die beispielsweise diskriminierende Strukturen reproduzieren, Anm. d. Red.) in den Datensätzen, mit denen die KI-Systeme trainiert werden. Vor einiger Zeit haben in Stanford zwei Professoren ein Experiment durchgeführt, bei dem sie rund 70.000 Fotos von der Dating-Plattform Tinder auslasen und einen Machine-­Learning-Algorithmus darauf trainierten, in den Gesichtern die sexuelle Orientierung abzulesen. Es gab viel negatives Feedback zu dem Experiment. Die Forscher verteidigten ihr Anliegen nach der ganzen Aufregung mit dem Hinweis, dass sie nur zeigen wollten, dass so etwas heute schon möglich ist. Wir müssen einfach damit rechnen, dass Dinge, die möglich sind, auch gemacht werden.

t3n Magazin: China etwa nutzt künstliche Intelligenz, um einen digitalen Überwachungsstaat zu errichten.

Sie haben komplett andere Vorstellung von Menschenrechten als wir im Westen – wenn man sich etwa anschaut, wie dystopisch das Scoring-System wirkt. Ich halte das für besorgniserregend.

t3n Magazin: Wie stark schätzt du denn China im Markt und in der Entwicklung künstlicher Intelligenz ein?

Wenn wir davon ausgehen, dass künstliche Intelligenz die ­nächste Ära des Computings ist, und dass wir gerade erst am Anfang stehen, dann sehe ich China ganz weit vorne. Staat und Wirtschaft investieren viel in neue Technologien und sie haben Zugriff auf extrem viele Daten – nicht zuletzt auch deshalb, weil China das mit Abstand bevölkerungsreichste Land der Erde ist. Und es ist auch nicht so, dass sich die Chinesen innerhalb ­ihrer Grenzen einsperren. China ist überall, im Silicon Valley und auch in ­Teilen Europas. Sie beteiligen sich über Joint Ventures oder ­andere ­Investments still und leise und strategisch klug an US-amerikanischen Techfirmen. Ich glaube, wir alle haben ­China lange Zeit extrem unterschätzt. Noch heute – wenn ich über ­China rede – halten sich viele mit alten Klischees auf, dass Chinesen qualitativ schlechte Produkte bauen, dass sie kopieren und Markenrechte verletzen. Das ist ein großer Fehler.

„Wir sind ja schon längst dabei, künstliche ­Intelligenz zu vermasseln.“

t3n Magazin: China auf dem Vormarsch, Fallstricke in der KI-Entwicklung: Hast du Angst vor der Zukunft?

Nein, nicht unbedingt. Ich habe jedenfalls keine Angst vor ­Robotern, die uns Menschen töten. Ich habe auch keine Angst vor Maschinen, die uns die Arbeit wegnehmen. Ich fürchte mich eher davor, dass wir in 50 Jahren in einer seltsamen, unbequemen Welt leben, in der wir uns nicht wohlfühlen und wir nicht so richtig erklären können, warum Dinge passieren und wie es dazu kommen konnte. Aber diese Welt lässt sich verhindern.

t3n Magazin: Wie?

Wir müssen jetzt andere Entscheidungen treffen, also regulierend eingreifen. Ein wichtiges Mittel bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz ist Transparenz. Wer bewilligt bestimmte Projekte? Wer arbeitet an dem Projekt? Wo kommt der Datensatz fürs Training der Algorithmen her? Wir müssen also eine Transparenz schaffen, wie wir sie von Lebensmitteln kennen: Dort steht auf den Verpackungen sehr genau beschrieben, welche Zutaten darin stecken.

t3n Magazin: In den USA wird die KI-Forschung aber zunehmend privatisiert, die großen Unternehmen wie Facebook und Google investieren in die besten Köpfe.

Diese Unternehmen müssten dazu bereit sein, einen Teil ihres proprietären Wissens abzugeben. Die Schwierigkeit an der Sache aber ist, dass sie natürlich alle kommerzielle Interessen verfolgen und vor allem eines wollen: Geld verdienen. Das verträgt sich nicht unbedingt mit Offenheit, wenn es darum geht, innovative Errungenschaften zu teilen. Wir haben hier ein echtes Problem.

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