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Kolumne

Rezepte gehören in die Küche – Warum Best Practice alles nur noch schlimmer macht

Wenn ein Problem auftaucht, orientieren sich Unternehmen gern an Musterlösungen. Best Practice heißt das Zauberwort. Warum das nach hinten losgeht.

Von Alexandra Vollmer
5 Min.
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Eben nicht identisch: Sobald Menschen im Spiel sind, lassen sich Lösungen nicht übertragen.(Foto: NeonShot/Shutterstock)

Krisensitzung. Das Managementteam ist besorgt. Denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: „Wir wachsen langsamer als der Markt“, eröffnet der Chef die Sitzung. Das ruft die üblichen Fragen auf den Plan: Woran könnte es liegen? Wie kriegt das Unternehmen die Kurve? Wie können sie auf den Wachstumszug aufspringen? Ganz schnell kommt jetzt ein Schwenk in die Diskussion: „Ja, wie machen es denn andere?“

Siegen lernen?

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Gemeinsam picken sie sich vergleichbare Unternehmen heraus, bei denen es richtig brummt. Die genau den gewünschten Dreh zum Wachstumskurs geschafft haben. Die müssen doch irgendwas richtig machen! Und schnell ist die Idee auf dem Tisch: „Wir schauen uns vor Ort an, wie die das gemacht haben.“

Schnell ist ein Reiseteam zusammengestellt. Die Truppe bricht auf zum Ort der Glückseligkeit. Sie forscht. Sie lässt sich alles ganz genau erklären. Wie war die Ausgangssituation? Welche Maßnahmen hat man ergriffen? Zu welchen Ergebnissen ist man jeweils gelangt? Und mit einem großen Koffer voll Wissen kommen die Forscher dann zurück ins heimatliche Unternehmen. Sie erklären. Sie zeigen. Sie versprechen. Und sie appellieren an die Mannschaft, sich ins Zeug zu legen.

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Die Saat ist in der Erde. Jetzt sollten die Früchte doch nur so sprießen, oder? Doch nichts passiert. Nichts sprießt. Im Gegenteil. Mit dem Unternehmen geht es weiter bergab. Und dabei hat man sogar noch Fahrt aufgenommen. Das Management ist in Alarmstimmung.

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Die Schuldigen sind schnell ausgemacht: Die Mitarbeiter ziehen noch nicht mit. Meine Güte, jetzt hat man ihnen das doch schon mundgerecht vorbereitet. Sie müssen doch nur noch umsetzen! Na schön, dann gibt’s eben noch eine Extra-Hilfestellung. Der Change-Berater kommt ins Haus und packt seinen Instrumentenkoffer aus: Workshops und Rollenspiele nach allen Regeln der Kunst. Als die gesamte „Change-Munition“ abgefeuert ist – was bleibt? Ein paar Rauchwolken. Mehr nicht. Wachstumskurs? Licht am Ende des Tunnels? Fehlanzeige. Die Prozesse haben sich keineswegs verbessert. Im Gegenteil. Und irgendwo zwischen der flammenden Rede des Chefs und dem Vertriebs-Rollenspiel ist auch das letzte Fünkchen Motivation verloren gegangen. Woran liegt es denn, verdammt noch mal? Warum greift die Lösung nicht?

Bilder lassen sich kopieren. Menschen nicht.

Best Practice basiert auf der Idee des One Best Way. „Das sitzt tief in uns drin und folgt unserer eingeübten mechanistischen Sicht auf die Welt“, so Mark Poppenborg, Gründer und Geschäftsführer von intrinsify.me, einem Netzwerk für neues Arbeiten und Führen. Für jedes Problem gäbe es genau eine beste Lösung. Diese müsse man  einfach nur finden und damit das Problem aus der Welt schaffen. „Warum also nicht jemanden suchen, der eine Musterlösung in petto hat, weil er genau dein Problem auch schon hatte“, erklärt Poppenborg das Verhaltensmuster vieler Unternehmen.

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Wenn das Unternehmen dann mit der Umsetzung der Musterlösung startet, stößt es intern auf ganz viel Gegenwehr. Und nachher ist alles noch viel schlimmer als vorher. Enttäuschungen auf allen Seiten. Change-Schulungen helfen da nicht weiter. Denn das Problem sind eben nicht die Mitarbeiter. Nein. Es liegt ganz woanders. „Es liegt daran, dass es für viele aktuelle Probleme gar keine „beste Lösung“ gibt. Unternehmen müssen vielmehr auf ihre ureigene Lösung selbst kommen. Sonst passt es nicht“, so der intrinsify.me-Kopf.

Dabei ist das Streben nach dem One Best Way nicht per se schlecht. „Es funktioniert immer dann, wenn es um ein Problem geht, das immer und immer wieder exakt so vorkommt. Ein Problem, bei dem die Einflussfaktoren ganz genau bekannt sind“, so Poppenborg.

Viele Prozesse der Buchhaltung beispielsweise ließen sich ganz entspannt von einem anderen Unternehmen abschauen. Oder den Bohr- und Drehprozess bei bestimmten Achsteilen. Oder das Lagerkonzept für C-Teile in einer Montage.

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„Dort, wo das menschliche Talent eine große Rolle spielt. Dort, wo du Können statt Wissen brauchst, um dein Problem zu lösen – genau da hört die Kopierfähigkeit auf. Genau da ist Best Practice wirkungslos, zumeist sogar gefährlich“, warnt Poppenborg.

Die Krux mit der Konstruktion

Ein totaler Griff in die Illusionskiste wird es, wenn es nicht nur um die Lösung eines konkreten Problems geht, sondern um die grundsätzliche Veränderungsfähigkeit eines Unternehmens. Darum, wie diese oder jene Kurve zu nehmen ist. „Wie habt ihr denn den Change geschafft“, ist eine häufige Frage, die Unternehmen in diesem Zusammenhang stellen.

„Die Neugierde ist sehr verständlich, aber überhaupt nicht zielführend. Denn die Antwort ist komplett wertlos“, ist Poppenborg überzeugt . Denn jetzt würde das befragte Unternehmen anfangen zu konstruieren. Das heißt, es wird in diesem Augenblick – also erst im Nachhinein – seine Geschichte bauen. Es wird kausale Zusammenhänge erfinden, um die Story nachvollziehbar und glaubwürdig zu machen: „Weil wir so und so vorgegangen sind, haben wir das und das Ergebnis erzielt. Strategie F hat uns definitiv zum Sieg verholfen.“

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Ha, wer weiß? Fast jeder Erzähler wird Opfer dieser sogenannten narrativen Verzerrung. Er konstruiert eine Geschichte aus einer Aneinanderreihung von Ereignissen, die aber überhaupt keine kausale Verbindung haben müssen.

Ausschließen und Aushalten

„Wenn Unternehmen das begriffen haben – wenn sie akzeptieren, dass Kopieren in den allermeisten Fällen keine Option ist – dann haben sie die Chance, einen viel aussichtsreicheren Weg zu gehen: Nämlich zunächst einmal festlegen, was sie gerade nicht machen wollen“, stellt Poppenborg in Aussicht. Mit einem solchen Ausschlussverfahren sei der grobe Rahmen schon einmal gesteckt. Auf dieser Basis ließen sich sehr schnell Entscheidungen treffen. Und zwar situativ. Wenn alle das Gefühl haben, rechts abbiegen wäre im Moment absolut dran, dann biegt man halt rechts ab. Auch wenn am Reißbrett vielleicht „noch 300 Meter geradeaus und dann links“ vorgegeben ist.

Dieses intuitive, scheinbar komplett unbegründete Vorgehen fühlt sich für uns oft ganz schlimm an. Aber der vorgefertigte Weg, der auf den vielbeschworenen Fakten beruht, ist eben nur vermeintlich handfester. Denn er geht von einer idealen Welt aus. Das ist viel naiver und realitätsferner als sich ungeplant, aber gut vorbereitet auf die Reise zu machen. Auf dieser Reise ist Ausprobieren unter Unsicherheit vollkommen normal. Klar, das verursacht Bauchschmerzen. Die muss das Unternehmen aber aushalten.

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Das eine – die Abarbeitung eines bewährten Plans – hört sich im Management Meeting zunächst einmal grundsolide und vernünftig an, ist aber eine naive Illusion. Das andere – Loslaufen, Ausprobieren und Lernen – klingt möglicherweise nach Kindergarten, ist aber letztlich eine knallharte Auseinandersetzung mit der Realität.

„Das heißt nicht, dass Unternehmen den Austausch mit anderen vermeiden sollen. Im Gegenteil. Impulse sind wertvoll. Allerdings als Rüstzeug – auf dem Weg zur eigenen Lösung. Nicht als Kopiervorlage“, empfiehlt der intrinsify.me-Gründer.

 

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