Terror und Schwerverbrechen: EuGH begrenzt Vorratsdatenspeicherung
Eine pauschale Aufbewahrung durch Telekommunikationsunternehmen sei nicht zulässig, erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem am Dienstag veröffentlichten höchstrichterlichen Urteil. Es gebe jedoch besondere, genau definierte Ausnahmefälle: Bei einer akuten Bedrohung der nationalen Sicherheit oder zur Bekämpfung schwerer Kriminalität halten die Richter eine zeitlich begrenzte, begründete Vorratsdatenspeicherung für zulässig – aber nur dann.
Mit seiner Ablehnung flächendeckender, vorsorglicher Datensammlung stärkte das Luxemburger Gericht die Bürgerrechte. Eine unmittelbare Wirkung auf die deutschen Regelungen hat die Entscheidung noch nicht, für die Bundesrepublik läuft ein separates Verfahren.
Der EuGH stellt klar: Die Verpflichtung der Anbieter in einigen EU-Staaten, eine „allgemeine und unterschiedslose Übermittlung oder Aufbewahrung von Verbindungs- und Standortdaten“ zu gewährleisten, sei nicht mit dem Europarecht vereinbar. Zwei Einschränkungen wurden jedoch betont. Zum einen darf bei einer unmittelbaren „ernsten Bedrohung der nationalen Sicherheit“ von Regeln zur Vertraulichkeit der Daten abgewichen werden – für einen streng begrenzten Zeitraum.
Behörden können gezielte Aufbewahrung von Daten anorden
Außerdem können Behörden im Kampf gegen Schwerkriminalität eine „gezielte Aufbewahrung“ von Daten anordnen, zumal bei „Gefahren für die öffentliche Sicherheit“. Bei konkretem Terrorverdacht dürfen sogar Echtzeit-Daten nach vorheriger Prüfung durch ein Gericht ausgewertet werden. Die Richter mahnen indes: Solche Schritte müssen wegen des Eingriffs in die Grundrechte stets von „effektiven Schutzmaßnahmen“ flankiert werden. Gemeint sind etwa unabhängige gerichtliche Überprüfungen. Die Staaten könnten auch nicht behaupten, dass der Schutz der nationalen Sicherheit allein ihnen obliege, so dass europäische Datenschutzrichtlinien hier nicht anwendbar seien.
Seit Jahren gibt es in mehreren EU-Ländern Streit um das Thema zwischen Sicherheitsbehörden und -politikern auf der einen sowie Bürgerrechtlern und Verbraucherschützern auf der anderen Seite. Die Befürworter argumentieren, bei der Terrorabwehr oder Bekämpfung organisierter Kriminalität müssten Ermittler die Möglichkeit haben, auf gespeicherte Telekommunikationsdaten zuzugreifen. Die Kritiker befürchten zu starke Eingriffe in die Grundrechte, wenn es dabei keinen hinreichenden Anfangsverdacht gegen mutmaßliche Täter gibt.
Gespeichert werden keine Sprach- oder Textinhalte von Telefonaten, SMS oder E-Mails, sondern Verbindungsdaten – etwa Angaben dazu, wer wann mit wem telefonierte und in welcher Handy-Funkzelle er sich aufhielt. Die aktuell ruhende deutsche Regelung hierzu sieht eine Speicherfrist von zehn Wochen vor. Telekommunikationsfirmen speichern die Daten aber auch laufend, zum Beispiel für Abrechnungszwecke. Die Deutsche Telekom hält die IP-Adressen ihrer Nutzer – sozusagen die Anschrift im Internet – nach eigenen Angaben sieben Tage lang vor.
EuGH-Urteil könnte auch hiesige Diskussion beeinflussen
Der EuGH bezog sich zwar im Kern auf Fälle aus Frankreich, Belgien und Großbritannien, in denen nationale Gerichte ihn um eine Einschätzung gebeten hatten. Doch der Grundsatzcharakter des Urteils könnte auch die Diskussion in Deutschland beeinflussen. Im Juni 2017 hatte die Bundesnetzagentur den Speicherzwang für Internet-Provider und Telefonanbieter ausgesetzt – wenige Tage vor dem Inkrafttreten der Vorschriften. Anlass war ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Nordrhein-Westfalen, wonach eine verdachtsunabhängige Speicherung von Standort- und Verkehrsdaten nicht mit EU-Recht vereinbar ist.
Insbesondere Sicherheitsbehörden sowie Unionspolitiker hoffen, dass die Nutzung solcher Daten wieder möglich wird. 2015 hatte die große Koalition schon einmal eine Wiedereinführung des zwischendurch gekippten Instruments beschlossen. Auch aus Teilen der SPD kommt nun Zuspruch. FDP, Grüne und Linke lehnen die Vorratsdatenspeicherung ab.
Der stellvertretende Unionsfraktionschef Thorsten Frei (CDU) erklärte unter Verweis auf die vom EuGH formulierten Beschränkungen, die Entscheidungen des EuGH blieben hinter den Hoffnungen zurück. „Wenn die Urteile vorliegen, müssen wir prüfen, ob sie wirklich im Kampf gegen Kriminalität im Netz helfen. Ich hoffe, dass der Gerichtshof sich bei Betrachtung der deutschen Regelung hier weiter öffnet.“
Horst Seehofer erhofft sich „Spielräume“
Darstellungen sexueller Gewalt gegen Minderjährige werden häufig in Online-Netzwerken ausgetauscht. Auf IP-Adressen möchten Ermittler daher länger zurückgreifen können – das EuGH-Urteil lässt hierbei für spezielle Situationen durchaus Raum. Die Innenminister von Bund und Ländern plädierten im Juni für die Aufbewahrung der Daten zu diesem Zweck. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte damals, er erhoffe sich „Spielräume“ von der erwarteten Rechtsprechung des EuGH.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte in der vorigen Woche angekündigt, „Ermittlern auch die Möglichkeit an die Hand zu geben, die Vorratsdatenspeicherung zu nutzen, soweit dies mit deutschem und europäischem Recht vereinbar ist“. Einige Regierungen in der EU – darunter auch das Bundeskabinett – hatten zuletzt neue Gesetzesinitiativen in Aussicht gestellt, die eine rechtskonforme Speicherung ermöglichen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft schlug „harmonisierte Auflagen für Provider“ mit klaren Bedingungen vor.
Grünen-Politiker begrüßten das Urteil. „Es schützt Grundrechte und bringt noch einmal mehr Rechtssicherheit“, sagten Bundestagsfraktionsvize Konstantin von Notz und die netzpolitische Sprecherin Tabea Rößner. „Wir wissen seit Jahren, dass die Massendatenspeicherung kein Mehr an Sicherheit bringt. Vielmehr frisst sie knappe Ressourcen und verstellt den Blick auf tatsächlich zielführende Ermittlungsansätze.“ Die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Anke Domscheit-Berg, forderte die Bundesregierung auf, „endlich den Zombie Vorratsdatenspeicherung zu beerdigen“.
Auch der Verein Digitale Gesellschaft, der sich für Freiheitsrechte im Internet einsetzt, sah sich bestätigt. „Kommunikationsunternehmen dürfen nicht anlasslos speichern und Daten an Sicherheitsbehörden und Geheimdienste weitergeben. Auch die denkbaren Ausnahmen will das Gericht in hohem Maße eingeschränkt sehen“, teilte der Verein mit. dpa