„Schlupflöcher geschlossen“: Was die Neuerungen beim Emissionshandel tatsächlich bedeuten
Die Idee klingt einleuchtend: Treibhausgase sollen vor allem dort vermieden werden, wo es am wenigsten kostet. Dies ist der Grundgedanke des sogenannten Zertifikatehandels. Müsste ein Unternehmen beispielsweise seinen kompletten Produktionsprozess umbauen, um nennenswert CO₂ einzusparen, kann es stattdessen auch Zertifikate erwerben. Diese werden von Unternehmen auf den Markt gebracht, welche ihren Klimagas-Ausstoß preiswerter senken können. Für das Klima kommt es auf dasselbe raus – Hauptsache, die Emissionen sinken insgesamt.
CO₂-Zertifikatehandel ETS und ETS II
Solche Handelssysteme gibt es in vielen verschiedenen Spielarten. Das bekannteste dürfte der europäische ETS sein (Emissions Trading System). Es gilt seit 2005 und ist für Energieerzeuger und einige Industriebranchen verpflichtend. Für jede ausgestoßene Tonne CO₂ müssen die entsprechenden Unternehmen ein entsprechendes Zertifikat nachweisen. Seit 2024 gilt dieses Prinzip auch für Gebäude, den Straßenverkehr und weitere Sektoren – im Rahmen eines eigenständigen Zertifikate-Handels namens ETS II. China betreibt ein ähnliches System, allerdings nur im Inland.
In der EU gibt es einen ähnlichen Handel auch zwischen den einzelnen Mitgliedsländern – das sogenannte Effort Sharing. Dort werden derzeit allerdings nur geringe Mengen gehandelt.
Freiwillige CO₂-Kompensationen
Neben diesen regulierten Systemen gibt es auch einen riesigen Markt für freiwillige Kompensationen. Das Bekannteste ist der Clean Development Mechanism (CDM) der UN. Wer als Privatperson beispielsweise die Emissionen seines Urlaubsflugs kompensieren möchte, kann beispielsweise Zertifikate von Wald-Aufforstungen erwerben. Und ein Unternehmen, das mit „klimaneutralen“ Produkten werben möchte, ebenfalls. Das ist vor allem deshalb attraktiv, weil die Zertifikate oft spottbillig sind. Kein Wunder: Die Kontrollen sind meist notorisch schwach, wie sich in einer Reihe von Skandalen herausgestellt hat. So hat eine kürzlich erschienene Nature-Studie ergeben, dass die untersuchten Zertifikate weniger als 16 Prozent der ausgewiesenen Klimawirkung erzielt haben.
Zudem sind die tatsächlichen Einsparungen oft schwer zu beziffern. Wie lange kann beispielsweise ein frisch gepflanzter Wald den in ihm gebundenen Kohlenstoff tatsächlich halten, bis er dem Borkenkäfer oder einem Waldbrand zum Opfer fällt? Ein paar Jahrzehnte? Ein Jahrhundert? Fünfhundert Jahre? Einer aktuellen Nature-Studie zufolge würde selbst das nicht reichen: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass eine CO₂-Speicherperiode von weniger als 1.000 Jahren nicht ausreicht, fossile CO₂-Emissionen zu neutralisieren.“
Neue Methoden zum CO₂-Zertifikatehandel
Nach der Klimakonferenz COP 29 in Baku kommen noch zwei andere Spielarten hinzu. Beide sind schon 2015 auf der Klimakonferenz in Paris in den Artikeln 6.2 und 6.4 des Abschlussprotokolls umrissen worden. Erst jetzt haben sich die Länder nach zähen Verhandlungen auf die Details zur Umsetzung geeinigt. Vor allem die EU hatte sie lange blockiert.
Der Artikel 6.2 umfasst den (freiwilligen) Handel zwischen zwei Ländern. Wenn ein Land also Schwierigkeiten hat, seine selbst definierten Klimaziele zu erreichen, kann es Zertifikate von anderen Ländern kaufen, die ihre Ziele übererfüllen. Im Artikel 6.4 geht es auch um Zertifikate für Privatunternehmen.
„Die Regeln sind jetzt deutlich besser als im vergangenen Jahr auf der COP28 in Dubai, wo die EU die Beschlussvorlagen noch abgelehnt hatte“, sagt Lambert Schneider, Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik beim Öko-Institut, gegenüber dem Science Media Center.
„Es wurden Schlupflöcher geschlossen“
„Länder müssen nun mehr Informationen bereitstellen, wie sie die Integrität der Zertifikate gewährleisten“, so Schneider. „Außerdem“, sagt er weiter, „wurden Schlupflöcher geschlossen, die dazu hätten führen können, dass eine Emissionsminderung gleich zwei Mal auf Klimaziele angerechnet wird.“ Wie gut die Qualität der Klimazertifikate sein werde, müsse sich aber noch zeigen. „Einige Länder – wie Guyana und Suriname – wollen die natürliche Aufnahme von CO₂ durch schon bestehende Wälder als Zertifikate verkaufen. Doch diese CO₂-Aufnahme passiert ohnehin, also ohne jegliche Einwirkung durch Menschen. Daraus Zertifikate zu generieren, würde den Klimaschutz erheblich untergraben“, sagt Schneider. „Jetzt kommt es also darauf, wie die Regeln in der Praxis umgesetzt werden und ob Länder die vereinbarten Regeln auch einhalten werden.“
Carsten Warnecke vom NewClimate Institut warnt: Die neuen Regeln könnten zu Maßnahmen führen, die das Pariser Abkommen unterlaufen. „Wir bekommen jetzt einen Mechanismus, den es aus meiner Sicht besser nicht geben würde.“ Mehr dazu im Interview mit Carsten Warnecke.