Arbeitsminister Hubertus Heil hat (mal wieder) gefordert, ein prinzipielles Recht auf Homeoffice gesetzlich festzulegen und moderne Arbeitsbedingungen zu schaffen, um dies nicht nur in der Theorie zu ermöglichen – dort, wo es technisch und von den Arbeitsinhalten her möglich sei. Demnach seien Arbeitgeber:innen überall dort zu verpflichten, Homeoffice-Möglichkeiten anzubieten, wo sie keine triftigen Gründe dagegen anführen können, so Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).
Hatten wir das nicht schon mal? Doch – Anfang 2019 erst war der Bundesarbeitsminister mit einem ähnlichen Vorstoß gescheitert, und im April 2020 zu Beginn der Pandemie hatte der Minister das Thema wieder aufs Tapet gebracht. Ist die Situation jetzt grundlegend anders angesichts der Erfahrungen aus der Coronakrise oder was veranlasst den Minister dazu, das Fass erneut aufzumachen?
Aktuell arbeiten laut Erkenntnissen des Ifo-Instituts 27,9 Prozent der Deutschen im Homeoffice – zur Eindämmung der Pandemie und weil sie es können. Der Großversuch, den wir ohne die Pandemie wohl nie in diesem Umfang bekommen hätten, hat gezeigt, dass es in deutlich mehr Fällen und Umfeldern geht, als man im Frühjahr 2020 gedacht hätte: in Großunternehmen mit telefonischem Kund:innenkontakt, bei all jenen, die mit eingehenden Dokumenten in Briefform arbeiten müssen und auch bei Mitarbeitenden, die vertrauliches Material bearbeiten, das in der Vergangenheit das Bürogebäude unter keinen Umständen verlassen durfte. Digitalisierung ist hier die Lösung auf sehr viele, wenn auch nicht alle Herausforderungen.
Viele Mitarbeitende wollen nicht dauerhaft ins Homeoffice
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Arbeitgeber:innen das zwar seit Ende 2020 ermöglichen müssen, wenn die Workflows es erlauben, dass aber nicht alle dies auch wirklich einfordern und andere bereit sind, sich mit dem arbeitgebenden Unternehmen anzulegen, um es wirklich durchzusetzen. Und viele wollen es auch einfach selbst nicht – weil sie im Büro das bessere Equipment vorfinden, die Kolleg:innen treffen können, teilweise auch einfach mehr Ruhe haben als daheim. Laut einer Forsa-Umfrage in Zusammenarbeit mit der Techniker-Krankenkasse fühlen sich vier von zehn daheim Arbeitenden psychisch belastet.
Ja, das Recht auf Homeoffice ist wünschenswert und wird auch ohne das Diktat von oben in immer mehr Unternehmen kommen, auch wenn sich der sinnlose Streit darüber, wo man produktiver arbeitet, halten wird. Gerade die Erfahrungen aus der Coronakrise dürften dazu beitragen, dass immer mehr Vorgesetzte einsehen, dass das Führen von Mitarbeiter:innen genauso gut oder schlecht funktionieren kann, wenn diese einzelne Tage oder ausschließlich aus dem Homeoffice heraus arbeiten. Das erfordert ein Umdenken von beiden Seiten, kann aber gut funktionieren. Gleichzeitig wird es aber auch jene Mitarbeiter:innen geben, die nach der Corona-Pandemie froh sind, die Kolleginnen und Kollegen wieder täglich zu sehen und mit ihnen in einem Büro zu arbeiten. Das ist aber kein Argument gegen den regelmäßig wieder aufkommenden Vorstoß des Arbeitsministeriums.
Firmen werden Argumente gegen Homeoffice-Recht finden
Doch Arbeiten von verschiedenen Standorten geht nur organisch, wenn alle Beteiligten die entsprechenden Grundlagen schaffen. Ein Unternehmer, der seinen Mitarbeitern kein Homeoffice ermöglichen will, wird einfach die hierfür nötigen Rahmenbedingungen nicht schaffen, sich zurücklehnen und sagen: „Sehen Sie, funktioniert bei uns nicht“. Und hier wird auch der Arbeitsminister kaum eine Handhabe haben, einem Unternehmen (noch dazu, wenn es nicht gerade ein Dax-Konzern ist) das Gegenteil zu beweisen. Vielmehr könnte ein Zwang, Mitarbeiter:innen das Homeoffice anbieten zu müssen, sogar dazu führen, dass bestimmte für die Firma relevante Daten bewusst nicht von außen zugreifbar sein werden – mit dem Deckmäntelchen der Sicherheit würde dann das prinzipiell sinnvolle Homeoffice im Keim erstickt.
Umgekehrt wird es sich für viele Unternehmen aber nicht auszahlen, hier auf die Bremse zu treten. Denn die Möglichkeit, einen Teil der Arbeit mit den familiären Gegebenheiten in Einklang zu bringen, wird in Zukunft mehr denn je ein Asset sein, das darüber entscheidet, wie gut sich bestimmte Positionen besetzen lassen. Was früher also die drei statt den zwei Fenstern oder das Zweier- statt dem Viererbüro war, wird in Zukunft das Recht auf Homeoffice sein. Insbesondere in Bereichen, in denen der stets bemühte Fachkräftemangel herrscht, wird das Homeoffice (oder noch besser die freie Wahl des Arbeitsorts) im Laufe der Zeit zu einem wichtigen Argument werden, wenn es um das Gewinnen und Halten von Mitarbeitenden geht. Einige Unternehmen, etwa der E-Commerce-Dienstleister Trusted Shops, machen es bereits vor. Und neben dem zeitlichen Aspekt wird auch das Nachhaltigkeitsargument zum Thema.
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Wenn also heute Arbeitgebervertreter Sturm laufen gegen den Vorstoß des Ministers und poltern, der Kunde und dessen Belange müssten im Vordergrund stehen und man könne „die Wirtschaft mit Homeoffice alleine nicht am Laufen halten“, dann mag man ihnen entgegenrufen, dass das ja auch keiner vorhat. Ein verbrieftes Recht auf Homeoffice könnte aber beispielsweise dazu führen, dass Arbeitgeber noch mehr als bisher bei bestimmten Bewerber:innen schon im Vorfeld herauszufinden versuchen, wie sie zum Thema Homeoffice stehen. Damit wäre keinem der Beteiligten gedient. Auch wenn wir aktuell feststellen, dass der Markt alleine vieles eben nicht sinnvoll regeln kann – das Recht auf Homeoffice zählt nicht zu den Dingen, die sich per Gesetz erzwingen lassen.
Wie sehr die Arbeitgeber:innenverbände schon jetzt versuchen, das generelle Recht auf Homeoffice im Keim zu ersticken, zeigen die Versuche, das Homeoffice-Thema auf einen Erörterungsanspruch zu reduzieren. Ein Recht auf 24 Tage im Homeoffice hatte Minister Heil bereits im Herbst 2020 durchgesetzt – freilich mit der Einschränkung der Zumutbarkeit für die arbeitgebenden Unternehmen. So wird, wenn er denn überhaupt erfolgreich ist, auch der neue Vorstoß des Bundesarbeitsministeriums bestenfalls ein Etappensieg im Kampf um neue Formen der Arbeitswelt.
Thema nicht verstanden… Schlussendlich geht es ausdrücklich nicht darum wirklich jedem Beschäftigten zwangsweise Homeoffice zu ermöglichen. Das hatte noch nie jemand im Sinn. Das Ziel ist es die Arbeitgeber dazu zu zwingen sich generell über ihre Arbeitsorganisation Gedanken zu machen.
Das war schon mit dem Arbeitsschutzgesetz 2002 und der Änderung des Produktsicherheitsgesetz 2009: Aus starren Vorgaben werden Schutzziele die durch die Arbeitgeber mit dynamischen Katalogen und auf betriebsbedingte Belange angepasst, einfacher erreichbar werden.
All die „Sorgen“ (aka Schlechtreden) hat man in den Niederlanden übrigens schon lange hinter sich gelassen. So wie schlechtes Internet oder fossile Energieträger im Neubau auch…
Diese im Artikel dargestellte Meinung verkennt die Realität in vielen hierzulande immer noch rückständig orientierten Unternehmen. Natürlich lässt sich ein „Recht auf HomeOffice“ per se nicht komplett ausdefinieren – und Arbeitgeber die wirklich wollen, finden auch mit Gesetz einen Weg, dieses zu umgehen. Dennoch ist der Begriff „HomeOffice“- und das zeigen nicht zuletzt breit gestreute Social Media Beiträge in diversen Kanälen zu Beginn der Pandemie – in deutschen Chefetagen mit einer fiktiven Einladung zum Nichts-Tun stigmatisiert. Das jedoch ist völliger Quatsch.
Ein Beispiel: Obwohl in meiner Firma bis zu 40 % der Gesamtbelegschaft hauptsächlich aus dem HomeOffice 100% (und teilweise „darüber hinaus“) ihrer Leistung erbringen, gibt es Positionen und ganze Abteilungen, denen diese Möglichkeit von vornherein unter fadenscheinigen Gründen verwehrt wird.
Wenn die Krise eines gezeigt hat, dann, das niemand dauerhaft im HomeOffice arbeiten möchte, der das nicht muss. Diese Möglichkeit aber ohne echte Begründung nicht zu gestatten, ist Arbeitgebern hierzulande möglich. In diesen Fällen eine rechtliche Handhabe für HomeOffice zu schaffen, hat nichts mit „Diktat“ o.Ä. zu tun. Von der unsäglichen Überschrift „das Gesetz“ bringe „niemanden“ weiter. „Das Gesetz“ liegt noch gar nicht vor und ich nehme an, „alle“ die es betrifft wurden nicht befragt bzw. deren respektiven Gruppen wurden nicht erforscht?
Es wäre schön, wenn ein Medium wie eures, dem ich gern folge und das aus meiner Sicht gerade in Bereichen, denen man „HomeOffice-Tauglichkeit“ unterstellen würde einen fundierten Markteinblick haben sollte, dieses Thema etwas differenzierter betrachten würde. Ganz von der Problematik abgesehen, dass hier hauptsächlich aus Humar Ressources Sicht argumentiert wird – während gerade nebenbei der Arbeitsmarkt (der vor der Krise ein sicherer Arbeitnehmermarkt war) wankt und Gehaltserwartungen und tatsächlich gezahlte Gehälter neu Angestellter eine signifikante Delle hinnehmen mussten.
Der Artikel liest sich als wäre dieser von einem Lobbyisten verfasst worden. Unausgewogen und einseitig!
Max M. hat völlig recht, das Gesetz gibt es noch nicht, es ist damit also völlig unklar, wie es ausgestaltet sein wird und welche evtl. Schlumpflöcher es für unwillige Unternehmen lässt.
Schade finde ich, dass der oder die Autor_in offenbar nicht in der Lage ist, sich in eine Arbeitnehmersicht hinein zu versetzen: Nicht alle Arbeitnehmer in Deutschland können sich den Arbeitgeber aussuchen, sodass es richtig wäre, dass Angebot und Nachfrage die Sache sowieso pro Home Office regeln werden. Im Gegenteil, viele Arbeitgeber gehören nicht zu den hart umkämpften Fachkräften, wohnen in strukturschwachen Regionen oder in solchen, in den die Konkurrenz hoch ist. Die Corona-Pandemie wird die Situation nochmal zu Ungunsten der Arbeitnehmer verändern. Weil die Situation so ist, braucht es Regelungen zu Home Office, die mit den Gewerkschaften abgestimmt sind (Arbeitszeiten!), keine Schlupflöcher enthalten und nicht etwas dazu führen, dass Platzmangel, teure Mieten oder oder oder die tollen Möglichkeiten von Home Office am Ende korrumpieren.
Und noch eines: Es ist gerade zu absurd, davor zu warnen, dass ein Recht auf Home Office dazu führen könnten, dass der Wunsch, von diesem Recht Gebrauch zu machen, im Bewerbungsgespräch zum Auswahlkriterium werden könnte. Man fragt sich, wie Bewerber bisher dann wohl mit Fragen nach der Bereitschaft zu Überstunden, Urlaubsverschiebung etc. umgegangen sind …. – eben!
Bei dieser überspitzen These hätte ich mir echte Argumente gewünscht, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass hier wirklich bedenklich einseitig argumentiert wird! Lobbyarbeit für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände?
Der Berg kraiste und gebahr eine Maus: Der vorgestellte Entwurf von Heil ist wirklich eine Enttäuschung – aber nicht, weil er Arbeitgeber zum Anbieten des HO verpflichten will, sondern weil die typische sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Kontroll- und Regelungshandschrift den Stift geführt hat. Wenn man zu viele Vorgaben macht, wird aus der Ermöglichung eine Verhinderung. Wie oft bei deutschen Diskussionen ist es mir völlig schleierhaft, warum hierzulande das Rad immer neu erfunden und immer neu von Anfang diskutiert werden muss, obwohl z.B. in den Niederlanden längst Regelungen existieren und man auf die dortigen Erfahrungen aufbauen könnte. Vollends ärgerlich wird es, wenn das HO nur aus Sicht des Arbeitnehmer-Komforts diskutiert wird. Nur zur Erinnerung: In NRW ist der Anteil der Pendler in den letzten Jahren stetig gestiegen und liegt nun bei deutlich über 50% – verstopfte Straßen, Umweltverschmutzung, Steuerzahlerbelastung durch Kilometerpauschale, Immobilienpreisdruck in den Ballungsräumen und daraus folgende Subventionsbitten um billigeren Wohnraum inklusive. Alles Kosten, die die Wirtschaft auf Kosten der Allgemeinheit externalisiert. Home Office ist eben kein Gnadenbrot und auch kein Komfortangebot, sondern ein wichtiger Entwicklungsschritt in unserer Wirtschaftsentwicklung.
Ein letztes noch: Ein Fehler der Debatte ist auch, dass nicht genügend zwischen reinem HO und gemischten Lösungen unterschieden wird. Reines HO, gerade im Niedriglohnsektor, gehört natürlich stärker reguliert als gemischte Lösungen, bei denen die Flexibilität im Vordergrund stehen sollte.