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Ratgeber

EU Accessibility Act: Warum Barrierefreiheit allen hilft

Die EU hat den Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit auf den Weg gebracht, der 2025 in Kraft treten soll und dem Americans with Disabilities Act (ADA) ähnelt. Doch was bedeutet das für europäische Unternehmen?

Von Julia Zacharias
5 Min.
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Sitz der EU-Institutionen in Brüssel. (Foto: Shutterstock.com)

Der EU Accessibility Act oder der Europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit hat vor allem ein Ziel: die EU inklusiver zu machen. Der Text formuliert Anforderungen an die Barrierefreiheit von Gütern und Dienstleistungen und nimmt zum ersten Mal auch private Wirtschaftsakteur:innen in die Pflicht.

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Dabei wird aktiv gegen bestehende diskriminierende Gesetze in den Mitgliedsstaaten angegangen: „Bei dem Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit handelt es sich um eine Richtlinie, die das Funktionieren des Binnenmarktes für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen durch die Abschaffung unterschiedlicher Vorschriften in den Mitgliedsstaaten verbessern soll.“

Europäischer Rechtsakt zur Barrierefreiheit nimmt digitale Services in den Fokus

Im Fokus stehen vor allem digitale Services. Die EU hat Interessensträger:innen, Expert:innen für Barrierefreiheit und das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen konsultiert und Produkte und Dienstleistungen festgelegt, die vom Akt betroffen sind:

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  • Computer und Betriebssysteme
  • Geldautomaten, Fahrausweis- und Check-in-Automaten
  • Smartphones
  • Fernsehgeräte für digitale Fernsehdienste
  • Telefondienste und dazugehörige Geräte
  • Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten wie Fernsehsendungen und damit verbundene Verbraucher:innen-Endgeräte
  • Dienstleistungen im Bereich Flug-, Bus-, Bahn- und Schiffsverkehr
  • Bankdienstleistungen
  • E‑Books
  • elektronischer Geschäftsverkehr

Betrachtet man die Aufzählung, kommt also auf viele Geschäftsbereiche eine große Herausforderung zu, sofern sie das Thema Barrierefreiheit noch nicht angegangen sind.

Doch die EU kennt sich aus mit der Einführung von herausfordernden Rechtsakten. Die DSGVO war ein Meilenstein für den Datenschutz privater Nutzer:innen und zeigt deutlich, wie wenig Aufmerksamkeit dem Thema zuvor geschenkt wurde. Ähnliche Entwicklungen sind beim EU Accessibility Act zu erwarten.

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Wo liegt das Problem?

Drei Jahre vor Inkrafttreten des Europäischen Rechtsakts zur Barrierefreiheit sind viele Dienste noch immer nicht barrierefrei. Websites beispielsweise, die viel Werbung ausspielen, sind für eine sehende Person zwar nervig, aber für eine Person, die auf einen Screenreader angewiesen ist, praktisch nicht nutzbar.

Videos, die zur besseren Erklärung von Sachverhalten auf Websites eingebunden sind, helfen mit gut gesprochenem Text zwar Menschen, die nicht sehen können, Menschen, die nicht hören können, sind jedoch weiterhin in der Nutzung beeinträchtigt, wenn keine Untertitel eingebunden werden.

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Die Beispiele, auf welche Arten Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und viele weitere Gruppen in ihrem Leben beeinträchtigt sind, sind quasi endlos. Der Fokus in diesem Text ist aber die Verbesserung, die mithilfe des Rechtsakts erfolgen soll.

Barrierefreiheit hilft allen

Ein ebenerdiger Einstieg in die U‑Bahn hilft Menschen in unterschiedlichen Szenarien: Menschen im Rollstuhl oder mit Rollatoren, Eltern mit Kinderwagen, Menschen mit einem gebrochenen Bein oder Passagier:innen, die ein Fahrrad in die Bahn mitnehmen möchten. Gleiches gilt für Barrierefreiheit im Internet: Bestimmte Barrieren sind nicht für alle Nutzer:innen per se problematisch, aber ihre Abwesenheit bringt einen Zugewinn an Komfort für alle Besucher:innen. Wenn sich Nutzer:innen in einem Onlineshop gut zurechtfinden, wirkt sich dies positiv auf ihre Kaufbereitschaft aus.

Barrierefreie Angebote zu gestalten bedeutet, bestehende Angebote inklusiver zu machen und neue Angebote auch wirklich neu zu denken. Denn inklusive digitale Produkte und Services helfen nicht nur Menschen mit dauerhaften, sondern auch Menschen mit temporären Behinderungen. Ein gebrochenes Handgelenk heilt wieder, aber betroffene Personen freuen sich während der Zeit der Einschränkung über große Schaltflächen, die sie mit ihrer nicht dominanten Hand leichter erreichen können.

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Eine weitere Zielgruppe sind ältere Menschen ab einem Alter von 50 Jahren, die trotz altersbedingter Einschränkungen weiter im Netz unterwegs sein und digitale Angebote nutzen möchten. Diese Zielgruppen zu erreichen bedeutet, sich einen Wettbewerbsvorteil zu sichern.

Klagen vermeiden

Gesetzliche Pflichten für Unternehmen der Privatwirtschaft gibt es in einigen Ländern bereits. Mit dem European Accessibility Act werden sie in naher Zukunft auch auf EU-Ebene Gesetzeskraft erlangen. Sich abzusichern kann also Schutz bieten und bares Geld sparen.

Denn der Americans with Disabilities Act zeigt, dass rechtlich geschützte Teilhabe für zuvor marginalisierte Gruppen Unternehmen teuer zu stehen kommen kann, wenn sie diese nicht sicherstellen. In den USA stieg die Zahl der Klagen wegen mangelhafter digitaler Barrierefreiheit in jüngster Zeit dramatisch an: Gab es im Jahr 2018 bereits mehr als 2.000 Klagen auf Basis des Americans with Disabilities Act, waren es 2021 schon mehr als 4.000 Klagen (siehe Grafik). Das Risiko für Unternehmen, die dieses Thema weiterhin vernachlässigen, steigt also an.

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Aufbau eines Accessibility-Programms

Unternehmen, die aus rechtlicher Sicht auf Nummer sicher gehen wollen, sollten jetzt anfangen, ihre Produkte und Dienstleistungen auf ihre Barrierefreiheit hin zu überprüfen. Das fängt damit an, dass Desktop-Websites für ein Screenreader-Programm erfassbar sind und auch problemlos funktionieren. Ein Beispiel für ein Screenreader-Problem ist, wenn einem interaktiven Element kein Name, keine Rolle oder kein Wert zugewiesen wurde, sodass der Screenreader es nicht erkennen kann. Es könnte einfach „Button“ sagen, anstatt die Funktion des Buttons zu beschreiben.

Generell können Unternehmen auch überprüfen, ob ihre Systeme die Möglichkeit bieten, auf einfache Sprache umzustellen. Das ist auch für Bankautomaten oder Check-in-Schalter sehr wichtig. Genau wie die Einstellung der Schriftgröße für ältere Menschen oder die Verwendung von Farben, die von farbenblinden Menschen leicht unterschieden werden können.

Als Unternehmen sollte man das Thema, aber größer und ganzheitlicher angehen. Das ist ein langwieriger Prozess und nicht in ein paar Tagen erledigt. Im ersten Schritt ist es wichtig, Menschen in allen Bereichen für das Thema zu sensibilisieren. Hier sollte vor allem auch die Managementebene einbezogen werden, um eventuell Budget freizugeben, Expert:innen für Workshops und Trainings zu engagieren. Oftmals ist vielen nicht bewusst, dass durch fehlende Barrierefreiheit Menschen ausgeschlossen werden.

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Empathie fördern

Zusätzlich zur Sensibilisierung braucht es Trainings und Schulungen. Je früher im Entwicklungsprozess diese stattfinden, desto barrierefreier wird das Endprodukt. Es bietet sich daher an, bereits beim Designteam anzufangen. Ein großer Teil dieser Schulungen befasst sich mit den verschiedenen Arten von Behinderungen: den dauerhaften und den vorübergehenden Behinderungen. Denn dass es diese Unterschiede gibt und welche Einflüsse sie auch auf das eigene Leben haben können, ist eine wichtige Erkenntnis, die oft zu mehr Verständnis führt, als einfach nur die Lösungen vorzulegen.

Ein wichtiger Teil des Entwicklungsprozesses sind Tests mit Menschen mit Behinderungen. Zu sehen, wie unterschiedliche Menschen wirklich mit dem Produkt interagieren, bringt auch viel Unterstützung in der Führung. Denn Barrieren sind oft nicht bewusst eingebaut oder werden mit Absicht aufrechterhalten. Ein Schlüsselerlebnis ist häufig, wenn Entwickler:innen und Geschäftsführer:innen zugleich sehen, wie Menschen mit Behinderungen sich abmühen müssen, um das eigene Produkt nutzen zu können. Es fördert die Empathie und macht das Thema greifbar. Und man kann ein paar Tests mit jemandem machen, sie aufzeichnen und sie mit anderen teilen, um diese Schlüsselerlebnisse zu fördern.

Am Ende gilt: Je mehr das Verständnis für Barrieren und die Notwendigkeit ihres Abbaus in den gesamten Entwicklungsprozess integriert ist, desto einfacher wird es, diese abzubauen. Bis wöchentliche Audits und regelmäßige Schulungen Teil der Unternehmenskultur sind, braucht es allerdings Zeit. Der EU Accessibility Act ist noch knapp drei Jahre entfernt, in dieser Zeit kann viel erreicht werden. Nur muss jetzt begonnen werden.

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