Du arbeitest zu viel. Ja – genau du! Du hast deine Arbeitszeit, vielleicht machst du Überstunden, vielleicht auch nicht. Der entscheidende Punkt ist: Du arbeitest sicherlich mehr, als du arbeiten solltest. Zu viel Arbeit ist ineffizient. Sie verhindert, dass Menschen die Welt sehen, für die sie ihre Arbeit machen. Sie verhindert, dass Menschen jene Menschen kennenlernen, für die sie ihre Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Und sie verhindert gute Ideen. Das ist gefährlich. Wer heute erwerbstätig ist, ist mit einem Ideal der Arbeitszeit aufgewachsen:
- Viel ist gut.
- Mehr ist besser.
- Zu viel ist ein Beweis der Leistungsfähigkeit.
Herzlichen Glückwunsch zu dieser Fehlsozialisierung. Diese Annahmen sind feste Glaubenssätze unserer Gesellschaft. Doch sie sind auf einer sachlichen Ebene falsch. Mehr Arbeitszeit führt weder zu besseren Ergebnissen noch zu mehr qualifizierten Ergebnissen. Im Gegenteil: Der Quatsch der letzten unproduktiven Stunde muss am nächsten Tag korrigiert werden – wenn er denn überhaupt auffällt. Mehr Arbeitszeit führt so einfach nur zu mehr Arbeitszeit. Und mehr Arbeit führt zu mehr Arbeit.
Arbeit und Zeit sind ein Optimierungsproblem
Da hilft es auch nicht, in die eigene Leistungsfähigkeit zu investieren, um das Arbeitsleben überhaupt auszuhalten. Denn die Leistungsfähigkeit ist immer endlich. Während Menschen also mit Selbstoptimierung zu mehr Leistung kommen wollen, marschieren sie strammen Schrittes in die völlig falsche Richtung: Länger durchhalten macht uns nicht besser. Länger durchhalten verkürzt nur unsere Freizeit und beschränkt die Kreativität. Hier kommt der nerdige Teil:
Arbeitszeit und Arbeitsleistung können als Optimierungsproblem betrachtet werden. Die Mathematik würde dann fragen: Bei welcher Arbeitszeit entsteht die maximale Leistung pro Arbeitsstunde? Und ab welcher weiteren Arbeitsstunde lohnt es sich nicht mehr, weiter Zeit zu investieren, weil der Ertrag zu gering ist – oder sogar negativ wird? In letzterem Fall wären die Opportunitätskosten höher: Würde die Person, die die Arbeit ausführt, stattdessen etwas anderes machen, wäre das Ergebnis besser, als wenn sie weiterarbeitet.
Soweit zur Theorie. Mit diesen Grundlagen kannst du deine eigene Arbeitszeit analysieren: Wann bist du richtig gut?
Für viele Menschen in vielen Berufen wird das nicht jene letzte Stunde am Abend sein, die sie sich noch rauspressen, weil sie gefühlt sein muss. Es werden auch nicht jene Tage sein, an denen sie sich nicht trauen, schneller oder effizienter zu arbeiten, weil die unterschwellige Angst mitschwingt, dass „früher fertig“ gleichzusetzen ist mit „mehr Druck am nächsten Tag“. Die Angst um eine zu hohe Arbeitsbelastung ist durchaus realistisch. Ein Blick in die Kommentarspalten der Business-Netzwerke zeigt uns die harte Wahrheit vieler Unternehmen: Einige Führungskräfte stellen sich noch immer vor, ihre Angestellten seien sich selbst wartende Roboter, bei denen Zeit gleichzusetzen ist mit Output.
Mehr Arbeit – weniger Zeit
In der heutigen Zeit ist es in vielen – nicht in allen – Jobs ganz normal, dass die aktive Schaffenszeit weniger wird. Wessen Job es ist, Informationen zu beschaffen, der kann das heute einfacher als jemals zuvor. Wessen Job es ist, zu kommunizieren, der tut dies heute schneller als jemals zuvor. Auch Jobs, die es schon lange gibt, werden vielfach durch die Digitalisierung schneller und effizienter erledigt. Das spart potenziell Arbeitszeit.
In der Regel kompensieren wir die verbesserte Geschwindigkeit mit mehr Arbeitsvolumen. Das ist auch gar nicht doof – es ist schön, dass wir in einer Zeit leben, in der wir viel schaffen. Ich schaffe gern viel. Und ich freue mich, dass ich nicht für jeden wissenschaftlichen Bezug in die Bibliothek rennen muss. Effizient arbeiten ist großartig. Wie immer gibt’s jedoch ein Aber.
Weniger arbeiten muss man aushalten
Das gängige Argument gegen effizienteres Arbeiten lautet: Dann werden Stellen eingespart. Mit dem Ergebnis, dass eine Person dann die Aufgaben von mehreren erledigen muss und dabei unter Druck gerät, weil er oder sie zu viele Prozesse gleichzeitig verwalten muss – während die wegrationalisierten sich neue Jobs suchen müssen.
Nichts an diesem Szenario ist schön. Klug ist es auch nicht, denn der Schlüssel zu hochwertiger Arbeit liegt nicht nur in der Zeit, sondern auch in den genannten Prozessen: Natürlich kann eine Person die Arbeit von vielen erledigen. Folgende Dinge werden dann passieren:
1. Die Person wird zwangsläufig Fehler machen, weil zu viele unterschiedliche Vorgänge zunehmend schwer verwaltet werden können. Da hilft es auch nicht, sich selbst abzuhärten, weiterzubilden oder zu mehr Leistung anzutreiben. Es gibt natürliche Grenzen. Die können wir ein Stück weit verschieben, wir können sie aber nicht aufheben.
2. Die Person (oder die kleinere Gruppe von Angestellten) wird schwer ersetzbar. Ist ein Team-Mitglied krank, ist die Arbeit plötzlich nicht mehr schaffbar – das Teamergebnis leidet und die Stimmung sowieso.
Diese beiden Aspekte sehen wir momentan in der Arbeitswelt. Sie sind die Folge kurzsichtiger Führung auf der Seite des Unternehmens und fehlenden Ressourcen für Gestaltung auf der Seite der Arbeitenden. Das Prinzip der Eigenverantwortung kann nicht angewendet werden, wenn kein Raum für sie bleibt.
Menschen leiden unter Stress, Burnout-Erkrankungen werden häufiger. Gleichzeitig verschärfen sich soziale Konflikte am Arbeitsplatz, weil – zum Beispiel – Kinderlose sich unter Druck gesetzt fühlen, die Arbeit ihrer Eltern-Kolleginnen und -Kollegen aufzufangen, wenn diese kurzfristig ausfallen. Die wiederum müssen es schaffen, gleichzeitig der Firma und ihren Familien zur Verfügung zu stehen, weil das Expertinnen- und Expertenwissen vom Bett eines fiebernden Kindes aus gesendet werden muss.
Diese Folge zu verhindern, treibt Menschen in die Fake Work. Sie arbeiten langsam, sie arbeiten bewusst ineffizient und sie vertreiben sich die Zeit mit Dingen, die wie Arbeit aussehen, aber keine sind.
- sinnlose Meetings,
- halbherzige Recherchen und
- Listen,
- Listen,
- Listen.
Q.e.d., Burnout meets Boreout, denn diese Prozesse sind anstrengend und zermürbend öde gleichzeitig. Aber weiter im Text:
3. Die wirklich großen Ideen, die ein Unternehmen voranbringen, die werden nicht mehr verfolgt. Wahrscheinlich kommen sie noch nicht einmal auf, weil niemand mehr Zeit hat, über sie nachzudenken.
Deshalb ist es so wichtig, dass sowohl Führungskräfte als auch Angestellte es aushalten, dass viele Menschen ihre Arbeit in weniger Zeit schaffen, als sie eigentlich zur Verfügung haben.
Großes entsteht dann, wenn Menschen die Kapazität haben, Großes zu denken. Und dafür brauchen sie Zeit. Zeit mit Produktivität zu füllen, war in früheren Jahrhunderten ein Mittel, Menschen davon abzuhalten, auf verrückte Ideen zu kommen. Heute sind verrückte Ideen das Einzige, das Unternehmen vor dem Untergang retten wird. Sie sollten sich trauen, die Zeit dafür zu geben.
Der Artikel spricht mir aus der Seele. Auch in vermeintlich progressiven Branchen werden „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ organisiert. Unter dem Deckmantel von Meetings und Projektmanagement-Tools wird die eigene Nutzlosigkeit kaschiert und „echter“ Fortschritt aufgeschoben oder im schlimmsten Fall verhindert. Die heutigen Powerpoint-Schlachten und 6-Stunden Strategie-Meetings sind Symptome der gleichen Krankheit.
Und vor allem sollte die Arbeit Spaß machen, sodass es „keine“ Arbeit mehr ist, das ergänzt mit Vielfalt und Platz für Kreativität. Produktiv arbeiten ist unmöglich, wenn einen die Arbeit ankotzt – das scheint bei vielen aber der Fall zu sein, weshalb dann natürlich nichts dabei rumkommt.
Ich fürchte mittlerweile aber auch ein bisschen, sehr viele wollen das auch so. Wollen sich rumschubsen lassen, Stress haben bis zum Abwinken und unproduktiv arbeiten. Weil wenn wir ehrlich sind, die wenigsten Unternehmen/Arbeitsplätze etc. werden etwas daran ändern, vielleicht ein paar von hier und einige aus dem Silicon Valley, die es verstanden haben (oder vermeintlich so tun). Am Ende geht sowas vor allem in kleineren Unternehmen, bei Selbständigen und ähnlichem – aber dafür sind die meisten nicht gemacht.
Erzähle deine absolut richtige, sehr wichtige und über alle
Zweifel vernünftige Analyse mal einem sogn. Arbeitgeber.
Du wirst sehen, dass ein Mitarbeiter mit diesen Ideen keine
Zukunft mehr beim Unternehmen hat.
Das offizielle Ökonomie Mantra kennt als oberstes Gesetz
die Gewinnmaximiereung.
Wenn erkennbar ist, dass Mitarbeiter weiteres Potential
haben, dass sie in Freizeit und in persönliche Aktivität
investieren.
Sorgt der sogn. Arbeitgeber rasch für Abhilfe.