Content First: Wie ihr eure Kunden bändigen könnt
Benutzer sind Leser, die am Anfang der Seite zu lesen beginnen, die von links nach rechts lesen, die Wort für Wort und Satz für Satz lesen. Aber das ist leider falsch. Benutzer durchstreifen Webprojekte wie wilde Tiere, auf der Suche nach Beute. Sie lesen kreuz und quer, ziehen Rückschlüsse, browsen zurück. Sie lesen die selbe Information noch einmal und starten dann doch eine Suche. Sie öffnen eure Links in mehreren „Tabs“, wechseln aber doch zu einer anderen Website. Euer Webprojekt hat den Kampf verloren.
Benutzer sind Raubtiere: Sie zerfleischen eure Website auf der Suche nach der gewünschten Information. Es ist ihnen aber auch nicht zu verdenken. Jede Plattform beziehungsweise Website verkauft sich als das Non plus ultra. In Zeiten der Informationsflut muss man sich als Benutzer eine Frage stellen: „Was aber sind all diese Informationen wert, wenn man daraus keinen Nutzen zieht?“
Genau dieser Frage sollte man als Content-Stratege nachgehen – oder bei fehlenden Ressourcen: als Entwickler. Alan J. Perlis meinte schon vor über 30 Jahren:
„It is better to have 100 functions operate on one data structure than 10 functions on 10 data structures.“
Alan J. Perlis
Damit meinte er, dass man sich auf den Inahlt konzentieren sollte, denn: Anwendungen werden geschaffen, um Informationen zu liefern. Es bleibt also nichts anderes übrig, als das Raubtier namens Benutzer mit leicht verdaulichen Informatonsbrocken zu füttern.
Inhalte im Web – Back to the roots
Besinnen wir uns auf Tim Berners-Lee, dem Gründervater des Webs. 1989 formulierte er unter anderem die These: „Wir sollten ein universelles, verbundenes Informationssystem anstreben, in dem Allgemeingültigkeit und Portabilität wichtiger sind als aufwendige Grafiktechnik oder komplexe Extras.“ Dieses verbundene Informationssystem ist das Web, wie wir es heute kennen, aufgebaut in HTML.
Als Entwickler sollten wir uns dieser Tatsache bewusst werden und unsere Kunden darauf aufmerksam machen, dass ein möglichst auffälliger Button nicht immer die beste Lösung ist, wenn einige Details vorher nicht kommuniziert wurden:
- Was ist das Produkt?
- Wer sollte es benutzen?
- Warum soll es gekauft werden?
- Wie funktioniert es?
- Wo und wann kann es gekauft werden?
Content First: Design ohne Inhalt ist nicht mehr als Weihnachtsschmuck ohne Baum.
Einige Webprojekte setzen Inhalt mit Feature gleich: Wir sehen aufwendige Parallax-Scroll-Websites, die uns gefühlte zwei Minuten scrollen lassen, vorbei an tollen Grafiken und Animationen, um uns dann Kontaktdaten anzeigen zu lassen – als JPG. Irgendwie erinnert mich das an Ladebalken in den 90er Jahren. Obwohl wir jetzt über eine gute Internetverbindung verfügen, kommen wir als Benutzer nicht schneller an den gewünschten Inhalt. Damals: technische Limitierung. Heute: technischer Overkill. Als Content-Stratege frage ich mich: Warum ist das so? Ist echter Inhalt zum Feature verkommen?
Ich erwische mich selbst immer öfter dabei, auf der Suche nach Kontaktdaten oder Öffnungszeiten auf den Service von Google zurückzugreifen. Die Antworten auf die Frage nach dem Warum sind einleuchtend: „Ich möchte mich nicht durch Navigationsmenüs kämpfen“ oder „Es kostet einfach zuviel Zeit, an Informationen auf bestimmten Websites zu gelangen“. Erschwert wird das oft noch in Kombination mit Smartphones und schlechtem Responsive Webdesign. Ja, responsives Design kann auch schlecht sein – ganz besonders bei fehlender Content-Strategie.
Ist es ein Schritt zurück, wenn uns eine Suchmaschine Kontaktdaten anzeigt? Ist es nicht unsere Aufgabe, als Entwickler, Strategen und Designer dem Benutzer diese wichtige Information gebührend zu präsentieren?
„Content is King“ – Echt jetzt
Ich habe schon mit vielen Entwicklern, Designern und Strategen gesprochen und alle meinten: „Ja, sag das doch unseren Kunden!“. Und hier liegt auch das Problem. Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, gerade bei Kunden, abseits von hohlen Texten von PR und Marketing. Nur, weil etwas gut aussieht, muss es nicht gut sein.
Über die Wichtigkeit von Content kann und wurde auch schon viel geschrieben. Obwohl wir uns bewusst sind, dass wir für Benutzer, unsere Leser, gestalten und entwickeln: Unseren Kunden ist das nicht bewusst.
Den Kunden von Content First überzeugen
Bei Kundenprojekten entsteht ein Design in mühevoller Kleinarbeit – aber aus „Liste 1“ wird „Erfahren Sie mehr über unsere supertollen Produkte“ und das Sub-Menü soll plötzlich Bilder und Fließtext darstellen können. Es ist offensichtlich: Die Inhaltsplanung bietet Verbesserungspotential, und es ist gerade Mehraufwand entstanden, der durch bessere Planung hätte verhindert werden können.
Aber wie kann man den Kunden davon überzeugen, dass keine Zeit gespart wird, wenn Texte vom Kunden geschrieben und geplant werden? Ganz einfach: Schlechte Planung kostet Geld. Sei es, weil Änderungen im Nachhinein gemacht werden müssen oder weil das finale Webprojekt bei dem angestrebten Publikum nicht ankommt.
Kosten senken mit Content-First
Wir sind uns einig: Es müssen Inhalte, abgestimmt auf die Zielgruppe, bereitgestellt werden. Ja, gute Inhalte sind teuer, aber sie zahlen sich aus. Es ist essentiell, dem Benutzer die Informationen zu geben, nach denen gesucht wird. Warum ist guter Inhalt teuer? Er muss recherchiert, sortiert, geschrieben, korrigiert, geplant, gespeichert und verwaltet werden – und das alles, bevor überhaupt veröffentlicht werden kann. Voraussetzung dafür aber ist das Wissen, dass dieser Vorgang nicht mal nebenbei, während man die Website entwickelt, gemacht werden kann. Ein Projekt ohne Symbiose zwischen Content-Gestalter und Entwicklern kann also nicht gut funktionieren.
Bessere Informationsgestaltung macht es also möglich, dass der Kunde das bekommt, was er will. Wie das monetarisiert wird, hängt vom Geschäftsmodell ab.
Kosten senken durch Wiederverwendung
Content First gestartet werden kann müssen folgende Schritte gemacht werden:
- Audit: Es muss eine Bestandsaufnahme gemacht werden. Welche Inhalte existieren schon und wo werden sie verwendet? Gibt es schon eine bestehende Website, von der Texte übernommen werden können? Hat die PR-Abteilung schpn Texte in weiser Voraussicht vorbereitet? All diese Informationen werden aus den Quellen extrahiert und gesammelt.
- Analyse: Im nächsten Schritt wird der vorhandene Inhalt mit den Zielen des Kunden abgestimmt. Dabei wird ein Konzept erarbeitet, das aufzeigt, wie die Inhalte untereinander verknüpft sind. Inhalte sind bedeutend, wenn erwartet wird, dass ein Inhalt „sowieso nicht angesurft wird“, sollte dieser Inhalt auch nicht auf der Website auftauchen. „Weniger ist mehr“ – in seiner ursprünglichsten Form – muss angewendet werden.
- Erstellung der Inhalte: Wenn wir also wissen, was über die Website kommuniziert werden soll, können wir anhand einer erweiterten Sitemap erkennen, welche Inhalte geschaffen werden müssen, um etwaige Lücken schließen zu können.
Das Stichwort heisst Kommunikation. Es muss für alle Beteiligten klar sein: Was, warum, wann, wo und wie gezeigt wird. Nur dann kann garantiert werden, dass ein Benutzer durch das Webprojekt geführt wird und zur richtigen Zeit die richtige Information aufnehmen kann. Und das wird langfristig im Interesse jedes Kunden sein.
Das wichtigste Argument für Content First aber ist immer noch, dass man den Benutzer mit Informationen „füttert“, die er auch haben will, denn schlussendlich heisst es doch: „Der Kunde ist König“.
Literatur zum Thema Content First und Content-Strategy
Um euch den Einstieg in das Thema zu erleichtern, empfehle ich euch die folgenden Bücher ausgewiesener Experten auf dem Gebiet:
- Kristina Halvorson: „Content Strategy for the Web“
- Colleen Jones: „Clout: The Art and Science of Influential Web Content“
- Erin Kissane: „The Elements of Content Strategy“
Hi,
die ist da ein kleiner Tippfehler unterlaufen.
Absatz über Audit
Hat die PR-Abteilung sch!p!n Texte in weiser Voraussicht vorbereitet?
Find den Inhalt richtig/wichtig. Meine Erfahrung ist das das den Leuten die verkaufen nur schwer klar zu machen ist. Bzw. diese es wiederum den Kunden nicht klarmachen können.
Eine Webseite wird mehr verkauft wie „Hey, hier ist nen Haus. Da kannst du immerhin drinnen wohnen.“
Es ist ein bisschen wie mit der Märklin Eisenbahn. Ausgepackt, angeschlossen – läuft. Aber der Kunde will mehr. Aufs Web übertragen: Es muss sich was „bewegen auf der Seite“. Irgendwas muss „blinken“. Am auch mit Sound. Ein Video, dass per Animation ins Bild fliegt. Jawohl. Sonst taugt das nichts.
…
Märklin Eisenbahn halt.
Sehr guter Artikel!
Es gibt aber auch Content First Lösungen für den kleinen Geldbeutel. Die sind zwar weniger professionell, nähern sich aber zumindest (mehr)werigen Information:
so kann man beispielsweise Kunden bitten, die selber ihre Texte erstellen wollen, zumindest ein kleines Coaching zu durchlaufen und dabei alle wichtigen Fragen zu notieren, mit welcher deren Zielgruppe auf sie zukommt. Dann zeigt man den Kunden wie sie die Inhalte zu erstellen haben und entwickelt mit den Kunden zusammen die Menü- und SEO Struktur. Die Contenterstellung kann dann ein versierter Kunde mit seinen Ressourcen weitestgehend selbst erledigen. Ggf. mit Lektorat und Korrekturen von der Agentur.
Ich glaube dass Blinken nebensächlich ist. Haupt Verkaufsargument bei uns ist immer SEO und Performance. Blinken ist ganz hübsch, hilft aber auch nichts bei vergeigten Contents.
Sehr guter Artikel. Ich hoffe der Kommentar wird noch gelesen. Bei meinen Webprojekten habe ich leider die Erfahrung gemacht, dass oft eine Website „gekauft“ wird und das Thema Content zwar mittlerweile als wichtig identifziert wird, gerade auch beim Kunden und ich dann anhand exemplarischer Seitentypen zeige, wie man mit Content umgehen kann. Wenn ich dann darum bitte, mir Input (Content) zu weiteren Seiten zu geben, oft gefragt wird, wie es aussehen soll und dann auf der Basis der Content geliefert wird, weil der Kunde selbst nicht weiß, was er liefern soll und nach Inspiration sucht. Dann beginnt das Spiel:
„Was soll auf die Seite“ (ich)
„Na wie sieht denn Seite aus?“ (Kunde)
„Das hängt von dem Content ab, den Sie mir liefern“ (ich)
„Na das hängt doch davon ab, wie es aussehen soll“ oder „Hier habe ich mal einige Informationen gesammelt, die auf die Seite können“ (meist irgendwelche PDFs und Powerpoints).
Die Kunden kaufen also eine Website, wollen aber eigentlich zusätzlich zum Content beraten werden, was sie wiederum nicht bezahlen, weil Sie denken, das gehört doch dazu, wenn man eine Website kauft.