9 Tipps und Thesen: So führst du phygitale Teams positiv
Hier sind neun Thesen und Tipps zu diesem so genannten phygitalen Führen zwischen physischer Anwesenheit und digitalem Zusammenkommen.
1. Vorfahrt fürs Führen
Für die fachliche Komponente des Führens bleibt künftig weniger Zeit und Raum. Gerade wer aus dem Team aufgestiegen ist, hat häufig noch etliche operative Zuständigkeiten an der Backe und tut sich schwer damit, sie in die Teams zu delegieren. Das aber wird immer wichtiger. Denn, so schreibt etwa Dirk Windemuth, Leiter des Instituts für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, in der aktuellen Personalwirtschaft: „Zu wenig Zeit für Führungsaufgaben zu haben … rächt sich früher oder später, zum Beispiel in Form von Unfällen, Reklamationen aufgrund von unkonzentriertem Arbeiten oder krankheits- oder unfallbedingten Ausfalltagen.“
Fragt euch also: Was können meine Mitarbeitenden genauso gut oder besser als ich – beziehungsweise was sollten sie besser können als ich? Was kann ich dafür weglassen oder herunterfahren? Und wie kommen wir dahin?
2. Soziale Kohärenz herstellen
Ein gutes Miteinander schaffen und halten, das wird schwieriger und wichtiger zugleich: Die einen wollen gar nicht mehr ins Büro kommen, die anderen nur noch, die übernächsten nur noch dienstagnachmittags und donnerstagvormittags. Zusammenhalt, Teamgeist, Wir-Gefühl erzeugen, das wird zu einer Schlüsselaufgabe für Führende. Jane Dutton hat das Konzept der High-Quality-Connections entwickelt. Damit sind kurze, positiv erlebte Interaktionen zwischen Menschen gemeint. Diese HQC führen unter anderem zu besserer psychischer Gesundheit, zu verstärktem Einsatz zum Wohl der Organisation, zu höherer Anpassungsfähigkeit und Belastbarkeit. Sie können über bestimmte Verhaltensmuster wie etwa Gamification oder Humor, über das Zeigen von Dankbarkeit oder andere emotionale Mechanismen sowie über aktive Perspektivwechsel gestärkt werden.
Führende tun gut daran, möglichst viele solcher HQC zu ermöglichen – etwa durch bewusstes Ermöglichen von informellem Austausch. Was könnt ihr dafür in eurer Abteilung, eurem Team tun? Welche Ideen haben die Mitarbeitenden selbst?
3. Mentale Gesundheit als Ressource sehen und achten
Wie es uns so geht, selbst, in der Arbeit, im Leben – das ist besprechbarer und relevanter geworden. Natürlich waren und sind die Belastungen durch die Pandemie ungleich verteilt: Wer mit drei Kindern und einem Partner in der Gastronomie in einer Zweizimmerwohnung mit wenig stabilem Internet wohnt, hat noch mal ein ganz anderes Stressniveau als das Pärchen zweier IT-ler in der riesigen Altbauwohnung mit schnellem Netz am Waldrand. Aber: Irgendwie, das wird in vielen Coachings und Trainings berichtet, saß man doch plötzlich mehr in einem Boot, hatte man über Hierarchien hinweg ähnliche Sorgen und Themen. Das hat das Planen und Einhalten von Pausen, das Abschalten-können, den Umgang mit Unsicherheit und Wandel und andere Themen der psychischen Gesundheit plötzlich besprechbarer gemacht. Und das ist auch gut so, denn die Verdichtung von Arbeit und die Herausforderungen von Digitalisierung, Globalisierung und Beschleunigung dürften nicht weniger werden.
Führende müssen, können und sollen keine Therapeut:innen sein – aber sie sollten Ahnung von den wichtigsten Faktoren psychisch gesunden Arbeitens sowie ein Gespür für Burnout-Gefährdung haben.
4. Talente finden und binden
„I’m back“, sagt der Fachkräftemangel: Schon vor der Pandemie ist die Zahl der Wechselwilligen in den Unternehmen angestiegen. Und es deutet vieles darauf hin, dass in einer postpandemisch boomenden Wirtschaft der Fachkräftemangel in vielen Bereichen wieder enorm zunehmen wird. Wer etwa einen Bilanzbuchhalter, eine IT-Abteilungsleiterin oder andere Fach- und Führungskräfte sucht, muss aktuell ganz schön was bieten – und wer nicht suchen will, weil sie oder er die eigenen Talente halten will, umso mehr.
Was wird bei euch schon getan, um gute Leute zu finden und zu binden? Wo geht noch was, wo wäre noch Luft nach oben?
5. Faire und effiziente Arbeitsregimes aushandeln
Laut dem aktuellen Gallup-Report „State of the Workplace“ (hier ein spannendes Podcast-Interview mit dem Studienleiter dazu) wollen 20 Prozent der Amerikaner permanentes Homeoffice – vier Mal so viele wie vor der Pandemie. 30 Prozent wollen nur im Büro arbeiten. Und 50 Prozent der Befragten wollen irgendwas dazwischen. Was das genau ist und was davon Sinn ergibt, für eure Teammitglieder, für euer Team als Ganzes, für euch persönlich, was ein guter Kompromiss ist zwischen Rücksichtnahme auf individuelle Bedürfnisse und kollektiver Verbindlichkeit und Verlässlichkeit, das müsst ihr als Führende herausfinden und aushandeln. Es gibt Führungskräfte, die zum Ende der offiziellen Homeoffice-Pflicht ihre Belegschaften per Mail wieder ins Büro geordert haben, von Montagfrüh bis Freitagnachmittag. Und man hört von Führungskräften, die sich mit Erhalt dieser Mails bei Headhuntern gemeldet haben …
Wer den Mitarbeitenden jetzt, nach anderthalb Jahren Remote-Erfahrung, nicht mehr Freiheit beim Wie, Wo und Wann des Arbeitens gewährt, wird wahrscheinlich nicht die motiviertesten und begehrtesten Kräfte halten oder anziehen können. Die Rating-Firma S&P global hat, so stand es neulich im Economist (Paywall) zu lesen, bereits angekündigt, dass sie die Möglichkeit zu flexibler Arbeit ab sofort in die Bewertung der Kreditwürdigkeit von Unternehmen einfließen lässt. Unternehmensweite, starre Regelungen für alle und für immer? Damit bringt man es nicht zu guten S&P-Rankings …
6. Provisorien probieren
Schlag auf Schlag wurde in den letzten anderthalb Jahren vieles verändert und ausprobiert. Neue Arbeitsmodelle, neue Geschäftsmodelle, neue Tools und und und. Das ist eine echte Chance für permanente Innovativitätskultur in Organisationen – und die solltet ihr beibehalten: Warum nicht im Team Vorschläge für ein neues Arbeitsregime, für neue Tools sammeln und einen Kompromissvorschlag für ein, zwei Quartale ausprobieren? Dann kann man immer noch optimieren.
7. Premium-Präsenz ermöglichen
Die Frage, wer wann ins Büro kommt, ist nicht die allein entscheidende: Wozu und wie soll physisch zusammengearbeitet werden? Lohnt für das wöchentliche Status-Update, bei dem eh nur Zahlen, Daten, Fakten heruntergerattert werden, wirklich die Fahrt durch den Stau ins Büro? Das wäre Schrott-Präsenz. Warum nicht die physische Präsenz anders organisieren und nutzen – mit einem festen Mittagstisch beim Italiener jeden Mittwoch, einer gemeinsamen Yoga-Stunde am Donnerstagmorgen, mit Fortbildungen, Smoothie-Bars, kostenlosen Gesundheitsscreenings, nur als Beispiel? Das wäre Premium-Präsenz. Solche Angebote können die Arbeit vor Ort attraktiver und hochwertiger machen, vor allem für die Jungen und Digitalaffinen.
8. Fokus schaffen und halten
Übersicht behalten, Übersicht wahren: Das ist gar nicht so leicht inmitten des Kanal-Salats und des Tool-Wirrwars, die in vielen Organisationen herrschen. Und umso wichtiger, dass die Führungskraft hier Klarheit vorlebt. Wie wäre es mit Meeting-freien Schonzeiten an bestimmten Wochentagen? Wie wäre es mit klaren Regeln über Erreichbarkeiten, Notfall-Erreichbarkeiten und Nichterreichbarkeiten? Das würde viele entstressen – Führende und Geführte.
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9. Erfolg und Fortschritt erlebbar machen
Das Vorankommen ist für viele, die durch die Pandemie aus dem physischen ins digitale oder phygitale Miteinander gewechselt sind, weniger sichtbar und spürbar geworden. Ohne in Klischees fallen zu wollen: Viele Frauen und Introvertierte tun sich damit tendenziell besonders schwer, eigenes Weiterkommen zu erleben und nach außen zu verkaufen. Das kann schlimmstenfalls dazu führen, dass die Falschen Karriere machen und andere frustriert abwandern oder zumindest innerlich kündigen. Wie könnt ihr also Etappensiege, Meilensteine, Zwischenerfolge für euch selbst und für andere kommunizieren, um die Selbstwirksamkeit und die Motivation zu stärken?
Welche dieser Tipps und Anregungen setzt ihr in eurer Organisation sowieso schon um? Wo könnt ihr etwas anders oder besser machen? Die Chancen für ein flexibleres, an die Bedürfnisse jeder einzelnen Person besser angepasstes, stressärmeres berufliches Miteinander stehen gut.