„Augmented Beauty“: So will L’Oréal Beauty ins Metaverse bringen

Der Skin Screen von Lancôme ist nur eine von vielen Tech-Lösungen, die L'Oréal von 15. bis 18. Juni auf der Vivatech präsentiert hat. (Bild: Lancôme)
„Inzwischen sind wir digital first“, sagt Asmita Dubey am 16. Juni im Interview auf der Vivatech, Europas größter Tech-Messe, über L’Oréal. 1909 gegründet hat sich das Unternehmen immer wieder neu erfunden. Dabei hat Dubey selbst eine tragende Rolle gespielt, denn die Managerin ist seit knapp zehn Jahren bei L’Oréal und bekleidet derzeit das Amt des Chief Digital & Marketing Officer bei dem französischen Traditionsunternehmen. Zudem ist sie Mitglied des Executive Committees bei L’Oréal.
Die letzten zehn Jahre hätten bei L’Oréal unter dem Stern der digitalen Transformation gestanden, sagt Dubey. „Bereits 2010 sagte unser damaliger CEO und Chairman: ‚It is the year of digital‘, also der Anfang der Digitalisierung. Mit unserem neuen Fokus haben wir damals eine strategische Wette abgeschlossen“, sagt Dubey.
Seitdem ist viel passiert. 2014 beispielsweise launchte L’Oréal „Makeup Genius“, eine Anwendung, die der globale L’Oréal-Vice-President Guive Balooch heute als Meilenstein für das Beauty-Tech-Unternehmen bezeichnet. Im Interview auf der Vivatech in Paris erklärt er: „Damals, mit dem iPhone 5, gab es noch keine Augmented-Reality-Technologie, die es erlaubte, in Echtzeit Make-up auszuprobieren. Wir haben das geändert, damals noch mit einem Team von sieben Leuten“. Balooch berichtet über 20 Million Downloads und sagt, die App habe die Art, wie Konsument:innen Make-up ausprobieren konnten, revolutioniert.
2018 übernahm L’Oréal als erste Tech-Akquisition das Unternehmen Modiface, das die zugrundeliegende AR-Technologie lieferte. „Mittlerweile wird die Technologie von jeder L’Oréal-Marke, die Make-up anbietet, genutzt. Und auch andere Marken sind nachgezogen. Das virtuelle Anprobieren ist zu einem Industriestandard geworden“, sagt Balooch.
Customer-Engagement als wichtigste KPI
Mit dem Einsatz von Technologie gehe es L’Oréal in erster Linie darum, die Bedürfnisse von Konsument:innen zu befriedigen, um diese auch langfristig an das Unternehmen zu binden. Balooch sagt: „Als Unternehmen darf man nicht den Fehler machen, bei der Technologie anzufangen. Nur weil es eine spannende Technologie gibt, heißt das nicht, dass man sie auch nutzen muss.“ Stattdessen müsse man immer bei den Bedürfnissen der Konsument:innen anfangen und sich dann fragen, wie man diese mittels Technologie lösen kann. Oder auch ohne Technologie. Als wichtigste Business-KPI für L’Oréal sieht Dubey daher das Customer-Engagement.
Für VP Balooch sind es dabei in erster Linie die Services, nicht die Produkte selbst, die durch den Einsatz von Technologie besser würden. Ihm zufolge ist das Erfolgsrezept die Kombination aus „technology & formula“, also Technologie und Produkt. Dubey ergänzt: „Wir nehmen mehr als 100 Jahre an Schönheitsexpertise und kombinieren diese mit neuen Technologien wie AR und VR oder künstlicher Intelligenz.“
Lancôme Skin Screen
Was dabei herauskommt ist beispielsweise das Skin-Screening von Lancôme. Hierbei will L’Oréal seine langjährige Erfahrung im Beauty-Bereich mit AI-Technologie zusammenbringen. Konkret bedeutet das, dass die eigene Haut gescannt und mit einer Datenbank mit mehr als 15.000 Bildern verglichen wird, sodass am Ende laut L’Oréal noch passendere Hautpflege-Empfehlungen gegeben werden können. Die insgesamt 13 Parameter umfassen beispielsweise Falten, Krähenfüßen, Feuchtigkeitsgehalt der Haut oder dunkle Flecken. Das Ganze findet am Point-of-Sale zusammen mit einem oder einer Expert:in statt.

Lancôme Skin Screen. (Bild: L’Oréal / Mario Fourmy)
Lancôme Shade Finder
Auch der Lancôme Shade Finder funktioniert ähnlich. Mit ihm soll man laut L’Oréal seinen perfekt passenden Make-up-Ton finden können. 22.000 verschiedene Töne sollen so gemischt werden können. Im Gegensatz zum Skin Screen kann man das Ganze aber auch alleine per Smartphone machen. Durch eine 360-Grad-Selfie-Video-Technologie werden Ton und Unterton der Haut analysiert, sodass man sein perfektes Produkt finden können soll.
L’Oréal setzt auf Partnerschaften mit Startups, Unternehmen und externen Partner:innen und Kreativen. Diese umfassen beispielsweise das Health-Tech-Unternehmen Sleepscore, das Schweizer Green-Tech-Startup Gjosa, mit dem L’Oréal einen wassersparenden Duschkopf entwickelt hat, oder das Fem-Tech-Unternehmen Clue.
YSL Scent-Station
Auch Emotiv ist Teil des L’Oréal-Universums. Mit dem Tech-Unternehmen aus San Francisco hat L’Oréal die YSL Scent-Station umgesetzt, die ebenfalls auf der Vivatech präsentiert wurde. In der Scent-Station wird den Konsument:innen eine Art Headset aufgesetzt, das verspricht, die Gehirnströme der Konsument:innen zu messen, während diese an verschiedenen Düften schnuppern. So soll mittels Neurotechnologie das Parfüm herausgefunden werden, auf das man laut Analysegerät am besten reagiert.
Balooch erklärt: „Um den richtigen Duft zu finden, muss man heute an Hunderten von Düften riechen. Meine Nase kann aber nur sechs hintereinander wirklich verarbeiten. Man hat also den Druck, eine gute Vorauswahl zu treffen.“ Die Scent-Station soll diese Vorauswahl erleichtern und die gesamte Palette an Düften auf eine Auswahl von drei beschränken. Laut Balooch steht dabei klar der Serviceaspekt im Vordergrund: „Düfte an sich werden sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Aber Konsumemt:innen brauchen Hilfe dabei, den für sie richtigen Duft zu finden. Je mehr Auswahlmöglichkeiten es gibt, desto mehr Guidance benötige ich.“

YSL Scent-Station auf der Vivatech. (Bild: L’Oréal / Mario Fourmy)

YSL Scent-Station. (Bild: L’Oréal)
YSL Rouge Sur Mesure
Kein passender Lippenstift zum Outfit? Kein Problem. Mit dem Lippenstift-Finder von YSL namens „Rouge Sur Mesure“, der zusammen mit dem Partner Perso konzipiert wurde, kann man individuelle Lippenstifttöne kreieren, passend zu Haarfarbe, Hautton, Outfit oder Zoom-Background. Dazu benötigt man das Dreigespann aus App, Farbmixer-Gerät sowie eines der vier „Shade-Sets“ à jeweils drei Kartuschen mit Pinktönen, Nudetönen, Rottönen oder Orangetönen. Das Gerät, das die fertige Farbkombination dann in wenigen Sekunden ausspuckt, kostet 315 Euro. Ein Kartuschenset kostet 94,50 Euro. Aufgetragen wird die Farbe mit einem Pinsel. Für die Farbauffrischung unterwegs kann die Kappe des Farbmixers auch abgenommen und in der Handtasche mitgenommen werden.

Rouge Sur Mesure auf der Vivatech. (Bild: L’Oréal / Mario Fourmy)

Farbmixer Rouge Sur Mesure – die Kappe mit dem fertigen Lippenstiftmix kann abgenommen und mitgenommen werden. (Bild: L’Oréal)

Auf Rotton-Suche: Insa Schniedermeier auf der Vivatech. (Bild: t3n)
Durch die AR-Technologie, mit der der Lippenstift zunächst virtuell aufgetragen wird, sollen bessere Entscheidungen möglich werden, was L’Oréal zufolge auch zu mehr Nachhaltigkeit beitragen soll. Denn man braucht eben nicht mehr 40 verschiedene Lippenstifte, sondern nur ein Gerät mit drei Kartuschen. „This augments my lipstick experience“, sagt Balooch. Soll heißen, es verbessert die Erfahrung beim Aussuchen und Auftragen von Lippenstift.
Next stop: Metaverse
In welche Richtung es bei L’Oréal künftig gehen soll, zeigen die neuesten Kooperationen des Beauty-Konzerns. Es geht in Richtung Metaverse.
Vor kurzem wurde bekannt, dass L’Oréal einen Shop auf der Crypto-Plattform Opensea startet, um seine digitalen Collectibles zu verkaufen. Dabei handelte es sich nicht um irgendeinen Shop, sondern um „den ersten gebrandeten Shop im Beauty-Bereich“, wie Dubey erklärt.
Eine weitere Initiative ist die Kooperation von NYX mit People of Crypto (POC) und The Sandbox zum Pride-Month. Dubey sagt: „NYX will die erste Beauty-DAO im Web3 werden und zunehmend 3D-Künstler:innen und Kreative unterstützen.“ Das erste Projekt gibt es bereits, es heißt Gorjs. „Entsprechend der Werte von Web3 will Gorjs zunehmend mit marginalisierten Gemeinschaften zusammenarbeiten.“ Für Dubey sind die Key-Werte von Web3 das Empowerment der Gemeinschaft sowie die Dezentralisierung.

Für den Start von Gorjs hat sich NYX mit den drei 3D-Künstler:innen @thisiscraves, @smeccea und @curry_tian zusammengetan. Ihre Interpretationen von „beauty in the metaverse“ wurden im Juni auf der Vivatech-Konferenz in Paris gezeigt. (Bild: L’Oréal / @thisiscraves)
Und last but not least hat sich L’Oréal mit Arianee einen spannenden Startup-Partner für die Tokenisierung von Assets und das Erstellen von NFT an Bord geholt.
O plus O plus O
„Wir glauben, dass der Beauty-Bereich künftig physisch, digital und virtuell sein wird. Die Consumer-Journey, die früher nur offline und online war, entwickelt sich weiter und wird zunehmend zu O plus O plus O, also Offline plus Online plus On-chain“, sagt Dubey.
Insbesondere für Kreative bedeute diese Web3-Welt neue Möglichkeiten. „The creator economy is at a tipping point“, sagt Dubey. Es habe zwar auch bisher Creators auf den sozialen Netzwerken wie Instagram, Tiktok oder Facebook gegeben, aber bislang sei eben alles plattformbasiert gewesen. Web3 bedeute eine neue Freiheit und so ein neues „Creator-Empowerment“ durch neue Kompensationsmodelle. Und: Man würde zunehmend einen Wandel von 2D zu 3D erleben.
Balooch sieht die zunehmende Dezentralisierung durch das Web3 als „Opportunity“, um Leadership durch Innovation zu zeigen. „Online wird weitergehen. Offline wird weitergehen. Aber wir werden eine neue, zusätzliche Art haben, um Schönheit erlebbar zu machen, die auf Gemeinschaft, neuen Welten und Möglichkeiten beruht“, sagt er. Und er ergänzt: „Die letzten zehn Jahre in der Schönheitsbranche waren aufregender als die letzten 100 Jahre zusammen. Und so wird es auch in den nächsten zehn Jahren sein.“
Augmented Beauty
Auf der nächsten CES will L’Oréal ihren neuesten Coup vorstellen: Eine neue Art der Make-up-Applikation, präziser als die eigenen Finger oder Pinsel. „Heute hat man nur seine Finger und seine Hände, um Make-up aufzutragen“, sagt Balooch und deutet mit den Händen an, dass er Augen-Make-up meint. Wie gut das Ergebnis werde, hänge dabei aktuell von den eigenen Fingerfertigkeiten ab. „In naher Zukunft werden wir dank der Technologie unsere Hände quasi erweitern können, um Ergebnisse zu erzielen, die wir mit unseren bloßen Fingern allein nicht erreichen könnten. Wir bezeichnen das als Augmented Beauty“, sagt Balooch. Dabei könne man sich viele Anwendungen vorstellen, von Make-up über Hautpflege bis zu Haar-Produkten. „Stell dir vor, deine Finger können Dinge tun, die sie vorher nicht tun konnten.“ Mehr darf er aktuell noch nicht verraten.