Emojis oder Empowerment: Anspruch und Realität von Slack und Co.

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Unternehmensinterne Social-Media-Tools sind vor gut zehn Jahren nach dem Erfolg von Plattformen wie Facebook angetreten, die interne Kommunikation zu revolutionieren. Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem deutsche Unternehmen intern mehr digital als analog kommunizieren – das befindet eine neue Studie von Campana & Schott und der TU Darmstadt. Damit gewinnt Social Collaboration eine zentrale Bedeutung für die Qualität interner Kommunikation und somit für den Erfolg der Unternehmen. Die führen digitale Kollaborationsplattformen vor allem ein, um effizienter und innovativer zu werden. Und tatsächlich gab etwa die Hälfte der befragten NutzerInnen an, dass mit ihrer Einführung ein Wandel der Unternehmenskultur eingesetzt habe: Die Zusammenarbeit über Teams und Hierarchieebenen hinweg habe zugenommen, sei schneller und agiler geworden.
Das Versprechen von einer solchen neuen Unternehmenskultur verdeutlicht die Plattform Slack, die vor kurzem ihre erste große Kampagne in Deutschland ausgerollt hat.
Das Startup aus San Francisco ist der jüngste Stern am Himmel der unternehmensinternen Social Media. Schon acht Monate nach Gründung hatte Slack es mit einer Milliardenbewertung zum Unicorn-Status gebracht, und vor kurzem hat Firmenchef Steward Butterfield noch einmal 250 Millionen US-Dollar Kapital eingesammelt.
Der Schlüssel zu diesem Erfolg in den Worten des Gründers: „Wir verkaufen Transformation für Unternehmen“. Entsprechend wartet Slack nicht nur mit attraktivem Design und vielen integrierbaren Funktionen auf, sondern auch mit einigen ziemlich ambitionierten Versprechen: Die Software soll „Transparenz schaffen“, dadurch Mitarbeiter „empowern“, sie mithin leichter an Prozessen und Entscheidungen im ganzen Unternehmen teilhaben lassen – und sogar helfen, das „gegenseitige Einfühlungsvermögen zu stärken“.
Gleichzeitig hält Slack umfangreiche Tools zur Auswertung des Kommunikationsverhaltens in der gesamten Organisation, in einzelnen Gruppen und sogar von einzelnen Mitarbeitern bereit – für das Management. Wer die hilfreichsten Posts bereitstellt, aber auch wer wie viel Zeit im #random-Kanal verbringt und mit welchen Kollegen welche Memes teilt – das alles ist für Chefs einsehbar. Die Transparenz, die Slack schaffen will, ist also eher einseitig wie einer jener halbtransparenten Spiegel, den man aus Verhörszenen in US-Krimis kennt. Mit der jüngsten AGB-Änderung wurden diese Überwachungsmöglichkeiten sogar noch einmal ausgeweitet. Bleibt die Frage: Ist das jetzt Empowerment?
Gute interne Kommunikation mit Arbeit 4.0
Unternehmen schielen seit langem etwas neidisch auf das Mitmach-Grundprinzip von Facebook, Youtube und Co. Denn Arbeitgeber in einer Wissensgesellschaft sind fast immer daran interessiert, dass ihre Mitarbeiter möglichst viel von ihrem Wissen teilen und Kollegen zur Verfügung zu stellen. Dann verbindet sich gute interne Kommunikation mit erfolgreichem Wissensmanagement, also der Frage nach der Aufbewahrung von Wissen. Social Media soll also die wichtige Ressource Wissen im gesamten Unternehmen effizienter verteilen und damit schneller, innovativer und erfolgreicher machen. Auch in der Social-Collaboration-Studie gab gut die Hälfte der befragten Manager an, sich davon vor allem eine Verbesserung von Innovationsprozessen zu versprechen.
Wikipedia und die späteren Entwicklungen wie die Arabellion, bei der Facebook und Twitter sehr wichtig waren, führten dazu, dass Social Media als Demokratisierung der Medien verstanden wurde. Jeder Person standen nun die Werkzeuge zur Erstellung von Inhalten und ein Zugang zu Aufmerksamkeit zur Verfügung. Enterprise-Social-Media sollen auch dieses Prinzip auf Unternehmen übertragen, um diese zu zu einem partizipativen, demokratischeren Social Business zu transformieren, Mitarbeiter zu stärken, zu binden und zu motivieren. Diese Ziele standen dann auch bei etwa der Hälfte der befragten Unternehmen ganz oben auf dem Social-Collaboration-Wunschzettel.
Was zunächst nach naivem Technikdeterminismus klingen mag („Ich kaufe eine Lizenz für Software und bekomme ein anderes Unternehmen?“), baut tatsächlich auf Erkenntnisse der Organisationsforschung auf. Unternehmen sollte man nämlich vor allem als informationsverarbeitende Wesen verstehen. Für den den Erfolg eines Unternehmens ist es entscheidend, wie gut es in der Lage ist, die richtigen Informationen effizient zu identifizieren und entsprechende Aktivitäten zu entfalten. Das gilt von der Produktentwicklung über die Ausrichtung des gesamten Unternehmens bis zu kleinen, alltäglichen Prozessen. Formale Hierarchie im Unternehmen bestimmt, wer welche Informationen bekommt und beeinflussen kann. Informelle Machtstrukturen sind ebenso eng an Informationsflüsse gebunden. Ein Machtgefälle ist über weite Strecken nichts anderes als eine Informationsasymmetrie – nämlich der Unterschied zwischen dem Handlungsspielraum einer Person, die über eine relevante Information verfügt, und derjenigen, die sie eben nicht hat.
Genau deswegen ist Informationstechnologie grundsätzlich anders zu verstehen und beurteilen als andere technische Geräte im Unternehmen. Anders als etwa ein neuer Drucker kann eine neue Kommunikationsplattform tatsächlich völlig neue Informationsflüsse zulassen, neue Mitarbeiterkreise schneller mit wichtigen Informationen versorgen, informellen Interessensgruppen die Möglichkeit geben, sich überhaupt auszutauschen und zu organisieren und so Bottom-up-Prozesse unterstützen. Vor diesem Hintergrund wird klar: Involvement, Partizipation und Empowerment sind keine leeren Buzzwords. Unternehmensinterne Social Media bieten zumindest theoretisch die Möglichkeit für neue Kommunikationsprozesse, und damit auch für ein Empowerment der Mitarbeiter und letztlich weniger Hierarchie. Und tatsächlich: Etwa die Hälfte aller Teilnehmenden der Social Collaboration-Studie machten eine Veränderung der Kultur in ihrem Unternehmen aus, vor allem, wenn es um die Kommunikation über Teams und Hierarchieebenen hinweg geht.
Das Paradox der Partizipationsplattformen
Allerdings tendieren Menschen und Organisationen auch dazu, vorhandene Praktiken und Machtstrukturen unverändert in neue Kommunikationskanäle zu übertragen, wodurch die eigentlich beabsichtigte Veränderung von Kommunikationsstrukturen oder gar Hierarchieverhältnissen dann oft völlig ausgebremst wird.
Dieses Phänomen ist als Partizipationsparadox bekannt: Es besagt, dass soziale Netzwerke immer einerseits neue Möglichkeiten zur Teilnahme an Informationsflüssen für die Teilnehmer bieten und damit partizipativere Kommunikationsformen ermöglichen, also: Informationsasymmetrien nivellieren. Gleichzeitig sind diese Plattformen aber fast immer so organisiert, dass die Teilnehmer über keine oder sehr wenige Informationen zur genauen Funktionsweise der Plattform, zu den Auswertungsmöglichkeiten ihres kommunikativen Handelns und zu den potentiellen Konsequenzen von Beiträgen haben. Für Facebook hat der Fall Cambridge Analytica das eindrucksvoll demonstriert – letztlich gilt das gleiche aber auch für Slack: Auch hier bewegen sich Nutzer in einer nicht-partizipativen Infrastruktur, also in für sie ungünstige Informationsasymmetrien und damit Machtverhältnisse.
Das zeigt die Geschichte eines österreichischen Möbelbauers, dessen Management beschlossen hatte, einen Raum in seinem Verwaltungsgebäude für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. Der Schritt wurde über die unternehmensinterne Social Media kommuniziert und von vielen MitarbeiterInnen gelobt. Ein einzelner Angestellter jedoch war mit dem Flüchtlingsraum offenbar nicht einverstanden. Er klickte unter dem Post auf den „Gefällt mir nicht“-Button – und bekam prompt einen Anruf aus der Chefetage: Ob ihm bewusst sei, welchen Imageschaden er damit für die Firma verursachen könne?
Was die Manager nicht verstanden hatten: Social Media lebt ja gerade von dem Grundsatz, dass alle ihre Ideen und Meinungen kommunizieren können. Und wer es privat auf Facebook gewohnt ist, sich in politischen Fragen zu äußern, der wird das auch im Unternehmensnetzwerk nicht lassen. Wenn das Management die Belegschaft dann in heiklen Fragen vor vollendete Tatsachen stellt, darf es sich über Kritik – wie fragwürdig sie in diesem Fall auch sein mag – nicht wundern. Das gilt insbesondere dann, wenn in der Software eigens ein „Gefällt mir nicht“-Button eingebettet wurde, ein bestenfalls sinnfreies und schlimmstenfalls eben nicht ganz unbedenkliches Feature. Vor allem aber zeigt diese Anekdote: Transparenz kann es leichter für den Mainstream machen, Andersdenkende zu identifizieren und auszugrenzen. Das sollten sich die Fans der Social Collaboration bewusst machen.
Das alles heißt nicht, dass Kollaborationsplattformen keine nützlichen Werkzeuge sein könnten. Sie bergen durchaus das Potenzial, eine grundlegende Veränderung von Unternehmenskommunikation und -kultur zu befeuern und zu unterstützen, mit dem sie beworben werden. Allerdings hält die Organisationsforschung einige Lehren für Manager und Mitarbeiter bereit: Technischer Zugang zu digitalen Kanälen alleine reicht höchstens für ein oberflächliches Klick-Engagement aus. Und mit der Einführung von Emojis alleine wird kein Unternehmen innovativer und effizienter. Echtes Empowerment – und damit auch aktiv involvierte MitarbeiterInnen – verlangt einem Unternehmen noch etwas mehr ab:
Wer ernsthaft eine partizipative Kommunikation herbeiführen, flache Hierarchien unterstützen und mehr Mitarbeiter in die Kommunikation einbinden will, muss sich folgende Fragen stellen:
- Wo werden tatsächlich relevante Informationsasymmetrien durch die Plattform abgebaut werden?
- In welchen Bereichen verschärft die Plattform unvermeidlich Informationsasymmetrien?
- Welche Informationsasymmetrien in unserer Organisation stützen informelle Machtverhältnisse, und welcher Teil davon wird auf der Plattform kommuniziert?
Empowerment heißt immer: Informationsasymmetrien abzubauen, anstatt sie bloß zu verlagern oder sogar neue zu errichten. Und Social Collaboration funktioniert dann gut, wenn sie den Ansprüchen von Management und Mitarbeiter gleichermaßen gerecht werden. Management und Mitarbeiter wünschen sich dabei jeweils bessere Kommunikation. Das Management versteht dies eher aus einer Perspektive des besseren Wissensmanagements. Mitarbeiter hingegen meinen damit mehr Empowerment. Unternehmen können – und müssen – also zwei Fliegen mit einer digitalen Klappe schlagen. Dabei kann eine Technologie wie Slack ohne Frage hilfreich sein – aber nur, wenn sie Hand in Hand mit einer wirklich transparenteren und partizipativeren Organisations- und Entscheidungskultur geht.