Wer hat Angst vor der neuen digitalen Medizin?

Vor wenigen Tagen hat Alphabet den Launch eines neuen Spin-offs namens Isomporhic Labs bekannt gegeben, mit dem künftig mittels KI neue Medikamente entwickelt werden sollen. Muss man davor Angst haben? Diese Woche stand für mich unter dem Stern der Gesundheit. Angesichts der rapide steigenden Coronazahlen ging es uns aber wohl allen so. Bald soll in Büros für Arbeitnehmer:innen 3G gelten und auch neue Kontaktbeschränkungen drohen. Müde, dunkel, kalt – und dann auch noch Einsamkeit? Brrr. Wir machen es uns also mal wieder im Homeoffice bequem. Doch die Remote-Arbeit kann an die Substanz gehen, wie eine diese Woche veröffentlichte Studie gezeigt hat: Jede:r Dritte soll psychisch an den Folgen der Heimarbeit leiden, jede:r Zehnte sogar sehr. Gleichzeitig sind Hilfsangebote knapp. 22 Wochen warten Betroffene im Schnitt auf einen Therapieplatz, also mehr als fünf Monate. Viel Zeit, wenn die Hilfe akut benötigt wird. Therapie per App Eine Gruppe reichweitenstarker Menschen setzt sich daher aktuell für mehr Therapieplätze für psychisch Erkrankte ein. Mehr als 80.000 Unterschriften konnte die an Karl Lauterbach und andere Politiker:innen gerichtete Petition inzwischen erreichen. Eine gute Initiative, doch bis aus der Forderung Realität wird, können Monate, wenn nicht Jahre vergehen – und dafür muss es überhaupt zunächst zu einem Beschluss kommen. Schnelle Hilfe bei Gesundheitsfragen bieten sogenannte Apps auf Rezept, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) also, die man von der Kasse bei entsprechender Symptomatik verschrieben bekommen kann. Der Katalog an DiGAs ist inzwischen groß und reicht von Anwendungen gegen Tinnitus über Schlafstörungen bis hin zur Stressprävention – und umfasst eben auch Anwendungen zur Therapie bei psychischen Erkrankungen. Um eine DiGA nutzen zu können, muss man noch nicht einmal das Haus verlassen, denn die Verschreibung kann digital über eine:n Teledoktor:in passieren. Doch kann eine DiGA wirklich eine:n Therapeut:in ersetzen? Coaching via Chatbot Eine ähnliche Frage stellte sich mir beim Thema Coaching. Kann digitales Coaching per App funktionieren? Pocketcoach aus dem Schwarzwald sagt ja. Die Gründer:innen feilten mehr als zehn Jahre an ihrem Programm und bieten heute Lebens- und Karriere-Coaching per Chatbot an. Mit Xing konnten die beiden einen namhaften Sponsor für ihre Tools gewinnen. [caption id="attachment_1426302" align="aligncenter" width="620"] Coaching per Chatbot – kann das funktionieren? (Bild: Pocketcoach)[/caption] Der Vorteil von Pocketcoach sei die Effizienz, erklärten die beiden Gründer:innen im Gespräch. Durch ihre App könnten Nutzer:innen auf eigene Faust schnell Klarheit über ihre Coaching-Thematik gewinnen. Die Anfangsphase, in der das Kennenlernen und die Analyse stattfinden, könnte so verkürzt werden – was nicht nur Zeit spart, sondern auch Kosten für die Nutzer:innen. Später könne dann bei Bedarf ein „echter“ Coach hinzugebucht werden. Das sei kein Muss, würde aber Sinn machen, so der Gründer Oliver Fritsch: „Es hilft total, nach der Analyse auch mit jemandem persönlich zu sprechen, selbst wenn es nur für eine halbe Stunde ist.“ Pocketcoach ist überzeugt: Das Coaching der Zukunft ist hybrid. Forschung durch KI Last but not least habe ich mich diese Woche mit dem neuen Alphabet Projekt Isomorphic Labs beschäftigt, das sich unter der Leitung von Deepmind-Gründer Demis Hassabis auf die KI-basierte Erforschung neuer Medikamente spezialisieren wird. Deepmind war bislang in erster Linie durch sein KI-Programm Alphago bekannt, das es schaffte, die größten menschlichen Schach- und Go-Spieler zu schlagen. Der Sieg von Alphago gegen Go-Großmeister Lee Sedol war 2016 eine Sensation – und ein Meilenstein im Bereich der künstlichen Intelligenz. 2020 schaffte Deepmind einen neuen Wendepunkt, diesmal in der medizinischen Forschung mit Alphafold. Diesmal ging es nicht um Spiele, sondern um Proteine; um genau zu sein um deren Faltung. Durch die Nutzung künstlicher Intelligenz konnte Alphafold die Struktur von Proteinen im menschlichen Körper erstmals mit nahezu perfekter Genauigkeit vorhersagen – und damit eine der bis dato größten Herausforderungen der Biologie lösen. Von „Wendepunkt in der Forschung“ war die Rede, ein Max-Planck-Wissenschaftler nannte den Erfolg einen „Game-Changer“. Eine neue digitale Medizin Kennt man diese Vorgeschichte von Deepmind, ist der Launch von Isomorphic Labs keine kleine Neuigkeit. Um nicht zu sagen: eine große, kann er doch den Wendepunkt markieren auf dem Weg in eine neue Ära der biologischen und medizinischen Forschung, den Aufbruch in die digitale Biologie. [twitter 1456283985554939907] Muss man davor Angst haben? Vielleicht ein bisschen. Ein gewisser Respekt vor den Möglichkeiten des maschinellen Lernens ist sicherlich angebracht. Es beruhigt ein wenig, dass zusammen mit den Fortschritten im KI-Bereich parallel entsprechende Sicherheitsmaßnahmen mitgedacht werden. Im Medizinbereich passiert das beispielsweise bereits am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme (IKS). Von Artificial zu Augmented Intelligence Ich sehe in der Entwicklung von maschinellem Lernen und KI jedenfalls viele Chancen im Alltag und in der Forschung und wünsche mir, dass wir künftig die neuen digitalen Möglichkeiten als Ergänzung unserer eigenen Intelligenz nutzen werden, statt sie als Bedrohung zu sehen. Durch KI werden wir bessere, da datenbasierte Fragen stellen können, die frei sind von unseren eigenen Biases, was wiederum zu spannenden Möglichkeiten für eine neue Generation von Unternehmer:innen, Coaches, Ärzt:innen und Forscher:innen führt. So können wir durch die Artificial Intelligence eine Augmented Intelligence erreichen. Und das klingt doch gar nicht so unheimlich.