Die Bahn zahlte im vergangenen Jahr rund 54 Millionen Euro an Verspätungserstattungen. Geregelt ist dies in den Fahrgastrechten, die vorsehen, dass der Kunde bei einer Verspätung von mehr als einer Stunde 25 Prozent des Ticketpreises erstattet bekommt, bei zwei Stunden sind es 50 Prozent. 2017 waren es noch knapp 35 Millionen Euro, die sich die Bahnkunden erstatten ließen. Insgesamt füllten 2,7 Millionen Bahnnutzer einen Erstattungsantrag aus – rund ein Drittel mehr als im Vorjahr. Zurückgezahlt wurden im Schnitt rund 20 Euro. Es lohnt sich also durchaus, sein Recht einzufordern.
Dabei dürfte es eine hohe Dunkelziffer geben, weil die Deutsche Bahn es immer noch nicht schafft oder schaffen will, den Erstattungsprozess in einen für den Kunden leicht zu handhabenden digitalen Prozess umzuwandeln. Verteilt werden dagegen Erstattungsscheine aus Papier, die der Kunde dann per Post an eine zentrale Stelle senden muss oder mit denen er sich an einem Fahrkartenschalter das Geld erstatten lassen kann. Dabei gibt es eine Vielzahl von Begründungen, die im Zweifelsfall dazu führen, dass der Bahnkunde trotz Verspätung leer ausgeht. Dass gerade weniger juristisch gebildete Kunden hier oftmals nicht beurteilen können, ob die Erklärung der Bahn eine Ausrede oder gerechtfertigt ist, macht die Sache noch komplizierter. Das Kalkül dahinter: Je komplizierter es ist, desto mehr werden die Kunden die Sache vergessen oder den Aufwand scheuen. Und in der Tat dürfte es einige Kunden geben, denen – Recht hin, Ärger her – ihre Zeit dafür zu schade ist.
Ticketerstattungen der Bahn eignen sich für Legaltech-Startups
Doch es gibt inzwischen eine Vielzahl von Diensten, die dem Kunden dabei helfen sollen, an sein gutes Recht zu kommen. Das System ist dabei immer ähnlich: Der Kunde gibt an, ob er die Fahrt ganz oder teilweise angetreten hat, ob es sich um eine Umsteigeverbindung handelt und um welche Ticketvariante. Meist wird dann noch der genaue Verkehrsweg abgefragt und teilweise auch Gründe, warum eine Verspätung zustande kam, soweit die Bahn dies mitgeteilt hat. Am Schluss lädt der Kunde sein Ticket hoch.
Die Geschäftsmodelle hinter den Diensten sind unterschiedlich: Zug-Erstattung.de leitet die gesamte Erstattung an den Kunden weiter. Eine Gebühr in Höhe von 99 Cent pro Antrag deckt die Kosten, wobei jährlich ein Antrag kostenlos gestellt werden kann. Dafür dauert die Abwicklung zwischen vier und acht Wochen. Robin Zug hat sich dagegen auf die Ansprüche von Pendlern und Zeitkarteninhabern, die regelmäßig dieselbe Strecke fahren, spezialisiert. Zwar ist hier die Erstattung in absoluten Zahlen meist niedriger als beim Einzelticket, aber es lohnt sich für den Kunden aufgrund der Regelmäßigkeit von Verspätungen, sein Ticket einzureichen. Die ersten drei Fälle werden hier kostenlos bearbeitet, weitere Fälle kosten 69 Cent (Nahverkehr) oder 99 Cent (Fernverkehrsticket).
Mit Wartezeit oder lieber das schnelle Geld?
Wer sich mit einem kleineren Betrag zufrieden geben will, kann auf Bahn Buddy setzen. Ähnlich wie diverse Flugerstattungsportale kauft das Startup aus Düsseldorf die Fahrkarte quasi an und erstattet im Gegenzug einen bestimmten Betrag. Der werde mit Algorithmen ausgerechnet und richte sich beispielsweise nach der Wahrscheinlichkeit, mit der die Bahn die Reklamation beziehungsweise den Erstattungswunsch ablehnen könnte. Im Gegenzug muss der Kunde nicht wie bei anderen Startups zwischen sechs Wochen und drei Monate auf Antwort der Bahn warten. Die Daten, die die Startups verwenden, um die Zuglauf zu rekonstruieren, stammen übrigens in allen Fällen von der Bahn selbst, die aufgrund einer EU-Verordnung zu dieser Auskunft verpflichtet ist.
Etwas individueller arbeitet Refundrebel aus Heidelberg. Das Startup, das seit rund einem Jahr am Markt ist, verlässt sich nicht auf das Fahrgastrechteformular, sondern geht die Bahn individuell an, eignet sich dadurch auch für etwas kompliziertere Fälle, die es ja bei Zugverspätungen durchaus auch gibt. Es holt so auch Entschädigungen etwa für Taxi, Hotel oder andere Besonderheiten raus, die einige der anderen Unternehmen nicht versprechen oder abdecken. Zudem werden auch andere Bahnunternehmen, etwa Flixtrain, von Refundrebel angegangen – hier sieht Gründer Stefan Nitz derzeit einen steigenden Bedarf. Diese etwas individuellere Herangehensweise kann länger dauern – noch habe man kein pauschales Ankaufsmodell am Start, obwohl das Unternehmen in der Tat über eine Inkassolizenz verfügt. Immerhin bekommt der Kunde aber gleich nach Beantwortung einiger Fragen ein entsprechendes Angebot, was für ihn zu holen ist und was der Service kosten soll.
Darüber hinaus gibt es noch Lametrain, einen neuen Anbieter am Markt, der bis 28. Februar noch kostenlos arbeitet. Auch Lametrain verspricht die Erstattung bereits binnen 48 Stunden, kauft also ebenfalls die Forderung an. Der Nachteil bei Bahnbuddy und Lametrain: Der Kunde hat weniger Kostentransparenz, erfährt erst nach Angabe sämtlicher Daten, in welcher Höhe er mit einer Erstattung rechnen kann und was ihn das (im Falle von Lametrain nach Ende der Startphase ab März) kosten wird.
Verspätungen bei der Bahn dürften ein lukrativer Markt bleiben
Die für eine umgrenzte Serviceleistung wie die Bahnticketerstattung durchaus große Zahl an Startups zeigt, dass es hier einen Markt gibt, der gut durch Legaltechs abzudecken ist: Die Fälle sind mehr oder minder standardisiert zu bearbeiten, mit der Einarbeitung kann das Unternehmen einen hohen Grad an Effizienz erreichen und es gibt (nicht zuletzt) eine große Fallzahl, die den Startups ihr Überleben sichern könnte.
Und noch eine Zahl ist spannend: Künftig könnte es für die Bahn noch teurer werden, wenn es nach dem Willen der Europäischen Union geht. Die fordert nämlich, dass bereits nach einer Stunde Verspätung die Hälfte des Fahrpreises fällig wird, nach 90 Minuten drei Viertel des Fahrpreises, nach zwei Stunden der gesamte Fahrpreis. Spätestens dann wird die Bahn mit ihrer aktuellen Verspätungsquote ein echtes Problem bekommen – und der Kunde auf sein Recht auf Erstattung pochen.
In anderen Ländern, etwa bei einigen Bahngesellschaften in Großbritannien, erfolgt die Erstattung übrigens automatisch anhand des gebuchten Tickets. Das ist insbesondere bei zuggebundenen Fahrkarten gar kein Problem, aber auch bei Flextickets könnte das in vielen Fällen anhand der Zuordnung zur Fahrkartenkontrolle erfolgen, wenn diese per App erfolgt oder sich der Kunde persönlich eincheckt.
…das dürfte kein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell sein: https://www.welt.de/wirtschaft/article189008969/Verspaetungen-Deutsche-Bahn-schafft-bald-Fahrgastrechte-Formular-ab.html