17 Stunden Videotraining: Wie ein Operationsroboter acht Gallenblasen selbstständig entfernte

Jährlich assistieren knapp vier Millionen Operationsroboter bei mehr als 300 Millionen medizinischen Eingriffen. Von Chirurgen gesteuert helfen sie, Sehfehler zu korrigieren, Gewebeproben zu entnehmen und Tumorgewebe zu veröden. Bisher führen sie Operationen aber noch nicht ganz selbstständig aus. Forschenden um Axel Krieger an der Johns Hopkins University in Baltimore ist es jetzt gelungen, einen Da-Vinci-Operationsroboter mit mehr Autonomie auszustatten, als sie bisherige Systeme besitzen.
Roboter im Einsatz am OP-Tisch
„Existierende chirurgischen Robotertechnologien haben bestimmte Eingriffe weniger invasiv gemacht, aber die Komplikationsraten sind im Vergleich zu früheren laparoskopischen [Schlüsselloch-, Anm. d. Red.] Operationen [die Chirurgen durchführen] nicht wirklich gesunken“, sagte Krieger dem Wissenschaftsmagazin „New Scientist“.
Das von seinem Team angepasste System namens „Roboter Transformer-Hierarchy“ (SRT-H) – das auf dem für Forschungszwecke verfügbaren Open-Source-Kit „Da Vinci Si“ basiert – entfernte mithilfe einer zweistufigen KI-Steuerung in Laborversuchen acht Schweine-Gallenblasen fachmännisch und fast komplett ohne menschliches Zutun. Die Eingriffe fanden ex vivo statt, also an entnommenen Organ-Duos aus Leber und Gallenblase und nicht an lebenden oder toten Schweinen. Dabei führte der Roboter insgesamt 17 verschiedene Schritte aus. Die Ergebnisse wurden Anfang Juli im Fachjournal Science Robotics veröffentlicht.
Was ist die Aufgabe einer Gallenblase?
Die birnenförmige Gallenblase ist mit der Leber verbunden und dient als Speicherbehälter für die in der Leber produzierte Gallenflüssigkeit. Diese hilft beim Verdauen von Fetten. Bilden sich in der Gallenblase wiederholt Gallensteine und verstopfen den ausführenden Gang oder verklemmen sich in dem Organ selbst, kann das zu Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen, einer schmerzhaften Entzündung der Gallenblase oder ebenfalls extrem schmerzhaften Gallenkoliken führen.
Kommt es wiederholt zu schweren Beschwerden, empfehlen Ärzte, das Organ zu entfernen. Die Operation wird in Deutschland jedes Jahr rund 180.000-mal durchgeführt. Man kann problemlos ohne das Organ leben, die Leber produziert die Gallenflüssigkeit weiter nach Bedarf und gibt sie in denselben Gang ab, in den der Gallenblasengang sonst mündet.
17 Stunden Videotraining
Die Forschenden trainierten ihr System zunächst mit 17 Stunden an Videomaterial von Gallenblasen-Operationen mit nahezu 16.000 Bewegungen. In diesen zeigten zwei Chirurgen wiederholt den Ablauf des Eingriffs mit dem Forschungsroboter und zeichneten die Prozedur mit einer Endoskopkamera und zwei Handgelenkkameras an den Roboterarmen auf. Vereinfacht gesagt klemmten die Mediziner zuerst den Ausführgang der Gallenblase mit drei Klammern ab und durchtrennten den Gang dann zwischen zwei der Klammern. Anschließend wurde die Gallenblasenarterie, die das Organ und Gallengang versorgt, auf dieselbe Art abgetrennt. Das Team verstärkte das visuelle Training mit Untertiteln, die die Aufgaben beschrieben.
Um aus den nur 34 Schweinelebern mit Gallenblase, die ihnen zur Verfügung standen, trotzdem Hunderte Trainingsvideos produzieren zu können, verwendeten die Chirurgen nicht einrastende Klammern, um ihr Platzieren wiederholt demonstrieren zu können. Dazu brachten sie die Operationsschere jeweils nur in Position, ohne die je zwei Schnitte auch zu setzen.
Anschließend kamen die beiden KI-Elemente zum Einsatz: Die erste wertete die Video-Aufnahmen aus und übersetzte sie in verbale Anweisungen wie „klemme das Gefäß ab“. Das zweite KI-Element wiederum übersetzte diese Instruktionen in dreidimensionale Bewegungspfade für die klammersetzenden und schneidenden chirurgischen Instrumente.
Zum Schluss wurde die Operation an acht neuen Gallenblasen mit funktionstüchtigen Klammern durchgeführt und die Trennschnitte gesetzt. Der Roboter musste die anatomischen Elemente sicher identifizieren und präzise greifen, dann Klammern strategisch platzieren und an der richtigen Stelle schneiden. Dabei konnte er auch auf gesprochene Befehle von beobachtenden Chirurg:innen wie auf „bewege den linken Arm ein wenig nach links“ reagieren und aus diesem Feedback lernen – ähnlich wie unerfahrene Chirurg:innen, der von Mentor:innen angeleitet wird.
Alle acht Operationen verliefen erfolgreich: Der Roboter passte sich den neuen anatomischen Gegebenheiten, verschiedenen Startpositionen seiner Instrumente und auch dem Zufügen blutähnlicher Farbstoffe an, die das Aussehen der Gallenblase und des umgebenden Gewebes veränderten.
OP-Roboter kann sich korrigieren
Zwar musste sich das System im Schnitt sechsmal pro Eingriff korrigieren und beispielsweise die Gallenblasenarterie erneut greifen, wenn sie beim ersten Mal aus dem Griff gerutscht war. Allerdings „konnte es die anfänglichen Fehler korrekt erkennen und selbstständig korrigieren“, sagte Krieger dem New Scientist. Etwas externe Hilfe brauchte der Roboter dann doch, da er nicht selbstständig jeweils neue Klemmen nachladen konnte, sondern ein Mensch das übernehmen müsste. Er stoppte aber von selbst und fragte nach den neuen Klammern oder danach, dass das klammersetzende Griffstück durch die Schere ersetzt wird.
Bereits 2022 führte Kriegers Team mit dem Smart Tissue Autonomous Robot (STAR) eine weitgehend autonome Roboteroperation an einem lebenden Tier durch. Bei diesem laparoskopischen Eingriff an einem Schwein benötigte das Gerät jedoch speziell markiertes Gewebe und folgte einem vorab festgelegten Operationsplan.
Im vergangenen Jahr trainierte Kriegers Team mit dem neuen System einen Roboter in drei grundlegenden chirurgischen Aufgaben: dem Handhaben einer Nadel, dem Anheben von Körpergewebe und dem Nähen. Diese Aufgaben dauerten jeweils nur wenige Sekunden. Dagegen brauchen die einzelnen Schritte einer Gallenblasenentfernung jeweils mehrere Minuten.
Als Nächstes plant das Team, das System für Operationen an lebenden Tieren zu trainieren, bei denen atmungsbedingte Bewegungen von Gewebe und Blutungen eine neue Schwierigkeitsstufe darstellen.