Schluss mit faden Fertigprodukten – Die Tech-Branche braucht frische Zutaten! [Kolumne]
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Ich habe genug von Fertiggerichten. (Foto: © RyanJLane – iStock.com)
Heute beudetet „Tuning“, einen Aufkleber auf den Laptop zu pappen

Sollte das alles sein, was uns bleibt? (Foto: The Sticker Company - The HATs / flickr.com, Lizenz: CC-BY)
Das Thema Datensicherung riecht nach tiefgefrorenem Schweinebraten mit Rotkohl. Für mich jedenfalls. Oder nach Erbsensuppe aus der Dose. Nach glutamatgetränktem Chop Suey. Wir sind verwöhnt durch Convenience-Produkte, die Generation der Fertiggerichte hat es sich gemütlich gemacht in einem Nest voller Fertig-Technologien. One-Click-Installer und Lösungen, die wir nicht mehr selbst warten müssen, haben uns anspruchslos und weich werden lassen. So, wie wohl nur die wenigsten Autofahrer, ohne ins Handbuch zu gucken, einen Keilriemen oder eine Zündkerze wechseln können, sind die meisten Internetnutzer aufgeschmissen, wenn es um mehr geht als einen Nutzernamen und ein Passwort. Und selbst mit einem sicheren Passwort sind nicht wenige überfordert.
Die Industrie hat das begriffen und auf die Spitze getrieben. In modernen Autos ist sogar das Wechseln einer Glühbirne inzwischen so kompliziert geworden, dass Werkstätten dafür problemlos 40 oder 50 Euro berechnen müssen – und können. Wenn der Kunde auf den Service angewiesen ist, weil er selbst nicht mehr Hand anlegen kann, wird er den Preis notgedrungen zahlen. Und was die Auto-Industrie kann, kann die Tech-Branche schon lange. Smartphones, bei denen sich der Akku nicht auswechseln lässt, Laptops, bei denen „Tuning“ bedeutet, einen Aufkleber auf den Deckel zu pappen und App-Stores, die in sich geschlossene Öko-Systeme darstellen – weitgehend ohne Einflussmöglichkeiten von außen.
Was die Daten zu Hause angeht: Es ist zum Verzweifeln
Doppelklick: Die Firma Protonet arbeitet an sicheren Convenience-Produkten. (Foto: Protonet)Dabei sind meine Wünsche eigentlich bescheiden. Eigentlich will ich nur ein paar Geräte, mit denen ich arbeiten kann und die verschlüsselt kommunizieren. Ich will Nachrichten verschicken, die nicht mitgelesen werden können und von überall ohne Risiko auf meine Daten zugreifen. Und ich will, dass diese Daten zu Hause liegen, zur Sicherheit gespiegelt auf einem System, auf das weder Unternehmen noch Behörden Zugriff haben. Und wenn ich noch etwas Wünschdirwas spielen darf: Die Systeme, die ich dabei nutze, sollten miteinander kompatibel sein.„Es scheint für sichere und trotzdem komfortable Systeme zur Datensicherung schlicht keinen Markt zu geben.“
Ich weiß. Ich bin ein Träumer. Und doch bin ich schon ein gutes Stück weiter als noch vor zwölf Wochen. Heute probiere ich mit ownCloud und Seafile statt Dropbox herum und mit kommuniziere mit Threema und Telegram statt WhatsApp. Ich habe Facebook, iCloud und anderen den Rücken gekehrt und verwalte meine Tasks über ein geniales kleines Kommandozeilen-Tool, ich verschlüssele bei Bedarf meine E-Mails und generiere 30-stellige Passwörter. Doch noch immer nutze ich all diese Dienste über ein Smartphone, das mir auf die wichtigsten Informationen und Konfigurationen keinen Zugriff gewährt, und über Leitungen, die ich nicht kontrollieren kann. Und was die Daten zu Hause angeht: Es ist zum Verzweifeln.
Sicher – es gibt Anbieter wie Protonet, Synology oder Western Digital, die vermeintlich sichere NAS-Systeme für den Endanwender anbieten. Doch sie alle haben ihre Schwachstellen – meist ist es der Datentransfer. Protonet beispielsweise tunnelt den gesamten Traffic der Boxen durch ihren Server, statt per default auf DynDNS zu setzen, bei Western Digital sieht es beim Fernzugriff ähnlich aus. Es scheint für wirklich sichere und trotzdem komfortable Systeme zur privaten Datensicherung schlicht keinen Markt zu geben, die Hersteller verspüren keinen Druck, endkundenfreundliche Produkte zu entwickeln.
Wie wir heute wissen, verspüren sie aber Druck von anderer Seite – von NSA, GHCQ, BND und Co. Die sicherste Lösung wäre es, sich einen ordentlichen Linux-Server zu Hause hinzustellen und über einen DynDNS-Dienst anzubinden. Problem 1: Diese Lösung ist alles andere als Convenience – den Server zu konfigurieren, abzusichern und regelmäßig upzudaten, erfordert Zeit und Know-how. Problem 2: einen vertrauenswürdigen DynDNS-Dienst in Deutschland zu finden. Und die FritzBox, mit der man in Sachen Firewall, DynDNS, Port-Forwarding und VPN schon recht gut abgesichert sein kann, würde ich leider auch nicht als Convenience-Produkt bezeichnen.
Doppelklick: Ich will ein Fertigprodukt, das ich selbst pimpen kann

Das Projekt „Grand Decentral Station“ könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein. (Screenshot: decentralize.it)
Immer wieder aber gibt es Hoffnung: das Projekt „Grand Decentral Station“ von Bastian Allgeier etwa, dem Entwickler hinter Kirby CMS. Oder das Kickstarter-Projekt „Lima“ – eine Plug-and-Play-Lösung, um Hardware miteinander zu vernetzen und einen sicheren Datenaustausch zu ermöglichen. Solche Projekte wirken auf den ersten Blick vielversprechend, so wie auch ownCloud (oder Seafile – für die technisch anspruchsvolleren, optisch aber genügsameren Nutzer) anfangs. Doch auch solchen Projekten legt die Industrie regelmäßig Steine in den Weg, indem offene Standards eigenwillig interpretiert werden und große Hersteller anfangen, ihr eigenes Süppchen zu kochen – siehe CALDAV oder das IMAP-Protokoll von Google. Von unkalkulierbaren Aspekten wie der Netzneutralität ganz abgesehen.
Wer jetzt einen Denkfehler entdeckt, hat nicht ganz Unrecht. Denn das, wovon ich träume, wäre eigentlich auch wieder nichts als ein Fertigprodukt: eine Kiste, die ich mir oder sogar meinen Eltern ins Arbeitszimmer stellen kann, an der ich einen Knopf drücke und die dann meine Daten speichert und mir von überall sicher zugänglich macht. Doch während für meine Eltern dieses Fertigprodukt genau das richtige wäre, müsste es so konzipiert sein, dass ich volle Kontrolle und vollen Zugriff auf alle Konfigurationen habe.
Damit ein solches Produkt Wirklichkeit wird, muss es allerdings eine kritische Masse geben, die es auch will, die der Tech-Branche – ähnlich wie es die Nahrungsmittelindustrie über Jahrzehnte erlebt hat – klar macht, dass sie von den bislang produzierten Fertigprodukten die Schnauze voll hat. Ich will zwar ein Fertigprodukt, aber eines, das ich selbst pimpen kann, für das ich die Zutaten – wenn ich will – selbst wählen und das ich ganz nach Geschmack würzen kann. Ich weiß: Wir sind noch weit von dem Tag entfernt, an dem ein solches Produkt in den Handel kommt. Und wie es genau schmecken wird, weiß ich noch nicht. Aber ich glaube daran, dass der Tag kommt. Und ich freue mich drauf.
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