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Digital Detox: Warum wir uns die Fähigkeit erhalten sollten, Abwesenheit zu ertragen

Die Digitalisierung ist weder gut noch böse. Die Herausforderung besteht darin, richtig mit ihr umzugehen. Dazu braucht es Offenheit im Denken und einen Panoramablick. Wo beides fehlt, breiten sich Angst und Kulturpessimismus aus.

Von XING Insider
4 Min.
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(Foto: Shutterstock)

Buchtitel wie „Cyberkrank!“, „Vorsicht Bildschirm!“ oder „Digitale Demenz“ verunsichern mit alarmistischen Warnungen die Menschen, anstatt sie darin zu unterstützen, die Welt besser zu verstehen, um sie richtig gestalten zu können. Auch das Buch „Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit“ des Neurobiologen Manfred Spitzer reiht sich hier ein. Bereits in „Cyberkrank“ beklagte er, dass die digitale Informationstechnik mehr als jede andere Innovation jemals zuvor unser Leben bestimmt, „das mit der zunehmenden Digitalisierung unzufriedener, depressiver und einsamer wird.“

Digitalisierung als Ursache für Unzufriedenheit und Depression

Wie in all seinen Büchern vertritt er auch in seinem neuen Buch die These, dass Computer, Bildschirme, Smartphones und digitale Medien unser Denkvermögen, unser Gedächtnis und unseren Orientierungssinn zerstören und unserer seelischen Gesundheit schaden: Die Digitalisierung bewirkt eine Zunahme von Unzufriedenheit, Depression und Einsamkeit. Beklagt wird auch, dass die digitalen Medien sogar für eine Abnahme der Empathiefähigkeit und einen wachsenden Narzissmus verantwortlich seien.

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Spitzer verweist hier auf den amerikanischen Publizisten Christopher Orlet, der im Jahr 2007 (!) bemerkte: „Ich selbst war nicht Teil der Generation der Millennials, die mit einer Überdosis an Selbstüberschätzung und Technologie zur Eigenwerbung aufwuchs, was in der Kombination einen perfekten Sturm des Narzissmus entfesselt hat.“

Es ist auffällig, dass die von Spitzer ausgewählten Studien in seinem Buch wie ein Gerüst „aufgestellt“ werden, an dem er sich entlanghangelt, um seine Thesen zu bestätigen: „In mehreren großen wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, dass die Nutzung von sozialen Onlinemedien depressiv macht.“ Sie verhalten sich seiner Meinung nach zu realen zwischenmenschlichen Bezügen wie Popcorn zu gesunder Nahrung: „Wo man Freude mit Freunden erwartet, ist in Wahrheit nur heiße Luft, schaler Geschmack und Leere.“ Dass Geld einsam macht, wurde vielfach „in Studien nachgewiesen“, auch dass Einsamkeit einen ungünstigen Einfluss auf das Immunsystem sowie auf die Entstehung und den Verlauf von Krebserkrankungen habe, wurde in der jüngeren Vergangenheit „durch eine Reihe von Untersuchungen gezeigt“.

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Lebenszufriedenheit und Glück gibt es seiner Meinung nach nicht mit sozialen Onlinemedien, sondern nur „in echt“ – im Kontakt mit der Natur und in der Kooperation mit Menschen. Zitiert wird offensichtlich nur das, was zu seinen eigenen Thesen passt. Einseitige Publikationen wie diese verhindern leider eine Debatte darüber, was die Digitalisierung mit uns und unserer Gesellschaft macht.

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Der reflexartige Griff zum Smartphone

Auch die gelernte Psychoanalytikerin und Kulturwissenschaftlerin Sherry Turkle, Professorin am Massachusetts Institute of Technology, mahnt: „Wir erwarten mehr von der Technologie und weniger voneinander. Das führt letztlich dazu, dass wir in der digitalen Welt seelisch verkümmern.“ Auch sie beklagt, dass die Menschen es nicht einmal mehr ertragen, „einen einzigen Moment allein über etwas nachzudenken. Sogar bei Beerdigungen greifen sie reflexartig zum Smartphone.“ Der Unterschied zu Spitzers Ansatz besteht allerdings darin, dass sie in ihrer Arbeit alle Aspekte der Digitalisierung berücksichtigt.

Um eine konstruktive Diskussion zu fördern und Klarheit über das Thema mit all seinen guten und schlechten Nebenwirkungen zu gewinnen, sollten Wirtschaftsführer, Wissenschaftler, Politiker und Intellektuelle ihre Erfahrungen, Einsichten und Reflexionen teilen. Denn was es unbedingt braucht, ist ein differenzierter und verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema Digitalisierung. Jeder sollte (zumindest in seiner Privatsphäre) allein über seine Erreichbarkeit und seine Verabschiedung aus der digitalen Welt entscheiden. Denn Entnetzung geschieht nicht von selbst – der Mensch als Nutzer trägt die Verantwortung

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So bemerkt etwa Christian Mähler, der sich schon lange mit Handschriften und Notizbüchern beschäftigt, dass es nicht um ein Entweder-oder geht, „sondern um ein sinnvolles Nutzen des richtigen Werkzeugs. Digitale Enthaltsamkeit in Form von handschriftlichem Schreiben entschleunigt das eigene Tun und lässt einen dabei den Akt des Schreibens, aber auch den Inhalt des Geschriebenen wieder bewusster erfahren. Für manche ist es ein ‚Retro‘-Trend, für andere war es nie aus der Mode.“

Die richtigen Fragen stellen

Digital Detox (digitale Entgiftung) ist unter Tech-Nerds und Journalisten derzeit ein beliebtes Thema. In dem Film „Innehalten – warum es sich lohnt abzuschalten“ im SWR-Fernsehen zeigen Menschen, wie sie Schluss mit der permanenten Erreichbarkeit machen. Einige schaffen ihr Smartphone ab und kaufen sich wieder ein normales Handy, mit dem sie sich entschleunigt fühlen. Ihr „Geländer“ besteht aus Fragen, die zur Reflexion und Klärung einladen, denn sie schärfen unseren Blick und unsere Art, genauer hinzusehen. Je stärker sich Wirtschaft und Gesellschaft durch die Digitalisierung verändern, desto wichtiger ist es, die richtigen Fragen zu stellen und Antworten zu finden:

  • Überfordert uns die Informationsflut?
  • Wie viel Digital ist gut?
  • Welche Wege gibt es zur digitalen Entgiftung?
  • Wie gelingt es uns, es mit uns selbst auszuhalten, und nicht in jeder freien Minute zum Smartphone zu greifen?
  • Ist das gute Leben wirklich so viel besser ohne Netz?
  • Warum ist Digital Detox auch ein Thema für das betriebliche Gesundheitsmanagement?

Dieser Text ist zuvor als Insider-Artikel auf Xing veröffentlicht worden.

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Kommentare (3)

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Ettore Atalan

Erkenntnisse von Manfred Spitzer sollte man, wenn überhaupt, sehr kritisch hinterfragen.

Siehe auch:
https://www.lmz-bw.de/nc/newsroom/aktuelle-beitraege-aller-bereiche/detailseite/stellungnahme-zu-manfred-spitzers-thesen/

Karin Freundorfer

In nahezu jedem Artikel, der sich mit negativen Auswirkungen digitaler Lebensweise auseinandersetzt, wird immer diese harte Abgrenzung gegenüber Manfred Spitzer gefahren. Hauptsache man wird nicht in einem Atemzug mit ihm genannt. Mich nervt das langsam. Man mag nicht allen seinen Thesen folgen (bei welchem Publizisten tut man das schon), man muss auch den teils alarmistischen Stil nicht mögen, aber man macht es sich mit so einer Totalabrechnung doch ganz schön einfach.
Oft liest man, Spitzer baue nur diese Studien in sein Argumentationsgebäude, die seine Thesen stützen. Aber ist das überhaupt so? Und wenn ja, disqualifiziert ihn das als Publizist so sehr, dass es eine Generalkritik rechtfertigt? Auch oben verlinkte Stellungnahme des LMZ sucht sich die passende Studie für ihr Argumentationsgebäude heraus, oder nicht?

Karin Freundorfer

Im Moment sprießen die Artikel über digital Detox wie Pilze aus dem Boden, und das ist einerseits eine durchaus erfreuliche Entwicklung. Es scheint sich ein Unbehagen angesichts der Dauerberieselung zu etablieren. Dennoch bleibt das Gerede über digital Detox meist in der Logik des Kommerzes und tut keinem wirklich weh. Eine echte Auseinandersetzung mit den digitalen Dogmen unserer Tage (dem „je früher digital, desto besser“- Dogma, dem „wir verpassen den Anschluss“-Dogma, dem „neue Medien wurden schon immer abgelehnt, deshalb darf man digitale Entwicklungen nicht kritisieren“-Dogma, usw.) findet nicht statt. Genau diese Auseinandersetzung wäre aber wichtig, gerade für Technik-Enthusiasten! Wie kann uns (als Gesellschaft und als Individuum) die Technik dienen? Welche Errungenschaften wollen wir in unser Leben lassen und wo sagen wir „stopp“? Diesen Diskurs wünsche ich mir.

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