Exklusiv: Amazon zeigt, wie Roboter und Menschen zukünftig zusammenarbeiten werden
Das E-Commerce-Zeitalter bringt Vielfalt bis in den letzten Winkel. Nichts, was nicht auch im letzten, hintersten, badischen Winkel verfügbar wäre. Auch das kleinste Dorf, ohne jegliche Infrastruktur zum Einkaufen, kann im Netz bestellen, was das Herz begehrt. Was für die Einen immer noch überflüssiger Firlefanz ist, hat für andere längst lebensnotwendigen Status erreicht. Beispielsweise werden Einkaufsdienste für Senioren heute immer noch von sozialen Diensten erledigt. Lebensmittel aus Online-Supermärkten werden da in Zukunft Abhilfe schaffen. Die Warenversorgung ist heute gewährleistet, niemand muss auf etwas verzichten oder zu überteuerten Preisen kaufen.
Die betriebswirtschaftliche Schattenseite der Einkaufs-Demokratisierung? Für den Menschen, der im Logistik-Gewerbe arbeitet, ist der rasante Wachstum des E-Commerce immer schwerer zu stemmen. Kilometer um Kilometer legen Mitarbeiter in Logistikzentren zurück, um Waren aus Regalen zu schleppen. Mehr Mitarbeiter einzustellen ist dauerhaft keine Lösung, weil die menschliche Arbeitskraft nicht unendlich skalierbar ist. Einen zweiten Mitarbeiter einzustellen, verdoppelt nicht wirklich die Anzahl der Pakete, die aus einer solchen Lagerhalle ausgeliefert werden. Und angesichts der Tatsache, dass Kunden heute keine Versandkosten mehr akzeptieren, wird die Kalkulation der Gehälter auch nicht einfacher. Viele Onlinehändler werden deshalb in Zukunft immer mehr auf Automatisierungstechnologien zurückgreifen. Der US-Konzern Amazon setzt schon lange auf Roboter-Unterstützung für seine Mitarbeiter.
Roboter und Mensch arbeiten Hand in Hand: Ein Blick ins Amazon Logistikzentrum
In weltweit über 20 Logistikzentren setzt Amazon bisher schon großflächig auf Roboter, um den Betrieb in diesen Verteilzentren effizienter zu gestalten. Zum Vergleich: Weltweit betreibt Amazon insgesamt über 350 Logistikzentren. Wir haben ein solches Logistikzentrum in den USA besucht und zeigen euch, wie der Alltag für Roboter und Menschen dort aussieht.
Mitten im Grünen steht das Logistikzentrum in dem kleinen Ort DuPont, etwas mehr als eine Stunde sind Lieferfahrzeuge aus der US-amerikanischen Großstadt Seattle bis hierher unterwegs. Aus dem hunderte Meter langen Gebäude gehen im 5-Minuten-Takt kleine Gruppen Amazon-Mitarbeiter ein und aus, um kurze Raucher- oder Frühstückspausen auf Bänken vor dem Gebäude zu machen. Hinein in die 100.000 Quadratmeter-Halle geht es durch eine große, vergitterte Sicherheitsschleuse. Das Gebäude ist komplett abgeschirmt, jede Menge Vorschriften und Warnhinweise sind in der Schleuse zu finden: Weder iPod, Smartphone noch Kamera dürfen mit in die Halle.
Kleine Helfer im Einsatz, Automatisierung in einem Amazon Logistikzentrum – t3n Videoreportage 3:33 Minuten
Hintergrund: So funktioniert das Logistikzentrum
Im Inneren des Logistikzentrums begrüßt den Besucher gleich der erste Roboter, „Robo-Stow“. Stow steht dabei für den Amazon-Fachterminus für die Einlagerung von Handelswaren in Regale. Der autonom arbeitende Lastarm Robo-Stow stemmt am Eingang komplette Paletten sieben Meter in die Höhe und stellt diese auf einem Roboter-Gefährt in der nächsten Etage ab, das die Palette eigenständig in den Lagerbereich weitertransportiert.
Fest eingezeichnete Wege führen im ganzen Lagerbereich des Logistikzentrums durch die Irr-Landschaft von Förderbändern, die wie verschlungene Autobahnkreuze über die Köpfe hinweg in alle Richtung führen. Aufgrund der bemannten und unbemannten autonomen Fahrzeuge im Lager darf nicht vom Weg abgewichen werden, sonst besteht Unfallgefahr.
Im linken Bereich der Halle erstrecken sich Hochregal-Lager, in der Mitte Förderbänder und rechts davon, abgetrennt durch einen Drahtzaun, der Roboter-Bereich. Hier reihen sich kleinere Regale extrem dicht aneinander. Unter den Regalen sausen auf vorgegebenen Wegen mehrere Hundert flache, orangefarbene Roboter hin und her. QR-Codes auf dem Boden zeigen ihnen den aktuellen Standort an.
Wird ein Artikel aus einem Regal angefordert, hebt der Roboter das Regal an und bringt es zu einem Mitarbeiter. Der Mitarbeiter entnimmt einen Artikel und legt diesen in eine gelbe Transportkiste – und schließlich gelangt der Artikel über eine Förderanlage dann zu einem Mitarbeiter an einer Packstation. Dort wird der Artikel in einen Versandkarton gepackt und in die Förderanlage übergeben – zur Etikettierung und Endkontrolle der Sendung per Waage. Amazon hat das Gewicht jedes Artikels akribisch erfasst und kann so anhand des Gewichts des Pakets ein letztes Mal kontrollieren, dass der korrekte Inhalt in das Paket gepackt wurde.
Die Regale für die Roboter werden von Hand von einem Amazon-Mitarbeiter gepackt: An einer sogenannten „Stow-Station“. An dieser Station werden Wareneingänge einzeln von Mitarbeitern in Regale abgelegt, die ein Roboter zum Befüllen herbeiträgt. Die dicht hintereinander gelagerten Regale könnten von einem Menschen nicht mehr bewegt werden. Abgesehen davon, dass die Roboter Regale mit einem Gewicht von bis zu rund 1300 Kilogramm hochheben und transportieren können, sind die Roboter kleiner und wendiger. Sie fahren einfach unter den Regalreihen durch, um zum gewünschten Regal zu gelangen. Diese Technologie führt zu einer wesentlich besseren Ausnutzung der Lagerfläche in den Logistikzentren, als in einem herkömmlichen Lager.
Die Roboter im Logistikzentrum in DuPont, USA
Um das zu erreichen kommen in DuPont unterschiedliche Roboter-Typen zum Einsatz. Einige unspektakuläre autonome oder halbautonome Fahrzeuge, die durch die Halle oder die Hochregal-Lager fahren. Gesteuert von Magnetschienen im Boden, die unsichtbar verlegt sind, bis auf einen dünnen Riss im Betonboden. Oder auch noch zusätzlich von Menschen bedient werden. Außerdem ein Roboter-Lastarm, der bisher erst in einer Handvoll Logistikzentren in den USA im Einsatz ist.
Und die Hauptattraktion: Die kleinen, orangefarbenen Regal-Roboter, die ursprünglich von Kiva Systems hergestellt wurden. Ein Robotik-Spezialist, den Amazon 2012 übernommen hat und der seitdem unter dem Namen Amazon Robotics firmiert. 2013 setzte Amazon bereits 1.400 Roboter in drei Logistikzentren in den USA ein. Heute entstehen auch in Europa die ersten dieser Logistikzentren in London, Polen und im deutschen Winsen bei Hamburg. Weltweit setzt Amazon in 20 Logistikzentren rund 45.000 Transport-Roboter ein.
Bildergalerie: Ein Rundgang durch das Logistikzentrum
Der Mensch bleibt unverzichtbar
45.000 Roboter bringen also mehr Effizienz in Amazons Lager. Diese gestiegene Effizienz bringt gleichzeitig auch einen größeren Bedarf an menschlichen Mitarbeitern mit sich. Diese etwas ungewöhnliche Erkenntnis ergibt sich aus den Mitarbeiterzahlen in dem Amazon Logistikzentrum in DuPont. Eine effizientere Lagerflächennutzung ermöglicht eine größere Anzahl an Lagerartikeln, was eine größere Anzahl von Paketen zur Folge hat. Somit braucht es auch mehr Menschen, um die Pakete zu verarbeiten. Von ursprünglich 350 ist die Mitarbeiteranzahl im Logistikzentrum in DuPont von 2014 bis heute auf 750 angestiegen.
Tye Brady, Technologie-Chef bei Amazon Robotics, möchte vermitteln, wie wichtig dem US-Konzern das Schaffen von Arbeitsplätzen ist: „Roboter verbessern die Arbeitsbedingungen und Jobchancen für unsere Mitarbeiter, sie ersetzen keine Mitarbeiter. In Wahrheit stellen wir weiter Menschen ein, darunter viele in Positionen, die mit in den neuen Gebäuden entstehen, wo Menschen und Roboter Hand in Hand arbeiten.“„Die menschliche Hand-Auge-Koordination ist ungeschlagen!“
Man könnte das als banale Rechtfertigung abtun, faktisch ist aber trotz aller Automatisierung der Mensch immer noch eine unverzichtbare Komponente. Packen, Waren in Regale einlagern und LKWs mit Paketen beladen – das alles beherrscht der Mensch immer noch am besten. Denn die menschliche Hand-Auge-Koordination ist ungeschlagen in diesen Disziplinen und wird es noch lange bleiben.
Selbst Vorreiter wie das Startup Magazino aus München, an dem Siemens mit 49,9 Prozent beteiligt ist, können das Problem des Greifens nicht ultimativ lösen. Deren wohl weltweiter erster, serienreifer Pick-Roboter namens Toru greift auf lange Sicht nur quaderförmige Objekte. Wie Brady sagte auch Mitgründer Frederik Brantner damals im t3n-Porträt des Startups Magazino, dass Roboter auch Arbeitsplätze schaffen. Brantner betont aber eher den Charakter der Verlagerung: „Die Produktion von Autos ist durch Robotik effizienter geworden und daher konnte die Produktion in Deutschland verbleiben. Und es sind sehr, sehr viele neue Arbeitsplätze im Maschinenbau entstanden, wo wir mittlerweile Weltmarktführer sind.“
Schaffen oder vernichten Roboter Arbeitsplätze?
Tatsächlich ist es keinesfalls so klar und eindeutig, dass Roboter Arbeitsplätze ersatzlos vernichten werden, wie es Kritiker der Automatisierung immer wieder anführen. Statistiker und Forscher streiten sich heute noch darüber, wie sich die Automatisierung in Zukunft auf die Arbeitsplätze auswirken wird. Die vielzitierte Frey/Osborne-Studie prognostiziert große Arbeitsplatzverluste, das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung sieht es differenzierter und erwartet mehr Arbeitsplatzverlagerungen als Totalverluste. Letzteres entspricht auch am ehesten der Position des Unternehmers Brantner und des Managers Brady. Und Unternehmen wie Amazon können schon heute belegen, dass einerseits Arbeitsplätze verändert und verbessert, aber andererseits auch Arbeitsplätze in der Robotik-Branche geschaffen werden können.
Im konkreten Fall der Logistikbranche gibt es eine komplexe Antwort auf die einfache Frage nach den Arbeitsplätzen. Werden die 750 Mitarbeiter des robotergestützten US-Logistikzentrums mit einer Fläche von 100.000 Quadratmetern in DuPont, mit den durchschnittlich 1750 Mitarbeitern in den vier deutschen Logistikzentren in ähnlicher Größe in Koblenz, Pforzheim, Rheinberg und Graben verglichen – scheinen weniger Mitarbeiter im Einsatz zu sein. Dann folgt ein Blick auf das neue Logistikzentrum in Winsen, das ebenfalls auf Roboter setzen wird, aber bereits im Jahr der Eröffnung mit nur 64.000 Quadratmetern schon mit 1.000 Mitarbeitern rechnet. In allen Fällen handelt es sich jeweils um festangestellte Vollzeit-Mitarbeiter. Die größere Effizienz der robotergestützten Logistikzentren führt also im Endausbaustadium wirklich zu einer steigenden Anzahl an Mitarbeitern, selbst im direkten Vergleich mit den „normalen“ Logistikzentren.„Die Forschung streitet sich über die Auswirkungen der Automatisierung bis Heute“
Fazit: Ohne Roboter kann das Wachstum des Onlinehandels gar nicht mehr bewältigt werden
Dass die größere Effizienz der robotergestützten Logistikzentren eventuell zu weniger Neueröffnungen von Logistikzentren führen könnte, wäre eine mögliche Entwicklung. Sprich, durch die Automatisierung könnte das Wachstum des gesamten Arbeitsmarktes in diesem Zweig der Logistikbranche verlangsamt werden. Bestehende Arbeitsplätze werden zwar nicht vernichtet, sondern verlagert – dafür könnten zukünftig aber weniger neue Arbeitsplätze entstehen, als theoretisch in einer Logistikwelt ohne Roboter entstehen könnten.
Dass das exponentielle Wachstum des Arbeitsmarktes in der Logistikbranche in mittlerer bis fernerer Zukunft zur Verlangsamung kommen könnte, dürfte eher ein Segen als ein Fluch sein. Denn der Branche gehen in Windeseile die Arbeitskräfte aus. Mathias Krage, der Präsident des mächtigen Deutschen Speditions- und Logistikverbandes, äußerte sich gegenüber N24 kürzlich in drastischen Worten. Krage betonte, dass die Branche am Limit arbeiten würde, was die Suche nach Arbeitskräften betreffe. Auch der verzweifelte Griff nach Flüchtlingen, in der Hoffnung auf eine schnelle Abhilfe, hat den Logistikunternehmen keine Entlastung gebracht.„Der Logistikbranche gehen in Windeseile die Arbeitskräfte aus“
In Wirklichkeit werden also durch Roboter in der Logistik-Branche keine Arbeitsplätze vernichtet. Sondern die Logistik-Branche und der Handel wird nur durch Roboter vor dem Absaufen im extremen Wachstum des Onlinehandels bewahrt. Was gleichzeitig verhindern wird, dass das Wachstum auf den Rücken der Logistikmitarbeiter ausgetragen wird – die immer mehr leisten müssten, um immer mehr Pakete aus den Lagern zu bekommen.
Der Logistikroboter ist kein Sinnbild des Endkampfes Mensch gegen Maschine, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit.
Automatisierung und Arbeitsplätze: Warum wir die Schuld nicht bei Technologien suchen, oder gar protektionistisch alte Berufe erhalten sollten, könnt ihr in meiner Kolumne im t3n Magazin Nr. 46 nachlesen.
Interessant und gleichzeitig erschreckend diese Dimensionen :-)
Sehr interessanter Beitrag über die Hintergründe von Amazon! Ich finde es so faszinierend, wie Technologie unsere Arbeit beeinflusst und noch beeinflussen wird. Diese Zusammenarbeit zwischen Roboter und Mitarbeiter wird auf jeden Fall produktiv und effizient sein. Danke!
Mega cool, dass Amazon Roboter einsetzt, die dann wie mobile Palettenregale die Ware von A nach B transportieren können. Davon sollte sich so manch anderes Unternehmen mal eine Scheibe abschneiden. Es sollte allerdings noch optimiert werden, dass die entsprechenden Regale nicht von Hand gepackt werden müssen.